Nach 43 Jahren wieder eine sozialdemokratische Partei
Im Gespräch mit Dr. Frank Heltzig, 1. Sprecher des Vorstandes des Stadtverbandes Dresden der SDP
Am Freitag Abend vergangener Woche informierte die Sozialdemokratische Partei in der DDR - SDP im vollbesetzten Festsaal des Dresdner Kulturpalastes interessierten über das gegenwärtig noch diskutierte Programm der Partei. "SZ" sprach aus diesem Anlass mit Dr. Frank Heltzig.
"SZ": Nach 43 Jahren entsteht auf dem Gebiet der DDR wieder eine sozialdemokratische Partei. Welchen Traditionen fühlt sie sich verpflichtet?
Dr. Heltzig: Die Vereinigung von KPD und SPD geschah - ohne jetzt polemisieren zu wollen - unserer Auffassung nach auf ausländischen Druck hin. Und dann wunde in der SED das sozialdemokratische Element zurückgedrängt, personell wie inhaltlich. Ihren Höhepunkt fand die Entwicklung als Erich Honecker sagte, die SED sei die Partei der Kommunisten. Damit hatte die SED Führung - vielleicht ungewollt - selbst die gesellschaftlichen Bedingungen für eine sozialdemokratische Partei geschaffen. Eine solche Partei steht allerdings vor der Schwierigkeit fehlender Kontinuität. Sie ist nicht gegeben in der Programmatik und nicht den Personen. Es gab auch einen Bruch, da sich andere sozialdemokratische Parteien inzwischen von Arbeiter- zu Volksparteien entwickelt haben. Deshalb findet sich wörtlich in unserem Statut, dass die SDP den Traditionen des demokratischen Sozialismus der europäischen Sozialisten nahe steht. Auf alle Fälle geht die Partei auf Bebel zurück. Und zu fühlt sich dem europäischen Friedenswerk verbunden, zum Beispiel von Willy Brandt und Herbert Wehner. In jedem Falle versteht sich die SDP als eine ausgesprochene DDR Partei.
"SZ": Die SDP diskutiert zur Zeit ihr Statut. Eine Hauptaussage ist die angestrebte "ökologisch orientierte Marktwirtschaft". Was kann man darunter verstehen?
Dr. Heltzig: Man muss einen Staat, wenn er sozialistisch sein will, daran messen, was er für die Bürger tut. Er kann aber nur soviel tun, wie durch die Volkswirtschaft erarbeitet wurde. Du heisst, wir brauchen eine gut laufende, konkurrenzfähige Industrie, die uns die Mittel für eine sozialistische Politik zur Verfügung stellt. Im Moment leistet sie das nicht. Wir arbeiten noch immer, um es überspitzt zu formulieren, nach den Prinzipien des Kriegskommunismus: die letzte Schraube wird verplant. Wir meinen - und dies ist jedem Techniker klar -, dass man nach dem Prinzip arbeiten muss: Gesteuert wird oben aber geregelt wird unten. Erst dann wird es effektiv. Insofern glaube ich, da renne ich wahrscheinlich schon offene Türen ein, dass wir weg müssen von der starren Planwirtschaft, hin zu einer Marktwirtschaft. Allerdings nicht zu einer freien, denn das ist eine ganz schlimme Sache. Sozial Schwache, die Randgruppen, können da nicht mithalten. Also müssen der Marktwirtschaft Zügel angelegt werden. Darin zeigt sich dann sozialistisches Verhalten.
"SZ": Für welche Eigentumsformen tritt die Partei ein?
Dr. Heltzig: Dass es Staatsbetriebe geben muss ist klar - Post, Eisenbahn und andere mehr. Mit Genossenschaften haben wir gute Erfahrungen gemacht. Und Privatbetriebe sollten wir zulassen bis zu einer optimalen Größe. Vernünftig ist eine gemischte Wirtschaftsform.
"SZ": Und die Großbetriebe?
Dr. Heltzig: Da muss man die Frage nach der Effektivität stellen. Zum Beispiel sollte man Robotron oder Zeiss Jena untersuchen, ob sie effektiv sind. Warum soll es nicht auch staatliche Betriebe geben, wenn nie gut laufen? Wir gehen jetzt nicht ran und sagen, alles muss wieder zurück in Privathand.
"SZ": SDP-Gründungsmitglied Böhme sprach sich kürzlich in einem DLF-Interview für eine große Koalition zur Lösung der Wirtschaftsprobleme in der DDR aus. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Regierungserklärung Hans Modrows?
Dr. Heltzig: Die wirtschaftliche Situation der DDR im ziemlich verfahren. In dieser Richtung ordne ich auch die Vorschläge für einen Runden Tisch ein. Es müssen jetzt in einer großen Kraftanstrengung alle Kräfte des Landes vereinigt werden. Ganz pragmatisch. Es bringt nichts, wenn jetzt ein Parteiengezänk einsetzt und die Wirtschaft auf der Strecke bleibt. Ich halte deshalb die Regierung Modrow für das Beste, was zu machen war. Ob dies nun nur eine Übergangsregierung ist oder nicht, scheint mir da nicht erheblich. Ansonsten trete ich nicht für große Koalitionen ein, weil jedes Land eine Regierung und Regierung und eine Opposition - im Sinne von Gütekontrolleuren - braucht.
"SZ": Die SDP hat am Aufnahm in die Sozialistische internationale gebeten. Wann rechnen Sie damit?
Dr. Heltzig: Wir haben bereits einen Beobachterstatus. Die Vollmitgliedschaft wird erst zur nächsten Vollversammlung 1992 möglich werden.
"SZ": Welche Verbindungen haben Sie zur SPD?
Dr. Heltzig: Noch einmal: Wir verstehen uns als Partei der DDR die hier Politik macht. Wir verstehen uns nicht als Ableger der SPD. In diesem Sinne ist die schwedische sozialdemokratische Partei unsere Schwesterpartei und die SPD unsere deutsche. Kontakte werden entstehen, vor allen zur SPD Hamburg.
"SZ": Alle sieben Dresdner SDP-Vorstandsmitglieder sind Vertreter der Intelligenz. Ist das Programm?
Dr. Heltzig: Zur Zeit tendiert die Mitgliedschaft tatsächlich zu sehr gut ausgebildeten Leuten. Wobei die Arbeiter sehr in der Minderheit sind. Dass nun ein solcher Vorstand herausgekommen ist, liegt aber auch an der demokratischen Wahl. Niemand wusste vorher, wie sie ausgeht.
"SZ": Wie stellt Ihre Partei zur Existenz zweier deutscher Staaten?
Dr. Heltzig: Wir sind Realisten. Wir gehen vom Resultat des zweiten Weltkrieges aus, den Deutschland schuldhaft verursacht hat. Zweistaatlichkeit ist also Ausgangspunkt aller Überlegungen. Dass wir zwischen beiden Staaten besondere Beziehungen haben aufgrund unserer Geschichte, Kultur, Sprache, familiärer Bindungen, ist klar. Es ist aber auch klar, dass man nicht die DDR oder die BRD aus den militärischen Blöcken herauslösen kann, ohne das Gleichgewicht zu stören. Löst man beide heraus, gibt es sicher viele, viele Fragen mit den Nachbarn zu klären. Für Europa wäre es sicher ein Segen, wenn in Mitteleuropa eine große neutraler Zone entstehen könnte. Aber ich sehe dafür im Moment wenig Chancen. Eine Lösung sehe ich ausschließlich in einer gesamteuropäischen Friedensordnung. Notwendig sind jetzt besonders gute, vielleicht sogar kameradschaftliche Beziehungen zwischen beiden Staaten, die gleichartige Beziehungen in Europa befördern. Und noch eins: Ein Deutschland in den Grenzen von 1937 ist für uns kein Thema. Da distanzieren wir uns ganz scharf von den, ich nenne sie mal so, revanchistischen Kräften.
(Mit Dr. Heltzig sprach Olaf Kittel)
aus: Sächsischer Zeitung, Nr. 281, 29.11.1989, 44. Jahrgang, Organ der Bezirksleitung Dresden der SED, Herausgeber: Bezirksleitung Dresden der SED