"In diesen Teich springe ich nicht"

JW-Gespräch mit Stefan Heym, der vor elf Jahren in Berlin vor Gericht stand und nun endlich rehabilitiert werden soll

Vor elf Jahren wurde der Schriftsteller Stefan Heym vom Stadtbezirksgericht Berlin-Köpenick unter dem Vorwurf eines Devisenvergehens zu einer Geldstrafe von 9 000,- Mark verurteilt.

Dieser massive Versuch, kritische Geister wie ihn oder zuvor schon Robert Havemann zu kriminalisieren, kehrte sich letztlich gegen die Urheber, doch das Urteil ist rechtskräftig bis heute. Der Generalstaatsanwalt der DDR hat nun um 11. September beim Obersten Gericht die Kassation des Urteils beantragt, die demnächst erfolgen dürfte.

JW sprach mit dem Schriftsteller.

Stefan Heym, in Ihrem "Nachruf" haben Sie dem Vorgang ein ganzes Kapitel gewidmet. Sie hatten damals den "Collin" geschrieben, er wurde bei uns nicht gedruckt, darauf erschien der Roman zwangsweise in einem Münchner Verlag. Mangels anderer Handhabe schickten die DDR-Oberen Ihnen den Zoll auf den Hals mit dem Vorwurf eines Devisenvergehens, denn Sie hatten das DDR-Büro für Urheberrechte umgangen. Jeder wusste: Hätten Sie es eingeschaltet, wäre das Buch auch nicht im Westen gedruckt worden. Wie sehen Sie heute diese Unternehmung der DDR Führung, Sie mundtot zu machen?

Der Vorgang hat - wenn man es bis dahin noch nicht wusste - gezeigt, wes Geistes Kind diese Leute waren, und zweitens, wozu sie noch fähig sein würden.

Denn danach wurde ja dem Strafgesetzbuch ein Paragraph 219 hinzugefügt, die sogenannte Lex Heym, die für dasselbe Vergehen, für das ich so "milde" abgeurteilt wurde, künftig zwei bis fünf Jahre Zuchthaus und fünf- bis sechsstellige Geldstrafen vorsah. Dieses Gesetz war nur geschaffen worden, weil die Herren oben sahen, dass sie mit mir und Robert Havemann nicht weiterkamen.

Schriftsteller sollten auf "rechtlicher" Basis entweder zur Anpassung oder zum Weggang genötigt werden. Sie entschieden sich weder für das eine noch für das andere. Warum?

Weil ich damals die Erfahrung machte, dass man diesen Leuten Paroli bieten kann, dass man nicht in die Knie gehen, nicht um Gnade winseln oder abhauen musste. Das hatte ich damit bewiesen, und ich glaube, auf diese Weise, wie man sagt, der „Freiheit“ eine Bresche geschlagen zu haben.

Blieben Sie ausschließlich aus politischen Gründen in der DDR?

Nein. Ich fragte mich: Was sind das überhaupt für Kerle, die sich herausnehmen, mich vertreiben zu wollen? Das konnte man mit mir vielleicht machen, als ich noch ein junger Mann war. Bei den Nazis damals ging es aber auch um Tod oder leben. Hier aber ging es nicht ums leben, und obendrein war alles so blöd und plump eingefädelt, dass jeder erkennen konnte, dass es eine Provokation war. Da musste man doch nicht weggehen. Außerdem hatte ich ja moralisch gesiegt - ein Sieger räumt doch nicht das Schlachtfeld! Und schließlich waren hier mein Haus und meine Freunde, die ich nicht im Stich lassen wollte. Das gilt übrigens auch für heute.

Die Wende liegt schon fast ein Jahr zurück. Verwundert Sie es nicht, dass man jetzt erst auf Ihren und Havemanns Fall zurückkommt?

Die Richter sind selber gar nicht auf den Gedanken gekommen, mein Anwalt hat den Antrag auf Kassation gestellt. Aber die Sache passt ganz gut gerade in dieser Tage, in denen aus dem Westen fast die gleichen verbalen Angriffe auf mich und andere fortschrittliche Schriftsteller der DDR erfolgen, wie sie seinerzeit vom Politbüro kamen. Mit diesen Angriffen wird unsere moralische Haltung in Frage gestellt, und die Anwürfe lauten, wir seien feige gewesen, wir hätten uns nicht dem Kampf gestellt. Hier ist aber schwarz auf weiß der Beweis, dass wir uns sehr wohl dem Kampf gestellt haben: Wir standen sogar vor Gericht. Das können nur wenige Journalisten und Schriftsteller von sich sagen, die sich jetzt gegen uns äußern.

Wie erklären Sie sich, dass eben jene Blätter des Westens, die Sie und Ihresgleichen bis zum Vorjahr als Vorkämpfer für Demokratie, Menschlichkeit und Freiheit würdigten, heute genau das Gegenteil von Ihnen sagen? Es macht politisch Sinn, da man die DDR in jeder Hinsicht liquidieren will da muss man auch die Stimmen der besseren DDR diskreditieren. Nur: Warum geben sich bis dato moralisch integre Leute dafür her?

Vielleicht waren sie moralisch gar nicht so integer? Vielleicht sind sie - man kann ihnen das gar nicht übelnehmen - mehr an ihrem Job interessiert als an Moral? Vielleicht sind sie auch weniger interessiert an den Werten, die Sie nannten: Fortschritt, Demokratie und Menschlichkeit. Sonst würden sie sich anders verhalten. Diese "Kritiker" wissen doch ganz genau, was sie tun: Sie kennen ja die Werke von Christa Wolf, Heiner Müller, von Fries, Hermlin, Heym und den anderen. Die allgemeine Lage ist schwierig, also braucht man Schuldige und Feindbilder. Was bietet sich dafür besser an als eine Gruppe relativ isolierter Menschen, die sowieso irgendwie immer Fremdlinge sind - nämlich Intellektuelle. Also denunziert man sie nicht mehr, wie früher, bei den Behörden, sondern beim "Volk". Das ist der gegenwärtige Zustand. Ich kümmere mich um diese Dinge aber nicht besonders. Ich habe das Gefühl, dass ich in diesen Teich, in dem solche Art von Fröschen quakt, nicht hineingehöre. Ein Schriftsteller will Geschichten oder Romane oder Stücke schreiben, aber nicht andere Schriftsteller mit Schmutz bewerfen. Das ist nicht seine Aufgabe.

Interview: Frank Schumann

Junge Welt, Nr. 222, Sa. 22.09.1990

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