Damit das Volkseigentum nicht unter Wert verkauft wird
Verband der Volksaktionäre will Mitwirkung an Kapitalgesellschaften durchsetzen
Die Umwandlung des bisher anonymen Volkseigentums in ein wahres Eigentum des Volkes ist eine vordringliche Aufgabe der Wirtschaftspolitik. Doch wie soll das geschehen? Wie kann das staatliche Eigentum tatsächlich für jeden einzelnen Bürger verfügbar werden? Mit diesen Problemen beschäftigt sich auch der kürzlich in Berlin gegründete "Verband der Volksaktionäre". Wir Sprachen mit Verbandsvorsitzenden Horst Schneider.
BZ: Die Zahl der Verbände in unserem Land ist mittlerweile unüberschaubar geworden. Warum nun noch ein neuer Verein?
H. Schneider: Weil die Zeit drängt. Allenthalben treten selbsternannte "Gesellschafter" und "Treuhänder" auf, die ihre Geschäfte zu machen versuchen. Ebenfalls unübersehbar ist auch die Zahl der Gemeinschaftsunternehmen mit westlichen Partnern. Natürlich ist es notwendig, die Marktwirtschaft in Gang zu setzen und dafür private Investoren ins Land zu holen. Aber es muss verhindert werden, dass das Volkseigentum unter Wert verkauft, ja, wie in manchen Fällen, geradezu verschleudert wird und die Gewinne in die Taschen einiger weniger fließen. Dafür wollen wir uns einsetzen.
BZ: Welches Konzept verfolgen Sie?
H. Schneider: Mit der Projektgruppe Privatisierung haben wir unseres Erachtens ein tragfähiges Konzept der Privatisierung des sozialistischen Eigentums zugunsten der Bürger der DDR erarbeitet. Die ersten Ansätze dieses Reformkonzepts entstanden übrigens schon 1988. Nach dem November 1989 arbeiteten wir unsere Vorschläge in das Wirtschaftsprogramm der SPD ein.
Inhalt der Reform ist die Bildung von Kapitalanlagegesellschaften, denen das sozialistische Eigentum nach Artikel 10 der Verfassung zugeordnet ist. Dazu gehören auch als Wiedergutmachung die Vermögenswerte der ehemaligen SED. Eigentümer der Kapitalanlagegesellschaften sind die Bürger der DDR. Die in wenigen Wochen stattfindende Ausgabe von Anteilscheinen, sogenannten Volksaktien, beurkundet diese Eigentumszuordnung.
BZ: Nach welchem Modus werden die Anteilscheine verteilt?
H. Schneider: Hier gibt es mehrere Möglichkeiten. Zweifellos ist eine Verteilung nach dem Leistungsprinzip vorzuziehen, das heißt, die Verteilung erfolgt unter Berücksichtigung der geleisteten Arbeitsjahre. Das hat aber auch Nachteile, z. B. für junge Leute. Bei der Verteilung müssen auch die Rechte der in der DDR lebenden Ausländer gesichert werden, sofern sie zur Erarbeitung des Eigentums beigetragen haben. Unser Gesetzesvorschlag berücksichtigt diese Aspekte.
BZ: Wie soll nach Ihrem Konzept der Aktionär mitentscheiden können?
H. Schneider: Zwangsläufig erfordert die Kapitalisierung der Wirtschaft die Bildung von Aufsichtsräten, in denen die Kapitaleigner, also die Volksaktionäre, bestimmen.
Hier aber liegt das Problem. Wie sollen 16 Millionen Aktionäre die Aufsichtsräte besetzen? Eine Möglichkeit wäre, die Kontroll- und Entscheidungsrechte Banken oder anderen Institutionen zu übertragen. Wirkungsvoller aber ist es unserer Meinung nach, die Geschicke selbst in die Hand zu nehmen. Um dies zu ermöglichen, haben wir den Verband der Volksaktionäre gegründet, der geeignete Persönlichkeiten in die Aufsichtsräte der Kapitalanlagegesellschaften, Banken und Betriebe entsenden wird.
BZ: Wie wird der Wert der Anteilscheine bestimmt?
H. Schneider: Der Wert der Volksaktien wird zwar vom Wert in Mark der DDR bestimmt, aber das ist nur ein erster Anhaltspunkt. Unbedingt erforderlich ist es, dass die Betriebe Eröffnungsbilanzen aufstellen. Diese Aufgabe wird der Wirtschaft größte Schwierigkeiten bereiten, wie auch die Beurteilung der zukünftigen Ertragslage eines Unternehmens. Dabei werden wir Hilfe benötigen, ich denke da an solide Wirtschaftsprüfungsunternehmen aus dem Westen.
BZ: Nun gibt es aber bereits die Treuhandgesellschaft der DDR?
H. Schneider: Die Gründung der Treuhandanstalt kann zwar als Schritt in die Marktwirtschaft angesehen werden, sie ist aber wegen der unklar gebliebenen Eigentumszuordnung in ihrer Rechtsstellung weder ein staatliches Schatzamt noch eine private Investmentgesellschaft. Außerdem erfasst die Treuhandanstalt das Eigentum nach Artikel 10 der Verfassung nicht vollständig. Das Problem sehe ich darin, dass wiederum der Staat seine Hände in der Wirtschaft hat und der Eigentümer entmündigt wird.
BZ: Wohin können sich denn nun Interessenten wenden, die Mitglied des Verbandes werden wollen?
H. Schneider: Um den Verband kurzfristig für seine große Aufgabe Kompetent zu organisieren, wenden wir uns an jedermann im Lande (Anschrift: Postschließfach 64, Berlin 1080). Die Zusendung der Satzung des Verbandes und Hinweise zur Organisation sind vorbereitet. Denn wie gesagt, die Zeit drängt; die erste Hauptversammlung der Volksaktionäre wird noch im Mai stattfinden.
Das Gespräch führte
Rainer Schmid
Berliner Zeitung Nr. 106, Di. 08.05.1990