Auf der Grundlage des Statuts der SED-PDS

Plattform demokratischer Sozialismus

Auf der Grundlage des Statuts der SED-PDS, 1.4.d), schließen wir uns zu einer Initiativgruppe "Plattform demokratischer Sozialismus" zusammen. Mit ihr verfolgen wir das Ziel, Forderungen und Standpunkte zu vertreten sowie eine breite Öffentlichkeit in der Partei für deren Verwirklichung zu organisieren, um einen Beitrag zur aktiven Teilnahme der SED-PDS an der demokratischen Revolution in der DDR zu leisten. Als theoretische Grundlage der Konzeption des demokratischen Sozialismus betrachten wir das Programmangebot des Projektes "Sozialismustheorie" (vgl. ND vom 12. 12. 1989, S. 3 f.).

Die demokratische Revolution in der DDR begann im Herbst 1989 ohne die SED. Nach kurzer Zeit wurde sie durch demokratische Kräfte in der SED unterstützt und mitgetragen. Das auf dem außerordentlichen Parteitag angekündigte Programm der Entstalinisierung, d. h. die endgültige Absage an bisherige Strukturen, Mechanismen, Dogmen, Konzeptionen und Privilegien der alten Partei, bot die Chance für einen demokratischen Neubeginn mit einer reformierten SED-PDS. Wir sind besorgt, dass sich mit dem außerordentlichen Parteitag das äußere Erscheinungsbild der SED-PDS zwar verändert hat, der tatsächliche Bruch mit der Vergangenheit im Inneren der Partei jedoch noch nicht vollzogen ist. Den in den Dokumenten des Parteitages formulierten demokratischen Anspruch sehen wir in der seither verfolgten Politik der SED-PDS nicht eingelöst. Vor allem gelingt es nicht, das Verhältnis, der Partei zur demokratischen Revolution und den sie vorwärtstreibenden politischen Kräften so zu gestalten, dass die gleichberechtigte Teilnahme der SED-PDS an der Revolution als Nachweis ihrer inneren Reformierung zum Ausdruck kommt.

Die in den letzten Tagen bekannt gewordene Vernichtung von Akten und Unterlagen in den Abteilungen Sicherheit des einstigen SED-Apparates, die Auskunft über die Verflechtung seiner Tätigkeit und der des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit gegeben hätten, stellt sowohl einen politischen Skandal als auch eine Verletzung der Beschlüsse des Parteitages, insbesondere des Statuts, dar. Derartige Aktionen vertiefen das berechtigte Misstrauen der Öffentlichkeit und unterlaufen damit die notwendigen Bemühungen, die Regierung Modrow zur Abwendung von Anarchie und Chaos funktionstüchtig zu halten. Die Dezember-Atempause benutzte der alte Apparat unter anderem, um die SED-PDS selbstherrlich in Wählerumfragen darzustellen. Die in verschiedenen von der SED-PDS dominierten Medien in den letzten Wochen vorgenommene Vereinnahmung demokratischer Aktivitäten gegen nationalistische Parolen und vorhandene neonazistische Aktivitäten wendet sich unseres Erachtens gegen den demokratischen Konsens der Revolution. Immer noch werden! Machtstrukturen und Positionen verteidigt, die zu keinem Zeitpunkt verfassungsmäßig gerechtfertigt waren. Reformunwillige Kräfte benutzen offensichtlich neue theoretische Konzepte als Schutzschild. Die SED-PDS hat nur als Partei, die im politischen System der DDR gleichberechtigt neben anderen wirkt, eine Zukunft als demokratische Alternative zur alten SED. Um die Dialog- und Politikfähigkeit der SED-PDS weiter zu gewährleisten, treten wir für die Realisierung folgender Forderungen ein:

1. Die tatsächliche Durchsetzung der Beschlüsse des außerordentlichen Parteitages, insbesondere des Statutes. Das bedeutet u. a. die vollständige und rückhaltlose Aufdeckung der Parteifinanzen, die Herstellung tatsächlicher Gleichberechtigung für die politische Arbeit aller Parteien und Bewegungen einschließlich der gleichberechtigten Nutzung aller bisher aus dem Staatshaushalt finanzierten Medien, Einrichtungen und Fonds mit anderen neuen demokratischen Organisationen.

2. Die sofortige, wirksame Unterstützung der Arbeit öffentlicher Kommissionen zur Untersuchung der Verflechtung von SED-Apparat und dem ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit.

3. Die Gewährleistung einer wirklichen Repräsentanz von Minderheitsströmungen der SED-PDS auf dem kommenden Parteitag und die dazu erforderlichen Veränderungen im Wahlmodus.

4. Fünf Jahre keine hauptamtlichen Wahlfunktionen für Genossen, die in den vergangenen fünf Jahren hauptamtliche Wahlfunktionen in der SED innehatten bzw. im Parteiapparat beschäftigt waren.

5. Kein Anspruch auf Sonderregelungen (Überbrückungsgeld o. ä.) für SED-PDS-Mitglieder, die sich aus deren früherer Tätigkeit ableiten. Für soziale! Härtefälle sind Sicherungen vorzusehen. Vollständige Abschaffung aller noch wirksamen Privilegien (z. B. Sonderstipendien), die ausschließlich parteipolitische Zielstellungen der SED-PDS bedienen.

6. Für die neuen demokratischen Parteien und Bewegungen fordern wir den gleichberechtigten Zugang zu den staatlichen Medien (insbesondere zu Presse, Hörrundfunk, Fernsehfunk, Agenturen, Verlagen). Wir rufen alle Parteimitglieder und -organisationen, die mit der vom außerordentlichen Parteitag aufgestellten Forderung nach einer konsequenten Demokratisierung der SED-PDS und des gesamten gesellschaftlichen Lebens in der DDR Ernst machen wollen, auf, sich mit uns zu einer "Plattform demokratischer Sozialismus" zusammenzuschließen.

Wir brauchen die Revolution die Revolution braucht uns!

Initiative "Plattform demokratischer Sozialismus" in der Kreisorganisation der SED-PDS Karl-Marx-Universität Leipzig

Kontaktadressen:
(...)

Neues Deutschland B-Ausgabe Nr. 14, 45. Jahrgang, Mi. 17.01.1990

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