Brief an Regierungen beider deutscher Staaten

Wie in unserer gestrigen Ausgabe bereits gemeldet, wandten sich vier Bürger aus Freiberg und Weißenborn im Bezirk Karl-Marx-Stadt mit einem offenen Brief an die Regierungen der DDR und der BRD. Wir veröffentlichen nachstehend den Wortlaut dieses Briefes sowie einen Aufruf zu einer entsprechenden Unterschriftensammlung:

Mit tiefer Besorgnis über die Zukunft der Deutschen in der DDR wenden wir uns mit nachstehendem Brief an die Regierungen der beiden deutschen Staaten.

Im Ergebnis der erschütternden Ereignisse der letzten Tage ist innerhalb der Bevölkerung der DDR eine explosive Lage entstanden, die jederzeit zu unkontrollierten Massenaktionen führen kann. Eine solche Entwicklung könnte Chaos, Gewalt und letztendlich den Ausnahmezustand heraufbeschworen.

Alle hart erkämpften Ergebnisse der Demokratisierungsprozesse in der DDR wären damit verspielt.

Das kann weder im Interesse der Regierungen, noch der Bürger unserer Staaten sein.

Wir appellieren daher an die Regierungen der DDR und der BRD, sich schnellstens zu einer gemeinsamen Entwicklung der beiden Staaten zu erklären.

Wir sehen darin die einzige Möglichkeit, der Regierung der DDR die Handlungsfreiheit zu verschaffen, die sie für dringend erforderliche, aber überlegte Entscheidungen benötigt.

Der gemeinsame Entwicklungsweg kann nur in Richtung einer Konföderation zwischen DDR und BRD in den bestehenden Grenzen verlaufen. Das ist die einzige Chance für einen würdevollen Weg der Deutschen in der DDR aus der derzeitigen tiefen Krise, unter Wahrung ihrer Rechte als Bürger eines souveränen Staates.

Wir sehen darin außerdem die Möglichkeit für die Verwirklichung der Einheit der deutschen Nation, als Grundlage für ein einheitliches und friedliches Europa.

Dazu schlagen wir vor:

1. Während des Treffens der Regierungschefs am 19. Dezember 1989 in Dresden erklären beide die Konföderation zum gemeinsamen Entwicklungsziel.

2. Im Ergebnis der gemeinsamen Willensbekundung werden sofort Arbeitsgruppen gebildet, die Vorschläge zu den einzuleitenden ersten Schritten kurzfristig vorzulegen haben.

3. Beide Regierungschefs treten gemeinsam vor einem geeigneten Forum der DDR-Bevölkerung auf und begründen die getroffenen Entscheidungen und die einzuleitenden ersten Schritte.

Dieser offene Brief soll verbunden werden mit einer republikweiten Unterschriftensammlung. Die Unterschriften (nach dem Muster Name, Vorname, Alter, Beruf, Unterschrift) sind zu übersenden an die nachfolgenden Kontaktadressen:

Dr. Jürgen (...) (SED), (...), Weißenborn, 9217
Wolfgang (...) (CDU), (...), Freiberg, 9200
Heinz (...) (SED), (...), Freiberg, 9200
Roland (...) (ptls.), (...), Weißenborn, 9217.

Die Übergabe der Unterschriftensammlung erfolgt durch die Unterzeichner am 19.12.1989 an die Regierungschefs anlässlich des in Dresden vorgesehenen Spitzentreffens.

Die Unterzeichner des 'offenen Briefes' verpflichten sich, die Unterschriftenlisten nicht zu vervielfältigen und nur zu dem genannten Zweck zu verwenden.

Neue Zeit, Sa. 09.12.1989, Jahrgang 45, Ausgabe 290, Zentralorgan der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands

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