Chance im Kampf gegen die Krise der Menschheit

Stationen eines politischen Lebens in Ost und West

BZ: Als Sie am 27. Januar 1979 die DDR verlassen mussten - über das politische Szenario dieses Vorganges wird noch zu reden sein -, sagten Sie: "Ich bin ohne Feindschaft geschieden." Ist dies ein Beweggrund, warum Sie jetzt wieder kommen möchten? Sehen Sie hier in der DDR Ihre politische Heimat?

Rudolf Bahro: Für mich ist Heimat nicht primär ein geografischer Ort. Als ich Anfang 1987 verstand, dass Michail Gorbatschow den Versuch macht eine Revolution einzuleiten, da war ich in Moskau wieder zu Hause, obwohl ich ganze acht Tage jemals gewesen bin. Ich hatte einfach das Gefühl, also - nicht etwa, dass sich jetzt auf einmal die Ideale realisieren - aber, dass die Partei dort wieder an die Arbeit geht, für die ich Kommunist geworden bin.

Keine Feindschaft zu fühlen, das würde wirklich nicht hinreichen, mich wieder einbürgern zu lassen, wie ich vorhabe.

Man kann von der Bundesrepublik aus - das tun auch viele jetzt, und zumal mehr, als man meinen sollte - gut mit der Entwicklung der DDR sympathisieren. Nicht nur, weil es eine demokratische Revolution ist, sondern auch gerade, weil es eine demokratische Revolution unter anderen Bedingungen ist als den bundesdeutschen. Es wird durchaus von sehr vielen Leuten gewürdigt, dass das hier eine andere deutsche Möglichkeit ist, vielleicht sogar mehr als das, überhaupt eine andere Möglichkeit, mit der Krise der Menschheit umzugehen.

Das Thema meines zweiten Buches "Logik der Rettung" sind die Grundlagen ökologischer Politik. Damit habe ich mich die leisten Jahre drüben beschäftigt, und das wird auch hier mein Thema sein. Das sozialistische System ist in seiner Grundlage geeigneter, mit der ökologischen Krise umzugehen - die die Herausforderung von heute darstellt - als das wesentliche. Aber die Chance ist überaus gefährdet, wofür vor allem die SED selbst verantwortlich ist. Wie dem auch sein, ich will das mir mögliche beitragen, dass sie nicht verloren geht.

BZ: Rudolf Bahro, in Ihrer Biografie gibt es dramatische Einschnitte. Einer davon ist der 30. Juni 1978. Tage darauf druckte auch die "Berliner Zeitung" eine Meldung der Nachrichtenagentur ADN, in der es u.a. hieß, ich zitiere: "Vor dem 1. Strafsenat des Stadtgerichtes Berlin hatte sich Rudolf Bahro wegen des Landesverratsdelikts, Sammlung von Nachrichten sowie des Geheimnisverrats zu verantworten." Ferner war die Rede von antisozialistischer und subversiver Tätigkeit und schließlich hieß es: "Bahro wurde am 30. Juni 1978 wegen Verbrechen gemäß §§ 98 und 245 StGB zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt." Was empfinden Sie heute, mehr als elf Jahre später, zu Besuch bei Freunden in Berlin (DDR), wenn Sie diese Worte hören?

Rudolf Bahro: Ich habe schon damals nicht viel dabei empfunden, weil während der ganzen Untersuchungshaft zutage lag, wie das gestrickt ist. Innerlich haben mich diese Vorwürfe keine Sekunde erreicht. Die gehören einfach zu der Struktur hier, die jetzt bis auf den Grund ausgeräumt werden muss.

BZ: Es war ja wohl so, dass man, um Sie belangen zu können extra diesen Paragraphen "Nachrichtensammlung" erfinden musste. Genauso wie man bei Stefan Heym einen Paragraphen für Devisenvergehen oder ähnliches erfinden musste?

Rudolf Bahro: Man muss ja die Nöte dieser erbärmlichen Apparatherrschaft verstehen. Es sollte in diesem Prozess verborgen bleiben, dass ich für eine politische Tat verurteilt werde. Ich musste kriminalisiert werden. Also durften in dem Prozess keine Thesen meines Buches Gegenstand sein. Sondern der Richter bat mich in der entscheidenden Phase der Beweisaufnahme um Verständnis dafür, dass man jetzt Sätze aus der "Alternative" vorlesen würde. Und ich sollte immer sagen, dass ich sie auch geschrieben hatte. Dies obwohl sie schon unter meinem Namen gedruckt waren.

Und das waren dann Feststellungen wie die, dass in unseren Betrieben und Kombinaten z. B. die Kapazitätsbilanzen etwas herunterfrisiert werden, damit der Plan für das nächste Jahr nicht so hoch wird. Durchgängig dieser Art waren die Nachrichten, die ich "dem Klassenfeind verkauft" habe. Und es gab dann eine echte Schwierigkeit, mich zu verurteilen, weil der entsprechende Paragraph noch vorsah, dass diese Nachrichten direkt an den "Klassenfeind" gegangen sein mussten. Das Manuskript war aber dem Verlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes zugegangen. Deshalb hatte mein Anwalt Gregor Gysi Freispruch verlangt, was diesen Punkt betrifft. Das Urteil war also selbst formell ein Unrechtsakt.

BZ: In Ihrem 1977 nur in der BRD erschienen Buch "Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus", das wie damals zu hören war, auch im SED-Politbüro zirkuliert haben soll, bezeichnen Sie den "SED-Apparat als eine total vom Volk isolierte Maschine". In einem Interview für die "Welt der Arbeit" (7. September 1977) sprachen Sie von Ratlosigkeit bis hinein ins Politbüro. Weiter forderten Sie eine neue Verfassung für die DDR. Wie beurteilen Sie dieses Buch heute, glauben Sie, es könnte einen Beitrag zur gegenwärtigen Reformdiskussion leisten?

Rudolf Bahro: Da bis ich sehr sicher.

BZ: Das würde also auch einschließen, dass man es hier veröffentlichen sollte?

Rudolf Bahro: Ja. Man sollte auch das Papierkontingent auf die Nachfrage einstellen. Selbstverständlich verdient manches in der "Alternative" eine Weiterentwicklung. Es sollte eine Konferenz darüber geben, sobald das Buch erschienen ist.

BZ: Sie haben lange in der BRD gelebt, waren dort u.a. aktiv politisch tätig bei den Grünen, bis Sie im Juni 1985 Ihren Austritt aus dieser Partei erklärten. Welche Chance sehen Sie heute für linke, alternative Gesellschaftskonzeptionen, politisch wirksam zu werden, sei es nun in der BRD oder in der DDR?

Rudolf Bahro: Es ist trotz allem nicht der "sozialistische" Stinke-Trabi, an dem die Welt kaputt geht, sondern es sind die Gesetze, die die Fusion von Daimler-Benz und MBB regieren. Aber da bedarf es erst einmal einer Reflektion darüber, was heute "links" bedeuten soll. Mehr noch, ob überhaupt "links" die treffende Bezeichnung für das ist, was jetzt ansteht. Im Westen sind sich Arbeit und Kapital darüber einig, möglichst viele Mercedes rings um die Welt zu verkaufen. Die Industriearbeiterklasse akzeptiert die kapitalistische Formation. Wenn nun die industrielle Massenproduktion die Ursache der ökologischen Krise ist, ihre Grundlast zu schwer für die Biosphäre, dann muss die Identifikation mit dem Industriealismus, mit der Großproduktion fallen. Das wagt die Linke auch im Westen nicht zu leisten.

BZ: Können Sie in diesem Zusammenhang auch kurz Ihre Vorstellungen von einem linken, ökologisch orientierten Gesellschaftsmodell erläutern?

Rudolf Bahro: Lieber erst einmal, was ich arbeiten möchte. Ich würde gerne an der Humboldt-Universität einen interdisziplinären Arbeits- und Lebenszusammenhang mit Praxisverbindung über Grundlagen ökologischer Politik schaffen. Natürlich einschließlich Vorlesungen, möglichst in der Abendzeit, damit auch Werktätige daran teilnehmen können.

BZ: Es gäbe ja auch die Möglichkeit der Sonntags-Vorlesungen . . .

Rudolf Bahro: Kein Thema für die nächsten Jahre hier ist also Ökologie und Ökonomie.

BZ: Ich würde das umdrehen . . .

Rudolf Bahro: Viele werden verhältnismäßig schnell verstehen, dass für die heutige wirtschaftliche Tätigkeit der Gattung Mensch das Häuschen zu klein ist. Primat der Ökologie heißt, alles von der Wiedereinordnung ins Naturgleichgewicht her zu denken. Es ist die erste Bedingung unserer Fortexistenz überhaupt, mit der materiellen Expansion aufzuhören. Erweiterte Reproduktion in denn bisherigen Sinne ist nicht mehr möglich. Vielmehr müssen wir mit Kilogramm und Kilowatt pro Kopf zurückgehen.

Wenn die Menschheit so leben will, wie heute die Bevölkerung der Bundesrepublik, ist spätestens in zwei Generationen der Ofen aus. Es ist ebenso bequem wie, bewusstlos, diesen Lebensstil zu vertreten bzw. erreichen zu wollen. Noch Ist es freilich unpopulär, so was zu sagen. Aber man sollte es schon ins Auge fassen, und gerade jetzt, sei es auch unter dem Druck der unmittelbaren Probleme erst mal für eine Sekunde.

BZ: Sie sind, wenn ich mich nicht irre, mit 16 Jahren Kandidat der SED geworden und zwei Jahre später - damals war das wohl noch so - Mitglied. Am 23. August 1977 wurden Sie verhaftet und kurz darauf aus der SED ausgeschlossen. Könnten Sie sich vorstellen, als Gast oder Delegierter am außerordentlichen Parteitag der SED im Dezember teilzunehmen?

Rudolf Bahro: Was diesen Ausschluss angeht, habe ich die Partei um nichts zu bitten. Nicht ich bin ausgetreten. Mitte Dezember geht es meiner Meinung nach um folgendes: Wird dieser Sonderparteitag bereit sein, sich die Stimme der Opposition im Lande offiziell anzuhören? Wird er deren Repräsentanten einladen? Wenn sich die Partei neu auf Ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung besinnen will, dann wird sie sich doch hoffentlich nicht nur im Zitat vergewärtigen, was andere, darunter sicherlich auch unabhängige Parteilose denken. In so einem Rahmen wäre auch ich qualifiziert, etwas zur Lage und zu den Perspektiven zu sagen.

Das Gespräch führte
Dietmar Henker

aus: Berliner Zeitung, Nr. 282, 30.11.1989, 45. Jahrgang. Die Redaktion wurde mit dem Karl-Marx-Orden, dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold und dem Orden "Banner der Arbeit" ausgezeichnet.

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