Für eine demokratische Filmkultur

Memorandum des Film- und Fernsehverbandes der DDR

I

Der Film- und Fernsehverband der DDR befindet sich als größte deutscher Interessenverband der Film-und Fernsehschaffenden inmitten der Auseinandersetzungen um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der deutschen Filmlandschaft.

Wir teilen die Beunruhigung vieler Verbandsmitglieder angesichts unkontrollierter Vorgänge in Studio-, Verleih- und Lichtspielbetrieben der DDR. Und wir teilen zugleich die Überzeugung, dass die Chancen für eine neue demokratische Filmkunst und Kinokultur nie so groß waren wie heute.

Diese Chancen müssen mit Besonnenheit genutzt werden!

Die Politik muss sich zu dem großen Entwurf Vereinigung bekennen und gemeinsam mit den Film- und Fernsehschaffenden nach neuen, auch unbekannten Wegen suchen, nach Wegen zu einer neuen kulturellen Qualität im Interesse eines geeinten Deutschlands, im Interesse des gemeinsamen europäischen Hauses.

Der Film- und Fernsehverband der DDR erklärt seine Bereitschaft zur intensiven Zusammenarbeit. Wir brauchen auch auf dem Gebiet der Kultur den großen und kühnen Entwurf, der sich messen kann mit besten internationalen Entwicklungen.

Der Film- und Fernsehverband der DDR schlägt deshalb den politischen Verantwortlichen in beiden deutschen Staaten vor, bis spätesten Ende 1991 ein

Nationales Institut für Film und Video

zu gründen. Diese Idee orientiert sich an großen zentralen Einrichtungen der nationalen Kulturen zum Beispiel in Frankreich, Großbritannien und Schweden.

Das Institut sollte sich frei von kommerziellen Zwecken einzig der Produktion, Bewahrung, Entwicklung und Verbreitung nationaler Filmkultur widmen und müsste deshalb über den Staatshaushalt und über eine Stiftung subventioniert werden.

Wir verstehen das Nationale Institut für Film und Video als einen Beitrag zum Kulturkonzept der Europäischen Gemeinschaft "Media 92"

II

[...]
In der DDR haben sich über Jahrzehnte filmkulturelle Strukturen herausgebildet, die eine hervorragende Ausgangslage für die Konstituierung eines Nationalen Instituts für Film und Video darstellen.

Wir denken dabei an die großen DEFA-Studios für Spielfilme, für Dokumentarfilme, für Trickfilme, an das DEFA-Kopierwerk, an das Staatliche Filmarchiv mit einem Filmbestand von unschätzbarem Wert, an den Progress-Filmverleih, an den DEFA-Außenhandel, an die Hochschule für Film- und Fernsehen, an kommunale Kinoketten, die auch dem kulturell wertvollen Film eine Chance geben könnten.

Teile des Kapitals und des schöpferischen Potentials dieser Einrichtungen könnte die DDR in das Institut einbringen. Wir wissen, dass es sich hier um einen volkswirtschaftlichen Vorgang handelt, der in rechtlicher und ökonomischer Hinsicht außerordentlich kompliziert und ohne Vorbild ist und deshalb sorgfältig bedacht werden muss.

Wir weisen aber mit Nachdruck darauf hin, dass die Idee von einem Nationalen Institut für Film und Video kaum noch zu realisieren sein wird, wenn sich in Kürze alle Betriebe des Film- und Lichtspielwesens in Kapitalgesellschaften umgewandelt haben werden.

Um das zu verhindern, sind weitsichtige politische Entscheidungen notwendig.

Damit perspektivisches Nachdenken und Handeln überhaupt noch möglich ist, sollten vorerst all jene Prozesse hinausgeschoben werden, die auf eine Kommerzialisierung auch jener kulturellen Bereiche hinauslaufen, die anerkanntermaßen nicht gewinnorientiert arbeiten können.

Deshalb müssen die Ausnahmeklauseln des "Beschlusses zur Gründung der Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums" vom 1. 3. 1990, der "Verordnung zur Umwandlung von Volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften" vom 1. 3. 1990 und des "Status der Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums" vom 15. März 1990 zur Anwendung kommen.

Auf diese Weise kann sich das Volksvermögen der Betriebe des Film- und Lichtspielwesens solange als Staatsunternehmen organisieren, bis ein realistisches Gesamtkonzept entwickelt worden ist.

Erst wenn dieses Konzept vorliegt, können verantwortungsvolle Entscheidungen über das aktive und passive Kapital der Studios, Archive, Kinos und des Verleihs getroffen werden.

Diese Forderung richtet sich also nicht gegen wirtschaftliche Strukturen irr Filmwesen. Im Gegenteil: der Film- und Fernsehverband sieht die dringende Notwendigkeit für eine wirtschaftliche Effizienz beim Umgang mit staatlichen Subventionsmitteln.

III

Das Konzept vom Nationalen Institut für Film und Video ist kein Ausschließlichkeitskonzept.

Das Nationale Institut übernimmt wegen seiner gemeinnützigen und kulturellen Definition keine wirtschaftliche Monopolstellung und kann sich daher nicht gegen die Existenz kommerzieller, filmwirtschaftlicher Bereiche richten.

Deshalb sind neben einer zentralen Förderung auch die Filrnförderungsstrukturen auf kommunaler und Länderebene, wie sie sich in de Bundesrepublik bewährt haben, weiterhin von Bedeutung.

Im DEFA-Studio für Dokumentarfilme und im Film- und Fernsehverband werden gegenwärtig Filmförderungsmodelle entwickelt, die sich als selbstverwaltete Sektionen des Nationalen Instituts für Film und Video etablieren könnten. Da bis zur Gründung des Institutes dringend eine Übergangslösung nötig ist, werden wir dem Minister für Kultur ein entsprechendes Konzept vorschlagen.

Der Film- und Fernsehverband schlägt der Volkskammer der DDR, der Regierung und dem Minister für Kultur vor, eine Expertengruppe zu berufen, die umgehend mit der Konzeption für das Nationale Institut für Film und Video beginnt. In diese Expertengruppe werden in relevanter Anzahl Mitglieder des Film- und Fernsehverbandes der DDR berufen. Zu gegebener Zeit müssen in diese Expertengruppe auch Vertreter bundesdeutscher Verbände und Institutionen kooptiert werden.

Für den Film- und Fernsehverband
Joachim Tischirner, Vorsitzender

die tageszeitung, DDR-Ausgabe, Do. 17.05.1990

Δ nach oben