Als nackten Mann würde ich mich durchaus nicht bezeichnen
Das Staatssäckel ist nicht gerade prall, aber die deutsche Einheit ist finanzierbar / BZ-Exklusivinterview mit Minister Dr. WALTER ROMBERG
Mit dem 1. 7. besinnt eine neue Zeitrechnung, der erste Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR tritt in Kraft. Für den Bürger unseres Landes heißt das zunächst einmal, die D-Mark als Währung in die Hand zu bekommen. Was das für das Staatssäckel bedeutet, erfuhr BZ in einem Exklusivinterview mit Finanzminister Dr. Waltet Romberg (SPD).
BZ: Die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion wirft eine Frage auf, die viele bewegt: was kostet die deutsche Einheit, was kostet sie uns, was kostet sie die Bundesrepublik - ist sie finanzierbar?
Dr. Romberg: Ich denke, sie ist finanzierbar. Für die nächsten Monate jedenfalls haben wir eine entsprechende Übersicht. Die mittel- und längerfristigen Kosten sind sicherlich nicht abschätzbar. Aber es gibt die Erwartung, dass es in diesem Teil Deutschlands zu einer wirtschaftlichen Erholung kommen wird. Deutlich ist, dass der Finanzrahmen, der für uns durch den Staatsvertrag gesetzt worden ist, eine Höhe ausweist, die sehr wohl finanzierbar ist. Wir empfinden diesen Rahmen an bestimmten Stellen nach wie vor als sehr eng. An anderen Stellen kann es sein, dass wir für das zweite Halbjahr 1990 sogar Anstrengungen machen müssen, um das zur Verfügung stehende Geld in guter Weise zu verbrauchen. Ich denke da an manche Fragen der Investitionen.
Ich habe den Eindruck, dass die Summen, die von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt wurden, nicht über die normale Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik hinausgehen, wenn man die Dimensionen bedenkt, in denen dort Finanzen betrachtet werden.
Auch künftig viel im Ministerium zu tun
BZ: Werden Sie sich mit Inkrafttreten des Staatsvertrages als souveräner Finanzminister verabschieden, wenn über Ihnen nun der Bundesfinanzminister steht?
Dr. Romberg: Erstens verabschiede ich mich nicht, das habe ich nicht vor. Ich denke, es gibt in Zukunft im Rahmen dieses Ministeriums und auch auf anderen Ebenen sehr viel zu tun. Zweitens sehe ich natürlich, dass der Bundeshaushalt für das Jahr 1991 von Herrn Waigel so konzipiert wird, dass die DDR dort bereits einen Teilbereich ausmacht, sie wird in diesen Planentwurf bereits integriert. Zwar erwarte ich, dass hier noch eine Abstimmung erfolgt, aber mit dem Staatsvertrag geben wir eben nicht nur unsere Währungshoheit ab, sondern natürlich auch einen Großteil wirtschaftlicher und damit auch politischer Souveränität. Ich hätte mir allerdings ein langsameres Zusammenwachsen beider deutscher Staaten gewünscht. Das wäre sicher nicht nur für die Finanzen beider Länder günstig gewesen.
BZ: Diese Eile bei der Vereinigung könnte doch auch damit zusammenhängen, dass die Kosten höher werden als geplant. Also rasche Vereinigung, bevor der Bürger und damit der Wähler tiefer in die Tasche greifen muss . . .
Dr. Romberg: Die Entscheidung ist sicher durch die politischen Kräfte bestimmt. Es gibt die Erwartung, dass die nächsten Monate in einer Weise bewältigt werden, die noch keine immens dramatischen sozialen und damit politischen Folgewirkungen hat. Die Liquiditätsplanung, die wir jetzt mit Unterstützung der Bundesrepublik durchführen und realisieren, gibt die Möglichkeit, zu abrupte Einbrüche zu verhindern. Dahinter steht natürlich die Erwartung, dass es vor den Bundestagswahlen im Dezember dieses Jahres nicht zu scharfen politischen Polarisierungen kommt.
BZ: Im Staatsvertrag ist mit dem Fonds deutsche Einheit eine Art Anschubfinanzierung vorgesehen. Wirtschaftsinstitute der Bundesrepublik gehen jedoch davon aus, dass diese insgesamt 115 Milliarden DM bis 1994 nicht ausreichen. Der DDR-Staatshaushalt ist angeschlagen, wie sich Steuerzahlungen entwickeln, ist angesichts der unsicheren Wirtschaftslage nicht abzusehen. Was bleibt da real berechenbar?
Dr. Romberg: Es gibt Abschätzungen für die Steuern, allerdings mit manchen Unbekannten. Trotzdem hat man keine absolute Ungewissheit. Das Defizit für das zweite Halbjahr ist mit 35 Milliarden DM angegeben. Dem stehen 31 Milliarden Einnahmen gegenüber, vor allem durch Steuern. Es ist ein Gesamthaushalt von 64 oder 66 Milliarden DM da. Wir werden aus der BRD 22 Milliarden DM Finanzzuweisungen für das zweite Halbjahr bekommen.
Jetzt sind wir dabei, die Haushaltsplanung für das zweite Halbjahr durchzuführen. Und die Gespräche mit den Ressortministern machen es nur zu deutlich, manches wird knapp werden. Es können Situationen eintreten, wo wir über diesen Finanzrahmen hinausgehen müssen. Solche Möglichkeiten sind für den Notfall gegeben.
BZ: Was könnte ein solcher Notfall sein?
Dr. Romberg: Zum Beispiel im Bereich Sozialversicherungen kann es sich erweisen, dass der Rahmen tatsächlich zu eng ist.
BZ: Die Finanzierbarkeit der deutschen Einheit hängt mit davon ab, in welchem Maße hier Arbeitsplätze erhalten bleiben. Denn Arbeitslosigkeit belastet den Staatsetat.
Wirtschaftsminister Pohl sprach davon, dass etwa 30 Prozent der Betriebe mit 46 Prozent der Industriearbeiter wahrscheinlich Konkurs anmelden müssen. Demzufolge wäre ein exaktes Wirtschaftsförderungsprogramm sehr dringlich. Sind dafür aus der Sicht des Finanzministers bestimmte Unterstützungen möglich?
Dr. Romberg: Ich halte diese Zahlen von Herrn Pohl für unbegründet. Es wird Schwerpunkte von Arbeitslosigkeit in manchen Industriebereichen geben, hier sind Umschulungsmaßnahmen äußerst notwendig. Wir haben aber durch Liquiditätsmaßnahmen Voraussetzungen dafür, dass eben jetzt nicht in großem Umfang und abrupt Arbeitslosigkeit entstehen muss. Die kleineren Betriebe die Handwerksbetriebe erhalten ebenso wie die Großbetriebe, die Möglichkeit zur Aufnahme von Überbrückungskrediten. Damit können Lohn- und Gehaltszahlungen in den nächsten drei Monaten weitestgehend gesichert werden. Soweit es sich nicht um Betriebe handelt, von denen man heute schon sagen kann, dass sie absolut nicht sanierungsfähig sind und in Konkurs gehen müssen. Diese Stützungsphase darf natürlich nicht bedeuten, dass einfach so weitergemacht wird wie bisher. Es müssen rigoros Strukturanpassungsschritte unternommen und Wirtschaftskonzepte erarbeitet werden, die mit den jeweiligen Entwicklungskonzepten der Regionen abgestimmt sind. Dabei darf man nicht wie früher Direktiven von oben erwarten.
Die Hauptsache ist jetzt, dass sich initiativreiche, unternehmerische Betriebsleiter mit guten Beratern ans Werk machen.
Unterstützung für Investitionen
BZ: Dabei kann das Finanzministerium helfen, es sind unter anderem, Investitionszulagen von 12 Prozent geplant. In welchen Zeiträumen können sie greifen?
Dr. Romberg: Das hängt von der Art des Unternehmens ab. In kleineren Betrieben, im Bauwesen, in der Tourismusbranche, bei Dienstleistungen und Gastronomie kann man in einigen Monaten tatsächlich eine Menge neuer Arbeitsplätze haben.
BZ: Um das Volksvermögen und die Treuhandanstalt gab es heftige Debatten in der Volkskammer. Unsere wirtschaftliche Lage ist derzeit so, dass dieses Vermögen nicht, wie vorgesehen, verteilt werden kann, sondern zur Finanzierung der Einheit erforderlich ist. Ich fürchte jedoch, vieles könnte unter Wert verkauft werden, ohne dass für die Wirtschaft und für die Bevölkerung genügend Nutzen daraus entspringt.
Dr. Romberg: Die Treuhand, wenn sie in guter Weise verwaltet und wirtschaftlich genutzt wird, ist ein gewaltiges Potential. Die Frage ist, wie es genutzt wird. Es gibt unterschiedliche Tendenzen. Man sollte sehr aufpassen, dass es nicht voreilige Verkäufe von Betrieben gibt, die erst in der Zukunft ihre volle Wirtschaftskraft entfalten. Für Sanierung und Investitionen in den Unternehmen, die zur Treuhand gehören, sind beträchtliche Mittel vorgesehen. Wichtig sind ein gutes Management der Unternehmen, gute Betriebsräte und eine gute Marktpolitik. Sonst könnte es sein, dass Marktpositionen kräftiger Betriebe verlorengehen. Außerdem müssen wir zu einer wirtschaftlichen Regionalplanung übergehen, dazu gehört auch der Aufbau neuer Industriezonen.
BZ: Vor kurzem erst sagten Sie, man kann einem nackten Mann nicht in die Tasche fassen. Sehen Sie sich als nackter Mann, wenn es zum Beispiel um Forderungen von Künstlerverbänden geht, die ja durchaus etwas DDR-typisches sind?
Dr. Romberg: Ich würde mich nicht als nackten Mann bezeichnen, aber es sind wenig Mittel vorhanden. Es wäre vermessen, hier schnelle Rezepte geben zu wollen. Wir leben nicht nur finanziell, in einer sehr schwierigen Situation. Ich denke, auch die kulturelle Entwicklung in unserem Land ist in einer Umbruchphase Ich persönlich wünsche mir sehr, dass wir ein Menge von Erfahrungen und Gestaltungskraft der letzten 40 Jahre bewahren und Neues schaffen können. Dazu gehören selbstverständlich materielle Voraussetzungen. Ich werde, soweit dies möglich ist. solche Bemühungen finanziell unterstützen und denke da unter anderem an Stiftungen, mitfinanziert aus Nischen im Staatshaushalt. Allerdings werden das keine großen Betrage sein können.
BZ: Sie sprachen unlängst vor der Volkskammer davon, dass Sie nicht wüssten, wie Sie gegebenenfalls Entschädigungsforderungen für die Bodenreform finanzieren sollen. Herr de Maizière antwortete Ihnen recht rüde, dies betreffe ohnehin nicht mehr Ihren Haushalt. Heißt das, diese Gelder müssten dann durch den Bundeshaushalt getragen werden - was unter Umständen die Chance böte, der Preis ist zu hoch, und die Ergebnisse der Reform bleiben unangetastet?
Dr. Romberg: Ich gehe noch davon aus, dass es möglich sein wird, die durch die Bodenreform geschaffenen Eigentumsverhältnisse festzuhalten. Wenn es hier tatsächlich zur Infragestellung der Bodenreform kommen sollte, würde das zu immensen sozialen und politischen Auseinandersetzungen führen. Ich bin nicht bereit, mich auf die Möglichkeit einer Rückgängigmachung der Bodenreform einzustellen.
BZ: Das ist eine sehr eindeutige Aussage. Sie haben sich ebenso eindeutig geäußert, was einen zweiten Staatsvertrag betrifft. Mittlerweile ist bekannt: Bis zum 3. 7. liegt der Entwurf desselben in Bonn mit den Zuarbeiten der einzelnen Ministerien vor. Die DDR-Regierungskoalition dagegen hat sich darauf geeinigt, erst nach dem 1. 7. mit Diskussionen zum zweiten Vertrag zu beginnen. Wird es nun wieder so laufen wie mit dem ersten?
Dr. Romberg: Sie wissen, dass ich schon vor vierzehn Tagen in der Volkskammer gefordert habe, dass die Vorbereitungen auf den zweiten Staatsvertrag von unserer Seite intensiver und öffentlich sein müssen. Die Diskussion über die Eigentumsfragen zeigt, dass die Öffentlichkeit tatsächlich größer wird. Auch bei uns, in diesem Ministerium, sammle ich seit über einer Woche Aspekte, die mit dem Staatsvertrag zwei zusammenhängen. Also auch bei uns gibt es bereits Vorbereitungen. Die Entwürfe, die von der Bundesregierung vorbereitet sind, werden sicher bald zusammen mit unseren Vorstellungen Gesprächsgegenstand sein.
BZ: Öffentliche Diskussion hieße, anders als beim ersten Vertrag, dass nicht zuletzt die Medien Inhalte und Diskussionsgrundlagen auch aus Sicht der DDR-Regierung anbieten. Davon sind wir weit entfernt.
Dr. Romberg: Die Diskussion um Eigentumsfragen und Bodenreform, das, was wir hier jetzt besprechen, gehören bereits dazu. Es werden andere Aspekte hinzukommen, Probleme der schrittweisen Anpassung in der Gesetzgebung, auch in der Sozialgesetzgebung. Ein wesentlicher Punkt wird die Diskussion der Länderverfassungen sein und Probleme, die mit der Länderbildung zusammengehören. Ich kann mir vorstellen, dass die spezielle Rolle und der Verbund der Länder, die auf dem jetzigen Territorium der DDR liegen, mit in diesen Staatsvertrag hineingehören. Ein Verbund ist zum Beispiel nötig in Bezug auf Finanzen und wirtschaftliche Maßnahmen. Übrigens ist der Gedanke eines solchen Verbundes schon in der Koalitionsvereinbarung enthalten.
Manche Entwicklung war anders gedacht
BZ: Von dieser Vereinbarung hat man sich teilweise recht weit entfernt, ebenso ist die Regierungserklärung in etlichen Punkten überholt. Allein die jetzt so unterschiedlich beantwortete Frage nach Wahlterminen deutet auf Veränderungen hin.
Dr. Romberg: Die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten hat ihre Gültigkeit, auch wenn die Gesamtentwicklung an einigen Stellen schneller und - ich würde sagen - auch anders verlaufen ist, als es mancher Vorstellung entsprach. Aber natürlich trägt die Zukunft schon die Möglichkeit einer stärkeren Differenzierung zwischen den jetzigen Koalitionspartnern in sich. Der Landtagswahlkampf zwingt zu neuen politischen Positionsbestimmungen, und auch die mit großer Wahrscheinlichkeit im Dezember stattfindenden Wahlen in Gesamtdeutschland werden mehr und mehr Gewicht gewinnen.
BZ: Das Tempo der Entwicklung ist so hoch geworden, dass viele Menschen weder mit dem Kopf noch mit dem Gefühl schnell genug hinterherkommen. Geht es Ihnen ähnlich?
Dr. Romberg: Es gibt eine Geschichte: Afrikaner, die nach Europa kamen und dort lange auf dem Flugplatz sitzen blieben, antworteten - befragt, warum sie denn nicht weiter in die Stadt zögen - unsere Seele ist hier noch nicht angekommen. Vielleicht gehört diese Geschichte etwas zu unserer Situation. Die Entwicklung geht viel zu schnell, als dass wir sie verarbeiten könnten. Darum ist es wichtig, das echte, das wirkliche Gespräch zwischen den Ostdeutschen und den Westdeutschen nicht zu vergessen. Im Augenblick haben wir Angst voreinander, jeder vor dem anderen. Wir müssen uns gegenseitig aufschließen und die Unterschiede fruchtbar machen.
Das Gespräch führte
Bettina Urbanski
Berliner Zeitung, Sa. 30.06.1990, Jahrgang 46, Ausgabe 150