Die Kunst muss unters Volk
Neues aus der Akademie / BZ sprach mit Heiner Müller
Nach einer Zeit gewisser Sprachlosigkeit habe sich die Akademie der Künste der DDR wieder in der Öffentlichkeit zurückgemeldet. Das verkündete mit sichtlicher Befriedigung der neugewählte Direktor der Akademie, Prof. Ulrich Dietze, gestern auf einer Pressekonferenz. Und: In den nächsten Wochen solle eine neue Akademie errichtet werden, für die Erneuerung stünden neue Namen. Obenan der des Präsidenten, Heiner Müller. Verständlicherweise zog auch dieser noch keine fertigen Konzepte aus der Tasche; erst am Freitag sollen auf der ersten Präsidiumstagung inhaltliche und formale Fragen geklärt werden. Soviel bis jetzt: Die Trennung von ordentlichen und korrespondierenden Akademiemitgliedern sei überholt, neue Kontakte zur finanziellen Absicherung müssen geknüpft werden, das alte Statut ist außer Kraft, ein neues muss durch den Ministerpräsidenten bestätigt werden. Dem ist die Akademie nach wie vor unterstellt. Vizepräsidentin Prof. Ruth Zechlin dazu: Wir haben in Lothar de Maizière jemanden, der die Kunst braucht wie wir.
Heiner Müller sprach sich für eine Aufarbeitung der Geschichte der Akademie aus, die eine Geschichte von "Anpassung und Widerstand" gewesen sei. Eine Fusion mit der Westberliner Akademie der Künste sei möglich, vielleicht aber, so Heiner Müller, könnte es auch künftig zwei Akademien in Berlin geben.
BZ hatte im Anschluss an die Pressekonferenz Gelegenheit zu einem kurzen Interview mit dem neuen Präsidenten.
Sie sprachen vorhin von einer Schlammschlacht gegen Intellektuelle, die im Gange sei. Sie selbst werden auch anvisiert ...
Sie kennen die Dinge, die über Christa Wolf und andere geschrieben werden. Auch über und gegen mich stand schon genug in vielen Zeitungen. Ich glaube, das ist einfach der Versuch, den Überbau dieser DDR abzuräumen oder schlicht zu vernichten. Das ist schon eine Strategie.
Sehen Sie eine Chance, dagegen anzugehen?
Die sehe ich schon. Das ist sicher eine Zeitfrage. Man sollte nichts aufgeben, was hier an Dauerhaftem produziert worden ist und das ist eine ganze Menge. Und die Akademie ist dafür schon eine ganz gute Versammlung von Leuten, glaub' ich. Was hier abläuft ist ja keine Vereinigung, sondern eine Unterwerfung und dagegen wollen wir uns wehren.
Hat das bei Ihrer Entscheidung für das Amt des Akademiepräsidenten eine Rolle gespielt?
Das ist sicher das eigentliche Motiv gewesen.
Warum war die Akademie so lange sprachlos?
Das Problem liegt dann, dass die sogenannte Wende vier bis fünf Jahre zu spät gekommen ist und dass die Grenzöffnung zu diesem Zeitpunkt beinahe ein Betriebsunfall war - es war niemand darauf vorbereitet. So hat der Konsumschock zunächst einmal alles überschwemmt, was hier an intellektuellen Bedürfnissen da war. Und das hat dazu geführt, dass in der Bevölkerung - auch verständlich Intellektuellenfeindlichkeit da ist. Ein Bestandteil der Parteipolitik in der DDR war die Trennung der Künstler von der Bevölkerung durch Privilegien. Und es ist sinnlos, darüber zu jammern. Man muss arbeiten und dann wird man sehen, wer sich dafür interessiert.
Was wollen Sie in Ihrem neuen Amt zuerst andern?
Die Akademie soll wieder an die Öffentlichkeit kommen. Es gab hier viele Veranstaltungen, vor allem mit sehr jungem Publikum. Aber das ist ziemlich eingeschlafen und das will ich wiederbeleben. Die Arbeit muss so öffentlich wie möglich sein, oder, wie es Heiner Carow sagte, Kunst muss unters Volk.
Das Gespräch führte
Ralph Kotsch
Berliner Zeitung, Mi. 18.07.1990, Jahrgang 46, Ausgabe 165