Aussagen vor der Volkskammerwahl
Stephan Hilsberg, 1. Sprecher der Partei
Wann und wie steht die deutsche Einheit auf der Tagesordnung?
Die deutsche Frage stand immer auf der Tagesordnung, denn es hatte sich nur eine künstliche Identität mit der DDR herausgebildet. Sie zerfiel mit der SED und dem Niedergang des Landes.
Die SPD sieht vier Schwerpunkte für die Entwicklung zur deutschen Einheit: die Koordinierung der Vereinigung mit den Prozessen in Europa; die Schaffung gesamtdeutscher Institutionen, damit die Vereinigung nicht zum chaotischen Anschluss mit allen negativen Folgen für uns wird; die umsichtige Reform der Rechtsordnung der DDR, ansonsten würden soziale Marktwirtschaft und soziale Sicherheit auseinanderlaufen und Eigentumsrechte gefährdet sein; eine Verwaltungsreform, in deren Folge fünf Bundesstaaten entstehen.
Welche außen- und innenpolitischen Bedingungen sehen sie für eine Vereinigung beider deutscher Staaten?
Notwendige Schritte habe ich bereits angeführt. Sie erfordern etwas Geduld, damit die Einheit von Sozial-, Währungs- und Wirtschaftsunion gesichert ist und all diese Dinge nicht von der BRD geregelt werden, ohne unsere Mitbestimmung. Wir setzen auf Selbstbestimmung.
Der Einigungsprozess muss gleichzeitig Abrüstungsmotor sein, mit einem Herunterfahren des militärischen Apparates einhergehen. Eine Neutralität sehen wir als nicht möglich an, Teil der NATO kann die DDR selbstverständlich auch nicht werden. Also muss die militärische Präsenz entscheidend gesenkt werden. Dieses Ziel sollte die in Ottawa beschlossene 2+4-Konferenz anstreben. Die wirtschaftliche Kooperation und Verflechtung in Europa könnte darüber hinaus die Garantie geben, dass Ängste vor einem vereinigten Deutschland unbegründet sind.
Was bringt die DDR an Werten in den Einigungsprozess ein, wie können sie geschützt werden?
Die DDR ist soviel wert, wie die Bürger von ihr halten. Wir können das Bewusstsein einbringen, dass man um Freiheit kämpfen muss, dass sie sich nicht von allein ergibt. Und unsere guten Beziehungen zu Osteuropa, die als Klammer gute Dienste erweisen können. Was den sozialen Bereich betrifft, hat auch die BRD einiges Fortschrittliche zu bieten. Unsere Ziele, wie Absicherung unserer Errungenschaften, Schutz für Mieter, sozial Schwache und Rentner, sind jedoch nur zu erreichen, wenn wir selber den Prozess der Vereinigung gestalten. Dabei steht eine soziale Union mit an vorderster Stelle.
Das Gespräch führte
Bettina Urbanski
aus: Berliner Zeitung, Jahrgang 46, Ausgabe 45, 22.02.1990. Die Redaktion wurde mit dem Karl-Marx-Orden, dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold und dem Orden "Banner der Arbeit" ausgezeichnet.