"Auch Bärte lassen sich aufbauen!"
Interview mit dem stellvertretenden Bezirksvorsitzenden der Ostberliner SPD, Thomas Krüger / Warum eine grüne Partei in der DDR keine Chance hat und die DDR-Sozialdemokraten eigene Politstars brauchen / "Wir sind das seriösere Angebot"
Thomas Krüger ist Gründungsmitglied der Sozialdemokraten in der DDR. Am vergangenen Wochenende wurde der gelernte Theologe zum stellvertretenden Bezirksvorsitzenden der Ostberliner SPD gewählt. Mit dem Bart- und Hoffnungsträger sprach Claus Christian Malzahn.
taz: Herr Krüger, beim Neujahrsempfang der sozialdemokratischen Abgeordnetenhausfraktion sollen Sie zu Momper [damals Regierender Bürgermeister Berlins] gesagt haben: "Walter, jetzt musst du einen ausgeben." Dann hat er gesagt: "Erst muss dein Bart ab, Thomas." Noch ist Ihr Bart dran. Bleibt er dran?
Thomas Krüger: In jedem Fall.
Keine Kosmetik?
Es wird sicher bei etlichen Leuten Kosmetik geben. Bei mir halte ich das nicht für notwendig. Außerdem lassen sich auch Bärte aufbauen.
Die Wahlen, die in den nächsten vier Monaten in der DDR anstehen, werden nicht nur Ihre Republik verändern, sondern auch Rückwirkung auf das Stimmverhalten der BRD-Bürger haben. Von daher kann es den westlichen Parteifürsten nicht egal sein, wer jetzt im Osten was wird bei den Parteien. Fühlen Sie sich überrollt, bevormundet oder gegängelt?
Die Gefahr ist, dass wir die eigenständigen Positionen, mit denen wir angetreten sind und die wir auch jetzt noch haben, verlieren. Ich denke aber, dass ein Zusammenwachsen der beiden deutschen sozialdemokratischen Parteien im Rahmen der Sozialistischen Internationale denkbar ist.
Neueste Meinungsumfragen geben der SPD in der DDR 54 Prozent. Wie viel Prozent verdanken Sie davon der Popularität von Willy Brandt, Walter Momper und Johannes Rau, und wie viel Punkte buchen Sie auf ihr eigenes Konto?
Das ist ein generelles Problem: Die DDR-Bevölkerung kennt die Demokratie nur aus dem Fernsehen. Nun tritt sie aus dem Fernsehen in die Wohnzimmer und auf die Straßen. Demokratische Politik funktioniert im Moment über Aneignungsprozesse. Da kommen natürlich solche Figuren wie Willy Brandt am besten an, weil sie für die Menschen in der DDR spürbare Verbesserungen erreicht haben. Das Fallen der Mauer hat den Blick auf Willy Brandt unmittelbar freigegeben. Wir haben der Popularität der westdeutschen Sozialdemokratie natürlich viel zu verdanken. Das ist aber eine generelle Geschichte: Die Politik, die heute denkbar ist in Europa, die ist sozialdemokratisch. Es gibt eine Mehrheit in der Bevölkerung für die sozialdemokratischen Grundwerte. Die Kritik an der Sozialdemokratie, die auch in Ordnung geht und vor allem von alternativen Gruppen kommt, weist darauf hin, dass sozialdemokratische Demokratiemodelle Bürgerinitiativen einbauen müssen und Platz geben müssen.
Damit hatte die bundesrepublikanische SPD vor zehn Jahren erhebliche Probleme; deswegen sind unter anderem die Grünen entstanden. Glauben Sie, dass dieser Fehler wiederholt wird in der DDR?
Wir haben das Problem nicht, weil die Leute, die in den achtziger Jahren in der DDR mit den Ideen der Friedensbewegung und der Grünen gewachsen sind, nun die Programme der SPD mitschreiben und die Politik mitgestalten. Ich will nicht sagen, dass man da aus Fehlern gelernt hat; diese Dinge sind einfach reingewachsen. An der Stelle gibt es keinen Lernbedarf. Die meisten Parteien haben die ökologische Problematik mit eingebaut in ihre Programme, deswegen werden es die DDR-Grünen auf absehbare Zeit schwer haben.
Wünscht sich die Basis der DDR-SPD eigentlich ähnliche Politstars wie Brandt und Momper?
Das Grundproblem der politischen Landschaft ist die "Führerlosigkeit". "Führer" ist natürlich ein belegtes Wort, besser ist, wenn man den englischen Begriff "Leader" benutzt. Diejenigen, die bisher auf den Plan getreten sind, erfüllen das nicht.
Also wünschen Sie sich einen kleinen Oskar? [Lafontaine]
Was heisst wünschen. Ich möchte, dass der aus unseren Reihen kommt. Und solange der nicht aus unseren Reihen kommt, wird man halt Fernsehen gucken und die Leute einladen.
Was halten Sie vom sozialdemokratischen Personentransfer á la Rudi Arndt?
Das finde ich unproblematisch. Der Wechsel des Wohnsitzes von West nach Ost und umgekehrt wird bald zum Alltagsproblem werden. Das ist ein Vorgriff von zwei Monaten.
Halten Sie einen sozialdemokratischen Stimmenanteil von vierundfünfzig Prozent denn für realistisch?
Das schwankt unwahrscheinlich, hängt von den tagespolitischen Ereignissen und den jeweiligen Fernsehsendungen ab. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass wir stärkste Partei werden können. Unser Wahlergebnis wird unter anderem auch davon abhängen, wann die West-CDU die Schlammschlacht gegen uns eröffnet.
Woraus besteht denn der Schlamm?
Der besteht darin, uns permanent mit der PDS gleichzusetzen. Das Argument besteht darin, zu behaupten, die Zwangsvereinigung sei eigentlich keine gewesen. Damit will man uns bloßstellen. Das wird übrigens sowohl von der CDU als auch von der PDS gemacht. Ich glaube aber nicht, dass das verfängt. Wir können die Leute vorzeigen, die im Knast gesessen haben und die gelitten haben. Die CDU versucht die juristische und politische Seite der Zwangsvereinigung miteinander zu vermischen.
Wenn Sie demnächst in Marzahn oder Hohenschönhausen auf die Straße gehen, um Wahlkampf zu machen: Können Sie da noch mit dem Begriff des "Demokratischen Sozialismus" hantieren?
Nein, das werden wir nicht tun. Bei der PDS ist das als Gesellschaftsmodell gedacht, bei der SPD als Wertvorstellung. Und wenn wir den Sozialismus als Wert im Kopf haben, dann werden wir Inhalte benennen. Mit dem Sozialismus als Wert an sich kann hier keiner mehr was anfangen, mit Inhalten schon.
Ich glaube, dass die Sozialdemokraten zur Zeit das attraktivere, seriösere Angebot an die Wähler sind. Ob das immer so bleiben wird, steht auf einem anderen Blatt. Die meisten Menschen in der DDR sind nämlich eher konservativ.
Befürchten Sie nicht, dass sie dann nur die Trümmer wegräumen und damit den Weg freimachen für die konservativen Parteien?
Das ist möglicherweise so. Aber politische Verantwortung heisst auch, sich einer solchen Aufgabe zu stellen.
Wenn die SPD am 6. Mai [1990, Kommunalwahl] die Mehrheit im Magistrat gewinnt: Wie lange steht dann die Mauer noch?
Das wird bald nur noch ein stadtökologisches Problem sein. Begrünt man den Streifen, benutzt man die Teile der Mauer als Schalldämpfer für eine Stadtautobahn...
...die Position der Sozialdemokraten aus West- und Ost-Berlin war bisher, das alte Stadtbild Berlins wiederherzustellen. Dann muss die Mauer doch weg. Oder gibt's schon wieder neue Überlegungen?
Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, das sollte man jetzt noch nicht festlegen.
Einen guten Vorschlag finde ich beispielsweise den von Sabine Leger, die im DDR-Vorstand der SPD ist. Die hat gesagt, dass man einen Landschaftsarchitekturwettbewerb ausschreiben sollte zu einem möglichen Grünstreifen neben der Mauer. Also den Todesstreifen zum Lebensstreifen zu machen. Da gibt's verschiedenste Ideen. An einzelnen Stellen gibt's natürlich Stadtbildprobleme. Zum Beispiel am U-Bahnhof Schlesisches Tor. Die U-Bahn endete früher an der Warschauer Straße. Das sieht ja gespenstisch aus heute. Wie abgeschnitten. So was sollte man wieder verkoppeln, da wo es zusammengehört.
Gerade dort werden Ihnen viele Kreuzberger sagen: "Das haben wir so gemocht, dass die Welt am Schlesischen Tor zu Ende ist."
Hmm. Die Hauptstädter werden aber sagen: Wir wollen da durchfahren. Dann bauen die das eben bis zum Schlesischen Tor ran. Dann müssten sich die Kreuzberger mit denen vom Friedrichshain einigen. Und es würde schwierig für die Kreuzberger werden, wenn sie sich den Zorn der Friedrichshainer zuzögen: Das sind nämlich alles Arbeiter.
aus: taz-Berlin Nr. 3029 vom 09.02.1990