Erklärung von Mitgliedern des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums der DDR

BERLIN (ADN/JW) Mitglieder des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums DDR - Günter Cwojdrak, Friedrich Dieckmann, Fritz Rudolf Fries, Stephan Hermlin, Walter Kaufmann (Generalsekretär), Rainer Kerndl, Helga Königsdorf, Werner Liersch, Jean Villain - haben ADN folgende an den Vorsitzenden des Staatsrates, Egon Krenz, gerichtete Erklärung übermittelt:

"In Erklärungen und Demonstrationen fordern die Bürger unseres Landes tief greifende Wandlungen und Reformen. Die Leiter der fünf befreundeten Parteien haben sich diese Forderungen am 12. Oktober zu Eigen gemacht. Neue Töne, veränderte Haltungen kommen von der Spitze des Staatsrates und der Sozialistischen Einheitspartei. Nur ein Umbau des Staates und weiter Bereiche der Gesellschaft kann die Ursachen beheben, die zu der lange schwelenden ökonomischen, politischen, moralischen Krise geführt haben, die nun zum Ausbruch gekommen ist. Ein weiteres Anwachsen der Probleme könnte den Bestand des Sozialismus gefährden und unser Land zu einem Gefahrenherd in Europa werden lassen. Der wiederholte Verweis auf ausreichende Strukturen politischer Meinungs- und Willensbildung kann nicht überzeugen, da diese Strukturen langfristig und wiederholt versagt haben. Es bedarf neuer, qualitativ erweiterter Strukturen, darunter des Prinzips der Gewaltenteilung sowie einer grundlegenden, durch Gesetze garantierten Öffnung. Insbesondere sprechen wir uns für die volle Respektierung der Eigenverantwortung der Verlage und Redaktionen aus. Wir erklären unsere Bestürzung gegenüber dem Versuch staatlicher Stellen, Zusammenschlüsse, die von der tiefen und berechtigten Sorge um die Zukunft des Staates und der Gesellschaft getragen sind, ungeprüft für verfassungswidrig zu erklären. Verfassungswidrig im Sinne von Artikel 29 unserer Verfassung, der das Recht auf Vereinigung festsetzt, ist vielmehr ein solches Vorgehen.

Sozialismus ist nicht denkbar ohne eine Vielzahl politischer Meinungen und Organisationsformen, deren Koordination kein obrigkeitliches Monopol sein darf, sondern sich als demokratischer Prozess herstellen muss. Eben dies erklären die Artikel 21, 22 und 27-30 unserer Verfassung. Wir fordern die sofortige Einrichtung einer unabhängigen und bevollmächtigten Rechtsinstanz, die bestehende Gesetze, Verordnungen, Verfügungen, Praktiken auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüft. Mit Empörung erfüllt uns, über den Tatbestand willkürlicher Festnahmen hinaus, die vielfach bezeugte rechtswidrige und menschenverachtende, mit physischem und psychischem Terror verbundene Behandlung festgenommener Bürger durch Sicherheitskräfte der DDR. Als Staatsbürger, als Schriftsteller und durch die Charta des Internationalen P.E.N. dazu verpflichtet, für die Freiheit des Wortes und die Wahrung der Menschenwürde einzustehen, rufen wir die Mitglieder unseres Zentrums dazu auf, an öffentlichen Bekundungen zur Gewährleistung der Artikel 27-30 der Verfassung mitzuwirken, die Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, das Recht auf Vereinigung und die Unantastbarkeit der Persönlichkeit garantieren. Vergangenheit und Zukunft bedenkend fordern wir die Offenlegung persönlicher und kollektiver Verantwortung für die Leitung der Staatsangelegenheiten in ihren einzelnen Bereichen. Wir setzen uns für rasche und entschiedene Schritte ein, die das Verhältnis von Staat und Bürgern auf eine neue, wahrhaft sozialistische, also wahrhaft demokratische Grundlage stellen."

An Charta des P. E. N. gerüttelt

Präsident des DDR-Zentrums, Prof. Heinz Kamnitzer, erklärt:

"Der internationale P.E.N. darf sich weder für noch gegen eine Gesellschaftsordnung oder Staatsverfassung aussprechen, geschweige denn über sie zu Gericht sitzen. Seine Grundsätze sind eindeutig und eingegrenzt auf das Plädoyer für eine Welt ohne Krieg ohne Rassenwahn und Nationaldünkel, für die gute Nachbarschaft zwischen allen Staaten und die Freiheit des Wortes.

Nur diese Selbstbeschränkung bewahrte die Internationale der Schriftsteller davor auseinanderzubrechen und gestattete, Mitglieder von den Konservativen bis zu der Kommunisten einzuschließen.

Wir an der Charta des Internationalen P.E.N. rüttelt, verstößt gegen seine Prinzipien, verletzt seine Eigenart und schadet der Gemeinsamkeit, die erreicht worden ist.

Da die Mitglieder des Präsidiums des DDR-Zentrums, die auf der Sitzung vom 26. Oktober 1989 anwesend waren, meinem Rat entgegen eine Erklärung verabschiedet haben, die unvereinbar ist mit den Richtlinien des Internationalen P.E.N., werde ich mich als Präsident nicht wieder zur Wahl stellen und ob sofort meine Tätigkeit ruhen lassen."

(ADN)

Junge Welt, Sa. 28.10.1989

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