Abrüstung ist nötig und möglich

Erklärung von Aktion Sühnezeichen

In einer gemeinsamen Erklärung haben die Aktion Sühnezeichen in der DDR und in der Bundesrepublik gemeinsam mit anderen christlichen Friedensinitiativen zu einem Abbau der Rüstungshaushalte und zur schrittweisen Auflösung der deutschen Armeen aufgerufen. Die in Ost-Berlin veröffentlichte Erklärung hat folgenden Wortlaut:

Die politische Landschaft hat sich verändert. Im Osten setzte sich ein neues Denken durch. Die landgestützten Mittelstreckenraketen sind weg. In Ost-/Mitteleuropa bilden sich demokratische Rechtsstaaten. Die Spannung zwischen Ost und West hat abgenommen. Der kalte Krieg hat ausgedient.

Diese Chance muss genutzt werden, um jetzt die notwendigen Zukunftsaufgaben anzugreifen. Die Entspannung in Europa ändert ja nichts daran, dass die Zerstörung der Umwelt und die Spannung zwischen Armut und Überfluss hier bei uns und weltweit zunehmen. Jetzt ist die Zeit, die Rüstungshaushalte in Ost und West konsequent abzubauen. Es gibt keinen Grund mehr, die Militärapparate in Ost- und Westeuropa aufrechtzuerhalten. Wir haben besseres zu tun, als Milliarden für Verteidigung auszugeben und Tausende von jungen Menschen in Kasernen zu stecken. Wir brauchen das Geld, das die Rüstung frisst, für soziale Sicherheit und die Verwirklichung des Rechtes auf Arbeit und Bildung. Wir brauchen Investitionen und Arbeitsplätze, um Wälder, Luft und Meere vor der Zerstörung zu retten. Wir brauchen neue Anstrengungen, um Armut und Hunger auf der Welt zu überwinden. Wir brauchen auch eine neue politische Kultur, um dem aufkommenden Rassismus und Antisemitismus zu widerstehen und den Fremden und Flüchtlingen Schutz in dieser Stadt zu geben.

Abrüstung ist nötig und Abrüstung ist möglich. Im Rahmen einer europäischen Friedensordnung werden die nationalen Armeen und die ausländischen Truppen schrittweise überflüssig. Gleichzeitig werden wir es lernen müssen, unsere Werte und unsere Grundrechte nach innen und außen gewaltfrei zu verteidigen. Von der Regierung eines vereinigten Deutschlands erwarten wir:

- Die Rüstungshaushalte jetzt abbauen!

- Solidarische Hilfe und Schuldenerlass für die 3. Welt und Osteuropa!

- Schutz für Flüchtlinge!

- Bessere Rechte für Ausländer!

- Die deutschen Armeen schrittweise auflösen!

- Aufbau eines sozialen und ökologischen Friedensdienstes!

- Einstellung von Waffenexporten!

- Keine militärischen Neuentwicklungen!

- Arbeitsplätze im Umweltschutz und im sozialen Bereich!

- Ein Ministerium für Abrüstung und Rüstungskonversion!

Diesen Forderungen wollen wir am 1. September sichtbaren Ausdruck verleihen. An diesem Tag begannen deutsche Truppen den zweiten Weltkrieg, der Europa zerstörte und teilte. Ein halbes Jahrhundert später wollen wir an diesem Tag ein Zeichen setzen, dass Europa in Frieden zusammenwachsen kann. Wir legen zusammen mit unseren europäischen Nachbarn am Potsdamer Platz den Grundstein zu einem europäischen Haus und laden schon jetzt die Berlinerinnen und Berliner dazu ein. Auf diese Weise entwickeln wir Ideen, was an diesem Platz entstehen sollte: Z. B. der Sitz einer europäischen Abrüstungsbehörde oder einer europäischen Umweltagentur. Zugleich erklären wir unseren europäischen Nachbarn, dass wir keine Gebietsansprüche gegen sie haben und dass wir bereit sind, Teile unserer Souveränität für eine blockübergreifende gesamteuropäische Friedensordnung aufzugeben.

Versöhnung und Frieden können nur wachsen, wenn wir unsere Verantwortung in der Geschichte wahrnehmen. Nur dann werden die Völker das Zusammenleben der beiden deutschen Staaten nicht zu fürchten haben.

(Erstunterzeichner sind u. a. Werner Liedtkel Aktion Sühnezeichen Berlin DDR, Eva Michels, Thomas Lutz/Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, Reinhart Kraft/Ökumenischer Arbeitskreis Gerechtigkeit, Frieden, Schöpfung, Holger Wetuschat/Initiativkreis Friedensforum Berlin DDR, Dr. Peter Gerlinghoff/ Arbeitsausschuss für Frieden und Internationale Verständigung, Norbert Zonker/Pax Christi und Jan Lammert/Friedensinitiative Zehlendorf)

(epd)

Neue Zeit, Di. 07.08.1990, Jahrgang 46, Ausgabe 182

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