Sozialdemokratische Partei in der DDR

Nachdem Martin Gutzeit und Markus Meckel im Januar 1989 zur Überzeugung kamen eine Sozialdemokratische Partei in der DDR sei sinnvoll, wurde dieser Plan im Februar beim Treffen von "Frieden konkret" vorgestellt. Was allgemeine Ablehnung hervorrief. Laut Markus Meckel kam der Vorschlag zur Parteigründung von Martin Gutzeit. Bis August 1989 blieben beide mit ihrem Vorhaben alleine. Danach waren sie zu viert. Zwölft bereiteten dann die Gründung vor.

Bereits im Frühjahr 1988 wurde von Gutzeit und Meckel die "Bürgerbeteiligung, Verein zur Förderung der Mitarbeit am gesellschaftlichen und politischen Leben in der DDR" ins Leben gerufen. Am 4. Februar 1989 entschieden Martin Gutzeit und Markus Meckel eine sozialdemokratische Partei in der DDR zu gründen.

In den Monaten Februar bis April 1989 wurde ein Gründungsaufruf für eine Initiative zur Gründung einer Sozialdemokratischen Partei von Martin Gutzeit verfasst. Seinen Ursprung hat die SDP in einem Theologentreff, auch "Sofarunde" genannt.

Theologen spielten eine dominierende Rolle bei der Gründung der SDP.

Auf einem Menschenrechtsseminar, "Menschenwürde, Menschenrechte, Menschenpflichten", in der Golgathakirchengemeinde in Berlin trat Markus Meckel am 26. August 1989 mit einer Initiative zur Schaffung einer sozialdemokratischen Partei in der DDR, an die oppositionelle Öffentlichkeit. Nach Angaben von Markus Meckel drängte Arndt Noack ihn und Martin Gutzeit mit dem Aufruf an die Öffentlichkeit zu gehen.

Die Anwesenden waren von Meckels Ausführungen völlig überrascht.

Es war vorgesehen, eine Initiativgruppe zur Gründung einer Sozialdemokratischen Partei zu bilden, die die Gründung in der gesamten Republik vorbereiten sollte und aus der nach mehreren Monaten auf einem illegalen Parteitag die Sozialdemokratische Partei hervorgehen sollte. Durch die Ereignisse im Herbst 1989, u. a. die Gründung mehrerer Organisationen, wurde gleich zur Parteigründung übergegangen.

Im August 1989 nahmen Einwohner aus Wismar Kontakt zur SPD in der Partnerstadt Lübeck auf. Aus Schutzgründen wurde auch eine Verbindung zu Börjn Engholm, Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, hergestellt.

Ein Aufruf der Initiativgruppe "Sozialdemokratische Partei in der DDR" wurde am 12. September verbreitet. Unterschrieben haben diesen Aufruf Helmut Becker, Ibrahim Böhme, Konrad Elmer, Martin Gutzeit, Markus Meckel, Hans-Jürgen Misselwitz und Arndt Noack. Bei einem Treffen am 18. September wird der 7. Oktober als Tag der Parteigründung festgelegt. Bereits Ende August war der Termin angedacht worden. Durch die sich veränderten Bedingungen lastete auch auf dem Gründungskreis der Zeitdruck.

Da die mögliche Verhinderung der Gründung durch die staatlichen Organe wie ein Damoklesschwert über der bevorstehen Gründung schwebte, wurden Gegenmaßnahmen getroffen. Die Befürchtungen wurden durch die Verhinderung der Gründung des Demokratischen Aufbruch, durch die staatlichen Organe am 01.10.1989, noch befeuert.

Auf der letzten Sitzung der Initiativgruppe der SDP am 02.10.1989 wurde sicherheitshalber eine Gründungsurkunde von den elf anwesenden Mitgliedern unterschrieben. Sollte die Gründung am 07.10.1989 verhindert werden, sollte die Gründung über die westlichen Medien bekanntgegeben werden. Außerdem sollte in der oppositionellen Öffentlichkeit verbreitet werden, die Gründung der SDP sei für den 15.10.1989 geplant.

Die SDP wurde dann am 07. Oktober 1989 - dem vierzigsten Jahrestag der DDR Gründung - im Pfarrhaus von Pastor Joachim Köhler in Schwante, Kreis Oranienburg (bei Berlin) offiziell gegründet.

Martin Gutzeit begründete die SDP-Gründung außerhalb Berlins damit, dass die SPD in Ost-Berlin nicht verboten ist. "Wenn wir was für die DDR machen wollten, dann mussten wir diese Sache außerhalb von Berlin durchziehen", sagte er im November 2008. (1)

Gründungsmitglieder waren u.a. von Angelika Barbe, Ibrahim Böhme, Konrad Elmer, Martin Gutzeit, Stephan Hilsberg, Torsten Hilse, Thomas Krüger, Sabine Leger, Markus Meckel, Annemarie und Matthias Müller, Arndt Noack, Steffen Reiche und Reiner Rühle gegründet. Von den rund 50 Anwesenden unterzeichneten 43 die Gründungsurkunde. Auf der Gründungsversammlung begründete Markus Meckel die Notwendigkeit der Parteigründung mit:

"Eine organisierte und scheinbar anonyme Verantwortungslosigkeit prägt das System. Ein 40jähriger absoluter Wahrheits- und Machtanspruch der SED hat die Menschen ihrer Zuständigkeit für die eigene Wirklichkeit beraubt."
(...)

"Normale soziale Rechte wie z. B. eine angemessene Berufsausbildung und das Erhalten einer Wohnung oder die den Fähigkeiten angemessene Stellung und Verantwortung in Beruf und Gesellschaft - all das wurde unter der Hand zu einem Privileg, das zu verlieren man Angst hatte.

Dieses System der Angst war ein Wesensmerkmal unserer Gesellschaft.

Und wirklich vorbei ist es noch nicht."
(...)

"Wir treten ein für eine völlige Neuorientierung und Umstrukturierung von Staat und Gesellschaft in der DDR.

Auch wir wollen einen Staat in antifaschistischer Tradition, wie er vor 40 Jahren proklamiert wurde. Doch wollen wir es grundsätzlicher. Wir sind Gegner jedes Totalitarismus - also auch des Stalinismus.

So ist gerade im Anknüpfen an die antifaschistische Tradition eine radikale Veränderung nicht nur gegenwärtiger Politik notwendig, sondern des Systems als Ganzes."
(...)

"Diese Menschenrechte sollen Leitlinien und Grundlagen unserer Politik sein und müssen gegen jede staatliche und wirtschaftliche Macht geschützt und durchgesetzt werden. Oft wird für diese Zielrichtung dann auch der Begriff des demokratischen Sozialismus gebraucht.

Zu unserer Zielbestimmung gehört als drittes Kriterium noch die ökologische Orientierung."
(...)

"Wir haben die Hoffnung, dass die SDP in der DDR zu einer Volkspartei wird. Sie soll Bürgerinnen und Bürger aller sozialen Schichten ungeachtet ihrer Weltanschauung und ihres Glaubens vereinigen mit dem Ziel einer ökologisch orientierten sozialen und demokratischen Entwicklung der DDR.

Wir laden alle SED Mitglieder ein zu prüfen, ob diese Partei für sie zu einem Ort demokratischer Mitarbeit für dieses Ziel werden kann."
(...)

"Wir setzen uns ein für eine soziale Marktwirtschaft mit vielfältiger gemischter Wirtschaftsstruktur und unterschiedlichen Eigentumsformen (z. B.: Genossenschaften, Arbeiterselbstverwaltung, Eigentum oder Beteiligung des Gesamtstaates, der Städte und Gemeinden, private Eigentumsformen).

Wichtig ist nicht in erster Linie, wer und wo der Eigentümer, d. h. der Entscheidungsträger ist, sondern dass effektiv gewirtschaftet wird und der erwirtschaftete Reichtum allen zugutekommt durch entsprechende Umverteilung und Investitionen. Wir treten ein für Mitbestimmung, Kapitalbeteiligung und Selbstverwaltung als Wege zur Demokratisierung der Wirtschaft.

Eine Unternehmensvielfalt wirkt der Machtkonzentration entgegen. Neue Unternehmensformen, die die Demokratisierung der Wirtschaft fördern, müssen ausprobiert und gefördert werden.

Eine breite Beteiligung aller, die die Werte im Produktionsprozess erarbeiten, und der Gewerkschaften ist bei den Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des Wirtschaftslebens notwendig.

Dafür ist ein kluges Mitbestimmungsrecht erforderlich."

Die Anwesenden der Gründungsversammlung wählen einen Parteivorstand, zum Geschäftsführer der SDP Ibrahim Böhme und zum 1. Sprecher Stephan Hilsberg. Angelika Barbe und Markus Meckel werden 2. Sprecher. Zum Schatzmeister wird Gerd Döhling gewählt.

Aus Sicherheitsgründen wird die Gründungsurkunde der SDP bereits auf einem Treffen am 01.10. unterschrieben. Um so eine eventuelle Verhinderung der Gründungsversammlung durch die Stasi zu unterlaufen.

Der Mitbegründer der SDP Steffen Reiche schreibt 2010, seit der versuchten Gründung des Demokratischen Aufbruch (DA) eine Woche zuvor, wussten wir die Gefahr einer Verhaftung sei nicht so groß wie lange befürchtet. Denn dort war niemand inhaftiert worden. "Wir hatten lange gespürt, dass die DDR nicht mehr in der Lage war, ihre bisherige Linie mit der gewohnten Strenge durchzusetzen." Eine kurzfristige Inhaftierung würde der Gründung der SDP eine öffentliche Wirkung geben, wie sie über Westmedien nicht herstellbar war. (2)

Von der Rechtsstelle des MfS werden die SDP-Schriften als staatsfeindliche Hetze eingestuft.

Die SDP ist die erste Organisation im Herbst 1989 in der DDR, die sich bewusst als Partei gründet. Durch die Gründung einer sozialdemokratischen Partei solle der Sozialistischen Einheitspartei die sozialdemokratische Hand aus ihrem Parteiemblem entzogen werden und die SED so delegitimiert werden. Die SDP wollte keine Zulassung. Wer wäre legitimiert, sie uns zu geben, fragte Markus Meckel zwei Monate später. Wir haben nur gesagt: Wir sind da, wir arbeiten. Und wir haben die Grundsätze des Statuts im Innenministerium abgegeben. Der Sprecherrat der SDP in Dessau beantragt aber am 09.11.1989 beim Magistrat der Stadt die Zulassung als Partei.

Wird auf der SDP-Gründungsversammlung SED-Mitglieder zum Übertritt und Mitarbeit aufgerufen, machte sich in Teilen der SDP die Angst breit, von ihnen unterwandert zu werden.

Das Gründungsmitglied Steffen Reiche nutzt einen Verwandtschaftsbesuch im Westen kurz nach der SDP-Gründung dazu Kontakte hauptsächlich zur SPD zu knüpfen. Manfred Rexin vom RIAS empfahl ihm mit Tilman Fichter zu reden. Er gelangt dann über Hans-Jochen Vogel bis zum SPD Vorstand und Präsidium. Von dort wird Unterstützung signalisiert.

Am 14.10. werden in einem Flugblatt die Lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger zur Mitarbeit in der SDP aufgerufen. Alle, die sich mit ihren politischen Zielen bei der SDP wiederfinden, sollen sich angesprochen fühlen. Einen Ausschluss, z. B. von ehemaligen SED-Mitglieder gibt es dort nicht.

Die SDP nennt sich bewusst nicht SPD. Sie will sich inhaltlich und organisatorisch als eigenständig profilieren. Es wird die Aufnahme in die Sozialistische Internationale (SI) beantragt.

Der Vorsitzende der SI, Willy Brandt, sagt am 17.10.1989 bei einem Gespräch mit Michail Gorbatschow, in der DDR habe sich eine Vereinigung von Sozialdemokraten gegründet. Sie seien keine Partei. An ihn sei ein Schreiben als Vorsitzender der Sozialistischen Internationale gerichtet worden. Er sei nun in einer schwierigen Lage. Die Vereinigung könne nicht in die Internationale aufgenommen werden, er aber könne das Schreiben auch nicht einfach ignorieren. Er habe sich entschlossen sie an seinen schwedischen Freund zu verweisen. (3)

Auf der Tagung der SI im Hotel Interkontinental in Genf am 23./24.11.1989 wird die SDP in die SI aufgenommen. Markus Meckel sagt in seiner Rede auf dem SPD-Bundesparteitag am 18.01.1990 in Berlin, sie hätten auch die SPD vor der Gründung der SDP nicht gefragt. Wir sind eine selbständig denkende und handelnde Partei.

In einem Interview in der taz vom 02.11.1989 sagt Ibrahim Böhme u. a. "Dennoch muss gesagt werden, dass wir zum Beispiel vielen Positionen der Grünen näher stehen als etwa denen der Sozialdemokratie der 70er Jahre."

Arndt Noack nannte im Oktober 1989 das Godesberger Programm der SPD nicht akzeptabel.

Der Antrag zur Aufnahme in die Sozialistische Internationale sollte auch die Eigenständigkeit der SDP unterstreichen. Die SDP sollte eine gleichberechtigte Partei neben den anderen sozialdemokratischen Parteien sein.

Organisatorisch sieht das SDP-Statut eine Begrenzung der Amtsdauer sowie eine Trennung von Amt und Mandat vor. U. a. gibt es nach dem Statut wohnsitzorientierte Basisgruppen mit etwa 15 Mitgliedern.

"Die SDP tritt für die Zweistaatlichkeit Deutschlands ein und ist der Meinung, dass in der gegenwärtigen Situation das Thema Wiedervereinigung völlig unaktuell ist", wurde im November 1989 erklärt.

Am 10.11. kommt es am Abend im Berliner Christlichen Hospiz zu eine Treffen mit Hans-Jochen Vogel und Willy Brandt.

Ibrahim Böhme meinte dort "... sehe die Möglichkeit auch eine Gefahr, dass wir ein Machtvakuum erzeugen könnten ..." (...) Keine der jetzt oppositionellen Kräfte und auch nicht alle zusammen haben die Sach- und Fachkompetenz, eine Übergangsphase zu durchstehen."

Ibrahim Böhme bittet während der Diskussion die SPD-Genossen, die SDP nicht zu favorisieren, sondern als Bestandteil einer breiten aufbrechenden Bewegung zu sehen. Er bittet die SPD "Demokratie Jetzt" und das "Neue Forum" ans Herz legen zu dürfen wie die SDP. (4)

Ohne auf Widerspruch zu stoßen.

Von Hans-Jochen Vogel kommt der Vorschlag für weitere Treffen.

Willy Brandt stellt die Frage, ob von der SDP eine mögliche Spaltung der SED einkalkuliert wir. In Ungarn habe sich aus der bisherigen Staatspartei eine Sozialistische Partei abgespalten und um Aufnahme in die Sozialistische Internationale ersucht. (5)

Norbert Gansel von der SPD schreibt über die Reaktionen der SPD auf die Gründung der SDP:

"Uneinig war zunächst auch die Reaktion der westdeutschen Sozialdemokraten auf den Gründungakt in Schwante. Zugespitzt formuliert: Das Maß der Uneinigkeit stieg mit der Position in der Parteihierarchie, und sie reicht von offener Ablehnung bis zu verhaltener Euphorie." (6)

Fremdelte die SPD der BRD gegenüber der SDP zunächst, bezeichnet die SPD Anfang Dezember 1989 die SDP als ihren Partner in der DDR. Damals traten bereits SDP-Ortsverbände der West-SPD bei, z. B. Eisenach. In Westberlin errichte die SPD ein Verbindungsbüro zur SDP ein. Am 30.11.1989 kommt es zu einem Treffen zwischen der SDP mit der SPD, um das beiderseitige Verhältnis zu klären. Zuvor gibt es am 11.11.1989 ein Treffen von Ibrahim Böhme, Martin Gutzeit und Steffen Reiche (SDP) mit Willy Brandt und Hans-Jochen Vogel (SPD) in Berlin. Unterstützung wird Ende November auch von der Sozialistischen Internationale in Genf zugesagt.

Unterstützung von der SPD erhält die SDP zunächst vor allem von Einzelpersonen und von Ortsvereinen. Anknüpfungspunkte sind Partnerstädte wie zwischen Saarbrücken und Cottbus. Unterstützung aus Ludwigshafen erhält die SDP in Dessau. Allerdings landete die erste Spende von dem Berliner Senator Ehrhart Körting von 10 000 DM beim Neuen Forum. Die Unterstützung sieht aus heutiger Sicht, wo es unter Milliarden bald nicht mehr geht, bescheiden aus. So erhält die SDP Mitte Januar 1990 acht Pkw der Marke Wartburg. Zuvor waren von der Friedrich-Ebert-Stiftung Anfang Januar 20 Fotokopierer eingetroffen. Zwar eröffnete Martin Gutzeit für die SDP am 21.11.1989 bei einer Westberliner Bank ein Konto, direkten Geldflüssen gegenüber gab es aber auf beiden Seiten Vorbehalte. Was sich mit dem aufkommenden Wahlkampf ändert.

Von Willy Brandt wird der Gedanke geäußert, die Suspendierung der SPD-Mitgliedschaft nach dem Mauerbau 1961 seiner Mitglieder in Ostberlin aufzuheben. Wozu es aber nicht kommt. Eine der ersten SPD-Genossen, die zu den SDP-Genossen fahren sind Norbert Gansel, Ehrhart Körting, Petra Merkel und Niko Sander. Nach einer Aussage von Jürgen Fuchs wurde er von einigen in der SPD-Parteispitze gefragt, wie er zur SDP stehe, worauf er dazu rät, schnell einen guten Kontakt herzustellen. (7) Einen Kontaktausschuss beider Parteien wird am 13.12., während des Besuchs einer SPD-Vorstandsabordnung in Berlin, vereinbart.

Der Geschäftsführende Ausschuss der SDP spricht sich am 08.11.1989 für einen Wahltermin im Frühjahr 1990 aus. Der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel hielt am 28.11. vor dem Deutschen Bundestag noch vor Bundeskanzler Kohl eine Rede. Diese beinhaltete eine mögliche Konföderation beider deutscher Staaten. Danach stellte der damalige Bundeskanzler Kohl seinen 10-Punkte-Plan vor. Ingrid Matthäus-Maier, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, konterte am 19.01.1990 mit ihren sieben Thesen zur Währungsunion. Karl Schiller, ehemaliger Berliner Wirtschaftssenator und Bundeswirtschaftsminister, verfasst ein Papier "Wirtschaftsgemeinschaft DDR - BRD" vom 13.01. Anfang Dezember 1989 hat Willy Brandt einen "Deutschen Bund" vorgeschlagen.

Die SPD hatte Sorge, die Meinungsführerschaft an die CDU zu verlieren und drängt die SDP dazu sich stärker als eigenständige Kraft zu profilieren und in SPD umzubenennen. Am 30.11. wurde sich auf eine Umbenennung geeinigt.

Was mit einer größeren Distanz zu den Bürgerbewegungen einhergehen musste. So weigert sich Martin Gutzeit am 03.01.1990 die Gemeinsame Erklärung der Kontaktgruppe zu unterschreiben. Ibrahim Böhme unterschreibt die Erklärung, was nachträglich vom Vorstand gebilligt wird. Auf Gutzeits Intervention hin wird der Vorstandsbeschluss revidiert.

Auf der Vorstandssitzung der SDP am 03.12.1989 drängt Egon Bahr darauf am anstehenden Zentralen Runden Tisch für einen frühen Wahltermin einzutreten. Ebenso zu einem baldigen Parteitag. Wurde doch der SDP-Parteitag auf einer SDP-Vorstandssitzung am 26.11.1989 auf den 06.-09. April 1990 festgelegt. Die SPD sei die Schwesterpartei der SDP, versicherte er. An Vorstandssitzungen der SDP ließen sich auch andere SPD-Vertreter sehen. So der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau mit Gefolge am 12.11.1989.

Vom SDP-Vorstand wurde der 06.05.1990 auf seiner Sitzung am 03.12.1990 als Wahltermin für die Volkskammer ins Spiel gebracht. Zudem wird eine Erklärung zur "Deutschen Frage" verabschiedet.

Um in die Offensive zu gehen schlägt der geschäftsführende Ausschuss des SDP-Bezirksvorstandes Berlin am 06.12.1989 die Benennung eines Spitzenkandidaten für die kommende Volkskammerwahl vor. Ihr Vorschlag heißt Manfred Stolpe. Neben seinen vielen Kompetenzen wird als Grund auch genannt, dass er nicht Mitglied der SDP sei. Der Vorschlag fällt aber auf keinen fruchtbaren Boden.

Die ersten offiziellen Gespräche zwischen der SDP und der SPD finden erst am 13.12.1989 statt. Gleichzeitig wird der Dialog SPD SED für beendet erklärt.

Auf dem Programm-Parteitag der SPD im Berliner ICC am 18.12.1989 hält Ibrahim Böhme und Markus Meckel als Gast eine Rede. Motto des Parteitages ist ein Zitat von Willy Brandt, "jetzt wächst zusammen was zusammen gehört".

Als Markus Meckel die Anrede "Liebe Genossinnen und Genossen" benutze, gibt es Beifall von den Delegierten. Für die Gründung der SDP sagte er u. a. "Es sollte von Anfang an klar sein: Wir sind eine selbständig denkende und handelnde Partei. Von daher fanden wir auch die ersten, mehr zurückhaltenden Äußerungen aus der SPD uns gegenüber recht gut. Sie zeigten: Wir sind keine Filiale der SPD."

"Wir denken, wie ihr: Eine Konföderation der beiden deutschen Staaten wäre ein schon bald möglicher und auch wichtiger Schritt. Er ist schon jetzt, glaube ich, in beiden Staaten mehrheitsfähig. Wir sollten darangehen, dafür konkrete Modelle zu entwickeln und mit unseren Nachbarn darüber reden. Ich könnte mir vorstellen, dass unsere beiden Parteien eine Kommission bilden, die an diesen Fragen gemeinsam arbeitet."

"Wenn wir Deutschen uns einigen wollen, müssen unsere Nachbarn, insbesondere unsere polnischen Freunde, gewiss sein, dass wir ihre Grenzen anerkennen."

In Rostock hat auf Einladung der SDP mit Willy Brandt als erster prominenter Westpolitiker am 06.12. in der DDR eine Rede gehalten.

Die erste Delegiertenkonferenz der SDP, mit 505 Delegierten, findet am 12.-14.01.1990 in der Berliner Kongresshalle unter dem Motto, "Vieles spricht für uns Sozialdemokraten", statt. Die SDP wird mit überwältigender Mehrheit umbenannt. Bei Verkündung des Ergebnisse bricht Jubel aus. Als Ibrahim Böhme den Vorschlag macht, nach der Abkürzung SPD den ausgeschrieben Namen Sozialdemokratische Partei Deutschlands in der DDR anzuhängen, wird dagegen heftig protestiert. Thomas Krüger, der eine Rede zur Umbenennung von SDP in SPD hielt, sagte: "Die Umbenennung macht gerade die Unterschiede, die faktisch noch bestehen, klein und verschwommen. Damit auch die alten und müden Strukturen und die Dynamik. Ich will es etwas überspitzt sagen: Unsere wiedererstandene Partei wird zum Herzschrittmacher, nicht nur unserer verschütteten sozialdemokratischen Traditionen, sondern auch einer ehrwürdigen und etablierten Partei in der Bundesrepublik, die um ihre Anziehungskraft natürlich ringt und sich das auch etwas kosten lässt, wie wir gemerkt haben.

Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden. Aber wir müssen selber erst mal laufen lernen, ehe wir uns zur Krücke unserer Schwester machen lassen." Und als er zu bedenken gibt, vielleicht dadurch die Eigenständigkeit zu verlieren und erst mal selbst laufen zu lernen, erfolgten Buhrufe und "aufhören, aufhören".

25 Jahre später sagte Thomas Krüger ich wurde wahrscheinlich zu Recht ausgebuht. (8)

Egon Bahr, der als Besucher anwesend ist, zitierte in seiner Rede Willy Brandt mit den Worten: "Es gibt in Deutschland politisch nur Raum für eine sozialdemokratische Partei". Was mit Jubel quittiert wird.

Bereits vor der Delegiertenkonferenz hatten sich Ortsverbände von SDP in SPD umbenannt. So in Cottbus, 03.12., Rostock 07.12. beschlossen, am 11.12. umbenannt, Greifswald 13.12., Dessau 10.01., Genthin 11.01. Die Namensänderung machte auch den Weg frei, Ansprüche auf das ehemalige SPD-Vermögen, das 1946 auf die SED übergegangen war, zu erheben. So wurde z. B. ein Anspruch auf 13 Regionalzeitungen erhoben.

Des Weiteren gab es Gerüchte die SED/PDS wolle sich in "Sozialistische Partei Deutschlands" (SPD) umbenennen.

Norbert Gansel von der SPD drängte auf einer Vorstandssitzung der SDP im November 1989 darauf, die SDP in SPD umzubenennen. Es wurde drauf hin ein Interview mit Ibrahim Böhme organisiert, bei dem in Absprache mit Hanns Joachim (Hajo) Friedrichs von den ARD-Tagesthemen in dem Interview, der Name SPD für die SDP gesichert werden sollte.

Weiter wurde auf der Delegiertenkonferenz eine Erklärung zur Deutschen Frage verabschiedet in der sich zur Einheit bekannt und eine Wirtschafts- und Währungsunion angestrebt wird. Das Wahlbündnis vom 03.01.1990 mit DA, DJ, IFM, NF und VL zur Volkskammerwahl wird aufgekündigt. Was von Konrad Weiß, Demokratie Jetzt, umgehend kritisiert wurde. Den Bürgerbewegten werden Plätze auf einer SPD-Liste angeboten.

Stephan Hilsberg fordert eine grundlegende Reform des FDGB. Er kündigt an, dass sich die Sozialdemokraten künftig "verantwortungsvoll in den FDGB einbringen" werden. Es werden Anträge gestellt, die Anrede Genosse nicht mehr zu verwenden. Die Forderung den Begriff des Demokratischen Sozialismus durch soziale Demokratie zu ersetzt kam vom Bezirk Suhl. Dem wurde entgegnet, Demokratischer Sozialismus steht auch im Statut der Schwesterpartei SPD. Wie bei heiklen Themen oft praktiziert, wird auf eine Klärung später verwiesen.

In seinem Grußwort appellierte Werner Schulz vom Neuen Forum die Bürgerbewegungen nicht von den Wahlen dadurch auszuschließen, dass nur Parteien zur Wahl zugelassen werden. Während sich die Überlegungen in der SPD immer mehr auf die Ära nach der SED, die sich am Horizont abzeichnende deutsche Einheit und ihren politischen Gegner CDU richtete, benannte Werner Schulz die Existenz und Neuformierung alt- und neostalinistischer Strukturen als Hauptgefahr im Lande. Die demokratische Revolution solle in eine neue politische Qualität geführt werden.

Stephan Hilsberg wird zum ersten Sprecher, Angelika Barbe und Markus Meckel zum zweiten Sprecher gewählt. Als Geschäftsführer wird Ibrahim Böhme gewählt, 2. Geschäftsführer Martin Gutzeit. Wirtschaftspolitischer Berater beim Präsidium der SPD (DDR) wird der westdeutsche Rolf Schmachtenberg.

Gäste der Konferenz waren u.a. Egon Bahr, Walter Momper, Johannnes Rau, Rudolf Scharping, Hans-Jochen Vogel.

Die SPD soll zu diesem Zeitpunkt rund 32 000 Mitglieder gehabt haben. Die wirkliche Mitgliederzahl lag wahrscheinlich aber weit darunter. Wie mau es zum Teil aussah zeigte sich in Dresden. In Dresden-Stadt konnten im Januar 1990 nur 250 Genossinnen und Genossen gezählt werden. Im Bezirk waren es gerade 290.

Das Motto der Delegiertenkonferenz von anfangs "Vieles spricht für uns - Sozialdemokraten" wurde zum Schluss in "Alles spricht für uns - Sozialdemokraten" umgewandelt.

Markus Meckel eröffnete mit einer Rede den Wahlkampf für die SPD. Dort sagt er: "Es geht um die Macht in diesem Lande. (...) Wir suchen sie nicht um jeden Preis: aber wir suchen sie. Wir wollen Macht übernehmen, weil wir niemanden sehen, bei dem sie besser aufgehoben wäre, als bei uns."

Stephan Hilsberg berichtet auf dem 30. Bautzen-Forum 09./10. Mai 2019 Egon Bahr möchte das Präsidium sprechen. Er wisse aus sicherer Quelle, der Dresdner Bürgermeister Wolfgang Berghofer sei bereit, mit einem großen Teil der ehemaligen SED zur SPD zu wechseln. "Wenn ihr das macht, dann habt ihr die Wahlen gewonnen." Uns war völlig klar, dass wir einen schlimmeren Fehler wohl kaum machen konnten. Das wäre Kamikaze hoch drei gewesen, dann hätten die Leute ja gleich SED wählen können. Aus Höflichkeit wären Markus Meckel und Martin Gutzeit nach Dresden gefahren. Wie viele zur SPD kommen wollten sei nicht klar geworden. Wolfgang Berghofer habe durchblicken lassen, ob wir denn dafür auch ein paar Vorstandsposten zur Verfügung stellen würden.

Kurz vor Schluss des Kongresses, als Frauen aufmuckten, fiel auf, bis jetzt hatten fast nur Männer geredet. Daraufhin wird Vorstandsmitglied Sabine Leger ausgewählt das Schlusswort zu halten. Dort sagt sie u. a.: "Wir haben den Weg geebnet zu einem sozialen und demokratischen Deutschland in einem sozialen und demokratischen Europa. Deshalb rufe ich an dieser Stelle alle DDR-Bürger auf, bleibt doch in diesem Land. Ihr seht, hier entwickelt sich wirklich etwas Neues. Eine wirkliche Alternative." Sie bittet um Wählerstimmen gegen die SED-Herrschaft.

Abgeschlossen wird der Kongress mit einer Kundgebung auf dem Alexanderplatz in Berlin. Als Ehrengast spricht der Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper. Den Personenschutz für ihn in Ostberlin stellte die Staatssicherheit. Anschließend ziehen Teilnehmer nach Friedrichshain zum Denkmal der Gefallenen der Novemberrevolution von 1918. Dort werden Kränze für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht niedergelegt. Damit soll sich von der am selben Tag stattgefunden Gedenken von Rosa und Karl der SED-PDS in Friedrichsfelde abgegrenzt werden. Die SPD war sehr darauf bedacht die Gegnerschaft zur SED-PDS hervorzuheben, versuchte doch der politische Gegner die SPD madig zu machen, indem er sie in die Nähe der SED-PDS rückte.

Das Motto der Gedenkveranstaltung der SED-PDS für Rosa und Karl lief unter dem Luxemburg Zitat: "Die Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden." Die Übernahme des Luxemburgzitats war für die SED-PDS ideal. Konnte sie vermeintlich zeigen, wir vertreten jetzt das, wofür wir andere vor kurzem noch verfolgt haben. Außerdem gehören wir jetzt zu den Andersdenkenden. Eigentlich zu den Verfolgten.

Im Januar 1990 gibt Ibrahim Böhme in einem Interview "Deutschland, einig Vaterland" als Wahlslogan aus. Dies sei mit der Bonner SPD-Spitze abgesprochen. (9) Mit Willy Brandt, dem Vorsitzenden der Sozialistischen Internationale, tritt die SPD als erste Westdeutsche Partei öffentlich in der DDR auf. Nach einer Erinnerung Reinhard Höppners kam Mitte Januar 1990 ein Bote von der SPD in Bonn in die SDP-Parteizentrale nach Berlin. Dort legte er ein Papier vor, die SPD-Bundestagsfraktion habe verschieden Szenarien der deutschen Vereinigung durchgespielt und beschlossen, dass nur ein Beitritt nach Artikel 23 GrundgesetzArtikel 23 Grundgesetz infrage käme. (10)

Die SDP spricht sich im 15.01.1990 am Zentralen Runden Tisch dafür aus, dass nur Parteien an der Wahl zur Volkskammer teilnehmen dürfen. Sie müssen klare Programmaussagen gemacht haben und dauerhaft sein, mindestens eine Legislaturperiode. Eine Doppelmitgliedschaft nicht nur bei den Mandatsträgern, sondern bei den Mitglieder der Organisation muss ausgeschlossen sein.

Parteien in ihrem Sinne können auch eine Vereinigung wie das Neue Forum sein.

Auf der Sitzung des Rundes Tisches am 15.01.1990 fordert Hans Modrow die dort vertretenen Organisationen seiner Regierung beizutreten. Die SPD zierte sich zunächst. Wollte sie sich doch als neue, unverbrauchte, nicht für die bisherige Politik verantwortliche Kraft, dastehen. Die CDU als ehemalige Blockpartei hatte Sorgen ihr Schmuddelimage ohne Beteiligung der neuen Gruppierungen an der Regierung nicht ablegen zu können. Die CDU drohte mit Austritt aus der Regierung, wenn die SPD nicht in die Regierung eintritt. Für die CDU wird immer mehr die SPD der Hauptgegner.

Zwei Tage später am 17.01. schlägt der Geschäftsführer der SPD, Ibrahim Böhme, ein Angebot Modrows, stellvertretender Ministerpräsident zu werden, aus. Mit einem Appell an die CDU Verantwortung zu zeigen wollte die SPD verhindern, dass die CDU stiften geht.

Staatsratsvorsitzender Manfred Gerlach (LDPD) schlägt am 19.01. vor, die SED-PDS solle von ihr gehaltene Ressorts frei machen. Von Modrow wird nach einem Rücktritt der Finanzministerin Uta Nickel der verkannte Posten angeboten. Am 28. Januar kommt es zu Verhandlungen zwischen Ministerpräsident Modrow und der Opposition. Diese hatte sich zuvor auf Forderungen geeinigt, die von der Modrowregierung erfüllt werden sollten. Modrow lehnt aber rundweg ab. Für die Zusage eines früheren Wahltermins lässt die SPD die Forderungen fallen. Nachdem die SPD umgefallen war, folgten die anderen resignierend. Als neuer Wahltermin wurde der 18.03.1990 festgelegt. Die SPD setzte sich dafür ein, nur Parteien, nicht aber Gruppen, in denen Mitglieder von Parteien arbeiten, zu den Volkskammerwahlen zuzulassen. Was einen Ausschluss z. B. von Neuem Forum und Grüner Liga bedeutete.

Außer der Vereinigten Linken werden dann am 05.02.1990 die neuen Minister ohne Geschäftsbereich vereidigt. Geschäftsbereiche abzugeben hatten sich alle Parteien der Modrowregierung geweigert. Für die SPD trat Walter Romberg in die Regierung ein. Als Zeichen verzichten sie auf Dienstwagen der Marke Citroën stattdessen bevorzugten sie Lada.

Mit einem klar formulierten Anspruch zur Machtübernahme hätte die SDP mit der bundesdeutschen SPD im Rücken nicht nur die Kräfte in der DDR zur Positionierung gezwungen, sondern auch die in der BRD. Aber SPD und Revolution passen einfach nicht zusammen.

Im Kleinen konnten sie aber auch mal richtig revolutionär werden. Im Dezember 1989 drohte die SDP in Rostock das Rathaus zu besetzen, wenn sie nicht ein Haus für ihre Partei erhalten würden. Daraufhin wird ihnen das Haus der Nationalen Front überlassen.

Auf ihrer Tagung am 08.02.1990 im Berliner Reichstagsgebäude, wird der SPD in der DDR vom Bund der sozialdemokratischen Parteien der EG-Staaten, heute EU, einen Beobachterstatus zuerkannt.

In ihrer ersten Außen- und Sicherheitspolitischen Erklärung der SPD in der DDR und in der BRD, am 12.02.1990, ist für ein vereintes Deutschland weder die Mitgliedschaft in der Nato noch im Warschauer Vertrag vorgesehen. Stattdessen soll die Bundesrepublik in einem europäischen Sicherheitssystem eingebunden sein. In ihrem wirtschaftspolitischen Programm, am 14.02.1990, spricht sich die SPD in der DDR für eine ökologisch orientierte soziale Marktwirtschaft aus. Für Mitbestimmung der Arbeitnehmer und die Bürger sollen als Verbraucher über die Produktion entscheiden. Das Bekenntnis zum "Demokratischer Sozialismus", wie ihn die West-SPD in ihrem Programm stehen hat, wird nicht übernommen.

Nach der Sitzung der gemeinsamen Kommission der beiden SPDs am 19.02. wird eine Erklärung verabschiedet, in der sich dafür ausgesprochen wird, der Weg zur deutschen Einheit zügig, aber nicht überstürzt organisiert werden.

Kurz vor dem ersten ordentlichen Parteitag erscheint am 17.02.1990 in Leipzig die erste Ausgabe des Wochenblatts "Der neue Sozialdemokrat".

Vom 22.-25.02.1990 trafen sich 524 Delegierte auf dem agra-Gelände in Markkleeberg bei Leipzig zum ersten ordentlichen Parteitag der SPD.

Vor dem Parteitag wird aus den SPD-Bezirken Rostock und Schwerin die Absicht geäußert, den Antrag stellen zu wollen, die DDR oder einzelne Länder sollen nach Artikel 23 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beitreten.

Begrüßt werden die Delegierten von Angelika Barbe. Die Bodenreform, das Recht auf Arbeit und die Kindertagesstätten sollen erhalten bleiben.

Abgesegnet wird die Umbenennung des Parteinamens von SDP in SPD wie auf der Delegiertenkonferenz am 13.01.1990 in Berlin beschlossen.

Es wird ein neues Statut verabschiedet. Eine Klausel gegen Ämterhäufung stimmten die Delegierten nicht zu. Die Trennung von Amt und Mandat findet keine Berücksichtigung mehr. Der Begriff des Demokratischen Sozialismus kommt im Statut nicht mehr vor. Frauen sollen das Recht haben, in allen zu wählenden Gremien der Partei mit mindestens 30 % vertreten zu sein. Die Frage der Anrede, "Genossinnen und Genossen" oder auch nicht, wird umschifft.

Die Gliederung der SPD erfolgt in Orts-, Kreis- (Unterbezirk), Bezirks- und Landesverbände. Eine Besonderheit ist bei einer größeren Anzahl aktiver Mitglieder die Untergliederung der Ortsverbände in mehrere wohnsitzorientierte, gesprächsfähige Basisgruppen.

Nicht nur der Vorstand kann einen Parteitag einberufen. Ein Parteitag muss auch einberufen werden, wenn ein Viertel der Basis oder der Parteirat das fordert.

In einer Erklärung bekennen sich die Delegierten zur deutschen Einheit. Die Delegierten sprechen sich dafür aus, dass ein Rat zur deutschen Einheit gebildet wird. Er soll, ausgehend vom Grundgesetz der BRD, ein gemeinsames Grundgesetz erarbeiten. Vorsitzender dieses Rates soll Willy Brandt sein. Erst nach einer Volksabstimmung über diese Verfassung können gesamtdeutsche Wahlen stattfinden. Beschlossen wird ein Grundsatzprogramm.

Ibrahim Böhme verkündete ein 11-Punkte-Programm für die Sicherung der Interessen der DDR-Bürger. Es wird sich für die Einführung der D-Mark spätestens zum 1. Juli 1990 ausgesprochen. Ersparnisse sollten 1:1 umgetauscht werden.

Eine Aufnahmesperre für ehemalige SED-Mitglieder, die nach dem 7. Oktober 1989 aus der SED ausgetreten sind, wird beschlossen. Von Austritt aus der SED oder PDS und einem Aufnahmeantrag für die SPD muss mindestens ein Jahr liegen. Für ein Jahr dürfen nach Aufnahme keine Wahlfunktionen ausgeübt werden. Von Schiedskommission können bereits aufgenommene ehemalige SED-Mitglieder wieder ausgeschlossen werden. Bei Austritten aus der SED vor dem 07.10.1989 erscheint die Aufnahme möglich.

Auf dem 30. Bautzen-Forum sagte Stephan Hilsberg: "Mitte Januar 1990 gab es eine Situation, in der unsere Basisgruppen sagten: "Da treten komplette SED-Gruppen, zum Teil ortsbekannte MfS-Mitarbeiter, in die SPD ein. Lasst uns einen Aufnahmestopp für SED-Mitglieder beschließen!" Der Vorstand der Ost-SPD wollte das nicht. Wir wollten den ehemaligen SED-Mitgliedern nicht ermöglichen, sich zu Märtyrern zu stilisieren.

Auf der Delegiertenversammlung im Januar 1990 konnten wir den Aufnahmestopp noch verhindern, mithilfe eines Geschäftsordnungstricks. Wir vertagten die Frage auf den ersten ordentlichen Parteitag im Februar 1990 in Leipzig-Markleeberg. Und dort waren die Mehrheiten absolut eindeutig. 90 bis 95 Prozent waren für den Aufnahmestopp. Aber eigentlich war er, wie gesagt, zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr nötig. Wir hatten unseren Hype bereits hinter uns. Drei Monate später, am 9. Juni in Halle, haben wir ihn wieder aufgehoben. Und das war auch gut so. Gebracht hat er nichts. Seitdem ist die Legende im Raum, dass die Ost-SPD deshalb so schwächelt, weil sie sich den SED-Mitgliedern verschlossen hätte. Das aber ist Unfug und eine geschichtslose Selbstvergessenheit."

Das Ansehen der SPD in der Bevölkerung als neue Kraft wäre bei vermehrtem Eintritt ehemaliger SED-Genossen flöten gegangen. Außerdem wurde befürchtet, die Ortsgruppen würden von ehemaligen SED-Genossen dominiert werden.

"Wären nämlich rund hunderttausend ehemalige SED-Mitglieder zur SPD gekommen, dann hätten sie die wenigen bis dahin existierenden Ost-SPD-Mitglieder an die Wand gedrückt.
(...)

Sie hatten konspirativ und illegal die sozialdemokratische Partei in der DDR gegründet und konnten damals den Grad des Risikos nicht mit Sicherheit einschätzen. Wäre Honecker nicht gestürzt worden, hätten sie ihr Vorgehen möglicherweise mit vielen Jahren Haft bezahlen müssen. Man kann ihnen weder ihre Vorbehalte gegen ehemalige SED-Mitglieder noch ihre Weigerung verübeln, von diesen nach der Legalisierung dominiert zu werden, schreibt Gregor Gysi 2001." (11)

Im Bezirk Karl-Marx-Stadt wird ein Flugblatt der SPD verteilt, in dem betont wird: "Was Deutschland braucht: Uns die SPD, eine starke Volkspartei der Mitte, die keine SED-Mitglieder aufnimmt oder in ihren Reihen duldet."

Hauptgegner für die CDU in der DDR ist die SDP/SPD. Der Generalsekretär der BRD-CDU, Volker Rühe, sagte am 09.02.1990: "Die Entscheidung wird fallen zwischen den Sozialdemokraten und der Allianz".

Die CDU/DA/DSU-Propaganda zielte darauf ab, die die SPD in SED-Nähe zu rücken. Ausgerechnet von der ehemaligen Blockpartei CDU, die Jahrzehnte lang die SED-Politik unterstützte und noch wenige Monate zuvor in der Volkskammer der gewaltsamen chinesische Lösung zustimmte.

Ute Schmidt schreibt in ihrem Buch "Von der Blockpartei zur Volkspartei?":
"Selbst de Maizière, der sich häufig vom Wahlkampfbetrieb distanzierte, behauptete ohne jeden konkreten Beleg, dass die SED in die SPD einsickere, sei eine Realität. Ganze Orts- und Kreisverbände der SPD rekrutierten sich - so heißt es in seiner Rede am 10.2.1990 - aus Genossen der Partei, 'die die beiden Hände in ihrem Emblem hatte'. Zwischen der Sozialdemokratie und der SED gebe es nicht nur gemeinsame ideengeschichtliche Wurzeln, der personell schwachen SDP/SPD im Osten mangele es auch an Fachkräften und Funktionseliten, weshalb sie mit früheren SED-Leuten kooperieren müsse. Nur die CDU garantiere mit ihrem Personal und ihrem Wirtschaftskonzept den vollständigen Bruch mit der SED."

Der CDU Jugendverband, Christlich-Demokratische Jugend, benutzt ein Plakat mit einem Foto aus dem Jahre 1987. Es zeigte Erich Honecker bei seinem Besuch im Saarland zusammen mit Oskar Lafontaine. Darunter der Willy Brandt Spruch: "Jetzt wächst zusammen was zusammen gehört".

Die DSU machte mit dem Slogan: "Die neuen Genossen bringen die alten Genossen wieder in Amt und Würden", Stimmung gegen die SPD.

Auf einem Wahlplakat der SPD ist zu lesen "SED+CDU: Partner seit 1949 Die ehrliche Alternative wählen SPD".

Bärbel Bohley vom Neuen Forum plädiert gegenüber Hans-Jochen Vogel von der West-SPD dafür, keine ehemaligen SED-Genossen aufzunehmen. Das Neue Forum hatte eine Mitarbeit, von nicht nur ehemaligen, SED-Genossen in ihren Reihen hingegen begrüßt.

Das Wahlprogramm lautete "Ja zur deutschen Einheit - Eine Chance für Europa. Wahlprogramm der SPD zum ersten frei gewählten Parlament in der DDR". Wahlziel ist die absolute Mehrheit bei der Volkskammerwahl. Eine künftige Koalition mit der PDS wird ausgeschlossen. Ihrer künftigen Volkskammerfraktion wird auf den Weg gegeben, zu beantragen, die ehemalige Stasi als kriminelle Organisation einstufen zulassen.

Gegen den Parteitag gibt es eine Bombendrohung. Bomben- und Morddrohungen hatten damals in der DDR Konjunktur.

Zum Parteivorsitzenden wird Ibrahim Böhme gewählt. Mit 91,6 Prozent der Stimmen. Obwohl es schon Gerüchte über eine IM-Tätigkeit gibt, gibt es keinen Gegenkandidaten. Gegenkandidaten hätten zu diesem Zeitpunkt keine Chance gegen Böhme gehabt. Er war zu beliebt.

Böhmes Rede auf dem Parteitag wurde von Norbert Gansel von der Bundes-SPD verfasst. Die Böhme leicht ergänzte. (12)

Stellvertreter werden Angelika Barbe, Karl-August Kamilli und Markus Meckel. Geschäftsführer wird Stephan Hilsberg. Willy Brandt wird zum Ehrenvorsitzenden gewählt. Seine Wahl erfolgt, indem die Delegierten aufstehen. Wer sitzen bleibt, aus welchem Grund auch immer, wird von diesem Zeitpunkt an schief angesehen.

Der Slogan des Parteitages "Die Zukunft hat wieder einen Namen SPD" stammt von Klaus Staeck, der neben Günter Grass und Erich Loest auch anwesend ist. Neben der gesamten westdeutschen SPD-Prominenz ist auch der spätere Spitzenkandidat der BRD-SPD, Oskar Lafontaine, zu gegen. Das Management des Parteitages hat die westdeutsche SPD übernommen.

Oskar Lafontaine plädiert für einen Einigung indem die Bürger der DDR ihre Würde und Selbstachtung wahren können. Er kritisiert die Bundesregierung wegen ihrer zögerlichen Hilfe. Das Festhalten an der Verweigerung finanzieller und materieller Hilfe durch die Bundesregierung verschärfe immer mehr das Übersiedlerproblem in der BRD. Stattdessen würde der Rüstungsetat erhöht. Er spricht sich für den Verzicht des Jäger 90 aus. Entwaffneter Bundeswehreinheiten könnten mit ihrer Technik beim Ausbau der Infrastruktur in der DDR helfen, meint er.

Der als Gast anwesende UdSSR-Botschafter Kotschemassow, läd Ibrahim Böhme vom 28. Februar bis 2. März zu Gesprächen mit Regierungsmitgliedern nach Moskau ein.

Für den Wahlkampf werden drei wahlkampferprobte BRD-Berater abgestellt. Eine Werbeagentur aus Düsseldorf wird für den Wahlkampf angeheuert. Für die DDR-Bezirke gibt es fünfzehn Parteisekretäre zur Unterstützung. Die Wahlkampfzeitungen "ExtraBlatt", gedruckt in Bielefeld, und für Berlin "StattBlatt" stammen aus westlichen Druckereien. Im März wurden die Wahlkampfmittel noch einmal aufgestockt. Vier Millionen Flugblätter werden für die letzte Wahlkampfwoche gedruckt. Das "StattBlatt" erscheint am 27.01.1990 das erste Mal.

Spätestens im Wahlkampf zeigt sich die Abhängigkeit der SPD (DDR), finanziell als auch organisatorisch von der SPD (BRD). Den Vorsprung, den die Blockparteien durch die jahrzehntelange Alimentierung durch die SED erfahren hatten, konnte die SPD in der DDR nicht wettmachen. Die Annahme, die SPD könne in ihren "Stammländern" Sachsen und Thüringen punkten erwies sich als Illusion. Im Bezirk Dresden erhält die SPD bei der Volkskammerwahl mit 9,68 % ihr schlechteste Wahlergebnis republikweit.

Bald wird klar, die SPD (DDR) hängt am Tropf der SPD (BRD) mit ihren über 900 000 Mitgliedern und einem über Jahrzehnte eingespielten Apparat. Eine ähnliche Stellung wie die bundesdeutsche Regierung gegenüber der DDR-Regierung, sie sitzt am längeren Hebel, hat auch die SPD der BRD gegenüber der SPD in der DDR.

In einem Interview erklärt Karl-August Kamilli am 27. Februar, bei allen neuen demokratischen Kräften herrsche Konsens, wegen des "nationalsozialistischen Pathos", sich aus der Leipziger Montagsdemonstration zurückzuziehen. U. a. wurden Parolen gerufen wie "Und heute gehört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt" und "Rotfront verrecke". Wahlplakate und Propagandamaterial anderer Parteien wurden auf einem Scheiterhaufen verbrannt.

Auf einem deutsch-deutschen Wirtschaftsforum in Leipzig, sagt Ibrahim Böhme vor der Volkskammerwahl: "Das Gewerkschaftsgesetz werden wir nach der Wahl als erstes zur Disposition stellen. Das Recht auf Arbeit in der Sozialcharta und das Aussperrungsverbot halte ich für unattraktiv und investitionshemmend".

Vier Tage vor der Wahl verspricht die SPD bei einem Wahlsieg an alle Bürger Anteilscheine im Nennwert von 40 000 Mark auszugeben. Ziel sei es ein breit gestreutes Eigentum zu erreichen. Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher nennt es eine Perversion, wenn jetzt damit begonnen werde, zu verkaufen, was eigentlich den Bürgern gehöre. Die Anteilscheine sollten treuhänderisch bei einer Treuhandbank verwaltet werden.

Am 10.03.1990 fasst der SPD-Vorstand den Beschluss, nach den Wahlen keine Koalition mit der DSU einzugehen. Einen Tag nach der Wahl wurde dieser Beschluss bekräftigt. Bei einem Wahlsieg war Klaus von Dohnanyi als Ministerpräsident einer SPD-Regierung vorgesehen.

Vierorts hatten sich SPD-Genossen schon auf eine Siegesfeier am 18.03.1990 eingerichtet.

Nach der Volkskammerwahl, die für die SPD enttäuschend ausging, 21,9 Prozent, sträubte sie sich zunächst in eine Koalition unter CDU-Führung einzutreten.

Vorstand und Präsidium lehnten eine Koalition mit PDS oder DSU ab. Ein Hintertürchen bleibt aber offen. Sag niemals nie. Für Sondierungsgespräche sei man offen wird der CDU signalisiert. Dies wird von der Volkskammerfraktion auf ihrer konstituierenden Sitzung am 21.03.1990 bekräftigt.

Der Frauenanteil in der SPD-Fraktion beträgt 22,8 Prozent. Mehr Theologen als in der der SPD-Fraktion gibt es sonst in keiner anderen Fraktion in der Volkskammer.

Richard Schröder sagt in einem Interview im Spiegel am 09.04.1990: "Die Entscheidung liegt bei den Volksvertretern und nicht bei dem von den Parteimitgliedern gewählten Parteivorstand. Der hatte hier nichts zu beschließen . . ."

Reinhard Höppner suchte Lothar de Maizière nach der Wahl in seinem Parteibüro in Berlin auf. Ohne ein Mandat der SPD zu haben.

Informationsgespräche finden am 22.03. statt. In der Volkskammerfraktion ist die Bereitschaft zu einer Koalition stärker ausgeprägt. Aus der Fraktion kommt am 27.03. ein Papier zur Fortführung der Informationsgespräche. Weiter Informationsgespräche finden am 29.03. und 01.04. statt.

Einen Tag später verabschiedet der SPD-Vorstand mit Mehrheit eine Empfehlung an die Fraktion und das Präsidium, keine Koalitionsverhandlungen zu führen. Fraktion und Präsidium hingegen beschließen am selben Tag die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. Eingebunden in die Diskussion Regierungsbeteiligung oder nicht, ist auch die SPD-Führung der BRD.

Gegen die Koalitionsbeteiligung sprach die Aussage vor der Volkskammerwahl, keine Koalition mit der DSU einzugehen, die SPD wird als Mehrheitsbeschaffer nicht gebraucht, bei vielen SPD-Mitgliedern gibt es Vorbehalte gegen eine Koalitionsbeteiligung.

Für die Koalitionsbeteiligung sprach, in der Opposition befindet sich die SPD neben der PDS. In Koalitionsverhandlungen können eigene Positionen durchgesetzt werden. Vielleicht gelingt sogar die Herauslösung der DSU. Die SPD in der DDR ist in der Gesamtstrategie der SPD eingebunden. Nur wer in der Koalition ist kann mitbestimmen welche Posten in den neu zu schaffenden Verwaltung besetzt werden.

Auf der Präsidiumssitzung der SPD (BRD) am 02.04. meinte Anke Fuchs, der SPD in der DDR fehle es an Gewicht, um unbestritten die Oppositionsrolle einnehmen zu können.

Nach einigem zaudern tritt die SPD schließlich am 03.04.1990 der Koalition bei. Auf SPD-Ticket ziehen sieben Minister ins Kabinett ein.

Vor der Volkskammerfraktion der SPD sagte Richard Schröder im April 1990, in unserem Wahlprogramm stand: Keine Koalition mit der PDS daran haben wir uns gehalten. In unserem Wahlprogramm stand, wir wollen eine Regierung der breiten Mehrheit für den Einigungsprozess. Auch daran haben wir uns gehalten. Der Parteivorstand hatte aber zudem vor der Wahl beschlossen: Keine Koalition mit der DSU. Diese Aussage stand freilich nicht im Wahlprogramm. Als wir in die Koalitionsgespräche eingetreten sind, saß die DSU bereits am Tisch. Wir haben sie nicht eingeladen, denn wir waren gar nicht die Einladenden.

Nur wenn sich das Parlament der DDR den Art. 23 vorbehält, kann verhindert werden, dass Teile der DDR ausscheren und für sich Art. 23 beanspruchen. Wir haben, wenn wir für Art. 23 plädieren, anderen diese Option gesperrt. Es herrschte in der Koalitionsrunde Einigkeit darüber, dass wir keine Sonderwege von Teilen der DDR dulden werden. Auch deshalb treten wir übrigens dafür ein, dass die Verfassung der DDR formell gilt, wenn auch nicht wortwörtlich.

Auf den Vorwurf, die SPD habe das Innenministerium nicht angestrebt, sagte Richard Schröder auf dem SPD-Parteitag in Halle: "Die Sache war so, wir haben in der Vorverständigung der Neunergruppe entschieden, das Innenministerium nicht vorrangig anzustreben, und zwar aus einer geschichtlichen Erinnerung: Noske. Wir wollten nicht das Oberkommando über die Polizei haben, wenn es im Lande zu Unruhen kommen sollte.

Andererseits ist uns das Innenministerium in den Verhandlungen selbst nie angeboten worden."

"Die DDR-SPD habe zu keinem Zeitpunkt die Chance gehabt, das Innenministerium zu bekommen. Spekulationen, Meckel habe darauf verzichtet, um Außenminister zu werden, seinen falsch", sagte Wolfgang Thierse am 22.04.1990 auf einer Sitzung der beiden SPDs.

Die Furcht vor dem Volkszorn war nicht ganz unbegründet. Am 15.08.1990 demonstrierten die Bauern in der DDR. Wütende zertrümmern die Heckscheibe des Dienstwagens, inzwischen BMW, des von der SPD gestellte Landwirtschaftsminister Peter Pollack. Redner werden mit Eiern beworfen.

Bei einer Regierungsbildung sind plötzlich neue Töne vernehmbar. "Bei der Beurteilung der Vorgänge um die Regierungsbildung sei beachtenswert, dass es Unterschiede zwischen den Blockparteien gebe. Die CDU der DDR und die LDPD seien Parteien, die bereits 1945 gegründet worden seien, die ihre eigne Leidensgeschichte hätte", sagte Richard Schröder auf einer Sitzung der beiden SPDs am 22.04.1990.

Die SPD erhielt in der Koalition sieben Ministerposten. Stellvertretender Ministerpräsident durfte sich keine/keiner von ihnen schimpfen. Das wurde ihr verweigert.

Die SPD versuchte möglichst viele ihrer Vorstellungen im Koalitionsvertrag zu fixieren. Was auch zum Teil gelang. Die SPD legte großen Wert darauf, dass möglichst viele ihrer Positionen im Koalitionsvertrag auftauchten. Von Anfang an wurde die SPD in dieser Koalition aber nicht glücklich. Auch gab es nach wie vor starke Vorbehalte gegen eine Regierungsbeteiligung innerhalb der SPD.

In der Koalitionsvereinbarung legte sich die SPD auf einen Beitritt der DDR nach Artikel 23 Grundgesetz fest.

Mit Ausnahme von Ibrahim Böhme stimmt die Volkskammerfraktion der SPD am 21.06. für den 1. Staatsvertrag, Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion.

In den Verhandlungen zum Einigungsvertrag lässt aber die CDU die SPD auflaufen. In seiner Rede am 13.07.1990 in der Volkskammer sagt Wolfgang Thierse zum Einigungsvertrag, dass "soviel wie möglich von dem zu vereinbaren versucht wird, was vernünftigerweise im Interesse der Bürger dieses Teils Deutschlands geregelt werden kann".

Lothar de Maizière beklagt sich am 13.07.1990 darüber, dass interne Absprachen umgehend der Bonner Bundesregierung zugespielt werden und so gegen die DDR verwendet werden können. Ein Vorwurf, der sich auch gegen die SPD richtet.

Die eigentliche Verhandlungsführerin auf Seiten der SPD, Herta Däubler-Gmelin, hatte nicht nur die DDR in Auge, sie wollte die Gunst der Stunde nutzen Reformen durchzusetzen, die dann im geeinten Deutschland gelten würden. Dazu zählte u.a. der Mieterschutz, Schwangerschaftsabbruch, Familienrecht, soziale Grundrechte und der Umweltschutz als Staatsziel. Sie pochte auf einen gleichberechtigten sozialdemokratischen Gestaltungsanspruch.

Wolfgang Thierse verlangte für die SPD eine Stärkung der Finanzkraft von Gemeinden und Ländern.

Die SPD (BRD) forderte u. a. die Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung und das Verbot der Aussperrung, sowie die Ausweitung der Bürgerbeteiligung.

Von Seiten der CDU soll am "bewährten Modell BRD" nichts geändert werden. Regelungen nur so viel wie nötig.

In der SPD sammelte sich sich immer mehr Unmut über die Koalition in Berlin an. In einer Abstimmung in der SPD-Fraktion der Volkskammer am 07.08.1990 über die Fortsetzung der Koalition stimmte zwar eine Mehrheit für deren Fortsetzung, aber es gab auch eine nicht unerhebliche Zahl von Neinstimmen.

Eine gute Woche später, am 15.08. ist es dann soweit. Der CDU-Ministerpräsident Lothar de Maizière entlässt vier, darunter zwei von der SPD gestellten Minister. Den parteilosen Landwirtschaftsminister Pollack und SPD-Finanzminister Romberg. Als Grund wird "fachliche Inkompetenz" angegeben, als ob es in der de Maizière-Regierung nach Fähigkeiten gegangen wäre. Die SPD wird für den weiteren Fortgang nicht mehr gebraucht.

Nach den Vorstellungen von Finanzminister Romberg sollen alle Steuern, die auf dem Gebiet der DDR eingehen, dort auch verbleiben. Die neuen Bundesländer sollen nicht am Länderfinanzausgleich teilnehmen. Nach den Vorstellungen von Finanzminister Romberg sollen alle Steuern, die auf dem Gebiet der DDR eingehen, dort auch verbleiben. Die neuen Bundesländer sollen nicht am Länderfinanzausgleich teilnehmen. Hinzu sollten noch Mittel aus dem Fonds Deutsche Einheit kommen.

Nach seinem Modell würden die Schulden der ehemaligen DDR-Länder geringer sein als bei dem Modell, das in den Verhandlungen favorisiert wird, rechnete er vor. Walter Romberg hatte nach der Verabschiedung des DDR-Haushaltes mehr Geld gefordert. Das in einer Zeit, als in der BRD behauptet wurde, die Einheit kommt ohne Steuererhöhung aus.

Der Bundestagswahlkampf stand an. Beide Kanzlerkandidaten waren über die Koalition in der DDR nicht glücklich. Die SPD bestritt nach Artikel 50 der DDR-Verfassung de Maizière das Recht zur Entlassung.

Ohne vorheriger Aussprache beschließt die SPD-Fraktion am 19.08.1990 mit großer Mehrheit, den Austritt aus der Regierungskoalition. Einen Tag später legen alle übrig geblieben SPD-Minister ihre Ämter nieder. Der Fraktionsvorsitzende, Richard Schröder, der diesen Beschluss nicht mittragen will, tritt einen Tage später von seinem Posten zurück. Sein Nachfolger wird Wolfgang Thierse.

Nach der Volkskammerwahl kommen Vorwürfe einer Spitzeltätigkeit gegen ihren Vorsitzenden Ibrahim Böhme auf. Böhme, der alle Vorwürfe bestritt, wird vom SPD-Vorstand das Vertrauen ausgesprochen. Auch die Volkskammerfraktion der SPD spricht ihm einstimmig das Vertrauen aus. Es werde der Versuch gemacht, das neue Parlament in den Schmutz zu ziehen, meinte Markus Meckel zu den Beschuldigungen gegen Böhme. Unterstützung bekam Böhme auch vom Vorsitzenden des Demokratischen Aufbruchs, Rainer Eppelmann. Am 1. April trat Böhme von allen seinen Ämtern zurück.

Später berichtete Markus Meckel, Martin Gutzeit und er waren schon vor dem SDP-Parteitag vom Januar 1990 fest davon überzeugt, dass Ibrahim Böhme für die Staatssicherheit gearbeitet hat. Was Markus Meckel aber nicht hinderte, Ibrahim Böhme nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden herzlich zu gratulieren. Markus Meckel meinte, sie hätten keine Beweise für Böhmes Spitzeltätigkeit gehabt. Wenn sie ihre Vermutung geäußert hätten, wären sie als Denunzianten bezeichnet worden und hätten sich selbst aus der SDP katapultiert. Sie hätten ihre Vermutung nicht öffentlich machen dürfen.

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Nach der Volkskammerwahl beginnt der Wahlkampf für die Kommunalwahlen am 06.05.1990. Unterstützung erhält die SPD der DDR durch die Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik. Sie lud vom 30.03. bis zum 01.04. zu einer Konferenz nach Berlin ein.

Die Unterstützung durch die westdeutsche SPD konnte die personelle und organisatorischen Defizite der SPD der DDR nicht ausgleichen. Die selbe Werbeagentur aus Düsseldorf wie bei der Volkskammerwahl war auch bei der Kommunalwahl tätig.

Mangels Kandidaten konnte nicht flächendeckend in der DDR angetreten werden, besonders in den kleinen Städten und Gemeinden fehlten Kandidatinnen und Kandidaten.

Viele erfahrene Kommunalpolitiker, die eventuell gewonnen werden konnten, waren zuvor in der SED oder den übrigen Blockparteien. Sie konnten aber wegen des Verbots der Aufnahme bzw. des Verbots der Übernahme einer Wahlfunktion in der SPD nicht für die Kandidatur für die Kommunalwahl gewonnen werden. Hinzu kam, manch ehemaliges Parteimitglied wollte von Parteien nichts mehr wissen. Im Beruf nicht von einer Parteizugehörigkeit abhängig zu sein, war auch ein Stück genossene Freiheit.

Zum Hauptgegner im Wahlkampf wird die PDS erklärt.

Das Wahlergebnis, flächendeckend 21,3 Prozent, fällt für die SPD enttäuschend aus. Gegenüber der Volkskammerwahl ein Verlust von 0,6 Prozentpunkte.

Obwohl das Wahlergebnis enttäuschend war, die geringe Mitgliederzahl sorgte für einen hohen prozentualen Anteil von Mandatsträgern in der SPD-Mitgliedsschaft. Die oftmals in der Kommunalpolitik Unerfahrenen mussten sich erst einarbeiten. Hinzu kam noch die Umbruchsituation in der DDR. Was die Arbeit zusätzlich erschwerte.

Auf einem Sonderparteitag 09. Juni 1990 im Klubhaus der Gewerkschaften in Halle wird Wolfgang Thierse - bloß kein Pastor - zum neuen Vorsitzenden gewählt.

Wolfgang Thierse sagte im Spiegel-Interview am 18.06. zu seiner überraschenden Wahl: "Nachdem ich beim Parteivorstand als Kandidat durchgefallen war, dachte ich eigentlich, jetzt habe ich das hinter mir. Ich war auch ganz erleichtert".

Der stellvertretende Parteivorsitzende Karl-August Kamilli verliest den Bericht des Vorstandes. Über die Arbeit der Fraktion berichtet Fraktionsvorsitzender Richard Schröder.

Kritik gab es von Delegierten an der Regierungsbeteiligung. Es werden die Weichen für eine möglicht rasche Vereinigung mit der SPD (West) gestellt. Beschlossen wird, unverzüglich Verhandlungen über die Vereinigung der beiden Parteien aufzunehmen. Ein Beschluss, der eigentlich schon auf dem Parteitag im Februar 1990, auf dem die Umbenennung von SDP in SPD erfolgte, folgerichtig gewesen wäre. Es wurde ein Vereinigungsausschuss gebildet.

Der generelle Aufnahmestopp für ehemalige SED-Mitglieder wird aufgehoben. Auch der Eintritt von ehemaligen Blockparteienmitgliedern wird ermöglicht. Ein Antrag auf den straffreien Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten wird von den Delegierten angenommen.

Neun Monate nach der Parteigründung im Oktober 1989 war keines der vier Unterzeichner der Initiative zur Schaffung einer sozialdemokratischen Partei in der DDR, die am 26.08.1989 vorgestellt wurde, mehr in einer führenden Position in der SPD der DDR. Die Zahl der SPD Mitglieder soll noch 32 000 betragen. Einen Monat später werden 13 000 Mitglieder genannt.

Die gemeinsame Kommission zur Vorbereitung der Vereinigung der beiden SPDs kommt am 17.06.1990 zum ersten Mal in Berlin zusammen.

Einige SPD-Abgeordnete schließen sich einem interfraktionellen Antrag zur sofortigen Beitritt der DDR zur BRD an. Der Antrag soll am 17.06.1990 in die Volkskammer eingebracht werden. Was bei der SPD-Führung missfallen hervorruft. Da aber SPD- und CDU-Abgeordnete einen Rückzieher machen wird der Antrag nicht gestellt.

Auf der Tagung der Volkskammer am 21./22.07.1990 reichen die Fraktionen von SPD und den Liberalen einen Antrag zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik gemäß Artikel 23 Grundgesetz zum 01.12. ein. Am 02.12. waren Bundestagswahlen vorgesehen. Es sollte damit ein getrenntes Wahlrecht für die Ex DDR und die alte BRD, verhindert werden.

Der Antrag erhält bei der Abstimmung keine Mehrheit. Die CDU, die DSU stimmten wie die PDS gegen den Antrag. Alle Parteien in der Regierung spielen auch gleichzeitig Opposition. Ablehnung ereilt auch ein SPD Antrag vom 08.08.1990 zum Beitritt bis zum 15.09.1990. Der CDU/DA-Antrag zum Beitrittstermin 14.10. wird hingegen von der Volkskammer angenommen. Ingrid Matthäus-Maier und Wolfgang Roth von der SPD (West) fordern am 17.08.1990 einen Beitritt "möglichst noch diese Woche". Die SPD wollte in der Frage des Beitritttermins das Feld nicht der CDU überlassen.

Am 26.09.1990 halten die SPD (DDR) und die SPD (BRD) einen Parteitag ab, der die endgültige Voraussetzungen schaffen soll für die Vereinigung der beiden Parteien. Die SPD (DDR) trift sich im Internationalen Kongresszentrum (ICC) in Berlin-Charlottenburg. An die Spitze für die gesamtdeutsche SPD wird Wolfgang Thierse, Angelika Barbe, Ibrahim Böhme, Irene Ellenberger, Konrad Elmer, Regine Hildebrandt, Reinhard Höppner, Harald Ringsdorf, Thomas Schmidt und Käte Woltemath gewählt.

Die SPD (BRD) tagt im Audimax der Technischen Universität ebenfalls in Berlin-Charlottenburg.

Der vorher als Tagungsort anvisierte Palast der Republik stand wegen Asbestgefahr, so die offizielle Begründung, nicht zur Verfügung. Die SPD wollte trotzdem in diesem Gebäude ihren Parteitag abhalten. Sie erklärte sich sogar bereit die Verantwortung für eventuelle Schäden zu übernehmen.

Forderungen nach einer Urabstimmung, wie sie eigentlich im Statut der SPD (BRD) bei Parteienverschmelzung vorgesehen ist wurden im Vorfeld verworfen. Als Begründung wird angegeben, die SPD (DDR) sei keine andere Partei. Auch wird auf den Beitritt der SPD des Saarlandes 1956, der ohne Urabstimmung erfolgte, verwiesen. Es gab auch Befürchtungen, die Abstimmung könne von machen Mitgliedern als Ventil für ihren Unmut über den Kurs zur Einheit genutzt werden.

Zur Vereinigung der beiden SPDs kommt es am 27./28. September 1990 auf einem Vereinigungsparteitag im ICC in Berlin-Charlottenburg. Motto: DER NEUE WEG ökologisch, sozial, wirtschaftlich stark.

"Wir sind nicht die deutschen Kolonien sondern ein Teil der Deutschen Bundesrepublik." Und, "Spielt euch jetzt nicht auf wie Sieger, ihr Westdeutschen", meinte dort Wolfgang Thierse. Die Forderung, den SPD-Vorsitzenden (DDR), Wolfgang Thierse, gleichberechtigt neben den SPD-Vorsitzenden (BRD), Jochen Vogel, zu platzieren, wurde schon im Vorfeld abgelehnt.

Als Kanzlerkandidaten für die anstehende Bundestagswahl wird Oskar Lafontaine nominiert.

Auf dem Vereinigungsparteitag finden keine Neuwahlen statt.

Es wird ein "Manifest zur Wiederherstellung der Einheit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands" verabschiedet.

Auf der letzten Sitzung der Volkskammer am 28.09.1990 stellt die SPD-Fraktion den Antrag, Hans Modrow von der Liste der bis zur Bundestagswahl am 02.12.1990 zu Entsendeten Abgeordneten aus der DDR zu streichen. Der Antrag wird aus formalen Gründen hinfällig.

Nach einer Aussage von Markus Meckel war zwischen den Gründern der SDP und den Initiatoren des Demokratischen Aufbruch (DA) abgesprochen, dass die Sozialdemokraten den DA mitgründen. Dies galt aber nur solange wie sich der DA nicht selbst als Partei sondern als Bürgerbewegung verstand.

Um den Einzug von PDS und die Bürgerbewegten in das gesamtdeutsche Parlament zu verhindern, setzte sich die SPD für ein einheitliches Wahlgebiet in der die 5 %-Klausel gelten sollte ein. Gleichzeitig bot sie "Bürger-Promis" sichere Listenplätze an. Die SPD wollte die Etablierung einer "linken Partei" neben sich verhindern. Die CDU hingegen spricht sich, um die SPD zu schwächen, für ein getrenntes Wahlgebiet aus. Die Bevölkerung müsse in ihrem Meinungsspektrum im künftigen gesamtdeutschen Parlament vertreten sein. Dazu gehöre auch, dass die 1,9 Millionen DDR-Bürger, die PDS gewählt haben, ihre Vertretung haben müssen, so ihre Begründung.

Der Kompromiss in Bonn lautete dann, einheitliches Wahlgebiet und 5 Prozent-Klausel. Listenverbindungen sind erlaubt. Allerdings nur, wenn die Parteien nicht in einem Land untereinander konkurrieren. Damit konnte die CSU die DSU huckepack nehmen.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht das einheitliche Wahlgebiet gekippt hatte, fanden am 02.12.1990 in zwei getrennten Wahlgebieten die Bundestagswahl statt. Zwar konnte die SPD in der DDR ihr Stimmanteil von der Volkskammerwahl von 21,9 % auf 24,3 Prozent verbessern, aber so richtig von Fleck kam sie nicht. Das starke Nord-Südgefälle in der Wählergunst änderte sich nicht.

Von Anhängern der SPD wurde später der Anspruch die wichtigste politische Kraft in der Umbruchzeit 1989/90 gewesen zu sein, u. a. damit begründet, dass die SDP/SPD den Umbruch in eine parlamentarische Richtung trieb. Auch gibt es in einer Partei verbindliche Strukturen in Gegensatz zu den "Bürgerbewegungen". Durch die Existenz der SDP/SPD sei der SED die Legitimation sich auf den Sozialismus zu berufen entzogen worden. Und es sei die Machtfrage gestellt worden.

Auf der Leipziger Montagsdemo am 04.12.1989 war ein Transparent der SDP mit der Aufschrift zu lesen: "Leipzig weder rot noch rechts, sondern sozialdemokratisch. - Vorwärts! Nicht vergessen: Jetzt wir: SDP". Die Verdrängung der SED aus der Regierungsverantwortung in der DDR sollte aber nicht sofort erfolgen, sondern es wurde auf den erwarteten Erfolg bei den anstehenden Volkskammerwahlen gesetzt. So ging Ibrahim Böhme und Walter Romberg auf einer Pressekonferenz am 13.03.1990 in Bonn davon aus, dass die SPD in der DDR die absolute Mehrheit erringen wird.

Die SPD war in ganz Berlin eine zugelassene Partei. Der Alliierte Kontrollrat genehmigt am 31.05.1946 die gleichberechtigte Zulassung der SED und der SPD in allen vier Sektoren Berlins.

Am 20.07.1948 kündigte der Berliner SED-Vorsitzende Hermann Matern die Bildung eines Berliner Parteinblocks an. Der "Demokratische Block Berlin" konstituierte sich am 03.09.1948. Im gehörten neben der CDU, LDP und SED, auch Sozialdemokraten an.

Der ersten Volkskammer gehörten sechs Sozialdemokraten aus Ostberlin an. Mitglieder der Sozialdemokratischen Aktion.

Hatte die SPD in Ostberlin 1947 über 15 500 Mitglieder, so sank ihre Zahl Jahr für Jahr. 1961 waren es etwas mehr als 5 300 Mitglieder. Die SPD-Mitglieder waren in Ostberlin zahlreichen Schikanen ausgesetzt. Es gab Drohungen mit dem Verlust von Arbeitsplatz und Wohnung. Zahlreiche Mitglieder wurden inhaftiert.

Nach Beginn des Mauerbaus in Berlin und um Westberlin herum am 13.08.1961 und die damit verbundene Abriegelung für DDR-Bürger nach Westberlin, durften ab dem 23.08.1961 Westberliner Ostberlin nur noch nach Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung betreten. Der SPD-Landesvorstand fasste am 23.08.1961 den Beschluss die acht Ostberliner Kreisorganisationen aufzulösen. Sie wurden aus ihren Mitgliedspflichten entlassen. Eine Betreuung fand durch die Abteilung Mitgliederbetreuung beim Berliner Landesvorstandes statt.

Die 1946 gewählten Ostberliner Stadtverordneten erhielten nach 1948 einen Sitz im Abgeordnetenhaus von Westberlin ohne Stimmrecht. In den 50ziger Jahren waren unter den Berliner Bundestagsabgeordnete auch zwei aus Ostberlin.

Rainer Eppelmann wollte die SPD in Ostberlin neu gründen. Die SPD lehnte aber ab. Laut Bärbel Bohley wollten Reiner Meinel und Rudolf Tschäpe aus Potsdam im Herbst 1988 die SPD neu gründen. Unabhängig und ohne von der Parteigründung am 07.10. in Schwante zu wissen, gründeten fünf Rostocker einen Tag später eine sozialdemokratische Partei.

Eine auch in ganz Berlin zugelassen Organisation waren "Die Falken". Die Zulassung durch die Alliierte Kommandantur wurde am selben Tag wie die FDJ, 11.10.1947, erteilt. Mitglieder der Falken wurden wegen ihrer politischen Betätigung im sowjetischen Sektor zu Haftstrafen verurteilt.

Brigitte Seebacher schreibt über die Reaktion Willy Brandts auf die Gründung der SDP:

"Er wunderte sich: Was es alles gibt! Aber vor allem ärgerte er sich. Die Parteigründung von Schwante am 7. Oktober durchkreuzte die Gedanken, die ihn seit längerem umtrieben: Warum rufen wir die SPD nicht einfach im Ostsektor Berlins wieder aus? Die haben wir doch nie wirklich aufgelöst! Dann sehen wir mal, was daraus wird." (13)

Auf dem SPD-Parteitag am 18.12.1989 in Berlin sagte Willy Brandt: "Wir hätten jetzt, gestützt auf den Beschluss der Vier-Mächte-Kommandantur aus dem Jahre 1946, die Tätigkeit im Ostsektor von Berlin wiederaufnehmen können. Aber damit hätte Unklarheit aufkommen können. Denn nach der Sommerpause, noch unter den Bedingungen der Halblegalität, hatte sich die SDP, die Sozialdemokratische Partei in der DDR, gebildet."

Die SPD Jugendorganisation, Junge Sozialdemokraten, gründete sich am 03.02.1990 in Berlin. Es wurde ein vorläufiges Statut verabschiedet. Ein Zivildienst ohne Gewissensprüfung wurde gefordert. Mitglied können alle zwischen 14 und 30 mit Wohnsitz in der DDR werden und keiner Partei außer der SPD angehören.

Beim Vorstand der SPD wird im April 1990 ein Gewerkschaftsbeauftragter eingesetzt. In Chemnitz wird am 22.09.1990 die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD in der DDR gegründet. Bereits im Juni 1990 wurde ein Aktionsprogramm für den Aufbau und die Entwicklung der AfA vorgelegt.

Als Ableger der Friedrich-Ebert-Stifung wurde in der DDR der Verein für politische Bildung und soziale Demokratie e. V. gegründet.

Heute erinnert eine Gedenktafel am Pfarrhaus in Schwante an die Gründung der Sozialdemokratischen Partei.

Das Pfarrhaus in Schwante kam im Januar 2003 wieder in die Öffentlichkeit. Es sollten Vietnamesen für eine Abschiebung festgenommen werden, die dort Kirchenasyl erhalten hatten.

25 Jahre nach der Gründung der SDP fand am 7. Oktober 2014 im Willy-Brandt-Haus in Berlin eine Festveranstaltung statt.

Am 25./26.01.2019 trafen sich die Ost-SPD im Schloss in Schwante zu einer Klausur. 2019 stehen in den Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen Landtagswahlen an. In Schwante soll jetzt jedes Jahr eine Klausur stattfinden. "Wir wollen, dass Schwante für die Ost-SPD das wird, was Kreuth für die CSU war. Aber inhaltlich anders", sagte Manuela Schwesig.

(1) Martin Gutzeit, Helge Heidemayer, Bettina Tüffers (Hg.): Opposition und SED in der Friedlichen Revolution. Organisationsgeschichte der alten und neuen politischen Gruppen 1989/90, Berlin 2011, S. 74
(2) Markus Meckel, Steffen Reiche (Hg.): Nichts bleiben , wie es ist. Gedanken zur Gründung der Ost-SPD, vorwärts buch 2010, S. 130
(3) https://nsarchive2.gwu.edu/NSAEBB/NSAEBB293/doc06.pdf
(4) "... auf `ne gute Zukunft für die soziale Demokratie..."
Das Treffen von Hans-Jochen Vogel und Willy Brandt mit führenden Vertretern der SDP am 10.11.1989 in Ost-Berlin, Schriftenreihe der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, Heft 29
(5) ebenda
(6) Markus Meckel, Steffen Reiche (Hg.): Nichts bleiben , wie es ist. Gedanken zur Gründung der Ost-SPD, vorwärts buch 2010, S. 8 (7) die tageszeitung, 05.05.1994
(8) Thomas Krüger in: Eckhard Jesse, Thomas Schubert (Hg.): Friedliche Revolution und Demokratie. Perspektiven nach 25 Jahren, Ch. Links Verlag Berlin 2015, S. 124
(9) Neues Deutschland, 29.01.1990
(10) Reinhard Höppner in: Historische Kommission des SPD-Landesverbandes Sachsen-Anhalt (Hrsg.) Beiträge zur Geschichte der Sozialdemokratie in Sachsen-Anhalt Heft 4, S. 57
(11) Gregor Gysi: Ein Blick zurück, ein Schritt nach vorn. Hoffmann und Campe 2. Aufl. 2001, S. 74
(12) Daniel Friedrich Sturm: Uneinig in der Einheit. Die Sozialdemokratie und die Vereinigung Deutschlands 1989/90, Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GmbH 2006, S. 292f
(13) Brigitte Seebacher: Willy Brandt. Piper Verlag München 2004, S. 291

Link zum Tondokument über das Treffen am 10.11.1989

Δ nach oben