"Die Ost-Union ist die größte Wendehals-Gemeinschaft"

Der stellvertretende Parteivorsitzende der DDR-SPD, Karl-August Kamilli, über die SEDSPD-Kampagne der CDU / "Die SPD muss endlich kämpfen"

INTERVIEW

Karl-August Kamilli wurde auf dem Leipziger Parteitag der SPD zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt - als einziger im ersten Wahlgang. Der SPD-Spitzenkandidat in Leipzig gilt als "Macher" der Leipziger Parteiorganisation. An der neuen Partei schätzt er die "harten Strukturen" als wesentliches Moment ihrer Politikfähigkeit. Anders als Parteichef Böhme zählt Kamilli zum pragmatischen Flügel der Partei, der in den letzten Monaten die Stimmungslage der DDR-SPD bestimmt. Vorbilder: Helmut Schmidt und Georg Leber.

taz: Herr Kamilli, nach den neuesten Umfragen sackt die SPD in der DDR in der Wählergunst kräftig ab. Viele erklären das mit einer Kampagne der CDU, die die SPD quasi als Wurmfortsatz der SED denunziert. Hat Ihnen diese Kampagne die Sprache verschlagen?

Karl Kamilli: Zunächst waren wir nicht gewohnt auch gegen Leute zu schlagen, die wir als potentielle Demokraten doch akzeptieren wollten. Wir hatten uns geeinigt, zwischen Blockparteien und SED zu differenzieren, doch was die CDU jetzt macht, steht den SED-Methoden in nichts nach. Die Aggressivität, mit der die CDU die Unterwanderungslüge inszeniert, hat uns überrascht und zunächst recht hilflos agieren lassen.

Wie gehen Sie denn mit den ehemaligen SED-Mitgliedern um, die zu Ihnen kommen?

Wir werden niemanden prinzipiell ausgrenzen, aber wir werden alle Versuche zurückweisen, uns ein anderes Profil aufzuzwingen. Die SPD hat eine Reihe von Beschlüssen gefasst, die das sicherstellen. Ex-SED-Mitglieder, die heute bei uns sind, sind von den Basisgruppen überprüft worden. Zu ihnen stehen wir. Bei denen, die wir aufgenommen haben, und das waren nicht viele, anerkennen wir einen Läuterungsprozess.

Wie wollen Sie jetzt auf die Kampagne reagieren?

Wir haben bisher versucht, an das demokratische Gewissen der CDU zu appellieren. Das hat nichts gefruchtet, weil sie keines hat. Ich plädiere für eine offensive, aufklärerische Auseinandersetzung. Die DDR-CDU hat 40 Jahre zusammen mit der SED das Volk geknechtet. Und die Mitglieder der CDU sind dieselben geblieben wie unter Honecker. Wenn man es genau nimmt, ist die Ost-Union die größte Wendehals-Gemeinschaft der deutschen Geschichte.

Auf Flugblättern wird zur Wahl der CDU mit dem Argument aufgerufen, 60 Prozent der SPD-Mitglieder seien ehemalige SEDler.

Die CDU diffamiert. Das hat sie früher getan, das macht sie auch heute. Wir werden gegen diese üble Hetze Anzeige erstatten - wegen Verleumdung.

Mit einer Strafanzeige werden Sie kaum etwas ausrichten können. Wieso sind Sie so völlig unvorbereitet?

Natürlich sind wir auch ein bisschen selbst schuld, denn wir haben diese Unterwanderungslüge als Verleumdungsstrategie nicht angenommen, sondern uns lediglich darauf beschränkt zu beweisen, dass die Behauptungen falsch sind. Die CDU als Blockpartei des stalinistischen Systems haben wir zu sehr geschont, obwohl sie gemeinsam mit der SED-PDS gegen die neugegründete SPD Front gemacht hat.

Das fällt Ihnen reichlich spät ein.

Es gab in der SPD viele Leute, die ganz einfach nicht begreifen wollten, dass uns hier ein neuer Gegner erwächst. Tatsächlich hat die Blockpartei CDU sich im Wesen nicht geändert, sie hat sich mit der West-CDU nur einen neuen Herren gesucht. Es geht jetzt darum, die CDU neben der SED-PDS als unseren Hauptgegner anzunehmen und der Denunziationskampagne Paroli zu bieten.

Wie?

Wir werden die CDU nicht mehr aus ihrer Vergangenheit entlassen. Wir müssen deutlich machen: Nur eine SPD-geführte Regierung kann selbstbewusst mit Kohl verhandeln. Die Ost-CDU hat nichts zu sagen. Helmut Kohl würde sie nicht einmal fragen, wenn es um das Schicksal und die Nöte in diesem Teil Deutschlands geht.

Aber der Trend zeigt für die SPD nach unten.

Wenn Sie Trend sagen, meinen Sie westdeutsche Umfragen. Mit seriöser Analyse hat das nichts zu tun. Wir erleben einen Normalisierungsprozess. Das konservative Lager war bisher unterrepräsentiert, jetzt hat es sich formiert - nicht mehr und nicht weniger. Es gibt keinen Trend gegen uns. Die SPD muss allerdings wissen: Wahlen gewinnt man nicht durch Umfragen. Sie ersetzen nicht die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und schon gar nicht das Gespräch mit dem Bürger auf der Straße wie im Betrieb. Wir starren manchmal auf Umfragen wie das Kaninchen auf die Schlange. Die SPD muss kämpfen und darf sich nicht nur auf ihr moralisch sauberes Gewissen berufen.

Ihre Prognose für den 18. März?

Ich war immer vorsichtig, was Voraussagen betrifft. Aber ich bin der Überzeugung, dass die SPD gute Chancen hat, stärkste Partei zu werden, wenn wir etwas stärker in die Pedale treten.

Interview: Walter Jakobs

TAZ, Nr. 3053, 09.03.1990

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