Grundsatzprogramm

Die Grundlagen unserer Politik

Die Herausforderung des Neubeginns

Das Volk unseres Landes hat in einer friedlichen Revolution die Ketten des "realen Sozialismus" zerbrochen. Es hat dieses System der Entmündigung und Unfreiheit, der ideologisch verbrämten Lüge, der organisierten Verantwortungslosigkeit und des verwalteten Mangels niemals gewollt - die Politbürokraten der SED haben es ihm mit stalinistischen Gewaltmitteln aufgezwungen. Doch die Angst, die im eingemauerten Überwachungsstaat DDR allgegenwärtig war, hat die Menschen jahrzehntelang gelähmt. Trotzdem haben immer wieder einzelne und Gruppen Widerstand geleistet. Aber erst die Krise des Herbstes 1989 hat den Mut zum Neuanfang in unserem Volk geweckt.

Der demokratische Umbruch, der nun begonnen hat, weckt bei vielen die Hoffnung, dass jetzt das bislang uneingelöste Ideal einer gerechten und humanen Gesellschaft verwirklicht werden kann. Bei anderen regen sich jedoch neue Ängste: Man fürchtet, dass das Gefüge sozialer Sicherungen wegbricht und politische Instabilität den ersehnten Aufschwung vereitelt.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aber sind zuversichtlich. Wir glauben, dass es uns gemeinsam gelingen wird, die von dem zusammenstürzenden System hinterlassene Restordnung in unserem Land von Grund auf zu reformieren.

Wir wollen jetzt in der DDR und bald in einem geeinten Deutschland frei, sicher und gleichberechtigt zusammenleben.

Wir wollen durch solidarische Anstrengung Wohlstand für alle erringen und eine menschenfreundliche Lebensform finden, in der die Fähigkeiten und Begabungen aller sich ungehindert entfalten und dem Gemeinwohl zugute kommen können.

Auf dem Wege dahin bieten nach unserer Überzeugung die Grundsätze sozialdemokratischer Politik eine solide Ausgangsbasis und eine geeignete Orientierung für die Praxis.

Zeitgemäß und traditionsreich - Sozialdemokratie in der DDR

Unsere Partei ist eine neue Partei. Sie ist aus der Menschenrechts-, Friedens- und Ökologiebewegung des letzten Jahrzehnts hervorgegangen und hat sich in den letzten Wochen des alten SED-Regimes, noch bedroht vom Zugriff des Staatssicherheitsdienstes, formiert. Im revolutionären Aufbruch des Herbstes 1989 ist sie in das Vorderfeld der politischen Reformkräfte getreten. Aber unsere Partei ist keine neuartige Partei. Denn sie hat sich von Anbeginn bewusst in die lange, bewährte Tradition der deutschen und internationalen Sozialdemokratie hineingestellt. Sie bekennt sich zur tragenden Idee der sozialdemokratischen Bewegung: einer demokratischen Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, die jedem Menschen ein Leben in Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität ermöglicht.

Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten der DDR schöpfen aus unterschiedlichen geistigen Quellen und Erfahrungsströmen:

- Unsere Partei wurzelt in der Arbeiterbewegung. Ihre programmatischen Vorstellungen von einst speisten sich sowohl aus den kommunistisch gefärbten Sehnsüchten der Entrechteten als auch aus den Gesellschafts- und Geschichtstheorien von Marx und Engels wie aus Lassalles politischen Konzepten. Durch wechselvolle Erfahrungen belehrt, wurde die Sozialdemokratie fähig, diesen Ideenkomplex kritisch aufzuarbeiten, zu revidieren und durch neue theoretische Erkenntnisse zu bereichern. Sie hat sich darin geübt, der Verführung zur Utopie und der Versuchung des Opportunismus zu widerstehen, sie hat zeitgebundene Vorstellungen des 19. Jahrhunderts hinter sich gelassen, zugleich aber die vorwärtsdrängende Kraft des kritischen Gedankens bewahrt.

- Die Ideale der Aufklärung, Menschenwürde, Mündigkeit und freie Selbstbestimmung, haben ihre Aktualität bis heute behalten. Denn der Emanzipationsprozess, der diesen Idealen entgegenstrebt, ist von den bürgerlichen Revolutionen der Neuzeit zwar vorangetrieben, aber keineswegs vollendet worden. Die klassische deutsche Philosophie hat diesen Prozess tiefer zu begreifen gelehrt. Die Vision des ewigen Friedens, die pazifistische Gruppen zu gewaltlosem Widerstand gegen alle Erscheinungsformen des Krieges beflügelt hat, weist der pragmatischen Friedenspolitik der Sozialdemokratie die Richtung.

Als im vorigen Jahrhundert Frauen begonnen haben, gemeinschaftlich gegen unwürdige Abhängigkeit von Männern und für ungeschmälerte Gleichberechtigung zu kämpfen, hat die sozialdemokratische Bewegung diesen Kampf zu dem ihren gemacht. Sie führt ihn auch heute fort.

- Gegen die Arbeiterbewegung und den Säkularisierungsprozess der Moderne haben sich die Kirchen lange Zeit hindurch misstrauisch oder verständnislos abgegrenzt, weil sie an der überkommenen Ordnung nicht rütteln lassen wollten. Deshalb meinten im vorigen Jahrhundert viele, nur ein Freidenker könne ein wahrer Sozialdemokrat sein.

Diese weltanschauliche Konfrontation ist längst überholt. Viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten empfangen nachhaltige Impulse aus der christlichen Ethik. Den Ruf zur tatkräftigen Hilfe für die Mitmenschen übersetzen sie in die politische Praxis solidarischen Handelns. Sie schätzen die Ideen des christlichen Humanismus und der religiösen Sozialisten.

Dankbar und mit Hochachtung blicken sie heute auf die Kirchen unseres Landes: denn durch sie sind unter den Bedingungen der SED-Diktatur Freiräume für den unreglementierten Dialog gewährt und abgeschirmt worden, ihr Schutz für die Bedrängten hat vielen Menschen Mut gemacht, ihre Mahnung zur Besonnenheit hat dazu beigetragen, dass die Revolution in der DDR gewaltlos verlaufen ist.

Die Appelle der ökumenischen Gemeinschaft der Kirchen schärfen die Sensibilität für die Existenznöte, unter denen zwei Drittel der Menschheit leiden, und für die Gefahren, die unser aller Leben bedrohen.

Die SPD in der DDR stützt sich unmittelbar auf die Erfahrungen von Männern und Frauen,die Diktatur und Machtwillkür am eigenen Leibe kennengelernt haben.

Die Älteren unter uns haben noch die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus erdulden müssen und sind, zumeist unfreiwillig, Opfer der Zwangsvereinigung von SPD und KPD im Jahr 1946 geworden. Alle Mitglieder unserer Partei haben die stalinistischen und poststalinistischen Machtmechanismen, die jede sozialdemokratische Regung unterdrückten, zu spüren bekommen. In der Auseinandersetzung mit diesem Herrschaftssystem haben die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten politische Klarsicht gewonnen und sind daher bereit, jedem Ansatz undemokratischer Machtbildung zu wehren und sich entschieden für die Menschenrechte, für Freiheit und Gerechtigkeit zu engagieren.

Die SPD ist auf keine Ideologie fixiert. Denn als breite demokratische Volkspartei vereint sie Menschen unterschiedlicher Grundüberzeugungen. Sie achtet die persönliche Entscheidung aller, die sich zu einem religiösen Glauben oder einer nichtreligiösen Weltanschauung bekennen oder sich an keine feste Lehre binden. Denn die Freiheit des Glaubens und Denkens darf nicht durch Parteibeschlüsse wie auch nicht durch den Staat oder auf andere Weise eingeschränkt werden. Gemeinsam ist den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten der Wille, sich für eine ökologisch orientierte, soziale Demokratie einzusetzen.

Diese Leitvorstellung wird in der internationalen Sozialdemokratie bis heute mit dem traditionellen Begriff "Demokratischer Sozialismus" benannt. Er bezeichnet weder eine bestimmte Gesellschaftskonstruktion noch eine gesetzmäßige Phase im Geschichtsverlauf, sondern eine offene Form friedlichen Zusammenlebens, die den Menschen Gelegenheit gibt, ihre Freiheiten auszuweiten, ihre Beziehungen zueinander gerecht zu ordnen und wirksam Solidarität zu üben.

Der Begriff "Sozialismus" ist für uns in der DDR nicht unbelastet. Denn wir haben den "Sozialismus", den die SED-Ideologie "real" zu nennen sich erfrechte, als menschenverachtendes Zwangssystem, als abstoßende Karikatur dessen, was wir mit "Sozialismus" meinen, kennengelernt.

Deshalb verstehen wir die Reaktion vieler Menschen, bei denen aufgrund dieser Erfahrung das Wort "Sozialismus" immer nur Widerwillen und Angst auslöst. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in der DDR verwenden darum den Begriff "Demokratischer Sozialismus" nur dann, wenn wir überzeugt sind: Er kann nicht im Sinne des stalinistisch entarteten "realen Sozialismus" missverstanden oder mit jener Parole "demokratischer Sozialismus" verwechselt werden, mit der heute die Erben der SED locken. Deshalb bevorzugen wir den Begriff "Soziale Demokratie".

In diesem Verständnis schließen wir uns in die weltweite Gemeinschaft der sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien ein, die, von einer ähnlichen Leitvorstellung wie wir bewegt, sich unbefangen zum Demokratischen Sozialismus bekennen.

Diesen Parteien, die sich in dieselbe Tradition einordnen wie wir, wissen wir uns nahe. Deshalb suchen wir die Zusammenarbeit mit ihnen in der Sozialistischen Internationale. Besonders intensive Beziehungen verknüpfen die SPD in der DDR mit ihrer gleichnamigen Schwesterpartei in der BRD, mit der sie Austausch und Kooperation pflegt und deren solidarische Hilfe sie dankbar annimmt. In diesem Zusammenwirken suchen beide Parteien unbeschadet ihrer jetzigen Selbständigkeit und ihres spezifischen Profils eine immer engere Verbindung miteinander. Damit geben sie ein Beispiel, wie das, was in Deutschland getrennt ist, zusammenwachsen kann.

Darüber hinaus betrachtet die SPD weitere Parteien und Gruppen als ihre Verbündete: Neue demokratische Bewegungen und Parteien in der DDR und in anderen bisher kommunistisch beherrschten Ländern, engagierte kirchliche und unabhängige Gruppen, die sich für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der natürlichen Umwelt einsetzen. Befreiungsbewegungen und demokratische Parteien in der Zwei-Drittel-Welt, die für eine eigenständige, an den tatsächlichen Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte Entwicklung ihrer Länder kämpfen.

Würde und Recht des Menschen

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten setzen in unserem politischen Handeln auf die Würde des Menschen. Kraft dieser seiner Würde hat jeder Mensch einen Anspruch darauf, sein Leben in Gemeinschaft mit anderen frei zu bestimmen und zu gestalten. Damit er diesen unveräußerlichen Anspruch einlösen kann, müssen seine individuellen Freiheitsrechte, seine politischen Teilhaberrechte und seine sozialen Grundrechte garantiert sein. Der Staat findet in diesen Menschenrechten die Grenze und Norm seines Handelns. Er hat sie zu respektieren, zu schützen und, wo nötig, durchzusetzen, er kann sie jedoch, da sie nicht in seiner Verfügung stehen, nicht gewähren und darf sie nicht versagen.

Die individuellen, politischen und sozialen Menschenrechte sind aufeinander bezogen, sie können einander nicht ersetzen und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die sozialen Grundrechte zu verwirklichen und abzusichern bleibt stets Aufgabe der Politik. Den Gebrauch der individuellen Freiheitsrechte und der politischen Teilhaberrechte ermöglicht eine demokratische Ordnung, die den Rechtsschutz der Person, Glaubens-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Pluralismus sowie die öffentliche politische Diskussion und Willensbildung gewährleistet.

Die Menschenrechte sind unteilbar. Sie gelten in unserem Lande sowohl für die Deutschen als auch für die Sorben und ebenso für die Ausländer, die unter uns leben. Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen wollen den Menschenrechten überall in der Welt unbedingte Geltung verschaffen.

Unser Verständnis von Politik

Politik nach unserem Verständnis soll einen Bedingungsrahmen für ein menschenwürdiges, sinnerfülltes Leben schaffen. Freilich kann sie menschliche Entfaltung und menschliches Glück nicht selber bewirken oder garantieren, wann immer sie einen derartigen Anspruch erhebt, verkehrt sie sich in eine Zwangsregulierung menschlicher Lebensvollzüge. Der von der Politik gesetzte Rahmen wird immer variabel sein müssen. Denn den Gang der Geschichte können wir nicht voraussehen. Wir können und wollen über die Absichten und Entschlüsse anderer Menschen nicht verfügen, sondern erhalten über sie Aufschluss nur durch die Erfahrung und den offenen, unabschließbaren Dialog. Darum bedürfen wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen keines fertigen Gesellschaftsmodells.

Doch es ist unser Bestreben, soweit als möglich alle entscheidenden Aspekte der gesellschaftlichen Entwicklung in den Blick zu bekommen und angemessen zu berücksichtigen. Deshalb suchen wir die Bedürfnisse und Interessen sowohl der einzelnen als auch der Gesamtheit wahrzunehmen, ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen und den Ausgleich zwischen ihnen zu fördern.

Dadurch heben wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen uns von Anhängern anderer politischer Richtungen ab. Denn Liberale und Neokonservative geben den Interessen der Individuen, und zumal der leistungsstarken und durchsetzungsfähigen, den Vorrang vor denen des Gemeinwesens: hingegen Kommunisten wie andere ideologisch fixierte Linke, aber auch Rechte verschiedener Färbungen setzen zuerst auf gesamtgesellschaftliche Ordnungsmodelle und weniger auf die freie Initiative des einzelnen. Doch wir wissen unter der Vielzahl der Parteien sehr wohl zu unterscheiden: Mit Demokraten können wir uns über gemeinsame Ziele verständigen, eine Zusammenarbeit mit Verfechtern totalitärer Ideologien, mit Links- und Rechtsextremisten lehnen wir strikt ab. Jede Gruppierung, die Unterdrückung und Terror propagiert, die zu Krieg oder gegen andere Völker hetzt, wird von uns mit den Mitteln demokratischer Politik entschieden bekämpft.

Maßgebende Grundprinzipien

Maßgebend für Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen sind die Grundprinzipien Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Diese Grundprinzipien sind einander gleichrangig, sie bedingen und stützen einander.

Der Mensch ist zur Freiheit befähigt und berechtigt. Was der einzelne allein, in der Familie und im freiwilligen Zusammenwirken mit anderen leisten kann, soll ihm vorbehalten bleiben. Er kann sich jedoch nur frei entfalten, wenn er die Freiheit des anderen als Bedingung und Grenze seiner Freiheit anerkennt und achtet. Auch bedarf er, um seine Fähigkeiten auszuschöpfen, eines gesicherten, von Existenzangst, Not und Bedrückung entlasteten Handlungsfeldes. Er findet es in der Gesellschaft, wenn in ihr die Menschen sich durch vernunftgeleitetes Handeln gemeinsam Freiheit verschaffen.

Die Gerechtigkeit gründet in der gleichen Würde aller Menschen. Darum gebietet sie gleiche Freiheit und gleiches Recht, gleiche Chancen und gleiche Sicherheit. Darüber hinaus verlangt sie, dass Benachteiligungen, die sich aus physischer, geistiger und sozialer Ungleichheit ergeben, soweit als möglich behoben werden. Die Gerechtigkeit, die Gleichheit schützt und Ausgleich schafft, bildet die Voraussetzung dafür, dass sich die Menschen entsprechend ihren unterschiedlichen Fähigkeiten und Neigungen frei entfalten können. Denn sie sichert jedem die Möglichkeit, seine Lebensbedingungen durch persönliche und gemeinschaftliche Anstrengung zu gestalten und zu verbessern.

Die Solidarität bewegt Menschen dazu, aus freiem Antrieb über die Pflicht zur Gerechtigkeit hinaus den Schwachen und Notleidenden mit praktischer Hilfe beizustehen. In der heutigen Zeit haben die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen den einzelnen, den Generationen, den Gruppen und den Völkern zugenommen: Deshalb gewinnt Solidarität eine Bedeutung wie nie zuvor. Denn frei wird nur handeln, wer sich auf die Solidarität der anderen verlassen kann, und gemeinsames solidarisches Handeln aller muss allen das Überleben sichern.

Frieden: Einklang mit der Natur und Versöhnung zwischen den Menschen

Der Frieden ist die unentbehrliche Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt nach diesen Grundprinzipien handeln können. Zugleich ist er ein Grundwert. Denn nur im Frieden kann Leben gedeihen.

Menschliche Gesellschaft und außermenschliche Natur stehen miteinander in einem unauflöslichen Lebenszusammenhang. Die Menschheit kann nur weiterleben, wenn Wälder und Meere, Pflanzen und Tiere nicht sterben. Wir müssen lernen, umsichtig mit der Natur umzugehen, damit die elementaren Grundlagen des Lebens erhalten bleiben und sich erneuern können. Darum ist es nötig, dass wir vorhandene Umweltschäden beseitigen und neue vermeiden. Das wird uns nur gelingen, wenn wir, jeder einzelne und alle zusammen, eine ökologisch verantwortbare Lebensweise einüben und so eine überlebensfähige Weltzivilisation aufbauen.

Wir dürfen nicht blind dem technischen Fortschritt vertrauen. Seine Richtung und sein Tempo sind nicht unabänderlich vorgegeben, er wird nicht von unerbittlichen Gesetzen, sondern von menschlichen Interessen gesteuert. Er darf nicht ausschließlich von den Gewinn- und Konsuminteressen einzelner Gruppen bestimmt sein, sondern soll die Lebensbedingungen und Entfaltungsmöglichkeiten aller verbessern. Darum brauchen wir eine Technik, die menschengerecht und folglich auch umweltgerecht ist. Damit sind der Expansion der Technik Grenzen gesetzt, die nicht überschritten werden dürfen. Sofern die Technik der ökologischen Erneuerung, der Humanisierung der Arbeitsprozesse und -bedingungen, der Behebung menschlicher Nöte und Leiden, den Zwecken der Kommunikation und Erholung, der Bildung und Kultur dient, liegt ihr Fortschritt im gesamtgesellschaftlichen Interesse und soll gefördert werden. Abzulehnen sind jedoch technische Neuerungen, die sich zerstörerisch auf die Umwelt oder das Zusammenleben der Menschen auswirken.

Im Zeitalter raffiniertester Massenvernichtungswaffen bringt jede neue Drehung der Rüstungsspirale nicht mehr Sicherheit, sondern erhöht die Unsicherheit. Der Krieg als Mittel der Politik ist vollends untauglich geworden. Die Völker können nur überleben, wenn sie miteinander Frieden halten. Damit der Frieden Dauer und Kraft gewinnt, müssen die Waffen nicht bloß schweigen, sondern verschwinden.

Aber wir brauchen noch mehr als Abrüstung. Die tiefen ökonomischen und sozialen Ursachen internationaler Konflikte müssen dadurch beseitigt werden, dass die Völker im Rahmen einer institutionell abgesicherten Weltordnung einen gerechten Ausgleich zwischen ihren unterschiedlichen Macht- und Wirtschaftsinteressen erreichen und ihre Gegensätze im friedlichen Wettstreit austragen. Durch Handel und Zusammenarbeit, durch Vertrauensbildung, Verständigung und gegenseitige kulturelle Bereicherung können sie dann zu einer friedlichen Weltgemeinschaft zusammenwachsen.

Auch innerhalb der Nationen soll Frieden herrschen. Darum muss die unkontrollierte Vormacht bestimmter Klassen, Wirtschaftsmonopole und bürokratischer Apparate gebrochen werden. Dann tritt an die Stelle gnadenloser Konkurrenz und undurchschaubarer Machtkonzentration ein humaner Wettbewerb und ein gewaltfreier demokratischer Diskurs. Frieden braucht friedensfähige Bürgerinnen und Bürger. Darum ist es eine Aufgabe der Politik, die Erziehung zum Frieden, die Einübung friedfertigen Verhaltens, das Engagement derer, die Frieden stiften, nachdrücklich zu fördern.

Unsere Leitvorstellung

Geleitet von diesen Prinzipien sozialdemokratischer Politik, erstreben wir eine ökologisch orientierte, soziale Demokratie:

eine Gesellschaft,

- die sich dynamisch entwickelt, Wohlstand schafft, die Qualität von Leben und Arbeit erhöht und zugleich sich möglichst gewaltfrei in den Kreislauf der Natur einfügt;

- die schöpferische Leistungen weckt und belohnt, dabei aber die Ungleichheit der Entwicklungschancen durch Förderung der Benachteiligten und die Bedürftigkeit durch gerechte Verteilung und solidarische Hilfe zu überwinden strebt;

- die alle Frauen und Männer zu gleichberechtigter, eigenverantwortlicher Mitwirkung in allen Lebensbereichen ermuntert und ihnen dafür durch die Mittel des Rechtsstaates Raum schafft.

Eine nicht mehr veränderungsbedürftige Gesellschaft wird es niemals geben. Deshalb beschreibt diese Leitvorstellung nicht einen erdachten Zielpunkt des Geschichtsprozesses, sondern gibt die Richtung an, in der wir uns bewegen und die Gesellschaft gestalten wollen.

Die freiheitliche Gesellschaft - der demokratische Rechtsstaat

Aufgaben des Staates in der Gesellschaft

Wir haben in den zurückliegenden Jahren Staat und Gesellschaft als ein undurchdringliches Dickicht unheimlicher Übermacht erfahren. Damit soll endgültig Schluss sein.

Unsere Gesellschaft soll eine freiheitliche Gesellschaft werden. Wir wenden uns gegen eine Verstaatlichung der Gesellschaft. Nicht der Staat, sondern die Bürgerinnen und Bürger tragen und entfalten das gesellschaftliche Leben, indem sie ihre Grundrechte und Grundfreiheiten wahrnehmen. Jeder kann sie auch gegenüber dem Staat geltend machen und einklagen. Die Freiheit des einzelnen findet ihre Grenze dort, wo sie die Freiheit der anderen beeinträchtigt. Die Regel, welche die Freiheit aller ermöglicht, ist das Recht. Keine Freiheit ohne Recht. Das Recht begründet Räume der Freiheit, in denen die Bürger ihren Interessen nachgehen können.

Aber das Recht, welches die Freiheit schützt, bedarf selbst des Schutzes. Es ist die Aufgabe des Staates, dem Recht zu dienen und das Recht zu schützen. Er hat für Gerechtigkeit zu sorgen.

Der Staat hat zu sichern, dass die gesellschaftlich erforderlichen Aufgaben wahrgenommen werden, die der einzelne allein oder in freiem Zusammenschluss mit anderen nicht wahrnehmen kann oder will.

In diesem Sinne sagen wir: so viel Staat wie nötig, und nicht: so viel Staat wie möglich.

Die Macht, die der Staat braucht, um dem Recht zu dienen, muss vom Volke ausgehen. Sie muss nach den Regeln der Verfassung zustande kommen. Sie muss durch Gewaltenteilung begrenzt und kontrolliert sein. Wir brauchen den demokratischen Rechtsstaat.

Gleichberechtigt und gleich geachtet

Vor dem Gesetz sind alle gleich. Doch die rechtliche Gleichberechtigung der Bürgerinnen und Bürger ist noch nicht in allen Punkten erreicht; sie zu vollenden ist unser Ziel. Vor allem aber erstreben wir die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft.

Insbesondere Frauen sind noch immer benachteiligt, da die unterschiedliche soziale Bewertung der beiden Geschlechter noch nicht überwunden ist. Die Arbeit in traditionellen Frauenberufen wird geringer geschätzt und schlechter vergütet. Sie muss gerechter entlohnt und auch für Männer attraktiv gemacht werden. Umgekehrt sollen Frauen bessere Aufstiegschancen in bisher von Männern beherrschten Berufen und Leitungsbereichen erhalten. Doch wollen wir damit nicht erreichen, dass Frauen einfach in männlich geprägte Strukturen eingegliedert werden. Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer partnerschaftlich zusammenleben und die Lasten der Haus-, Familien- und Berufsarbeit angemessen untereinander aufteilen, so dass sie in gleicher Weise Gelegenheit zur Muße und Zeit und Kraft für Bildung, kulturelle Betätigung und politisches Engagement finden. Die rechtlichen und sozialen Voraussetzungen dafür zu schaffen, ist Sache der Politik. Doch werden die vorhandenen Ungleichgewichte nur behoben werden, wenn sowohl Männer als auch Frauen durch Erziehung und Einsicht dahin kommen, sich aus den Zwängen vorgegebener Rollen zu lösen.

Angehörige von Minderheiten müssen vor Diskriminierung und gesellschaftlicher Isolation bewahrt werden. Dort, wo es notwendig ist, wollen wir es ihnen durch spezifische Förderung ermöglichen, unbedroht und unbenachteiligt ihren Bedürfnissen entsprechend zu leben. Namentlich setzen wir uns dafür ein, dass Sorben ihre nationalen Minderheitenrechte uneingeschränkt wahrnehmen können.

Ebenso haben andere ethnische, kulturelle und religiöse Minderheitsgruppen einen Anspruch auf Schutz und Achtung. Aber auch den Frauen und Männern, die sich durch ihre sexuelle Orientierung von der Mehrheit unterscheiden, muss es unbenommen sein, in dem allein vom Recht gesetzten Rahmen sich frei und offen zu ihrer Lebensart zu bekennen.

Wir wollen, dass auch unsere ausländischen Mitbürger ihre zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte ungeschmälert wahrnehmen können. Dazu bedarf es klarer rechtlicher Regelungen. Wegfallen sollen alle Vorschriften, die Ausländer und Ausländerinnen isolieren, diskriminieren und in ihrem Verhalten reglementieren. Wir wollen, dass ausländischen Mitbürgern mit ständigem Wohnsitz in der DDR das Wahlrecht auf kommunaler Ebene garantiert bleibt.

Die Ausländerinnen und Ausländer, die bei uns leben, brauchen Raum für die Pflege ihrer Kultur, ihrer Sitten und ihrer Religion. Kulturelle Vielfalt in unserem Lande bereichert uns alle. Wir wollen darauf hinwirken, dass Ausländerinnen und Ausländer sich nicht mehr als Fremdkörper empfinden müssen und so empfunden werden, sondern dass zwischen ihnen und den einheimischen Bürgerinnen und Bürgern offene, freundliche und verständnisvolle Kommunikationsbeziehungen wachsen können. Ausländerhass und nationale Überheblichkeit bekämpfen wir mit den Mitteln der Erziehung, der Sozialpolitik und erforderlichenfalls des Strafrechts.

Politisch Verfolgte müssen bei uns Zuflucht finden können. Darum brauchen wir ein Asylgesetz. Die DDR sollte der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 beitreten.

Gesellschaftlicher Pluralismus als Chance

Demokratische Politik nach unserem Verständnis sichert die Voraussetzungen dafür, dass jeder Bürger und jede Bürgerin Initiative und Verantwortung entwickeln kann. Umgekehrt ist eine solche demokratische Politik nur möglich, wo sie von der Initiative und der Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger getragen wird. Deshalb ist eine freie, pluralistische Gesellschaft darauf angewiesen, dass sie durch Bürgerbewegungen und -initiativen, durch Vereine, Interessen- und Berufsverbände, Kirchen, Gewerkschaften und Parteien Impulse erhält, gestaltet und erneuert wird.

Bürgerinitiativen und Bürgerbewegungen artikulieren neue politische Einsichten, erzwingen die Auseinandersetzung über wichtige Probleme und machen wirksam auf Missstände und Gefahren aufmerksam. Sie beleben und bereichern die politische Kultur der Demokratie. Sie können und sollen die Parteien herausfordern, sie aber nicht ersetzen.

Parteien dienen der kontinuierlichen politischen Willensbildung des Volkes. In den Parteien diskutieren und formulieren Bürgerinnen und Bürger politische Programme, werben um Zustimmung für ihre Ziele, prüfen und benennen Kandidaten ihres Vertrauens für die Wahlen zu den Volksvertretungen. Das Recht zur Neugründung von Parteien gehört zu den unveräußerlichen Grundrechten. Wir wenden uns gegen jede Verfilzung der Parteien mit Wirtschaft und Staat, gegen jedes Parteienmonopol, gegen das Pfründenunwesen und das Parteibuchdenken.

Wir begrüßen die Zusammenarbeit gleichgesinnter Parteien über Ländergrenzen hinweg, weil sich durch sie eine gesamteuropäische politische Kultur ausprägen kann. Wir betrachten eine solche Zusammenarbeit als ein Heilmittel gegen nationalistische Engstirnigkeit und Provinzialismus.

Verbände können und sollen die Anliegen einzelner Berufs- und Interessengruppen aufnehmen und öffentlich zur Geltung bringen. Sofern sie mit unseren Zielen übereinstimmen, bieten wir ihnen unsere Zusammenarbeit an.

Die SPD ist für die Durchsetzung der Rechte und sozialen Sicherheit der Arbeitnehmer. Deshalb brauchen wir starke, unabhängige, freie Einzelgewerkschaften, die sich unter einem gemeinsamen Dachverband zusammenschließen. Es gilt, den Grundsatz "ein Betrieb - eine Gewerkschaft" durchzusetzen. Die Grundrechte der Gewerkschaft müssen in der Verfassung verankert sein. Wo immer die Interessen der Arbeitnehmer berührt sind, müssen die Gewerkschaften tätig werden. Gemeinsam mit den Gewerkschaften verfechten wir eine Tarifautonomie, das Recht auf die Anwendung aller Mittel des Arbeitskampfes einschließlich des Streikrechtes und die betriebliche Mitbestimmung im Rahmen der betrieblichen Interessenvertretungen der Arbeitnehmer (z.B. Betriebsräte o. ä.).

Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften haben einen eigenständigen Platz in der Gesellschaft und können in Kultus, Verkündung, Seelsorge, Diakonie und Erziehungs- und Bildungsarbeit ungehindert ihrer Überzeugung und Ordnung gemäß wirken. Ihnen steht das Recht zu, ihre Ansichten zu gesellschaftlichen und politischen Problemen öffentlich vorzubringen und durch Kritik, Anregung und Mitarbeit gesellschaftliche Entwicklungsprozesse und politische Entscheidungen zu beeinflussen. Besonders in ethischen Fragen können ihre Beiträge den gesamtgesellschaftlichen Dialog befördern. Sie können in Erinnerung bringen, dass es Fragen gibt, die für jeden Menschen wichtig sind, aber nicht durch Mehrheitsentscheidungen beantwortet werden können.

Die Freiheit des Denkens, des Glaubens und des Gewissens sind für uns selbstverständliche Grundrechte. Wir bejahen die Trennung von Kirche und Staat; sie schließt aber nach unserem Verständnis weder das Gespräch noch vertragliche Regelungen für diejenigen Bereiche aus, in denen sich kirchliche und staatliche Belange berühren (z.B. Diakonie, Universität).

Die Öffentlichkeit als Lebenselement der Gesellschaft

Das Lebenselement der freiheitlichen Gesellschaft ist die Öffentlichkeit. Alle Bürger und Bürgerinnen haben das Recht, sich frei und umfassend zu informieren. Vorhandene Informationen müssen ihnen deshalb unzensiert zugänglich sein, soweit sie nicht dem Geheimnis-, Vertrauens-, Daten- und Persönlichkeitsschutz unterliegen. Ebenso haben alle Bürgerinnen und Bürger wie auch alle gesellschaftlichen Gruppen das Recht, Informationen zu verbreiten und Meinungen öffentlich zu äußern. Diese Rechte sind ebenso wie das Demonstrations- und das Versammlungsrecht nicht nur bürgerliche Grundrechte, sondern auch Grundvoraussetzungen einer freiheitlichen Gesellschaft. Wenn sie eingeschränkt oder nicht praktiziert werden, verliert die Gesellschaft den Mund, die Augen und die Ohren, sie wird unheimlich. Korruption, Machtmissbrauch, Manipulation und was sonst noch das Licht der Öffentlichkeit scheuen muss, können sich dann ungehindert ausbreiten.

Die Öffentlichkeit soll die Vielfalt der Meinungen und Überzeugungen, die in der Gesellschaft vertreten werden, repräsentieren und zusammenführen, damit sich in freier Auseinandersetzung eine öffentliche Meinung bilden kann. Dabei kommt den Medien eine entscheidende Bedeutung zu.

Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen setzen sich dafür ein, dass die Medien ein breites Spektrum an Eigentums-, Arbeits- und Wirkungsformen aufweisen. Sie sind für die Politik ebenso wichtig wie für die Bildung und die Kultur. Alle Medien müssen gegen staatlichen Druck, verdeckte parteipolitische Einflussnahme oder die Vorherrschaft kommerzieller Interessen geschützt sein. Ein staatliches oder privates Meinungsmonopol ist durch gesetzliche Maßnahmen zu verhindern.

Einrichtungen des öffentlichen Rechts, vor allem in den elektronischen Medien, ermöglichen eine sachliche und ausgewogene Berichterstattung und kulturelle Angebote, die den unterschiedlichen Bildungs- und Unterhaltungswünschen der Menschen zu entsprechen vermögen. Daneben sind dezentralisierte Strukturen unbedingt erforderlich. Viele kleinere Verlage, Rundfunk- und Fernsehanstalten, Zeitungen und ein differenzierter Filmverleih ermöglichen einen direkteren Zugang der Bürgerinnen und Bürger zur Öffentlichkeit. Durch Aufträge können die Medien zudem Kunst und Kultur unmittelbar fördern.

Der Staat soll die Vielfalt der Medien schützen und darauf hinwirken, dass die Medieninteressen von Minderheiten angemessen berücksichtigt werden.

Das Recht auf freien Informationszugang und auf freie Meinungsäußerung findet seine Grenze an dem Recht jedes Bürgers auf den Schutz seiner Privatsphäre und seines guten Rufes. Wir treten ein für eine durchschaubare Gesellschaft, nicht aber für eine Gesellschaft gläserner Menschen. Die Unantastbarkeit der Wohnung und das Brief- und Fernmeldegeheimnis müssen geschützt, der Datenschutz muss ernst genommen werden. Wir fordern ein Recht auf Gegendarstellung für jeden, der seinen guten Ruf durch entstellende oder beleidigende Berichterstattung gefährdet sieht.

Eigentumsrechte und -pflichten

Wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen betrachten das Recht auf Eigentum sowie das Erbrecht als Grundrechte. Der Staat garantiert die Unantastbarkeit des Eigentums.

Nach unserer Auffassung verbinden sich mit diesen Rechten aber auch Pflichten in Rücksicht auf die Umwelt, die Mitwelt und die Nachwelt. Eigentümer haben neben den Verfügungsrechten auch Erhaltungspflichten, insbesondere bei Wohnraum, produktivem Eigentum und bei anerkannten Kulturgütern. Eigentum ist sozial pflichtig. Wir treten ein für eine Neubewertung von Wohnungs- und Hauseigentum sowie von Grund und Boden. Wir fordern aber auch einen wirksamen Schutz gegen den Missbrauch des Eigentumsrechts durch Spekulation, insbesondere mit Grund und Boden, mit Häusern und Wohnungen (Mieterschutz). Wir treten ein für eine Vielfalt von Eigentumsformen und für klare Haftungszuständigkeiten. Wer entscheidet, haftet auch für die Folgen, Eigentümer können nur natürliche und juristische Personen sein.

Schließlich erwächst aus Eigentum und Einkommen auch die Steuerpflicht, durch die jeder nach seinem Vermögen zu den Gemeinschaftslasten beiträgt.

Die parlamentarische Demokratie

Demokratie heißt: Alle Macht geht vom Volke aus und hat dem Volk zu dienen. Staatliche Macht darf nicht zum Selbstzweck werden. Sie muss deshalb an Recht und Gesetz gebunden sein durch die Verfassung, die Gewaltenteilung und die demokratische Kontrolle; diese wird durch voneinander unabhängige innerstaatliche Gremien sowie durch die vom staatlichen Zugriff unabhängige Öffentlichkeit ausgeübt.

Wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen wollen einen demokratischen und sozialen Rechtsstaat deutscher Nation, der dem Prinzip gesellschaftlicher Solidarität verpflichtet ist, sich zu Freiheit, Gleichheit und politischem Pluralismus bekennt, seine Staats- und Rechtsordnung auf parlamentarische Demokratie, strikte Gewaltenteilung, föderativen Staatsaufbau und kommunale Selbstverwaltung gründet und alle Staatsgewalt darauf verpflichtet, die natürlichen Lebensgrundlagen zu wahren und zu schützen.

Politische Entscheidungsbefugnis darf nur durch freie und geheime Wahlen und nach den Regeln der Verfassung zustande kommen. Wir bejahen eine parlamentarische Demokratie mit einem Mehrparteiensystem. Für die Volksvertretungen der Länder und der Republik sollen ausschließlich Parteien Kandidaten nominieren. Einzelkandidaten und freie Wählergemeinschaften sollen sich nach unserer Auffassung nur auf kommunaler Ebene zur Wahl stellen können. Parteien, die mit ihren Kandidaten zur Wahl antreten, müssen zuvor ihr politisches Programm öffentlich bekanntgemacht haben und über eine Organisationsstruktur verfügen, die eine Gewähr dafür bietet, dass die Partei die Legislaturperiode überlebt. Parteien müssen gegnerfrei sein. Eine Doppelmitgliedschaft in Parteien, die zu derselben Wahl Kandidaten aufstellen, wäre eine Irreführung der Wähler. Die Parteien müssen regelmäßig über die Herkunft ihrer Finanzen Rechenschaft ablegen. Wir lehnen ein imperatives Mandat ab, da es zur Folge hätte, dass Volksvertreter nicht mehr persönlich für ihre Entscheidungen haften müssen.

Wir betrachten die parlamentarische Opposition als eine unverzichtbare Institution für die öffentliche politische Meinungsbildung, ohne deshalb die Bedeutung einer außerparlamentarischen Opposition zu verkleinern. Die Volksvertretungen haben nicht das politische Spektrum der Gesellschaft vollständig zu repräsentieren - dies ist vielmehr Aufgabe der Öffentlichkeit und besonders der Medien -, sondern durch regierungstragende Mehrheiten eine handlungsfähige Regierung zu ermöglichen. Deshalb treten wir für ein Wahlrecht ein, das durch eine Sperrklausel die Zersplitterung des Parlaments in viele kleine Fraktionen verhindert. Die Gewerkschaften sollen das Recht der Gesetzesinitiative haben. Den Bürgerinitiativen und -bewegungen soll das Recht zukommen, in Parlamentsausschüssen öffentlich angehört zu werden und Gesetzesinitiativen auf Länderebene zu ergreifen.

Für Volksentscheide und Volksbegehren soll eine Regelung getroffen werden, die das Parlament und die Regierung von ihrer politischen Verantwortung nicht entbindet.

Die Arbeit der Regierung und der Verwaltung soll sich so offen und bürgernah wie möglich vollziehen. Dazu ist eine tiefgreifende Verwaltungsreform unumgänglich. Das Parlament der Republik beruft Beauftragte, an die sich betroffene Bürger wenden können, nämlich den Wehrbeauftragten, den Ausländerbeauftragten, den Strafvollzugsbeauftragten und den Datenschutzbeauftragten. Ihnen muss der Zugang zu allen Informationen gewährt werden, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen. Sie erstatten dem Parlament jährlich Bericht über ihre Arbeit.

Recht und Justiz

Eine unabhängige Rechtsprechung ist die Voraussetzung dafür, dass die Bürger auch gegenüber staatlichen Institutionen ihr Recht einfordern können. Die Richter sollen in ihrem Urteil frei sein von der Beeinflussung durch Regierung, Verwaltung, Parteien und die öffentliche Meinung. Weil hier im besonderen eine gründliche Aufarbeitung der Vergangenheit notwendig ist, treten wir für einen unabhängigen Richterbund und für einen unabhängigen Bund der Anwälte ein, die gründlich und öffentlich die Aufgaben der Justiz in einem demokratischen Rechtsstaat diskutieren und dafür auch die Hilfe von Fachleuten aus Ländern mit einer hohen Rechtskultur in Anspruch nehmen.

Verwaltungsgerichte, vor denen Verwaltungsentscheidungen von den Bürgern angefochten werden können, und ein Verfassungsgericht sind selbstverständliche Institutionen eines Rechtsstaates. Das Straf- und das Zivilgesetzbuch sowie die Strafprozessordnung müssen nach rechtsstaatlichen Erfordernissen reformiert werden. Die DDR sollte der Konvention des Europa-Rates zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten beitreten.

Im Strafvollzug muss es menschlich und gerecht zugehen. Wir fordern eine gerechte Entlohnung für Strafgefangene, ein Überbrückungsgeld für mittellose Haftentlassene und die Bestellung unabhängiger Bewährungshelfer. Die Strafgefangenen dürfen nicht über das notwendige Maß hinaus vom Leben der Gesellschaft isoliert werden. Bürgerinitiativen, die sich der Betreuung von Strafgefangenen widmen wollen, sollen gefördert und sachkundig beraten werden.

Innere und äußere Sicherheit

Um die Sicherheit seiner Bürger gegen rechtswidrige Gewalt von außen und im Innern zu schützen, braucht der Staat eigene Organe und Einrichtungen, die sein Gewaltmonopol wahrnehmen. Sie stellen notwendige Übel dar und sollen nur so lange und in solchem Umfang, wie sie zur Sicherung von Freiheit und Recht unentbehrlich sind, aufrechterhalten werden. Sie dürfen niemals zum Selbstzweck werden, ihre tatsächliche Berechtigung, zumal in dem gegebenen Personal- und Ausrüstungsstand, ist immer wieder von neuem zu überprüfen. Ein Ziel sozialdemokratischer Politik ist eine internationale Sicherheitsordnung, die das Militär überflüssig macht, und eine menschenfreundliche, aufgeklärte und damit gewaltarme Gesellschaft, die mit einem Minimum an Polizeikräften auskommt. Polizei und Armee müssen strikter öffentlicher Kontrolle unterliegen.

Weil den Bürgern gegen Unrecht die Rechtswege offenstehen, darf es kein generelles Widerstandsrecht gegen die Staatsgewalt geben. Andererseits haben die Bürger die Pflicht zum Widerstand gegen solche staatlichen Entscheidungen, die die demokratische Rechtsordnung und die Menschenrechte verletzen. Anonyme Akte des Widerstands lehnen wir ab. Die Tätigkeit der Polizei ist an die rechtsstaatlichen Prinzipien gebunden. Dazu gehört das Recht der Bürger, die Rechtmäßigkeit polizeilicher Maßnahmen durch Vorgesetzte, durch Gerichte und gegebenenfalls auch durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss überprüfen zu lassen. Eine Geheimpolizei muss durch Verfassungsartikel für alle Zukunft verboten sein.

Um zentralisierte Sicherheitsapparate, die sich verselbständigen, für die Zukunft zu vermeiden, sollen Polizei und Verfassungsschutz den Ländern unterstellt und republikweit nur koordiniert werden. Die Ämter für Verfassungsschutz dürfen keine Polizeigewalt haben, also weder Waffen besitzen noch verhaften, noch verhören. Sie dürfen nur Nachrichten sammeln. Sie unterliegen der parlamentarischen Kontrolle und den allgemeinen Bestimmungen des Datenschutzes.

Die Demokratisierung unserer Gesellschaft muss auch unsere Armee einschließen. Wir fordern eine strikte Trennung militärischer und polizeilicher Aufgaben. Die Armee darf keiner Partei verpflichtet sein. Solange noch Wehrpflicht besteht, muss es möglich sein, sich frei, ohne Gewissensprüfung, für einen zivilen Ersatzdienst zu entscheiden. Wir plädieren dafür, dass die Dauer des Wehrdienstes im Kontext der gesamteuropäischen Abrüstung verkürzt wird. Alle laufenden und geplanten militärischen Bauvorhaben sollen gestoppt und öffentlich überprüft werden.

Länderverfassung und kommunale Selbstverwaltung

Alle Gemeinschaftsaufgaben sollen so dezentral wie möglich und so zentral wie nötig wahrgenommen werden.

Darum vertreten wir das föderale Prinzip, das heißt: Die Republik soll ein Bundesstaat der deutschen Länder Brandenburg, Mecklenburg/Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit kommunaler Selbstverwaltung sein. Diese Länder sollen sich eigene Verfassungen geben. Die Republik entscheidet alle Angelegenheiten, die für die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit wesentlich sind. Alle übrigen Angelegenheiten werden von den mit Gesetzeskompetenz ausgestatteten Landtagen der Länder und den mit Selbstverwaltungsrechten ausgestatteten Volksvertretungen der Städte und Gemeinden selbständig entschieden. Republikrecht bricht Landesrecht. Neben der Volkskammer soll es eine Länderkammer geben, die aus den Landtagen und nicht von den Landesregierungen beschickt wird und an der Gesetzgebung mitwirkt. Sie sorgt auch für den Finanzausgleich zwischen den Ländern.

Den Ländern soll weitestgehende Selbständigkeit in wirtschaftlichen, fiskalischen und kulturellen Fragen sowie in inneren Angelegenheiten eingeräumt werden. Im besonderen sollen Raumordnungsfragen und die Entscheidung über industrielle Großanlagen Ländersache sein.

Wir setzen uns dafür ein, dass die Städte und Gemeinden sich soweit wie möglich selbst verwalten. Sie sollen dafür sorgen, dass ihre Bürgerinnen und Bürger menschenwürdig wohnen, soziale Dienste in Anspruch nehmen und sich kulturell betätigen können. Darum obliegt ihnen die kommunale Raumplanung, die Aufsicht über die Wohnungswirtschaft und die Ansiedlung von Betrieben, die Verantwortung für Dienst-, Versorgungs- und Entsorgungsleistungen, für die Verkehrswege und -einrichtungen und für ein ausreichendes Netz von Einrichtungen der Volksbildung, des Gesundheitswesens und der sozialen Betreuung. Um diese Aufgaben erfüllen zu können, müssen die Kommunen das Haushaltsrecht und die Finanzhoheit besitzen und über selbständige Steuereinnahmen verfügen.

Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger vor Ort, durch Beteiligung an der kommunalen Selbstverwaltung oder durch rechtlich zulässige Eigeninitiativen, ihre Angelegenheiten in die Hand nehmen, können sich eine wahrhaft demokratische Kultur und ein Verständnis für größere politische Zusammenhänge herausbilden.

Marktwirtschaft: Demokratisch, sozial, ökologisch orientiert

Von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft

Die Kommandowirtschaft der SED ist gescheitert. Sie hat Arbeitskraft, Kapital und Rohstoffe in gewaltigem Umfang verschwendet, unseren Lebensstandard niedrig gehalten und an den Bedürfnissen der Menschen vorbei produziert. Sie hat unsere Unternehmen technologisch zurückgeworfen. Sie hat rücksichtslos auf Kosten der Substanz unseres Landes gewirtschaftet: Viele Städte und Dörfer, Gebäude und Verkehrswege sind verschlissen; unsere natürliche Umwelt ist so zerstört wie kaum irgendwo in Europa.

Die Plan- und Kommandowirtschaft hat die Menschen um die Früchte ihrer Arbeit gebracht. Es gibt an ihr nichts zu reformieren.

Denn das Steuerungssystem einer zentralen Planwirtschaft, und sei sie noch so ausgeklügelt, kann die unüberschaubare Vielfalt komplexer ökonomischer Prozesse niemals rationell lenken. Die Planwirtschaft wird immer auf eine dirigistische Gängelung hinauslaufen, die Initiative, Leistung und Effektivität unterdrückt. Damit verfehlt sie die Interessen sowohl der einzelnen als auch der Gesellschaft.

Wir Sozialdemokraten sagen deshalb nein zu neuen Experimenten mit einer "marktorientierten Planwirtschaft" oder einer "sozialistischen Marktwirtschaft". Der Plan muss weg. Die Allmacht des Staates muss weg. Staat und Wirtschaft, Staat und Gesellschaft müssen getrennt werden. Der Staat hat der Gesellschaft zu dienen. Er darf nicht alles bestimmen und jeden bevormunden. Wir Sozialdemokraten wollen Markt und Wettbewerb, damit Demokratie lebendig werden und individuelle Freiheit und Initiative sich zum Wohle aller entfalten können.

Eine ungebändigte kapitalistische Wettbewerbswirtschaft allerdings ermöglicht zwar eine betriebswirtschaftlich rationelle Produktion, doch kommt deren Nutzen zu aller erst den Kapitaleignern, allen übrigen jedoch nur eingeschränkt zugute. Die sozialen und ökologischen Bedürfnisse der Gesellschaft werden nur insoweit, als sie Gewinn versprechen - und damit unzulänglich - berücksichtigt.

Deshalb wollen wir eine Marktwirtschaft, die demokratisch, sozial und ökologisch orientiert ist.

Wir wollen eine demokratische Marktwirtschaft, in der alle Bürger am Haben und am Sagen in der Wirtschaft teilhaben. Formen der Teilhabe sind ein breit gestreutes Eigentum an den Unternehmen und die Mitbestimmung in den Betrieben.

Wir wollen eine soziale Marktwirtschaft, in der alle Arbeit finden, in der die Leistungsfähigen die Schwächeren solidarisch unterstützen, in der ein kollektives Sicherungssystem bei Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit vor Armut schützt und in der freie und starke Gewerkschaften dafür sorgen, dass alle Beschäftigten am wirtschaftlichen Fortschritt beteiligt sind. Der Staat ist zu einer aktiven Beschäftigungspolitik verpflichtet. Mit steigender Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft wollen wir das System der sozialen Sicherungen ausbauen, mittels öffentlicher Investitionen unsere Städte und Dörfer erneuern, das Angebot an Wohnraum spürbar verbessern, unser Verkehrsnetz modernisieren, Freizeiteinrichtungen schaffen, unsere Umwelt sanieren und damit allen Bürgern eine höhere Lebensqualität ermöglichen.

Wir wollen eine ökologische Marktwirtschaft, in der der Staat für jedermann verbindliche, strikte ökologische Rahmenbedingungen setzt. Sie sollen bewirken, dass der Raubbau an der Natur durch Produktion und Konsum ein Ende nimmt und dass unsere natürlichen Lebensgrundlagen und unsere Gesundheit erhalten bleiben.

Elemente der sozialen Marktwirtschaft

Markt und Wettbewerb sind für eine dynamische, ertragreiche Wirtschaft unentbehrlich, da sie Initiative und Leistung herausfordern und belohnen, Angebot und Nachfrage ausgleichen, Innovation stimulieren. Da sie aber von sich aus weder Vollbeschäftigung noch eine gerechte Verteilung, noch eine ausreichende Versorgung der Menschen mit Gemeinschaftsgütern und -leistungen, noch den Schutz der Umwelt garantieren, bedürfen sie eines demokratisch gesetzten Rahmens.

Diesen Rahmen schafft zum einen der Staat durch politisch planendes, koordinierendes und regulierendes Handeln, indem er Gesetze und Verordnungen erlässt, Haushaltspläne erstellt, Kredite und Subventionen gewährt, für die Stabilität der Währung sorgt, Steuern und Abgaben erhebt. Zum anderen schaffen diesen Rahmen die demokratische Mitbestimmung, an der die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften sowie die Verbraucher auf unterschiedlichen Entscheidungsebenen beteiligt sind, sowie die Kontrolle durch die Öffentlichkeit.

Markt und Wettbewerb funktionieren am besten, wenn mannigfache Eigentumsformen und Unternehmen unterschiedlichster Größe existieren. Deshalb wollen wir ein gleichberechtigtes Nebeneinander von gemeinwirtschaftlichem, genossenschaftlichem, privatem, auch ausländischem sowie gemischtem Eigentum. Der Staat hat aber zu sichern, dass das Gemeineigentum in dem für das Wohl der Gesellschaft notwendigen Umfang gewahrt bleibt: Das betrifft z. B. Bahn, Post, Fernmeldewesen sowie Energie- und Wasserversorgung und andere nicht notwendig mit Gewinn arbeitende infrastrukturelle Bereiche und die Verwaltung natürlicher Ressourcen. Ansonsten können zentral gelenkte staatliche Unternehmen in das Eigentum von Ländern und Kommunen überführt, in Genossenschaften umgewandelt oder privatisiert werden.

Eine übermäßige Konzentration wirtschaftlicher Macht lehnen wir ab. Monopole und erzwungene Betriebszusammenschlüsse (bisherige staatseigene Kombinate) müssen soweit wie möglich in wettbewerbsfähige Unternehmen aufgelöst werden. Wo Monopolbildungen nicht vermeidbar sind, gewinnen demokratische Kontrollmechanismen eine entscheidende Bedeutung. Ohne Großunternehmen ist eine effektive Wirtschaft nicht vorstellbar. Ebenso unentbehrlich sind kleine und mittlere Unternehmen; wir wollen sie stärken.

Wir brauchen einen Aktien- und einen Rentenmarkt, an dem Bürger Ersparnisse anlegen und Unternehmen Investitionskapital aufnehmen können. Ein funktionierender Kapitalmarkt erleichtert zugleich den Zufluss von Auslandskapital, der zur Modernisierung unserer Wirtschaft unerlässlich ist.

Kapital muss vom Kapitalmarkt dorthin gelenkt werden, wo die rentabelsten Verwendungsmöglichkeiten liegen, damit sich profitable Unternehmen ungehindert entfalten und Arbeitsplätze schaffen können.

Für die Arbeit kann es keinen uneingeschränkten Markt geben. Den Unternehmen bzw. Unternehmerverbänden müssen freie Einzelgewerkschaften gegenüberstehen, die unabhängig von staatlicher und parteilicher Einflussnahme Tarifverhandlungen führen und Tarifverträge nach Tarifgebieten abschließen. Die Erzielung tarifrechtlicher Regelungen ist notfalls mit Streiks durchzusetzen.

In Unternehmen aller Eigentumsformen sollten die Arbeitnehmer auf der Basis geltender Rechtsgrundlagen ihre betrieblichen Interessenvertretungen (z. B. Betriebsräte o. ä.) demokratisch wählen.

Weder die Unternehmensleitung noch die betrieblichen Interessenvertretungen der Arbeitnehmer (z.B. Betriebsräte o. ä.) dürfen die gewerkschaftliche Tätigkeit im Betrieb behindern. Jedes Mitspracherecht der Parteien im Betrieb ist untersagt.

Formen der Kapitalbeteiligung sind durch die betriebliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer (z.B. Betriebsräte o. ä.) zu bestätigen.

Auf überbetrieblicher Ebene sollen Wirtschafts- und Sozialräte den Interessen der Beschäftigten Geltung verschaffen.

Betriebsräte und Gewerkschaften können mit den Unternehmensleitungen bzw. den Branchenverbänden Formen der Gewinnbeteiligung vereinbaren.

Staatliche Finanzen und Geldwirtschaft

Der Staatshaushalt muss auf einer verantwortlichen Finanzwirtschaft beruhen. Sparsamkeit ist geboten. Die öffentlichen Ausgaben, die unmittelbar der Lebensqualität der Bevölkerung zugute kommen und der Sicherung des Ökosystems dienen, haben Vorrang. Dagegen können andere Ausgaben gestrichen werden, die entbehrlich oder nicht gerechtfertigt sind (z. B. Ausgaben für Rüstungsvorhaben, Repräsentationszwecke u. ä.).

Wir brauchen Steuergerechtigkeit. Darum ist eine umfassende Steuerreform erforderlich. Der Markt gewährleistet von sich aus keine gerechte Verteilung der Einkommen. Das Steuersystem muss hier korrigierend eingreifen. Die Besteuerung hat sich an der Leistungsfähigkeit der Beschäftigten, Selbständigen und Unternehmen zu orientieren, muss aber den Anreiz zur Leistung erhalten.

Eine aktive, verantwortliche Währungs-, Geld- und Kreditpolitik erfordert eine zentrale Notenbank, die von der Regierung unabhängig, deren Präsident aber dem Parlament rechenschaftspflichtig ist. Daneben werden Landesbanken treten. Außerdem muss es ein System selbständiger Geschäftsbanken geben; sie unterstehen einer staatlichen Aufsicht.

Wir wollen eine konvertible Währung. Darum streben wir eine Währungsunion mit der BRD an.

Aus sozialer Verpflichtung wollen wir die Kaufkraft des Geldes und die Ersparnisse der Bevölkerung sichern.

Die Preise der Waren und Leistungen, die auf dem Markt angeboten werden, müssen grundsätzlich freigegeben werden. Wo das Angebot nicht den Wettbewerbsbedingungen unterliegt (z.B. bei Post und Bahn) und wo sonst ökologische und soziale Erfordernisse es gebieten (z. B. in der Landwirtschaft), wird der Staat nicht darauf verzichten können, regulierend auf die Preise einzuwirken. Sach- und leistungsgebundene Subventionen sollen weitgehend abgebaut werden. An ihre Stelle treten personengebundene, differenzierte Einkommenszuschüsse (z. B. Mietbeihilfen); so werden soziale Härten vermieden. In einigen Bereichen müssen Subventionen beibehalten werden, um unentbehrliche oder schutzbedürftige Formen gesellschaftlichen Lebens zu begünstigen.

Ökologische Kriterien des Wirtschaftens

Bis heute verschlingt die Wirtschaft hemmungslos Rohstoffe und Energien, vergiftet Luft, Wasser und Boden, belastet das Klima, lässt die Wälder sterben. Doch was ökologisch unvernünftig ist, schlägt zuletzt auf die Leistungskraft der Wirtschaft zurück. Darum muss Umweltverträglichkeit zum Grundprinzip verantwortlichen Wirtschaftens werden. Wir dürfen der Natur nur abverlangen, was sie uns ohne Schaden liefert, und wir dürfen nur solche Güter herstellen und verwenden, die dem Stoffkreislauf der Natur angepasst sind. Deshalb muss die Wirtschaft nach ökologischen Erfordernissen umstrukturiert werden. Darüber hinaus erweist es sich als notwendig, bereits eingetretene Umweltschäden zu reparieren und vorhandene Altlasten aufzuarbeiten.

Der Staat muss das ökologisch Riskante durch Steuern und Abgaben verteuern, das ökologisch Richtige finanziell begünstigen, damit die ökologischen Folgen unmittelbar in die Produktionskalkulation eingehen. Außerdem muss er strengen Umweltgesetzen Geltung verschaffen. Sie sollen sich auf das Verursacherprinzip gründen und klare Richtlinien, Grenzwerte, Auflagen und Sanktionen enthalten. Unabhängige Umweltinstitutionen und eine staatliche Umweltaufsicht müssen darüber wachen, dass die Umweltgesetze eingehalten und Verstöße gegen sie geahndet werden. Umweltdaten müssen jederzeit und jedermann zugänglich sein. Aufklärung über Umweltbelastungen, die sich schädlich auf die Menschen auswirken, ist Pflicht.

Giftige und nicht wiederverwertbare Abfallprodukte müssen sicher entsorgt werden. Wir werden es nicht mehr hinnehmen, dass Müll und Sondermüll über die Grenzen zu uns gebracht werden - unser Land steht nicht länger als Mülldeponie zur Verfügung.

Sparsamer Umgang mit Energie und Rohstoffen

Rohstoffe und Energieträger stehen uns nur begrenzt zur Verfügung. Sie zu gewinnen und zu verwenden ist oft nicht möglich, ohne die Umwelt zu belasten. Aus beiden Gründen ist ein sparsamer Umgang mit ihnen erforderlich. Darum müssen in allen Bereichen rationelle, rohstoff- und energiesparende Technologien und Umwandlungsverfahren gefördert und bevorzugt werden.

Wir treten dafür ein, dass die Braunkohlewirtschaft deutlich eingeschränkt wird. Es darf nicht zugelassen werden, dass die Tagebaue in dicht besiedelte Gebiete oder in unersetzliche Biotope vordringen. Alle Großkraftwerke auf fossiler Basis müssen technisch derart ausgerüstet werden, dass sie möglichst wenig Schadstoffe ausstoßen. Wo immer eine Ablösung der Braunkohle durch importierte Energieträger (Erdgas, 01, Steinkohle) möglich und sinnvoll ist, soll sie erfolgen. Wir wollen, dass die DDR sich in das europäische Energieverbundsystem integriert.

Wir befürworten einen Ausstieg aus der Kernenergiewirtschaft, wo die Entsorgung und die Sicherheit der Kraftwerke nicht gewährleistet werden kann.

Nachdrücklich unterstützen wir Forschungsprojekte, die sich mit der Nutzung regenerierbarer Energiequellen (z.B. Wasserkraft, Wind, Sonne, Biogas) befassen.

Für eine ertragreiche, umweltfreundliche Landwirtschaft und eine naturgemäße Forstwirtschaft

In der Landwirtschaft sollen - wie in anderen Wirtschaftsbereichen - Betriebe unterschiedlicher Eigentumsformen existieren können. Wir wenden uns jedoch gegen eine Restaurierung des einstigen Großgrundbesitzes in der DDR - die Bodenreform ist unwiderruflich. Auch wer nach der Bodenreform seinen Besitz in der DDR zurückgelassen und für ihn in der BRD Lastenausgleich erhalten hat, kann keine Eigentumsrechte mehr an diesem Besitz geltend machen. Wir meinen, dass genossenschaftlich organisierte Betriebe mit demokratischen Strukturen eine günstige Möglichkeit für ertragreiches und ökologisch verträgliches Wirtschaften bieten. Doch wer als Genossenschaftsbauer oder sein Erbe einen bäuerlichen Privatbetrieb gründen oder wiedererrichten will, hat Anspruch darauf, für diesen Zweck Grund und Boden zu erhalten. Dazu bedarf es rechtlicher Regelungen. Wir halten es für wünschenswert, dass agrarindustrielle Komplexe und andere zentralisierte Landwirtschaftsunternehmen in umweltgerecht wirtschaftende und ertragreiche Betriebe genossenschaftlichen oder privaten Eigentums umgewandelt werden.

Es hat sich als ökonomisch wie ökologisch schädlich erwiesen, dass Pflanzenanbau und Tierzucht voneinander getrennt und in zu großen Betrieben konzentriert worden sind. Diese beiden landwirtschaftlichen Bereiche können wieder zusammengeführt und in strukturell ausgewogenen Betrieben neu geordnet werden.

Man muss dafür sorgen, dass der Boden schonend bearbeitet und nicht mit überhöhter Düngung belastet wird. Der Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln sollte schrittweise durch biologischen Pflanzenschutz und züchterische Maßnahmen zurückgedrängt werden und im Rahmen eines integrierten Pflanzenschutzes erfolgen.

Die Tierhaltung muss in einem ausgewogenen Verhältnis zur vorhandenen landwirtschaftlichen Nutzfläche betrieben werden. Sie muss grundlegenden ökologischen Forderungen und Forderungen des Tierschutzes entsprechen. Der Anfall von Gülle ist durch ökonomisch vertretbare Maßnahmen zurückzudrängen.

Landwirtschaft und naturgemäße, kulturfreundliche Landschaftsgestaltung müssen organisch ineinandergreifen. Die Produktionsformen und -methoden sollen einen sorgsamen Umgang mit dem Boden und dem Wasser, den Tieren und den Pflanzen begünstigen und auf die Erzeugung solcher Güter zielen, die vollwertig, möglichst schadstoffarm und einer gesunden Lebensweise dienlich sind. Eine landwirtschaftliche Produktion dieser Qualität muss durch den Staat mit Hilfe von Einkommensstützungen, Quoten- und Preisregelungen geschützt werden.

Es soll wieder Freude machen, auf dem Lande zu arbeiten und im Dorf zu wohnen. Die bäuerliche Kultur ist ein kostbares Gut.

Der Wald in unserem Land ist schwer bedroht. Er muss vor Vernichtung durch Schadstoffe gerettet und in seinem Bestand gesichert werden. Wir wollen einen ökologisch stabilen Wald mit vielfältigen, vor allem einheimischen Arten.

Handwerk, Dienstleistungen, Handel, Gastronomie

Wir wollen Gewerbefreiheit. Staatliche Handwerks-, Dienstleistungs-, Handelsbetriebe und Gaststätten sollen, wo immer es um größerer Flexibilität und Rentabilität willen angeraten ist, ohne Hemmnisse. in genossenschaftliches oder privates Eigentum übergehen.

Das Handwerk soll in möglichster Breite gefördert werden, auch und gerade im Blick auf vernachlässigte oder fast ausgestorbene Produktionsarten und Gewerbe: Denn in ihnen leben wertvolle kulturelle Traditionen fort, und ihre Erzeugnisse und Leistungen bereichern die Alltagskultur. Das Handwerk braucht Nachwuchs. Wir wollen, dass er ungehindert herangebildet werden kann.

Eine moderne Wirtschaft kommt ohne ein modernes Dienstleistungswesen nicht aus. Seine Entwicklung unterstützen wir.

Der Handel soll angebotsorientiert den Markt bedienen. Alle Waren sollen den Verbraucher auf dem kürzesten Wege erreichen. Der Staat darf den Handel nicht reglementieren. Doch soll er den Konsum gesundheitsmindernder oder umweltbelastender Waren durch Extrasteuern begrenzen. Damit die Käufer nicht übervorteilt werden, sind Verbraucherberatungsdienste und ein Institut für Warentest erforderlich. Da, wo es nötig ist, werden wir die Entwicklung unserer Wirtschaft durch Zölle und Quotenregelungen schützen.

Bedürfnisgerechtes Bauen

Eine verfehlte Politik hat es dahin gebracht, dass ungeachtet enormer Anstrengungen der Bauleute viele Menschen nur unbefriedigende oder unzumutbare Wohnungen haben und dass zahlreiche Innenstädte in unserem Land verfallen. Ein Strukturwandel in der Bauwirtschaft ist dringend geboten. Wir wollen, dass leistungsfähige Klein- und Mittelbetriebe aller Eigentumsformen entstehen, sie sind eher als alte oder neue Großunternehmen fähig, den Anforderungen bedürfnisgerechten Bauens flexibel zu entsprechen. Die Generalbebauungspläne von Regionen und Kommunen müssen von folgenden Gesichtspunkten bestimmt sein:

Die Bürgerinnen und Bürger wollen unter menschenwürdigen, gesundheitsfördernden und umweltverträglichen Bedingungen wohnen und arbeiten, sich kulturell betätigen und ihre Freizeit auf unterschiedliche Weise nutzen;

historische Bauten und Denkmäler müssen erhalten bleiben und harmonisch in neue Baukomplexe einbezogen werden;

der Verkehr soll den Menschen zuträglich und der Umwelt nicht gefährlich sein.

Beim Wohnungsbau sollen Werterhaltung, Instandsetzung und Neubau in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander kommen. Sozialdemokratische Baupolitik begünstigt den sozialen Wohnungsbau, lässt aber auch genossenschaftlichen und privaten Bauherren genügend Raum.

Sie schenkt der Errichtung und Erneuerung von Kulturbauten (Museen, Theatern, Konzertsälen, Bibliotheken usw.) gebührende Aufmerksamkeit.

Sie wehrt sich einer ineffektiven, ökologisch nicht vertretbaren Ausweitung der Kommunen und einer Zersiedlung der Landschaft.

Verkehr und öffentliche Kommunikationsmittel

Das Verkehrswesen soll zugleich modern und leistungsfähig, menschen- und umweltgerecht sein. Das Straßennetz muss saniert werden. In den Städten sind mehr verkehrsberuhigte Bereiche bzw. Fußgängerzonen nötig. Der öffentliche Personenverkehr verdient gegenüber dem motorisierten Individualverkehr entschieden den Vorrang. Deshalb muss er attraktiv gemacht und weiter subventioniert werden.

Das Schienennetz und die Anlagen der Deutschen Reichsbahn erfordern eine weitreichende Erneuerung. Durch sie soll der Eisenbahnverkehr sowohl für Personen als auch für Güter auf eine neue Qualitätsstufe gehoben werden. Das wird auch eine weitere Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene begünstigen.

Das System der öffentlichen Kommunikationsmittel bedarf einer umfassenden, durchgreifenden Erweiterung und Modernisierung. Dazu gehört der flächendeckende Aus- und Aufbau des Telefon-, Telefax- und Datenübertragungsnetzes.

Eingebunden in die Weltwirtschaft

Die DDR ist in die komplexen weltwirtschaftlichen Zusammenhänge eingebunden und soll sich planvoll noch stärker in sie integrieren, indem sie sich entschieden auf die Bedingungen der internationalen Arbeitsteilung und Kooperation einstellt. Sie wird einen Wirtschaftsverbund mit der Bundesrepublik eingehen. Sie strebt enge Beziehungen zu den Europäischen Gemeinschaften an. Die über Jahrzehnte gewonnenen Wirtschaftsbeziehungen zu den Ländern Osteuropas sollen weiterentwickelt werden.

Noch ist die Wirtschaft der DDR ungenügend imstande, auf dem Weltmarkt und dann auch auf dem europäischen Binnenmarkt zu konkurrieren. Darum müssen alle Bemühungen, die am ehesten konkurrenzfähigen Wirtschaftszweige auszubauen, durch staatliche Förderungsmaßnahmen unterstützt werden.

In der Energie- und Rohstoffwirtschaft muss sich unser Land von allen Autarkiebestrebungen verabschieden und bereit werden, sich in ein globales Ressourcen- und Ökologiekonzept einzuordnen. Darüber hinaus muss die DDR das ihre tun, dass durch internationale Rahmensetzungen die ungehemmte Konkurrenz auf dem Weltmarkt begrenzt wird und eine leistungsfähige, gerechte und solidarische Weltwirtschaftsordnung entsteht. Sie sollte den internationalen Organisationen, Konventionen und Fonds beitreten, die auf stabilere, ausgewogenere Austauschbeziehungen auf dem Weltmarkt abzielen. Tätige Solidarität mit den am schwächsten entwickelten Ländern kann sie üben, indem sie ihnen Handelspräferenzen gewährt.

Solidarische Sozialpolitik

Soziale Sicherungen

Unsere Sozialpolitik erhebt das Prinzip der Solidarität zur Richtschnur für das politische Handeln. Solidarität erschöpft sich nicht in der Versorgung und Betreuung der sozial Schwächeren. Sie soll auch stets Hilfe zur Selbsthilfe sein, Bevormundung und Diskriminierung ausschließen. Langfristig soll sich unsere Sozialpolitik nicht darauf beschränken, eingetretene Schäden zu beheben; vielmehr wollen wir wirksamen Schutz durch Vorsorge erreichen. Deshalb ist es unser Ziel, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen immer weiter zu verbessern. Selbstverständlich jedoch wird das Niveau der sozialen Sicherungen auf das Ertrags- und Effektivitätsniveau der Wirtschaft bezogen bleiben.

Eine gerechte, dem Solidarprinzip verpflichtende Einkommens- und Vermögenspolitik strebt danach, unterschiedliche Belastungen und unterschiedliche Grade von Lebensqualität auszugleichen. Denn wir wollen keine Gesellschaft, die ein Wohlleben nur für Privilegierte bietet. Wir wollen Wohlstand und Chancengleichheit für alle.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen, dass der Staat, soweit er dazu imstande ist, die sozialen Sicherungen gegen die elementaren Risiken des Lebens mitträgt. Bedürftige sind aus Mitteln eines Sozialhilfefonds zu unterstützen. Wir werden uns darum bemühen, schrittweise eine soziale Grundsicherung zu schaffen, die beitrags- und leistungsbezogene Sicherungssysteme ergänzt. Sie soll im Alter, bei Invalidität und bei Arbeitslosigkeit ein menschenwürdiges Auskommen garantieren.

Wir bekennen uns zum Recht auf Arbeit. Wir erstreben eine Gesellschaft, in der jeder entsprechend seiner Qualifikation eine Beschäftigung frei wählen kann. Also müssen Arbeitskräfte und Arbeitsplätze in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander kommen. Deshalb befürworten wir die Verkürzung der Wochen- und Jahresarbeitszeit und Regelungen für den vorzeitigen, auch gleitenden Eintritt in den Ruhestand. Wer sich für eine Teilzeitbeschäftigung entscheidet, soll sie ohne Hindernisse finden können. Wir wollen, dass neue Arbeitsplätze geschaffen werden und Umschulungsangebote die Neubesetzung freier Arbeitsplätze erleichtern. Vollbeschäftigung ist unser Ziel.

Arbeitsplätze sollen so umgestaltet werden, dass erhebliche Gefährdungen der Gesundheit sowie physische und psychische Überlastungen abgebaut werden. Geschützte Arbeitsplätze für Behinderte, Rehabilitanden usw. müssen in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen.

Die von uns geforderten sowie unterstützten starken Einzelgewerkschaften und betrieblichen Interessenvertretungen der Arbeitnehmer (z.B. Betriebsräte o.ä.) müssen imstande sein, die Interessen der Arbeitnehmer wirksam zu vertreten. Sie sorgen dafür, dass sich die Entlohnung der Arbeit nach der tatsächlichen Leistung richtet und die Löhne und Gehälter an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten angeglichen werden. In diesem Zusammenhang ist für uns der Ausbau betrieblicher Sozialkonzepte von Bedeutung.

Da in unserer Zeit die Arbeit einem radikalen Strukturwandel unterworfen ist, kann Arbeitslosigkeit nicht gänzlich vermieden werden. Die Betroffenen müssen aber die Gewissheit haben, dass sie sowohl finanziell als auch bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung wirksam unterstützt werden. Deshalb muss der Staat einen Arbeitslosenfonds schaffen, Beschäftigungsprogramme entwickeln und Qualifizierungs- bzw. Umschulungsangebote fördern oder selbst organisieren.

Die Renten müssen erhöht und an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten bzw. des Durchschnittseinkommens angepasst werden. Dadurch entstehen zusätzliche Lasten für die Gesellschaft, zumal ihr Altersaufbau sich ungünstig verändert. Diese Lasten müssen gerecht verteilt werden. Alle sollen die Möglichkeit erhalten, nach eigener Wahl Teile von Rente und Arbeitseinkommen zu kombinieren. Eine Besserstellung sollen auch die bisher stets benachteiligten Kriegsinvaliden und Kriegerwitwen erfahren, die oft unter schwersten Bedingungen ihre Kinder erzogen haben.

Jeder Mensch in unserer Gesellschaft hat das Recht, einen ausreichenden, funktionstüchtigen und gesundheitsverträglichen Wohnraum zu angemessenen Kosten zu beanspruchen. Es ist Aufgabe des Staates, allen die Erfüllung dieses Anspruches zu ermöglichen. Dafür tragen sowohl die zentralen Institutionen als auch die Kommunen Verantwortung.

Damit Mieten und Verbraucherpreise sozial verträglich bleiben und Kostensteigerungen sich nicht belastend auf den Lebensstandard von Personen mit geringem Einkommen - Rentner, Arbeitslose, in der Ausbildung Befindliche, kinderreiche Familien - auswirken, müssen differenzierte Einkommenszuschüsse gewährt werden.

Das Gesundheitswesen

Die Gesundheit gehört für uns zu den höchsten menschlichen Werten. Sie umfasst körperliches, geistiges und soziales Wohlbefinden.

Jeder Mensch hat ein Recht auf den Schutz, die Erhaltung und die Wiederherstellung seiner Gesundheit bis zu dem Höchstmaß, das nach den modernen medizinischen Erkenntnissen erreicht werden kann. Diesem Recht entspricht die Pflicht, Mitverantwortung für den eigenen Gesundheitszustand zu tragen. Durch Erziehung und Aufklärung, umfassende Information und Bildungsarbeit soll jeder befähigt und motiviert werden, dieser seiner Verantwortung entsprechend gesund zu leben. Für eine gesunde Lebensweise muss wiederum der Staat die nötigen sozialen Voraussetzungen schaffen, indem er gesundheitsschädigenden Umwelteinflüssen, Arbeitsbedingungen und Konsumgewohnheiten entgegenwirkt und gesundheitsfördernde Waren und Leistungen steuerlich begünstigt. Kranke, Leidende und Schwache haben Anspruch auf solidarische Hilfe. Sie ist ein unverzichtbares Element sozialdemokratischer Gesellschaftspolitik. Diese Hilfe schließt auch die Förderung entsprechender Interessenvertretungen ein.

Wir erstreben ein bürgernahes, leistungsfähiges und wirtschaftlich arbeitendes Gesundheitswesen. Es soll einen jeden unabhängig von Wohnort, Einkommen und sozialem Status bedarfsgerecht und in bestmöglicher Qualität medizinisch versorgen. Jeder muss die Möglichkeit haben, den Arzt bzw. die Betreuungseinrichtung frei zu wählen.

Wir wollen ein weitgehend selbstverwaltetes Gesundheitswesen, für das der Staat durch seine Gesetzgebung die erforderlichen Rahmenbedingungen schafft und die unverzichtbaren Planvorgaben bietet.

Dringlich geboten ist es, veraltete und verschlissene Einrichtungen des Gesundheitswesens zu erneuern. Auch die Strukturen unseres Gesundheitswesens sind reformbedürftig.

Bürokratische Apparate müssen auf das Mindestmaß reduziert werden. Als Hauptstütze der medizinischen Versorgung betrachten wir ein gemeindenah und in den Eigentumsformen pluralistisch organisiertes Gesundheitswesen. Dabei müssen die öffentlichen Gesundheitsdienste und -leistungen den Vorrang behalten. Häusliche Pflegemöglichkeiten, geeignete Formen der ambulanten und halbstationären Betreuung sowie das Netz medizinischer Gemeindezentren sollen erweitert bzw. neu geschaffen werden. Damit kann die stationäre Behandlung von Patienten auf das medizinisch notwendige Maß beschränkt werden.

Psychisch Kranke, chronisch Leidende, Behinderte und Suchtkranke sollen nicht eingeschlossen und verwahrt, sondern optimal betreut und weitestgehend in das gesellschaftliche Leben integriert werden. Auch Behinderten und chronisch Leidenden soll es möglich sein, ihre Begabung und ihr Können zu beweisen und Freude an ihrem Leben zu gewinnen. Sie müssen deshalb finanziell abgesichert sein.

Die Finanzierung des Gesundheitswesens wird neu geregelt. Versorgungs- und Betreuungsleistungen werden durch die Krankenversicherungen bezahlt. Für die Investitionen im öffentlichen und gemeinnützigen Gesundheitswesen ist die öffentliche Hand zuständig. Dadurch sollen einerseits die kommunalen und regionalen Interessen stärker berücksichtigt und andererseits Anreize zur Verbesserung des Leistungsangebotes geschaffen werden.

Zunächst jedoch müssen im Staatshaushalt die Ausgaben für das Gesundheitswesen aufgestockt werden, damit der Nachholbedarf bei der personellen Besetzung und der materiell-technischen Ausstattung von Einrichtungen des Gesundheitswesens befriedigt wird.

Die gesetzliche Pflichtversicherung für alle Bürger soll die Grundlage der solidarischen Sicherung gegen gesundheitliche Risiken sein. Eine Reform des Versicherungssystems ist dabei unumgänglich.

Das Zusammenleben der Geschlechter und Generationen

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten geben dem Zusammenleben der Menschen keine festen Leitbilder vor - nicht das der erwerbstätigen Frau und nicht das der traditionellen Familie. Wir wollen, dass Frauen und Männer ihre Lebensform und ihren Tätigkeitsbereich frei wählen können.

Alle Lebensgemeinschaften, die auf Dauer angelegt sind und Geborgenheit, Anerkennung und liebevolle Zuwendung versprechen, haben Anspruch auf Achtung und Schutz vor Diskriminierung, unabhängig von Zahl, Geschlecht, Zivilstand derer, die jeweils zusammenleben.

Eines besonderen staatlichen Schutzes bedarf die Mutterschaft, unabhängig vom Zivilstand der Mutter. Wir wenden uns gegen die Diskriminierung unverheirateter oder geschiedener Eltern.

Eines besonderen staatlichen Schutzes bedürfen ferner die Kinder, unabhängig von den Verhältnissen, unter denen sie aufwachsen. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass Kindern keinerlei Nachteile aus ihrer Herkunft erwachsen. Insbesondere setzen wir uns dafür ein, dass die Belastungen, die Kindern aus der Scheidung ihrer Eltern erwachsen, auf das Minimum begrenzt werden.

Eines besonderen staatlichen Schutzes bedarf schließlich die Familie als die Lebensgemeinschaft von Eltern und Kindern, die auf der öffentlich erklärten Absicht auf Dauer beruht. Denn nur in einer stabilen Familie haben Kinder die besten Entwicklungschancen.

Darum brauchen wir eine familienfreundliche Arbeitswelt. Die tägliche Arbeitszeit für Männer und Frauen ist so zu bemessen, dass beide Zeit auch für die Beschäftigung mit den Kindern und für deren Erziehung, aber auch zur Erledigung der Haushaltspflichten finden. Je nach der individuellen Lebenssituation sollten die Eltern dabei verschiedene Kombinations- und Wahlmöglichkeiten nutzen können. Dazu gehört z.B. die Freistellung von der Berufsarbeit, wahlweise für Vater oder Mutter, nach der Geburt oder bei der Krankheit von Kindern. Wir treten dafür ein, dass während der ersten Lebensjahre eines Kindes Vater oder Mutter einen längeren Erziehungsurlaub nehmen können und dafür Erziehungsgeld erhalten. Kindererziehungszeiten müssen auf die Rentenzahlung angerechnet werden.

Außerdem soll es ein breites, vielfältiges Angebot von familienergänzenden Einrichtungen wie Kindergärten, Horten, Kinderläden usw. geben, in denen Kinder achtsam und verständnisvoll betreut werden. Mehrere Kinder großzuziehen darf unter keinen Umständen zum sozialen Risiko werden. Einen Anspruch auf besonders hilfreiche Unterstützung haben Alleinerziehende sowie Familien mit behinderten oder chronisch kranken Kindern.

Wir streben eine kinderfreundliche Gesellschaft an. Sowohl in der Familie als auch in Betreuungs- und Bildungseinrichtungen brauchen Kinder Ermunterung, Förderung und Anregung, Raum für Spiel und Bewegung, für ihren Erkundungsdrang und die Betätigung ihrer Phantasie. Sie bedürfen des Schutzes vor emotionaler, geistiger oder körperlicher Überforderung, vor Gewalt und ungehemmtem Medienkonsum. Für Kinder ohne familiäre Bindungen sollten Kinderdörfer geschaffen werden. Die Bedürfnisse der Kinder müssen mehr als bisher bei politischen Entscheidungen berücksichtigt werden. Das betrifft z.B. den Wohnungsbau, die Verkehrsgestaltung und die Infrastruktur der Kommunen.

Die letztgenannte Forderung gilt entsprechend auch im Blick auf die Jugendlichen. Sie möchten ihre Freizeit nach eigenen Vorstellungen nutzen. Dazu sollen ihnen auch öffentliche Freizeit- und Kultureinrichtungen, die ihren Bedürfnissen entgegenkommen, Gelegenheit bieten.

Wir setzen uns dafür ein, dass junge Menschen selbständig und mit allen demokratischen Rechten ihre Interessen vertreten können. Bereits in der Schule muss es für sie möglich sein, demokratische Selbstbestimmung einzuüben. Wir unterstützen die Arbeit von Jugendverbänden und in ihnen namentlich die politische Bildung. Die SPD wird sich der Interessen der Jugendlichen auf parlamentarischer Ebene annehmen.

Auf Arbeit und Lebenserfahrung der älteren Menschen bauen die nachfolgenden Generationen auf. Wenn Altere aus dem Berufsleben ausscheiden, müssen sie gleichwohl die Gelegenheit behalten, soziale Kontakte zu pflegen, sich weiterzubilden, sich schöpferisch zu betätigen, politische Verantwortung wahrzunehmen und somit ihre Lebensform frei zu bestimmen.

Das Netz der sozialen Dienste soll so dicht gespannt sein, dass ältere Menschen möglichst lange in vertrauter Umgebung bleiben können. Altersgerechte Wohnungen sind in den Wohngebieten so zu verteilen, dass die verschiedenen Generationen jederzeit bequem Kontakt zueinander finden können. Die kommunale Raum- und Sozialplanung hat das in Rechnung zu stellen.

In Alters- und Pflegeheime müssen menschenwürdige Zustände einziehen, so dass die betagten Frauen und Männer sich dort wohl fühlen können.

Wer alte oder kranke Angehörige zu Hause pflegt, hat Anspruch auf eine angemessene Vergütung und auf die Anrechnung der Pflegezeiten bei der Feststellung der Rente.

Für eine vielgestaltige Kultur ohne Schranken

Die kulturelle Dimension: Leben und Kunst

Die alltäglichen Arbeits- und Lebensabläufe, die vielförmigen Tätigkeiten der Menschen, ihre Ausdrucks- und Umgangsformen, ja ihre Beziehungen zueinander insgesamt - sie alle haben eine kulturelle Dimension. Deshalb verstehen wir unter Kultur nicht einen abgehobenen, separat zu verwaltenden Bereich von Künsten, Unterhaltung und Geselligkeit. Für uns ist Kultur ein freies und befreiendes schöpferisches Tun, bei dem Individuen, Gruppen und Gemeinschaften ihre Identität entdecken, entfalten und vertiefen und sich selbst und ihre Welt auf mehr Menschlichkeit hin umgestalten.

Die freie Entwicklung der Kultur setzt Vielfalt voraus und bringt sie wieder hervor. Gerade diese Vielfalt macht es möglich, dass jeder einzelne die ihm gemäßen Formen kreativer Tätigkeit findet. Aber ein buntes, vielseitiges Kulturleben soll mehr sein als die Summe unverbundener Aktivitäten. Wir wollen, dass die unterschiedlichen Milieus und Teilkulturen in Beziehung zueinander treten und durch Widerspruch und Anregung sich gegenseitig bereichern. Darum wollen wir auch die Begegnung mit fremden Kulturen und den internationalen Austausch fördern.

Der Staat darf die Kultur nicht bevormunden oder gar zensieren, er soll aber ihre Vielfalt, ihren Formen- und Ausdrucksreichtum schützen. Denn wenn er sich aus kultureller Machtausübung zurückzieht, darf er sich nicht zugleich von kultureller Verantwortung zurückziehen. Vielmehr hat er dafür zu sorgen, dass kulturellen Grundbedürfnissen Genüge geschehen kann. Diese Aufgabe wird der Staat vorwiegend dezentral erfüllen, also auf der Ebene der Länder, der Städte und Gemeinden. Auch soll er mit den Instrumenten der Steuerpolitik Unternehmen, Betriebe und private Sponsoren zur Kulturförderung anregen.

Wo jedoch andere gesellschaftliche bzw. private Träger kein Interesse zeigen, muss der Staat gezielt mit finanziellen, rechtlichen und bildungspolitischen Förderungsmaßnahmen eingreifen. Denn er darf nicht zulassen, dass kulturelle Aktivitäten unter der Diktatur der Gewohnheiten verkümmern, dass sensible Kreativität an schrankenloser Kommerzialisierung erstickt und unersetzliche Kulturgüter durch Vernachlässigung zugrunde gehen.

Die Kommunen müssen wohnlich angelegt sein und ein menschenfreundliches Antlitz haben, zugleich sollen kulturgeschichtlich wertvolle Baukomplexe und Denkmäler gepflegt und erhalten und architektonische Neuerungen von ästhetischem Wert gefördert werden. Orte, an denen sich die Kultur öffentlich darstellen kann, bedürfen der materiellen Absicherung. Auch sonst ist der Staat für eine funktionstüchtige kulturelle Infrastruktur verantwortlich.

Um des geistigen Gemeinwohls willen ist der Staat verpflichtet, die Künste zu fördern. Damit staatliche Behörden nicht der Gefahr erliegen, ihnen genehme und bequeme Künstler, Kunstrichtungen und Kunstinstitutionen zu bevorzugen, sollen sie unabhängige Autoritäten, Räte, Jurys, Kulturverbände usw. über die Verteilung von Subventionen und sonstigen Fördermitteln entscheiden oder mitentscheiden lassen. Es muss garantiert sein, dass innovative, experimentelle, avantgardistische und andere Kunstäußerungen, die nur Minderheiten erreichen, sich einer betonten Förderung erfreuen können. Die Künstler haben Anspruch auf soziale Sicherheit. Wie sie ihnen gewährt werden kann, muss mit ihnen und ihren Verbänden vereinbart werden.

Hindernisse, die den Zugang zu Bildung und Kunst erschweren, müssen, soweit staatliches Handeln dazu imstande ist, abgebaut werden. Schon von Kind an soll jeder Kultur als eigenes Lebensbedürfnis entdecken können.

Arbeit und Freizeit

Arbeit ist nicht nur ein Mittel zur Existenzsicherung, sondern auch Selbstzweck, insofern sie bildet, Freude und Befriedigung verschafft und in ihr schöpferische Selbstverwirklichung der Persönlichkeit geschieht. Die Arbeitswelt nach diesen Maßstäben umzugestalten, ist eine weitreichende Aufgabe. Zunächst muss gefordert werden, dass Menschen nicht durch gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen, durch Stress und Überforderung, durch monotone oder nur fremdbestimmte Tätigkeiten verschlissen werden. Deshalb wollen wir menschengerechte Technologien und Organisationsformen.

Den Beschäftigten muss es erlaubt sein, mehr als bisher Inhalt und Umfang ihrer Erwerbstätigkeit mitzubestimmen. Sie sollen sich für Berufe qualifizieren können, die - soweit es die ökonomischen Erfordernisse zulassen - ihren Fähigkeiten und Neigungen entsprechen. Darum müssen die Menschen das Recht auf lebenslange Aus- und Weiterbildung haben und durch Förderungs- und Umschulungsprogramme angeregt werden, sich gegebenenfalls neue Tätigkeitsbereiche zu erschließen. Die berufliche Arbeitszeit soll verkürzt werden. Das gilt sowohl für die Wochen- und Jahres- als auch für die Lebensarbeitszeit. Alle Frauen und Männer sollen die Möglichkeit bekommen, ihre Erwerbsarbeit aus freien Stücken zu unterbrechen, um sich der Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen zu widmen oder um sich - auch in berufsfremden Bereichen - weiterzubilden. Ihnen muss es ermöglicht werden, nach einer solchen Unterbrechung wieder in das Erwerbsleben zurückzukehren. Wer es wünscht, soll vorzeitig in den Ruhestand überwechseln können.

Mit der Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit wird mehr Zeit für frei bestimmte Tätigkeit gewonnen.

Der Staat hat den Menschen nicht dabei hereinzureden, welchen Gebrauch sie von ihrer Freizeit machen. Aber er kann sie durch menschenfreundliche Bildungs- und Erholungsangebote, durch kommunale Initiativen u. ä. dazu anregen, sich nicht blindlings der Freizeitindustrie zu überlassen.

Den Sport betrachten wir als wertvolle Form menschlicher Selbstentfaltung und zwischenmenschlicher Kommunikation. Zugleich kommt ihm für die Erhaltung und Förderung der Gesundheit keine geringe Bedeutung zu. Wir bekennen uns zur Freiheit einer demokratischen Sportbewegung, die ihrer Gemeinnützigkeit wegen auf allen Ebenen des Staates materiell und ideell unterstützt werden soll. Der Sport darf jedoch nicht vom Staat oder bestimmten Parteien reglementiert bzw. für Prestigezwecke missbraucht werden. Eben sowenig darf er aus reinen Gewinninteressen uneingeschränkt vermarktet werden. Die Sportgemeinschaften verantworten ihre Aktivitäten selbst.

Unsere Aufmerksamkeit gilt vor allem dem Breitensport. Besonders wollen wir den Kinder- und Jugendsport, den Altensport sowie den Behinderten- und Versehrtensport fördern. Den Leistungssport unterstützen wir in dem Maße, wie wir die freie Entfaltung von Talenten auch in anderen Bereichen fördern; Privilegien dürfen ihm nicht zugestanden werden. Es muss sichergestellt sein, dass leistungssportlichen Erfolgen nicht die Würde und die Gesundheit von Menschen aufgeopfert werden.

Wir treten für eine umweltverträgliche Gestaltung von Sportanlagen und eine umweltgerechte Sportausübung ein, denn der Breiten- wie der Leistungssport stoßen dort an die Grenze des Zulässigen, wo sie schützenswerte Landschaften oder Kulturzonen schädigen. Daran messen wir auch den Tourismus. Sofern der Urlauber- und Fremdenverkehr diesem Kriterium genügt, kann und soll er einen Aufschwung nehmen. Den Ausbau dafür nötiger Infrastrukturen unterstützen wir.

Bildungschancen für alle

Wer seine Fähigkeiten zu entfalten vermag, gewinnt die Freiheit zur Selbstbestimmung. Eine Voraussetzung und ein Aspekt dieser schöpferischen Entfaltung der Persönlichkeit ist die Bildung. Sozialdemokratische Bildungspolitik will darauf hinwirken, dass alle Menschen sich unter den für sie und die Gesellschaft günstigsten Voraussetzungen bilden können. Bildung hat einen hohen kulturellen Eigenwert. Zugleich vermittelt sie das berufliche Können, auf dem eine leistungsfähige Wirtschaft beruht. Wir betrachten lebenslange Bildung als wichtigste Zukunftsinvestition.

Ein umfassend reformiertes Bildungssystem soll in unterschiedlich geprägten und verfassten Bildungseinrichtungen die Kinder und Jugendlichen zu eigenständig und kreativ denkenden, fühlenden und handelnden Menschen heranreifen lassen - zu Menschen, die ihr Leben lang lernbereit, wissenshungrig und musisch aufgeschlossen bleiben. Die weiterführende Bildung an Hoch- und Fachschulen sowie die berufliche und außerberufliche Weiterbildung sollen nicht auf die Zwecke der funktionellen Verwendbarkeit von Arbeitskräften eingeengt sein und unter Karriere- und Existenzsicherungszwängen stehen, sondern zur freien Selbstbildung beitragen. Bildung ist für uns nicht nur Mittel zum Zweck, sondern auch Selbstzweck.

Wir befürworten eine allgemeine Schulpflicht von mindestens zehn Schuljahren. Die Achtung vor der Würde eines jeden Menschen - unabhängig von Alter, sozialer Herkunft, kultureller, politischer und religiöser Identität und von individuellen gesundheitlichen, psychischen und intellektuellen Voraussetzungen - gebietet, dass alle unter gleichen Chancen Zugang zu den unterschiedlichen Bildungswegen erhalten.

Da zukünftig bei der Bewältigung beruflicher Aufgaben mehr und mehr allgemeine Lernschulung und Denkübung gefordert sind, soll eine zu frühe Spezialisierung vermieden werden. Eine Vielfalt von Bildungsmöglichkeiten und -abschlüssen soll den unterschiedlichen Neigungen und Fähigkeiten der Schüler und Schülerinnen entgegenkommen. Unsere Bildungspolitik will differenziert fördern, statt auslesen. Die integrierte Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe bis zum Abitur bietet dafür nach unserer Überzeugung gute Möglichkeiten. Welchen Bildungsweg die Kinder einschlagen, sollen sie selbst und die Eltern nach Beratung mit den Lehrern entscheiden.

Besonders die politische Bildung, aber auch der Unterricht in den anderen Fächern muss von jeglicher ideologischer Überfremdung freigehalten werden. Die Schüler und Schülerinnen sollen in die Lehren der Weltreligionen, der wichtigsten Weltanschauungen und Philosophien eingeführt werden, ohne dass man sie auf irgendein Bekenntnis verpflichtet. Die sozialen Fähigkeiten, vor allem die Fähigkeit zur Partnerschaft, sollten durch eine geeignete lebenskundliche Bildung geweckt werden. Die musische Bildung und der Sport dienen vor allem der Persönlichkeitsentwicklung; darum sind Zensuren hier nicht angebracht. Wo immer die Eltern es wünschen, sollen Ganztagsschulen angeboten werden.

Eine besonders intensive Förderung sollen einerseits Begabte, andererseits Lernschwache und Behinderte erfahren. Die weitestmögliche Integration der Behinderten in die Normalschule ist unser erklärtes Ziel.

Nach dem Schulbesuch haben alle Jungen und Mädchen das Recht auf eine Berufsausbildung, die ihnen breite Kenntnisse sowie berufsspezifische und berufsübergreifende Fähigkeiten vermittelt. Sowohl bei der beruflichen Ausbildung als auch beim Übergang ins Berufsleben muss zwischen Jungen und Mädchen Chancengleichheit walten. Chancengleichheit ist ein Recht, das für uns in allen Bildungsbereichen Vorrang hat.

Wer studieren will und zum Studium befähigt ist, hat das Recht, die Fachrichtung und den Studienort frei zu wählen und zu wechseln, soweit es die Kapazitäten der Universitäten und Hochschulen erlauben.

An sämtlichen Bildungseinrichtungen sollen Schüler bzw. Studenten größere Mitbestimmungsrechte erhalten.

Die berufliche Weiterbildung in Betriebseinrichtungen soll durch öffentliche und freie Bildungsangebote ergänzt werden. Das System der Volkshochschulen soll erweitert werden, damit möglichst viele Menschen Gelegenheit bekommen, sich nach eigenem Wunsch fortzubilden.

Der Staat hat dafür zu sorgen, dass jeder sein Recht auf Bildung wahrnehmen kann. Schüler, Lehrlinge und Studenten sind finanziell so zu unterstützen, dass sie ihren Bildungsweg unabhängig vom Einkommen der Eltern in eigener Verantwortung gehen können.

Neben den öffentlichen Bildungseinrichtungen kann es auch private Schulen nichtstaatlicher Trägerschaft (z.B. konfessionelle Schulen) geben. Sie stehen unter staatlicher Aufsicht. Um diese Ziele sozialdemokratischer Bildungspolitik durchzusetzen, bedarf es neuer Lehrpläne und Studienprogramme, die unter Beteiligung der Lehrkräfte zu erarbeiten sind.

Wissenschaft und Forschung

Wissenschaft und Forschung sind für den gesellschaftlichen Fortschritt unentbehrlich. Ihre Ergebnisse können helfen, soziale, ökonomische und ökologische Probleme zu lösen, sie bereichern die Kultur und eröffnen der Entwicklung der Zivilisation neue Perspektiven. Als Form schöpferischer Geistestätigkeit haben sie auch einen Bildungswert und damit einen Wert in sich.

Wissenschaft und Forschung müssen sich unabhängig und frei entfalten können. Selbstverständlich lenken die Ansprüche der Gesellschaft - die sich unmittelbar etwa in staatlichen oder privaten Aufträgen und zweckgebundenen Zuwendungen bekunden - die Forschungsaktivitäten in bestimmte Bahnen. Aber die Wissenschaft darf nicht gänzlich von staatlichen und wirtschaftlichen Interessen gesteuert werden. Innerhalb des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses darf der Forscher immer nur der Wahrheit und seinem Gewissen verpflichtet sein und sich niemals dem Diktat der Politik oder einer Ideologie beugen. Er muss aber auch bereit sein, für die möglichen ökologischen, sozialen und ethischen Konsequenzen seiner Arbeit Verantwortung zu tragen.

Damit die Wissenschaftler diese Verantwortung erkennen und wahrnehmen, bedarf es rechtlicher Regelungen und demokratischer Kontrollgremien. Notfalls muss der Verzicht auf unverantwortbare wissenschaftliche Vorhaben mit Rechtsmitteln erzwungen oder die praktische Anwendung bestimmter Forschungsergebnisse verboten werden. Das gilt beispielsweise für die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen, für Experimente am Menschen und seinem Erbgut und für Eingriffe in seine Persönlichkeitsrechte.

Jeder Forscher muss freien Zugang zu wissenschaftlichen Informationen haben und seine Erkenntnisse und Thesen ungehindert publizieren können. Der freie Wettbewerb von Ideen, Projekten, Richtungen und Schulen stimuliert die Forschung und bietet die beste Gewähr für die Nachprüfbarkeit, Objektivität und Fruchtbarkeit wissenschaftlicher Ergebnisse. Deshalb soll der Staat zum Nutzen der ganzen Gesellschaft die Autonomie seiner Wissenschaftseinrichtungen, insbesondere der Universitäten und Hochschulen sowie der Akademien, unangetastet lassen und ihre Arbeit finanziell absichern. Über die Höhe und die Verteilung seiner Ausgaben für Wissenschaft muss er vor der Öffentlichkeit Rechenschaft ablegen.

Die Universitäten und Hochschulen müssen wieder zu Stätten werden, an denen die Einheit von Lehre und Forschung verwirklicht wird. Die Freiheit der Wissenschaft verlangt, dass sich auch nichtstaatliche Forschungsinstitutionen bilden können, die von Wirtschaftsunternehmen oder von Verbänden, Kirchen, Stiftungen getragen werden oder sonst auf privatrechtlicher Grundlage existieren. Sie unterstehen der staatlichen Aufsicht und der Kontrolle durch die Öffentlichkeit. Sie können auch mit staatlichen Mitteln unterstützt werden.

Die Forschung unseres Landes soll alle Autarkiebestrebungen aufgeben und sich rückhaltlos in die internationale wissenschaftliche Arbeitsteilung eingliedern.

Für ein friedliches Zusammenleben in Deutschland, in Europa und in der ganzen Welt

Europa ist im Umbruch. In dieser Situation müssen die Völker unseres Kontinents eine politische, wirtschaftliche und soziale Ordnung aufbauen, die ihnen ein friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben, ja das Oberleben angesichts wachsender regionaler und globaler Umweltprobleme ermöglicht.

Die Deutschen haben, wie alle Völker, ein Recht auf Selbstbestimmung. Wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen wollen, dass Deutschland in friedlicher und freiheitlicher Form neu vereinigt wird. Im Zusammenwirken mit unseren Nachbarn und den Alliierten soll ein föderativer deutscher Staat entstehen, der demokratisch verfasst und den europäischen antifaschistischen Traditionen verpflichtet ist. Der deutsche Einigungsprozess soll in den Prozess der europäischen Integration eingeordnet sein und die Spaltung unseres Kontinents überwinden helfen.

Die für Deutschland als Ganzes und für Berlin bestehenden Vorbehaltsrechte der vier Mächte müssen abgelöst werden durch einen Friedensvertrag, der zugleich Baustein einer europäischen Friedensordnung ist. Ein in den gegenwärtigen Grenzen neuvereintes Deutschland, das die 1950 festgelegte Westgrenze Polens garantiert, soll in der europäischen Völkerfamilie Ausgleich und Verständigung fördern. Uns verbindet mit den Völkern Osteuropas eine gemeinsame historische Erfahrung. Deshalb treten wir dafür ein, dass die aus dem Demokratisierungsprozess erneuert hervorgegangenen osteuropäischen Staaten bei entsprechendem Wunsch baldmöglichst wie wir Mitglieder der Europäischen Gemeinschaften werden.

Mit der deutschen und der europäischen Einigung verbunden ist die Demilitarisierung und schließliche Auflösung der Blöcke. Durch radikale Abrüstung und militärische Umstrukturierung ist ein neues europäisches Sicherheitssystem zu schaffen, in dem die verbleibenden Streitkräfte nicht mehr angriffs-, sondern nur noch verteidigungsfähig sind. Die Prinzipien der Schlussakte von Helsinki, die KSZE und der Europa-Rat liefern die Grundlagen und den Rahmen für diesen Prozess. Wir erstreben eine gesamteuropäische Friedensordnung auf der Basis gemeinsamer Sicherheit, der Unverletzlichkeit der Grenzen und der Achtung der Integrität und Souveränität aller Staaten in Europa. Diese Ordnung kann nur gemeinsam, in partnerschaftlichem Bemühen errichtet werden. In ihr wird das deutsche Volk einen gleichberechtigten Platz haben. Ziel sozialdemokratischer Politik ist ein europäischer Staatenbund mit durchlässigen Grenzen, in dem Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit verwirklicht sind.

Das geeinte Europa und darin das neu vereinigte Deutschland sollen noch mehr als bisher daran arbeiten, dass die politische, wirtschaftliche und soziale Kluft zwischen den reichen Industrienationen und der Zwei-Drittel-Welt geschlossen wird. Im Interesse einer überlebensfähigen Weltzivilisation, also auch in ihrem eigenen Interesse, müssen sie auf eine gerechte Weltwirtschaftsordnung hinwirken, in der die Menschen und die Ressourcen des Südens nicht mehr vom Norden ausgebeutet werden und der Handelsaustausch auf der Ebene gleichberechtigter Beziehungen erfolgt.

Auf dem Weg zu dieser Ordnung wollen wir jetzt und künftig in Solidarität mit den entrechteten Völkern verbunden sein.


Richard Schröder schrieb am 24.08.2003 in der Zeitung "Der Tagesspiegel":

"Die 'Sozialdemokratische Partei in der DDR' (SDP) hat sich doch tatsächlich die Mühe gemacht, im Frühjahr 1990 ein eigenes Grundsatzprogramm zu formulieren, statt eines zu importieren."

Und:

"Der erste Satz lautet: 'Das Volk unseres Landes hat in einer friedlichen Revolution die Ketten des 'realen Sozialismus' zerbrochen.' Da hat es uns einige Bauchschmerzen bereitet, dass die West-SPD, die selbstverständlich unser Vorbild war, als politischen Zielbegriff den Ausdruck 'demokratischer Sozialismus' verwendete. Das konnte unser Losungswort nicht sein, denn wir hätten zu hören bekommen: Von Sozialismus haben wir genug. Außerdem hatte sich gerade die SED in 'Partei des demokratischen Sozialismus' umbenannt. Mit der PDS wollten wir auf keinen Fall verwechselt werden."

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