SPD
Schwieriger Weg zur Demokratie
Es ist noch gar nicht so lange her, als gewisse Damen und Herren - ausgestattet mit vielen Privilegien, die z. B. private Flugreisen an die Westküste Nordamerikas unternahmen und in Saus und Braus alles nutzten, was man mit entsprechendem Einfluss, Devisen, Machtmissbrauch und Korruption in unserer DDR genießen konnte - die Macht hatten.
Es ist aber auch noch gar nicht so lange her, dass nach der Grenzöffnung in Ungarn mehrere hunderttausende von DDR-Bürgern in einer riesigen Fluchtwelle, die in ihrer Art nach dem zweiten Weltkrieg nicht dagewesene Dimensionen annahm, die DDR verließen und damit eine Entwicklung einleiteten, die heute als "sanfte Revolution" bezeichnet wird.
Die Menschen fingen an, sich langsam aus den Klammern der Angst, der Einschüchterung und der Unterdrückung zu befreien, es konnten nun auch die perfekten Strukturen des übermächtigen Machtapparates diese Entwicklung nicht mehr bremsen. Die Gebete zur Erneuerung in den Kirchen, das wachsende Solidaritätsgefühl mit der Erkenntnis der gemeinsamen Stärke, der inzwischen erlernte aufrechte Gang" - immer verbunden mit dem Ziel der Gewaltlosigkeit - fanden in den friedlichen Demonstrationen ihren Niederschlag.
Die Ereignisse überschlugen sich, ein heute angefertigtes Flugblatt hatte schon am nächsten Tag seine Aktualität verloren.
Parallel zu diesen Ereignissen fanden sich überall in der Republik Menschen zusammen, um eine demokratische Oppositionsbewegung aufzubauen. Das Ziel war klar, Beseitigung des seit 40 Jahren herrschenden SED-Regimes und Aufbau einer demokratischen Gesellschaft mit sozialem und ökologischem Charakter. Der Aufbau einer Opposition fand unter schwierigsten Bedingungen statt, war gefährlich und mit viel Risiko für den einzelnen verbunden. Die übermächtige "Staatssicherheit" zerschlug die ersten Anfänge. Delegierte aus allen Teilen unseres Landes wollten sich im Monat September in Berlin zusammenfinden, wurden jedoch teils in ihren Wohnungen, teils in den Zügen nach Berlin und auch am Treffpunkt in Berlin verhaftet und - wie es so schön hieß - "zugeführt".
Damit wurde eine Zersplitterung der Oppositionsbewegung erreicht! In der Folge entstanden, um nur die wichtigsten Bewegungen zu nennen, das "Neue Forum", "Demokratie Jetzt", "Demokratischer Aufbruch", "SDP". Aber die Arbeit ging weiter auch ohne Büroräume, ohne Telefon, nach der Arbeitszeit, auch an Sonn- und Feiertagen, ohne finanzielle Mittel - und immer über allem der gewaltige Sicherheitsapparat.
Inzwischen ist dieser Apparat fast aufgelöst, jedoch haben sich die Arbeitsbedingungen nur unwesentlich verbessert. So fehlen immer noch Arbeitsräume, Vervielfältigungsgeräte, Gelder, Publikationsmittel. Die neuesten Meldungen, wie
- SED-PDS gibt von 22 Verlagen 16 ab
- mehr Öffnung der Zeitungen für die demokratischen Kräfte
- Fernsehen und Rundfunk räumen Sendezeit ein
stimmen optimistisch, müssen aber noch in die Tat umgesetzt werden.
Es ist unschwer zu erkennen, dass durch die bisherigen Arbeitsbedingungen die Erarbeitung von Programmen, Erläuterungen und Wahl der in Frage kommenden Kandidaten sehr erschwert wurde und viel wertvolle Zeit verloren ging. Gerade die Wahl am 6. Mai entscheidet über die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft, deshalb ist die Information über Ziele und Wege für die Wähler besonders wichtig.
Für die SPD heißt das, dass nach dem nächsten Parteitag weitere Informationen erscheinen werden. Ein Fakt steht aber fest, und den sollte sich jeder Bürger durch den Kopf gehen lassen, jeder soll und muss sein Recht der Wahl wahrnehmen, Es genügt nicht, die SED-PDS nicht zu wählen, sondern die Stimme unbedingt einer neuen demokratischen Partei zu geben. Nur so kann ab Mai dieses Jahres eine von uns selber gestaltete Gesellschaft entstehen.
Michael Bartsch
FORUM - die offene Seite – für neue Parteien und Bewegungen Positionen und Meinungen in der National-Zeitung, Mi. 24.01.1990
[Ungarn öffnete seine Grenze nach Österreich und Jugoslawien für DDR-Bürger am 11.09.1989. Die Volkskammerwahl sollte am 6. Mai 1990 stattfinden.]