Homosexuelle verstehen sich nicht als Randgruppe

Wir, die Arbeitsgemeinschaft Homosexualität "Courage" des Verbandes der Freidenker (Bezirksvorstand Berlin), betrachten mit Sorge die Ereignisse der letzten Tage und sind froh über die Erklärung des Politbüros des Zentralkomitees der SED vom 11. Oktober 1989.

Sie kam spät, aber nicht zu spät, wenn wir heute und hier zur Tat schreiten.

Wenn unser Staat alle braucht und Platz für alle hat, dann wollen und können wir als Schwule und Lesben nicht außerhalb des Dialogs und des aktiven Veränderns stehen. Wir bekennen uns zu unserer Gesellschaft, aber unterstützen voll und ganz die Auffassung, dass der Sozialismus attraktiver gestaltet werden muss. Dazu bedarf es endlich der öffentlichen Auseinandersetzung über alle unsere Probleme, nicht zuletzt mittels unserer Medien, wobei kein Bereich unserer Gesellschaft ausgespart bleiben darf.

Vor allem müssen wir gemeinsam über die Ursachen unserer Schwierigkeiten nachdenken, egal ob sie objektiv begründet sind oder subjektive Fehler darstellen. Gehört dazu nicht auch mehr Toleranz und Akzeptanz gegenüber den Homosexuellen?

Bei der Lösung der vor uns stehenden komplizierten Aufgaben fühlen wir uns nicht als eine Randgruppe der Gesellschaft, sondern als Subjekt des aktiven Mitgestaltens. Aus dieser Sicht werden wir uns in den nächsten Wochen und Monaten mit unseren Vorschlägen an das XIII. Parlament der FDJ und an den XII. Parteitag der SED wenden sowie uns für deren Verwirklichung einsetzen.

AGH "COURAGE"
Berlin 1058

aus: Berliner Zeitung, 18.10.1989, Jahrgang 45, Ausgabe 245. Die Redaktion wurde mit dem Karl-Marx-Orden, dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold und dem Orden "Banner der Arbeit" ausgezeichnet.