Weihnachten arbeitslos?

Freie Arbeitsplätze, aber Arbeitslose? / MZ-Interview mit Vertretern des Bürgerkomitees

Es ist noch nicht lange her, dass auf Demonstrationen und Kundgebungen die Forderung gestellt wurde "Stasi in die Produktion!" Nun ist das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit aufgelöst, ebenso die Nachfolgeinstitution, das Amt für Nationale Sicherheit. Auch die Reduzierung des Parteiapparates der SED-PDS hat begonnen. Wieviel Bürger unserer Stadt auf diese Weise arbeitslos werden, war im Detail nicht zu erfahren, von weit über 2 000 aber kann man sicher ausgehen. Freie Arbeitsplätze gibt es genug, von mehr als 3 000 ist die Rede. Obwohl Arbeitskräfte dringend gebraucht werden, ist es mittlerweile in vielen Betrieben Praxis, ehemalige MfS-Mitarbeiter und Mitglieder der SED von vornherein nicht einzustellen. Wenn doch, drohen viele Kollektive mit Arbeitsniederlegung. MZ unterhielt sich darüber mit Birgit E(...) und Gerhard R(...) vom Bürgerkomitee.

MZ: Worin sehen Sie Ihre wichtigste Aufgabe?

G. R(...): Unser Komitee nimmt Hinweise von Bürgern zu Amtsmissbrauch und Korruption entgegen, untersucht sie selbst oder leitet sie an die zuständigen Gremien und Untersuchungskommissionen weiter. Außerdem überwachen wir mit die Auflösung des MfS bzw. des Amtes für Nationale Sicherheit. Bei all dem sehen wir unsere Aufgabe darin, den Rat der Stadt bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung zu unterstützen.

MZ: Wie bewerten Sie die Ausgrenzung von ehemaligen Stasi-Leuten und von SED-Mitgliedern?

G. R(...): Wir sind strikt gegen diese Diskriminierung. In Gesprächen mit ehemaligen MfS-Mitarbeitern hören wir oft, dass sie ein falsches "Feindbild" hatten. Genauso übel ist es, wenn jetzt wieder Feindbilder aufgebaut werden, allerdings von der anderen Seite. Ich bin Mitglied der Initiative Frieden und Menschenrechte, und das Recht auf Arbeit ist ein Grundrecht jedes Menschen.

B. E(...): Auch über Mitarbeiter des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes darf man nicht den Stab brechen. Wir können nicht heute verlangen, dass die Stasi in die Produktion geht, und die Leute darin morgen auf der Straße stehen lassen. Eine neue Demokratie zu entwickeln braucht den äußeren und den inneren Frieden gleichermaßen.

MZ: Was ist Ihrer Meinung nach nötig, um mehr Toleranz zu erreichen?

G. R(...): Wichtig ist, dass Leute nicht ohne jedes Konzept auf die Straße gesetzt und sich selbst überlassen werden. Die Betriebe, in denen Arbeitskräfte fehlen, müssten wesentlich öffentlichkeitswirksamer werden. Ich denke da beispielsweise an Bereichsversammlungen, in denen man miteinander spricht und versucht, miteinander auszukommen. Natürlich müssten dann aber ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit auch offen über ihre Arbeit reden, sonst können sie nicht erwarten, dass man ihnen vertraut.

B. E(...): Man darf nicht vergessen, dass die Stasi viele Menschen eingeschüchtert hat, dass da auch sehr viel Zorn mit im Spiel ist. Und vieles ist noch nicht geklärt. Ohne die nötige Offenheit kann man nicht erwarten, akzeptiert zu werden. Die Betriebsleitungen müssen hier ganz einfach vermitteln. Ich halte es auch für falsch, dass Leute eingestellt werden, ohne dass mit der Belegschaft gesprochen wird. Offenheit und Öffentlichkeit sind wohl die geeignetsten Mittel, um die Fronten abzubauen.

MZ: Kann das Bürgerkomitee dabei helfen?

G. R(...): Wir versuchen es. Von uns stammt beispielsweise ein Flugblatt, mit dem wir gerade zu dieser Thematik zur Toleranz aufrufen. Wir suchen auch nach geeigneten Formen, um in den Betrieben vermitteln zu können. Beispielsweise in Form von Sprechstunden. Ob wir das kräftemäßig bewältigen können, ist im Moment allerdings fraglich.

MZ: Sind Sie eigentlich generell gegen einen Geheim- oder Sicherheitsdienst?

G. R(...): Ich würde sagen, dass ich von der Notwendigkeit einer solchen Einrichtung nicht unbedingt überzeugt bin. Wenn es sie aber gibt, dann müsste sie auf jeden Fall kontrollierbar sein.

B. E(...): Ich glaube schon, dass ein solches Sicherheitsorgan nötig ist, um die innere und äußere Sicherheit zu gewährleisten. Es muss aber einer parlamentarischen Kontrolle unterstehen und darf nicht wieder zum Staat im Staate werden.

aus: MZ am Wochenende, Nr. 51, 21.12.1989

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