Ihr "Casablanca" ist auch Berlin

Interview mit Toni Krahl, Rockmusiker und Sänger der Gruppe City, Vizepräsident des Komitees für Unterhaltungskunst, Vorsitzender der Sektion Rock

DM: Dies sind Tage der neuen Gedanken, sind es auch Tage der neuen Lieder?

TONI KRAHL: Eigentlich müssten neue Lieder sein, aber mir fehlt Zeit. Seit Anfang September beschäftigen mich andere Dinge. Unsere politischen Aktivitäten der zurückliegenden Wochen mussten organisatorisch vorbereitet und bewältigt werden. Dafür fehlt uns der Apparat, jede noch so einfache Technik. Und all das beschränkt sich meist auf drei, vier Leute. Wir hatten permanent mit solchen Dingen zu tun, Material vervielfältigen, Texte schreiben ..., die nicht direkt die Musik betrafen. Davor war es aber auch unmöglich, einfach ein Konzert zu machen.

DM: Wie spürten wie solche Gegensätzlichkeiten zwischen Bühne und Saal unten?

TONI KRAHL: Viele waren durch die Tagesereignisse aufgeführt. In Gesprächen ging es fast ausschließlich um die Zustände in unserem Lande. Jeden betraf das, bis in die Familien hinein. Da saßen Menschen in Ungarn oder waren bereits in der Bundesrepublik, warteten in Lagern oder Botschaften. Wir bezogen Stellung und schrieben unsere Resolution.

DM: Wie gehen die Rocker gegenwärtig mit dieser im Morgen am 18. Oktober abgedruckten Resolution um?

TONI KRAHL: Die Resolution ist am 18. September geschrieben worden und bis zum 18. Oktober war es so gut wie verboten, damit zu arbeiten. Solche Verbote waren bei uns schon immer schwer zu fassen. Da wurden teilweise Auftrittsverbote verhängt, aber nie direkt an Künstler ausgesprochen. Die einzelnen Bezirke reagierten unterschiedlich. Manche Veranstalter verkündeten nur die Pflicht-Anweisung gegen das Verlesen der Resolution, überließen uns den Ablauf des Abends. Andere holten die Polizei, es wurden Strafen wegen Hausfriedensbruchs ausgesprochen.

DM: Auf welche Weise betraf das City?

TONI KRAHL: Wir hatten Ende September in Leipzig ein Freilichtkonzert, das bereits im Vorfeld leise abgesagt wurde. Als wir uns dann beim FDJ-Zentralrat dagegen wehrten, gegen solche meist verschleierten Praktiken aussprachen, durfte das Konzert stattfinden. Doch der Kartenvorverkauf in Leipzig wurde einfach gestoppt. Wir spielten dann vor Ordnungsgruppen, 300 Polizisten, einer Hundestaffel und einem Wasserwerfer. Heute verlesen wir die Resolution nicht mehr, die Ereignisse haben neue Zustände geschaffen. Trotzdem weisen wir im Konzert auf die Resolution hin, um damit deutlich zu machen, dass wir uns aus diesem begonnenen Veränderungsprozess nicht hinausdrängen lassen.

DM: In der jüngsten Vollversammlung der Sektion Rock sprach Mona Lise-Chefin Liselotte Reznicek Wahrheiten aus: Jetzt haben wir Mut, jetzt sind wir alle einig. Und wie lange sind wir feige gewesen? Haben feige Texte geschrieben und faule Kompromisse gemacht, um voranzukommen?" Ein berechtigter Einwand?

TONI KRAHL: Es entstanden mehrere Entwürfe für die Resolution. Meine Vorschläge wurden damals von der Mehrheit unserer Kollegen abgelehnt. Ich möchte das mal zitieren: "Uns selber stellt sich die Aufgabe, unsere politische und künstlerische Verantwortung in dieser Zeit wahrzunehmen. Wir wissen um unser Privileg, künstlerisch tätig zu sein und davon leben zu können. Wir wissen um die Privilegien, die man uns zubilligte, weil man musste, die wir genossen, auch weil es Spaß machte. Wir sind gegen Privilegien und treten dafür ein, das Reisefreiheit künftig kein Privileg mehr sein darf.

Wir erkennen unsere Mitschuld am Weggang von Tausenden durch unser Beteiligtsein an den hiesigen Gepflogenheiten der Problemverdrängung. Zu oft, zu lange und überhaupt haben wir uns auf den großen Bühnen dieses Landes und in den Medien gebrauchen lassen. Wir haben unzureichende künstlerische Bedingungen akzeptiert, haben Kompromisse gemacht, die schon keine mehr waren. Wir haben uns zu den politischen Problemen in Südafrika und Nikaragua geäußert, selten zu den eigenen."

Ich glaube schon, dass ich mit jedem an Kurt Hager geschriebenen Brief, der die Bitte um meinen Pass enthielt, diese Gepflogenheiten unterstützte.

DM: Noch überwiegen die Diskussionen. Welche Veränderungen müssten schnell folgen?

TONI KRAHL: Es wird viel geredet, aber das ist gut, auch wenn manches überzogen wird. Dabei sollten wir nicht nur um Reisemöglichkeiten, Videorekorder und Bananen streiten. Eins sind die künftig grundsätzlich allen zu gewährenden Bürgerrechte, dazu zählt das Reisen. Dann geht es um eine politische Wende, die unsere gesamte Gesellschaft betrifft. Um aus der Krise herauszukommen, muss wieder Vertrauen wachsen in die Politik des Staates. Außerhalb der SED sind davon weitere 15 Millionen Menschen, die beteiligt sein wollen. Über solche notwendigen Veränderungen hinaus geht es um das Überleben der Menschheit, die Lösung wichtiger ökologischer Probleme. Eine gute Politik für die nächsten drei Jahre kann uns da nicht retten.

Natürlich gibt es Politiker, die ihr Mäntelchen nach dem Wind hängen und der kommt noch immer von unten. Aber ich bin auch der Meinung, dass ein Mensch seine Meinung ändern darf. Was wir aber unbedingt brauchen, sind zuverlässige für die Öffentlichkeit durchschaubare Kontrollmechanismen, die ähnliche Fehlentwicklungen ausschließen.

DM: Es ist schon eine Weile her, dass wir stolz auf die eigenständige, erfolgreiche DDR-Rockmusik waren. Worin sehen Sie Ursachen für solche Verluste?

TONI KRAHL: Einige Jahre lebten wir in dieser positiven Rockwelle, doch dann wurde Rockmusik benutzt, jede FDJ-Kreisleitung vergab an Amateurbands Aufträge für Friedenslieder, Gelder waren plötzlich da, das Mittelmaß machte sich breit. In vielen Städten fand "Rock für den Frieden" statt als Alibi, überhaupt etwas zu machen. Dabei entstanden einige gute Lieder, sie blieben Ausnahmen.

Außerdem gestaltete sich der Umgang mit den Medien immer schwieriger. City spürte das zum Beispiel bei der LP "Casablanca". Der Titelsong lief, weil es ein harmloser Schlager war, ein Liebeslied über eine Zweierkiste. Aber das restliche Material kam kaum in die Medien, manches geriet in den Giftschrank. Das war bei jeder Platte ähnlich, stets waren zwei, drei Stücke dabei, die eine Öffentlichkeit nie erreichten. Es kam zu dem Eindruck, wir würden hier nur Schlagerchen machen, aber Leute wie Udo Lindenberg, Heinz Rudolf Kunze oder Grönemeyer, die machen andere Songs.

DM: Sie erwähnten die sogenannten Giftschränke. In der Geschichte unserer Rockmusik bestehen ja noch immer einige weiße Felder. Wie ist der Zustand in den Archiven jetzt?

TONI KRAHL: Nach meinen Informationen sind die Archive jetzt offen, es darf so ziemlich alles gespielt werden außer Biermann. Und in diesem besonderen Fall denke ich, Biermann muss einfach hier auftreten. Wenn wir dieses Kapitel unserer jüngsten Vergangenheit weiter verdrängen, sind wir wieder einmal unaufrichtig. Nach den Ereignissen um Biermann verloren wir 400 Künstler, das war ein schmerzlicher Verlust, ein uns heute fehlendes geistiges Potential. Biermann war damals bei uns gar nicht so populär, wie er es selber heute gern sieht. Das enthebt uns aber nicht der Pflicht, ihn anzuhören, auch wenn seine Texte frech sind, seine Verse mitunter ungerecht treffen. Andererseits sind es nur Lieder, nicht mehr und nicht weniger.

Unsere Sektion Rock hat jetzt zu einer Aktivsitzung innerhalb unseres Workshop Ende November die Musiker von Renft eingeladen.

DM: Wo hat die Sektion Rock, deren Vorsitzender Sie sind, heute Partner?

TONI KRAHL: Solche gewachsenen Verbindungen bestehen zur Sektion "Lied und Kleinkunst". Sie arbeiten ja mit ähnlichen Mitteln wie wir, nur eben ein wenig leiser. Über persönliche Kontakte zu Schriftstellern entstehen andere Veranstaltungsangebote. Wenn ich Stefan Heym anrufe, weil wir ein Konzert für Armenien machen, dann beteiligt er sich. Das gilt ebenso für Christoph Hein oder Barbara Thalheim. Solche Konzerte organisierten wir in Schwerin und Halle.

DM: Wofür würden Sie sich in diesen Tagen Eintrittskarten kaufen?

TONI KRAHL: Ich würde zu Eckhard Wenzel, Steffen Mensching ins Konzert gehen, mir eine Karte kaufen und sogar einige Kilometer fahren. Jürgen Eger interessiert mich, Barbara Thalheim, Dirk Zöllner aber ebenso die Mixed Pickles, vielleicht noch einige Garagenbands.

(Es fragte:
Sabine Karradt)


1972 entstand die Gruppe City, 1977 erreichten die Musiker mit "Am Fenster" große Popularität, 1978 lag die erste LP ("Am Fenster") vor, 1979. folgte die 2. LP "Der Tätowierte", 1980 kam "Dreamer", "Unter die Haut" (1983), "Feuer im Eis" (1985), "Casablanca" (1987).

Seit einem Jahr ist Toni Krahl Vorsitzender der Sektion Rock und seit März 1989 Vizepräsident des Komitees für Unterhaltungskunst

Der Morgen, Zentralorgan der LDPD, Di. 07.11.1989

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