Keine Angst vor dem 2. Dezember
Stephan Hilsberg, Geschäftsführer der SPD in der DDR, schließt einen Wahltermin am 2. Dezember nicht grundsätzlich aus
taz: Wieder einmal hat sich die SPD von der CDU die Federführung aus der Hand nehmen lassen. Der CDU-Vorschlag: Länderwahlen am 23. September, dann Artikel 23 und gesamtdeutsche Wahlen am 2. bzw. 16. Dezember. Geht das mit der SPD?
Stephan Hilsberg: Nein, das geht auf keinen Fall. Wir kriegen die Länder auf keinen Fall bis zu diesem Zeitpunkt vernünftig hin. Da braucht man nur zurückrechnen. Wir brauchen mindestens sechs Wochen für den Wahlkampf, das heißt die Kandidaten müssen bis Anfang August bestimmt sein, die Volkskammer muss bis 1. Juli das Länderbildungsgesetz beraten. Dann müssten die Volksentscheide stattfinden über die Umstrukturierung der Kreise. Das braucht mit Sicherheit vier Wochen. Das wäre dann Ende Juli. Dann die zweite Lesung des Gesetzes, Anfang August hat die Volkskammer Sommerpause...
Lässt man mal die Terminprobleme außer Acht, wie will sich die SPD gegen den Fahrplan der CDU wehren?
Die Länderbildung am 23. Januar kann man verhindern, indem man den Artikel 23 zum gefragten Zeitpunkt ablehnt. Dafür wird es eine Mehrheit bei der SPD geben.
Auf dem Parteitag in Halle wäre Gelegenheit gewesen, einen eigenen Fahrplan vorzulegen. Stattdessen hat die Partei beschlossen, sich drei bis sechs Monate vor gesamtdeutschen Wahlen zu vereinigen. Beim Wahltermin 2. Dezember wurde das schon mitbedacht.
Das würde ich nicht als Signal für eine schnelle deutsche Einigung werten. Wir sehen nur, dass es wichtig ist, dass die Partei rasch zusammenwächst. Kanzler Kohl hat den Termin 2. Dezember offenbar gewählt, weil er sich davon gute Wahlergebnisse verspricht. Die SPD ist eine Partei, die auch für die Leute einstehen muss, die von der deutschen Einheit nicht nur den goldenen Westen abbekommen werden. Und dafür haben wir Konzepte vorgelegt. Deshalb haben wir auch, obwohl wir den Termin nicht befürworten, keine Angst vor dem 2. Dezember.
Die SPD lehnt den Fahrplan der CDU ab, wann wollen Sie den Artikel 23 übernehmen?
Auf einen Termin würde ich mich da nicht festlegen. So rechtzeitig natürlich, dass dann entsprechend gesamtdeutsche Wahlen stattfinden können. Voraussetzung ist, dass die Länder vernünftig gebildet sind, dass genügend Geld für die sozialen Belange da ist, dass die Frage von Grund und Boden geklärt ist usw. Hier besteht konkreter Handlungsbedarf. Ich habe das Gefühl, dass Kohl von diesem Problem ablenken will.
Länderwahlen am 23. September hält die SPD also für ausgeschlossen?
Ja, da würden wir in der Volkskammer unsere Zustimmung verweigern.
Könnten Sie sich eine Situation in der DDR vorstellen, die schnelle gesamtdeutsche Wahlen nötig machen könnte?
Wenn es zu großen Schwierigkeiten kommt, die neu sind für dieses Volk, kann ich mir eine Situation vorstellen, in der noch einmal emotional entschieden wird, was bei sachlicher Betrachtung anders bewertet werden würde.
Interview: Brigitte Fehrle
aus: TAZ Nr. 3131 vom 14.06.1990
[Nach einem Volkskammerbeschluss vom 23.08.1990, erfolgte am 03.10.1990 der Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 23 des Grundgesetzes.]