An wem oder was hat's denn gelegen?
ADN-Gespräch mit dem Vorsitzenden des Verbandes der Journalisten der DDR, Eberhard Heinrich
Berlin ADN). Seine Gedanken und Forderungen zur Erneuerung der Informationspolitik und der Medien äußerte der Vorsitzende des Verbandes der Journalisten der DDR, Eberhard Heinrich, in einem Gespräch mit ADN.
Sie haben dem Vorsitzenden des Ministerrates Willi Stoph einen Brief geschrieben, in dein Sie ihm vier Vorschläge des Verbandes der Journalisten der DDR zur neuen Medienpolitik unterbreitet haben. Was ist der Grund, was soll damit erreicht werden?
Gefördert werden sollen weitere praktische Schritte. Sicher, jetzt sind schon manche Schranken gefallen, die die Journalisten zuvor an einer wirksamen, freien und lebensverbundenen Medienarbeit gehindert haben. Dennoch, so glauben wir, sollen weitere konstruktive Maßnahmen auch von Seiten der Regierung folgen, um die staatliche Öffentlichkeitsarbeit voranzubringen und die Arbeitsmöglichkeiten der Journalisten zu verbessern.
Sie sind also der Auffassung, es habe nicht so sehr am den Journalisten gelegen, wenn die Medien so in Verruf geraten sind, dass man schon von einer allgemeinen Medienschelte gesprochen hat?
Im Namen unseres Verbandes habe ich mich schon am 13. Oktober gegen eine allgemeine Medienschelte gewandt, die die Journalisten nun gewissermaßen zu den Sündenböcken einer verfehlten Medienpolitik der Gesellschaft macht. Viele Institutionen und Einrichtungen, deren Mitarbeiter heute im Dialog den Medien mangelnde Offenheit oder Schönfärberei vorwerfen, haben uns gestern mit geschönten Informationen beliefert oder uns Auskünfte verweigert. Es geht mir nicht um eine Retourkutsche, nur, kein Mensch mit einigermaßen nachdenklichem Sinn kann im Ernst behaupten, die Situation bis zum 11. oder 18. Oktober sei einfach "den Journalisten" geschuldet.
Wir waren deshalb dankbar, dass schon in der ersten Erklärung des neugewählten Generalsekretärs des ZK der SED Egon Krenz gesagt wurde, unsere Republik hat talentierte, fähige Journalisten, und "sie drängen darauf, im Gedankenaustausch mit ihren Lesern, Hörern, Zuschauern unsere Gesellschaft als schöpferische Gemeinschaft von politisch aufgeklärten, politisch engagierten und politisch verantwortungsbewusst handelnden Menschen voranzubringen".
An wenn oder was hat's denn gelegen?
Durch eine verfehlte Auffassung von Medienpolitik ist der kritikwürdige Zustand der Medien herbeigeführt worden. Den zu leugnen fällt uns natürlich nicht ein. Er hat uns ja selbst schwer zu schaffen gemacht. Es war doch für unsere Kollegen oft sehr schmerzlich, Tatbestände, Stoffe oder Argumente nicht verwenden zu dürfen, weil sie angeblich dem Sozialismus schaden und dem politischen Gegner billige Handhabe für seine Attacken gegen uns liefern würden. Ich stimme voll mit der Erklärung der VDJ-Verbandsgruppe der ADN-Journalisten und vieler anderer Kollegen überein, als Konsequenz der jüngsten ZK-Tagung dürfe nicht mehr sein, dass Selbstherrlichkeit Einzelner an die Stelle kollektiver Weisheit in der Informations- und Medienpolitik tritt, dass das Volk in seinen Medien nicht, schlecht oder gar falsch informiert wird, dass den Medien des Klassengegners bei der Darstellung unseres Landes das Feld überlassen wird. Deshalb, so hat unser VDJ-Präsidium in seiner Sitzung vom 19. Oktober, auf der es heiß herging und leidenschaftlich gestritten wurde, gesagt, die Wende in der Politik zur Erneuerung der sozialistischen Gesellschaft müsse auch eine Wende in der Medienpolitik bedeuten.
In den letzten Tages sind beachtliche und anerkannte Veränderungen in den DDR-Medien zu verzeichnen. Einschaltquoten und Lesebreitschaft ändern sich zu unseren Gunsten. Wie kommt das in so kurzer Zeit?
Bei den Kollegen in den Redaktionen und im Verband existieren seit langem Vorstellungen, wie man es anders und besser machen könne und müsse. Zum Beispiel haben wir vor unserem XII. VDJ-Kongress in acht Arbeitsgruppen, an denen Hunderte von Kollegen beteiligt waren, Tausende Meinungen eingeholt. Da sind schon viele Vorstellungen entwickelt, wie eine realistische Berichterstattung aussehen müsse, wie man den Fortgang der gesellschaftlichen Dinge ohne Schönfärberei und Selbstzufriedenheit befördern, wie man sich kritisch den Tatsachen stellen und eine freimütige Berichterstattung garantieren könne.
Leider sind wir mit diesen Vorstellungen damals nicht durchgekommen. Das war vor anderthalb Jahren. Heute bringt die neue Lage neue Möglichkeiten und neue Anforderungen, denen sich die Kollegen stellen.
Es wird jetzt häufig die Frage der Pressefreiheit aufgeworfen. Wie sehen Sie das?
Wer für Pressefreiheit eintritt, handelt im Sinne der Verfassung. Artikel 27, Absatz 2, sagt ganz eindeutig: "Die Freiheit der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens ist gewährleistet.
Die Ausübung der Medienfreiheit ist wie jeder andere gesellschaftliche Prozess unterschiedlichen Auffassungen über den richtigen Gebrauch dieses Verfassungsgrundsatzes unterworfen. Ich sprach schon von den früheren medienpolitischen Auffassungen. Jetzt hat sich die Auffassung durchgesetzt, das beste für den Sozialismus ist Offenheit.
Ein Mediengesetz sollte unseres Erachtens ausgearbeitet, diskutiert und verabschiedet werden, in dem Rechte und Pflichten festgelegt sind, Subjektivismus und Willkür ausgeräumt, die Verfassungsgrundsätze über Medienfreiheit im Sozialismus geregelt und ein Missbrauch ausgeschlossen werden kann.
Ein Gesetz braucht seine Zeit. Was kann man umgehend tun, um größere Öffentlichkeit zu schaffen?
Wir glauben, dass die veränderte Medienpolitik nicht nur für die Journalisten andere Möglichkeiten und Räume schafft. Diejenigen, die über Informationen verfügen und bisher damit, um es vornehm auszudrücken, sehr zurückhaltend umgegangen sind, sind nicht weniger angesprochen. Wir warten auf den Regierungssprecher, den unser Verband vorgeschlagen hat. Eine weitere Anregung betrifft die Wiedereinführung von regelmäßigen Pressekonferenzen durch das Presseamt beim Vorsitzenden des Ministerrates. Schließlich sollten die Hemmnisse und komplizierten Genehmigungsverfahren, die vornehmlich in der Wirtschaft, aber auch in anderen Bereichen aufgebaut wurden, um der vom Ministerrat mehrfach proklamierte Informationspflicht zu entgehen, abgebaut werden. Der Ministerrat sollte - so meinen wir - hier schnell seinen eigenen Verordnungen über Auskunftspflicht der Leiter Nachdruck verleihen und die Anwendung der Klauseln über Geheimnisschutz überprüfen.
Offener Einblick in die Dinge der Gesellschaft, dies muss normale alltägliche Erscheinung werden. Und die Journalisten werden mit großem Engagement ihrer Pflicht nachkommen, Transporteur der Information zu sein. Sie werden genauer recherchieren und verantwortungsbewusst, das heißt mit Pflicht zur Kompetenz den Dingen nachspüren sie werden den Dialog befördern und zur Herstellung des gesellschaftlichen Konsens beitragen. Und das in einer Sprache, die man versteht, und mit Stilmitteln, die zum Denken und Mitmachen anregen.
BZ am Abend, Mo. 30.10.1989
Der XII. VDJ-Kongress fand am 03. und 04.03.1988 in Berlin statt.