Die gegenwärtige Herausforderung zur Parteigründung

Vorausgesetzt, wir einigen uns, so gründen wir heute die Sozialdemokratische Partei der DDR.

Wir wollen damit ein Hoffnungszeichen setzen in der Unruhe und Spannung dieser Tage und Wochen. Es soll ein Zeichen sein des beginnenden Endes einer entmündigenden Herrschaft und des notwendigen Anfangs einer wirklich demokratischen Republik.

Wir tun dies an dem Tag, an dem die DDR 40 Jahre alt wird. Doch sehen wir keinen Grund zu feiern. Die Situation in unserem Land ist bedrohlicher denn je. Die Politik der SED hat das Land in eine schwere Krise geführt, eine Krise, die offenbart, was in diesem Land seit Jahrzehnten geschieht. Diese Politik plündert das Land aus und verschleudert seine Ressourcen. Wir leben von der Substanz und durch ständige Hypotheken auf die Zukunft.

Täglich verlassen viele zumeist junge Menschen die DDR. Natur und Umwelt werden durch unverantwortliche Politik und schlechtes Wirtschaften in großem Ausmaß zerstört. Wir werden zum Müllplatz des Westens. Schweinefleisch geht billig in den Westen Gülleseen bleiben zurück (Quaschwitz, Bezirk Gera). Alles, was für Devisen zu bekommen ist, wird verkauft, selbst kulturelles Erbe.

Alte Städte verfallen und werden abgerissen. Es muss noch untersucht werden, wie viel denkmalgeschützte Gebäude und Anlagen im Krieg zerstört wurden und was danach verfiel. Wer etwas gegen all dies tun will, erfährt: Du bist nicht zuständig! Das geht dich nichts an. Wenn er oder sie den Verantwortlichen sucht: Es gibt ihn scheinbar nicht. Eine organisierte und scheinbar anonyme Verantwortungslosigkeit prägt das System.

Ein 40jähriger absoluter Wahrheits- und Machtanspruch der SED hat die Menschen ihrer Zuständigkeit für die eigene Wirklichkeit beraubt. Die jahrzehntelange Bevormundung und Entmündigung hat es verhindert, dass die meisten Bürger dieses Landes eine Identität als DDR-Bürger entwickelt haben. Die Menschen verloren weitgehend die politische Dimension als Teil ihres Lebens und wurden so eines Teils ihrer selbst beraubt. Sie erfuhren sich nicht als Herren im eigenen Haus, sondern als Untertan, als Befehls- und Weisungsempfänger.

Normale soziale Rechte wie z. B. eine angemessene Berufsausbildung und das Erhalten einer Wohnung oder die den Fähigkeiten angemessene Stellung und Verantwortung in Beruf und Gesellschaft - all das wurde unter der Hand zu einem Privileg, das zu verlieren man Angst hatte.

Dieses System der Angst war ein Wesensmerkmal unserer Gesellschaft.

Und wirklich vorbei ist es noch nicht.

Die SED betrachtet bis heute Staat und Gesellschaft als ihren Besitz, den sie möglichst umfassend gestalten und formen will.

Neben der Entmündigung der Bürger führt dies auch zu einem riesigen bürokratischen Apparat mit seinen Sicherheitskräften und zu der bekannten Unflexibilität in Gesellschaft und Wirtschaft.

In den Ländern Osteuropas ist in den letzten Jahren vieles in Bewegung gekommen. Das hat auch in unserem Land manche Hoffnung geweckt. Doch ist diese Hoffnung in den letzten Monaten bei vielen einer großen Enttäuschung und Perspektivlosigkeit gewichen, weil die SED keinerlei Bereitschaft zu wirklichen Reformen gezeigt hat.

Diese Politik der SED verhindert zunehmend selbst, was ihr erklärtes Ziel ist. Durch eine 40jährige Geschichte hat sie, den Begriff des Sozialismus so sehr diskreditiert, dass er gegenüber vielen DDR-Bürgern kaum noch benutzbar ist als Bezeichnung eigener Zielbestimmung. Dabei wollen wir genau das, was in der Version des Sozialismus angesprochen ist: ein gerechtes und soziales Gemeinwesen.

Die Chancen des Aufbaus eines solchen Gemeinwesens in einer nichtkapitalistischen DDR schwinden jedoch bei längerer SED-Herrschaft immer mehr, deshalb wollen wir nicht warten, sondern tun, was wir selbst tun können. Wir treten ein für eine völlige Neuorientierung und Umstrukturierung von Staat und Gesellschaft in der DDR.

Auch wir wollen einen Staat in antifaschistischer Tradition, wie er vor 40 Jahren proklamiert wurde. Doch wollen wir es grundsätzlicher. Wir sind Gegner jedes Totalitarismus - also auch des Stalinismus.

So ist gerade im Anknüpfen an die antifaschistische Tradition eine radikale Veränderung nicht nur gegenwärtiger Politik notwendig, sondern des Systems als Ganzes.

Was können wir für diese Veränderung tun?

Zuallererst müssen wir es neu lernen, uns selbst als politische Wesen zu verstehen, die Verantwortung für ihre Wirklichkeit tragen, Das bedeutet, dass wir selbst sagen müssen, was wir wollen, welche Politik wir wollen und wie wir uns die Gestalt dieses Landes vorstellen. Notwendig ist die Erarbeitung einer politischen Alternative für dieses Land. Dazu bedarf es der klaren und unverstellten Sicht auf das, was ist. Und dann ist es wichtig, darüber in einen öffentlichen Diskurs zu treten mit allen, die ebenfalls an der Zukunft dieses Landes interessiert sind.

Wir als ein verschwindend kleiner Teil dieser Gesellschaft können uns nicht anmaßen, dieses notwendige gesellschaftliche Gespräch organisieren zu können. Doch wir können es herausfordern und haben es faktisch schon am 26. August getan, als wir die Initiative zu dieser Partei zum ersten Mal vorstellten. Wir fordern dieses Gespräch heraus und beteiligen uns an ihm aus allen möglichen Ebenen und in der Mitarbeit auf den verschiedener Foren und Gesprächsebenen, die sich in den letzten Wochen gebildet haben. Dort müssen wir dann jeweils versuchen, das, was wir wollen, möglichst klar zu sagen, zur Diskussion zu stellen und in dieser zu bewähren. Für diese vors uns anvisierte politische Perspektive suchen wir Verbündete und Mitstreiter. Als Partei werden wir versuchen müssen, diese politische Perspektive miteinander möglichst klar und überzeugend auszuarbeiten. Und im gesellschaftlichen Gespräch wird sich zeigen, ob sie bei der Bevölkerung so überzeugend ist, dass sie mit der Unterstützung vieler zu einer politischen politischen Kraft wird.

Warum eine sozialdemokratische Partei?

Die Inhalte des Namens als Orientierung

Schon im Namen einer sozialdemokratischen Partei sind zwei grundlegende Kriterien für die Entwicklung, die wir wollen, angesprochen. Sie soll sozial und demokratisch sein! Mit dem festen Zusammenhang beider Begriffe ist die notwendige Zusammengehörigkeit von sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen Menschenrechten und den politischen und bürgerlichen Grund- und Partizipationsrechten ausgedrückt.

Diese Menschenrechte sollen Leitlinien und Grundlagen unserer Politik sein und müssen gegen jede staatliche und wirtschaftliche Macht geschützt und durchgesetzt werden. Oft wird für diese Zielrichtung dann auch der Begriff des demokratischen Sozialismus gebraucht.

Zu unserer Zielbestimmung gehört als drittes Kriterium noch die ökologische Orientierung. Wir meinen aber, dass das nicht im Namen genannt werden muss, da ökologisches Wirtschaften künftig zur Überlebensbedingung jedes gesellschaftlichen Systems wird - auch jeder Diktatur. Natürlich sind wir aber der Überzeugung, dass ein demokratisches und soziales System mehr Chancen hat, eine wirklich ökologische Wirtschaft aufzubauen und so Zukunft zu sichern.

Das Anknüpfen an die deutsche sozialdemokratische Tradition

Mit der Wahl dieses Namens stellen wir uns bewusst in eine alte Tradition. Der Grundcharakter der deutschen Sozialdemokratie war von Anfang an das Eintreten für die Benachteiligten im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozess - und das waren zuallererst die Arbeiter. Dabei war der Ansatz von vornherein nicht paternalistisch, sondern lag in der Mobilisierung der Betroffenen, die in der SPD zum Subjekt ihres eigenen Befreiungskampfes wurden.

Schon früh band die Sozialdemokratie die Verfolgung ihrer Ziele an demokratische Wege und Methoden, d. h. an Rechtsfassung und -normen.

Sie war gegen Gewalt im gesellschaftlichen Kampf. Dem fühlen wir uns verbunden. Sie machte Veränderung der Gesellschaft in einem demokratischen Gemeinwesen vom Willen der Mehrheit abhängig und versuchte, diesen Mehrheitswillen zu formen und zu mobilisieren.

So wurde sie zunehmend zu einer Volkspartei, welche die Gewerkschaften unterstützte und für die Mitbestimmung am Arbeitsplatz und in der Gestaltung der Produktion eintrat, ebenso wie schon sehr früh für die Gleichberechtigung der Frauen.

Diese Tradition ist uns wichtig.

Nach der unter Druck stattgefundenen Vereinigung von SPD und KPD auf dem Gebiet der heutigen DDR wurde diese Tradition schnell verdrängt. Wir wollen sie wieder lebendig werden lassen - unter den für uns spezifischen Bedingungen in der DDR. Deshalb haben wir die Absicht, heute diese Partei zu gründen. Alle Fragen einer Rechtsnachfolge, zum Beispiel in Bezug auf die in Berlin nie aufgelöste SPD, lassen wir heute unberücksichtigt, obwohl wir wissen, dass sie einmal auf uns zukommen werden.

Die Bestimmung unserer Programmatik ist ebenfalls von einem wichtigen, von marxistisch-leninistischen Parteien verfemten Prinzip gekennzeichnet: dem Revisionismus.

Jede historische Situation erfordert die Überprüfung und mögliche Revision des Programms aus dem jeweiligen Kontext und konkret auf ihn bezogen. jeden Anspruch auf eine angebliche Einsicht in eine gültige Geschichtsmetaphysik und einen sich daraus ableitenden Wahrheitsanspruch lehnen wir ab.

Wir haben die Hoffnung, dass die SDP in der DDR zu einer Volkspartei wird. Sie soll Bürgerinnen und Bürger aller sozialen Schichten ungeachtet ihrer Weltanschauung und ihres Glaubens vereinigen mit dem Ziel einer ökologisch orientierten sozialen und demokratischen Entwicklung der DDR.

Wir laden alle SED-Mitglieder ein zu prüfen, ob diese Partei für sie zu einem Ort demokratischer Mitarbeit für dieses Ziel werden kann. Wir wollen die Entwicklung dieses Landes aktiv mitgestalten und in ihm für die Verwirklichung dieser Ziele arbeiten.

Wir werden auch bereit sein, dafür Verantwortung zu übernehmen - in dem doppelten Sinne, dass wir einstehen für das, was wir tun, und dass wir bereit sein müssen, einmal an demokratischer Machtausübung beteiligt zu sein.

Das Sich-Hineinstellen in einen internationalen Kontext

Mit der Wahl dieses Namens für unsere Partei und mit unserer Programmatik stellen wir uns in einen internationalen Kontext. Wir ordnen uns ein in die Reihe der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien und verstehen die unter ihnen, die unseren Zielen nahestehenden, als Verbündete. Die Sozialistische Internationale steht für den Prozess von Entspannung und Abrüstung, für eine Neuordnung der Weltwirtschaft zugunsten der Länder des Südens und die Begrenzung wirtschaftlicher Macht, für die Befriedigung der Grundbedürfnisse für alle als Kriterium von Entwicklung. Deshalb stellen wir heute auch den Antrag auf Aufnahme in die Sozialistische Internationale. Wir wissen, dass das Gesagte nicht ausschließlich gilt. Wir werden uns euch dort in kritischer Solidarität für die von uns bestimmten Ziele einsetzen. Gleichzeitig wissen wir, dass es in Europa und weltweit viele Kräfte gibt, die wir als unsere Verbündete betrachten können: Reformkräfte in Osteuropa, Grüne Parteien in Westeuropa, Kirchen und viele andere. Gruppierungen, die sich für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der natürlichen Umwelt einsetzen. Befreiungsbewegungen und alle Kräfte in der sogenannten Dritten Welt, die sich für eine eigenständige, am wirklichen Bedarf der Bevölkerung orientierte Entwicklung ihrer Völker einsetzen. Mit ihnen allen fühlen wir uns verbunden und sind wir solidarisch.

Nächste Schritte im Aufbau der Partei

Wir müssen landesweite regionale Strukturen aufbauen, die den einzelnen Mitgliedern eine verbindliche Mitarbeit ermöglichen und durch die sie in fester Verbindung zur Gesamtpartei stehen.

Die örtlichen Gruppen, die sich bilden, haben vorerst folgende Aufgaben:

- Der Aufbau einer eigenen verbindlicher Struktur (Wahl etc.),

- Öffentlich machen unserer Ziele und Einladung zur Beteiligung,

- Beteiligung an der programmatischen Arbeit je nach eigener Schwerpunktsetzung,

- eigene regionale und örtliche Schwerpunkte für die Arbeit vor Ort bestimmen. Bündnisse und Aktionsgemeinschaften mit anderen Gruppierungen vor Ort werden für die eigene Arbeit wichtig sein,

- politische Bildungsarbeit anbieten und nutzen. Gemeinsame Grundkategorien demokratischen Verhaltens lernen und einüben.

Je überzeugender, demokratischer, durchdachter und mutiger die Arbeit vor Ort läuft, desto mehr wird sie die Chance haben, ihre Ziele umzusetzen.

Wir werden Arbeitsgruppen bilden müssen zur Erarbeitung von Vorlagen zu programmatischen Konzeptionen und konkreten Handlungsmöglichkeiten in den verschiedenen Bereichen wie

- Wirtschaft

- Europäische Sicherheit und deutsche Frage,

- Recht,

- Kultur,

- Bildung.

Zur Programmatik der Sozialdemokratischen Partei in der DDR

Allgemeine Zielbestimmung und Methode

Am 200. Jahrestag der Verkündung der Menschen- und Bürgerrechte während der Französischen Revolution, am 26. August 1989, haben wir zuerst unseren Aufruf öffentlich gemacht eine sozialdemokratische Partei zu gründen. Dieser Aufruf enthielt die allgemeine Zielbestimmung einer ökologisch orientierten sozialen Demokratie und in den Stichworten erste Leitlinien zur Programmatik, für deren Verwirklichung wir eine sozialdemokratische Partei gründen wollten. Diese Stichworte geben die Richtung und Grundaussagen an, die wir weiter bedenken und diskutieren, differenzieren und ergänzen müssen. Im Folgenden will ich zu einigen zentralen Stichworten einige Ausführungen machen.

Wichtig aber ist: Die Ausarbeitung eines Programms in der angegebenen Richtung muss auf breiter Basis mit allen Mitgliedern der Partei und durch sie mitbestimmt erfolgen. Zu einer Partei mit demokratischer Zielrichtung gehört grundlegend die innerparteiliche Demokratie. Da haben wir als DDR-Bürger noch wenig Erfahrung und müssen wohl noch viel lernen. Doch die Zeit und Kraft dafür müssen wir uns nehmen! Hierin besteht eine erste und zentrale Aufgabe: die Bildung eines demokratischer Bewusstseins, das sich in der Spreche, in unserem Verhaften miteinander und zu Andersdenkenden zeigt.

Zu einer demokratischen Ordnung in Staat und Gesellschaft

Demokratie, d. h. die Teilnahme aller Bürger und Bürgerinnen an den Entscheidungsprozessen auf Grund gleicher Rechte und Pflichten, wird zu einer Grundbestimmung unseres Gemeinwesens in der DDR werden müssen. Nur so wird eine breite Identifizierung der Menschen mit diesem Land möglich werden. Voraussetzung jeder demokratischen Ordnung ist die möglichst klare Trennung von Staat und Gesellschaft, d. h. nicht nur von Staat und Kirchen, sondern ebenfalls von Staat und Partei(en).

Jede(r) hat das Recht, innerhalb des demokratischen Rechts in der Gesellschaft seine Interessen und seinen politischen Willen zu verfolgen und zur Geltung zu bringen und sich dafür mit anderen zusammenzuschließen. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten: Vereine, Gewerkschaften, demokratische Bewegungen, Bürgerinitiativen, Parteien, Bildungseinrichtungen etc. Pluralität der Interessen und Kräfte stärkt die Gesellschaft und macht sie menschlich. Hier entwickeln und bilden sich politische Existenz und demokratische Haltung, d. h. die Zuständigkeit und Verantwortung für die eigenen Verhältnisse.

Politische Macht muss durch Mehrheitsfindung zustande kommen, der Öffentlichkeit durchsichtig sein, gesellschaftlich kontrolliert werden und abwählbar sein.

Die staatlichen Funktionsweisen sind: Das frei gewählte gesetzgebende Parlament, die Regierung und eine unabhängige Justiz. Strikte Gewaltenteilung dieser Funktionsweisen ist Voraussetzung der demokratischen Kontrolle staatlicher Macht. Der Staat ist als demokratischer Staat Rechtsstaat, das heißt er hat Recht zu setzen und zu schützen und ist ihm selbst verpflichtet und verantwortlich. Staatsgewalt ist so zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger begrenzt. In allen Konflikten, auch in solchen mit der staatlicher Gewalt selbst gibt es einen Rechtsweg, der zu garantieren ist. Dafür bedarf es der entsprechenden gesellschaftlich getragenen und kontrollierten Institutionen und unabhängigen Gerichte.

Über die Strukturen eines künftigen Staatsaufbaus und eine neue Verfassung wird dringend nachzudenken sein.

Aufgabe des Staates ist es:

- die persönlichen, sozialen, kulturellen und politischen Grundrechte der Bürger und die ihnen entsprechende Wahrnehmung von Verantwortung zu ermöglichen, zu stärken und zu schützen.

- Institutionen der gewaltfreien Konfliktregelung und -begrenzung in der Gesellschaft zu schaffen (Rechtswege).

- den Schutz der natürlichen Umwelt und die Sicherung von Ressourcen und Lebensmöglichkeiten für kommende Generationen zu gewährleisten.

- sich mit allen Kräften für ein friedliches und gerechtes Miteinander der Völker, der Entmilitarisierung staatlichen Verhaltens nach innen und außen und den Aufbau einer europäischen und Weltfriedensordnung einzusetzen.

Allen Monopolisierungen in Staat und Gesellschaft ist entgegenzutreten, insofern sie die sozialen und politischen Rechte der BürgerInnen beeinträchtigen und verkehren. Wo sie nicht vermeidbar sind - oder gar notwendig, wie im Falle des Gewaltmonopols des Staates, - ist strengste demokratische Kontrolle notwendig.

Alle Entscheidungen in Staat und Gesellschaft müssen so dezentral wie möglich und so zentral wie nötig getroffen werden. Dieses Prinzip wird eine relative Selbständigkeit der Regionen, Städte und Gemeinden zur Folge haben, sowohl in finanzieller, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht. Wie das den verschiedenen Bereichen praktisch aussehen soll, muss in einem breiten öffentlichen Gespräch, an dem auch Experten beteiligt sein müssen, geklärt werden.

Demokratie ist nicht nur eine Frage von Strukturen. Sie ist eine Lebensform, in der Freiheit Wirklichkeit wird und die in allen Lebensbreichen zur Geltung kommen soll.

Demokratie soll unsere politische Kultur bestimmen und bedarf einer starken Öffentlichkeit.

Die in Demokratie verwirklichte Freiheit wird aber nur Bestand haben, wo Menschen solidarisch füreinander einstehen und auch der Schwache zu seinem Recht kommt, wo Menschen bereit und fähig sind, Verantwortung wahrzunehmen. Niemand darf in Staat und Gesellschaft von der demokratischen Teilhabe ausgeschlossen oder durch soziale, nationale und rassistische Schranken von ihr ferngehalten werden.

Wirtschaftsdemokratie in einer sozialen Marktwirtschaft mit ökologischer Orientierung.

Mit diesem Abschnitt sind wir an einen Punkt gelangt, an dem wir noch am wenigsten Genaues wissen. Hier wird am intensivsten gearbeitet werden müssen, geht es doch in der Problemstellung um international die schwierigsten Aufgeben. Für den notwendigen Umbau unserer Wirtschaftsstrukturen gelten wieder die drei Leitbegriffe: ökologisch, sozial, demokratisch.

Markt und Staat

Unsere Wirtschaft muss wieder eine ökonomisch durchsichtige Wirtschaft werden. Sie soll wieder flexibler und effektiver werden durch den notwendigen Markt und entsprechenden Wettbewerb. Der Marktmechanismus ist ein nicht durch Planung zu ersetzendes Mittel der Steuerung der Wirtschaft. Er muss in unserer Wirtschaft wieder zur Geltung kommen.

Der Markt reagiert aber nur auf einen Bedarf und produziert für ihn, wenn für diesen auch Kaufkraft da ist. So entsteht ein soziales Problem für alle, die am ökonomischen Reproduktionsprozess nicht teilnehmen bzw. teilnehmen können. Es entsteht die Aufgabe der sozialen Sicherung.

Ebenso wenig ist der Markt fähig, ökologische Kriterien von sich her zu erfüllen, da die Natur oft erst langfristig und an anderer Stelle die Folgen der menschlichen Eingriffe zeigt. Es entsteht die Aufgabe der Erhaltung unserer natürlichen Lebensbedingungen für die kommenden Generationen. Ein wichtiges Mittel ist eine Gesetzgebung, welche die Verursacher haftbar macht und ökologische Vorsorge- und Nachfolgekosten in das Marktgeschehen einbezieht.

Der Markt lebt vom Wettbewerb. Dieser muss erhalten, seine Untergrabung durch Machtballung und Verflechtung von Konzernen verhindert werden. Dafür ist eine Kontrolle durch den Staat notwendig zur Verhinderung von Monopolen und wirtschaftlicher Machtkonzentration (wirksames Kartellamt, straffe Unternehmensgesetzgebung).

Humane Ziele und nicht allein der Profit müssen wirtschaftliche Entwicklung lenken. Durch Gebote, Verbote, Grenzwerte etc. und gezielte Förderung bestimmter technologischer Entwicklungen und Produktionsformen ist die Wirtschaft so zu lenken, dass sie Mensch und Natur nicht bedroht. Alle diese Aufgaben erfordern eine staatliche Rahmengesetzgebung nach sozialen und ökologischen Kriterien, die gleichzeitig ein willkürliches profitorientiertes Wachstum verhindern. Der Staat ist darüber hinaus verantwortlich für die Infrastruktur und die Gewährleistung notwendiger Gemeinschaftsgüter. Finanz- und Kreditwesen bleiben eine Institution des Staates.

Gemischte Wirtschaftsformen und demokratische Kontrolle

Wir setzen uns ein für eine soziale Marktwirtschaft mit vielfältiger gemischter Wirtschaftsstruktur und unterschiedlichen Eigentumsformen (z. B.: Genossenschaften, Arbeiterselbstverwaltung, Eigentum oder Beteiligung des Gesamtstaates, der Städte und Gemeinden, private Eigentumsformen).

Wichtig ist nicht in erster Linie, wer und wo der Eigentümer, d. h. der Entscheidungsträger ist, sondern dass effektiv gewirtschaftet wird und der erwirtschaftete Reichtum allen zugute kommt durch entsprechende Umverteilung und Investitionen.

Wir treten ein für Mitbestimmung, Kapitalbeteiligung und Selbstverwaltung als Wege zur Demokratisierung der Wirtschaft. Eine Unternehmensvielfalt wirkt der Machtkonzentration, entgegen. Neue Unternehmensformen, die die Demokratisierung der Wirtschaft fördern, müssen ausprobiert und gefördert werden. Eine breite Beteiligung aller, die die Werte im Produktionsprozess erarbeiten, und der Gewerkschaften ist bei den Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des Wirtschaftslebens notwendig. Dafür ist ein kluges Mitbestimmungsrecht erforderlich. Gleichzeitig muss stärker nach ökonomisch wirksamen Formen gesucht werden, die Rechte und Interessen der Konsumenten zu stärken.

Herausforderungen an die Energiepolitik der DDR

Die Energiesituation der DDR ist katastrophal. Obwohl wir kaum Energiequellen haben, sind wir im nationalen Vergleich mit die größten Energieprokopfverbraucher. Der Braunkohletagebau zerstört die Landschaft und entwurzelt immer mehr Menschen. Der Ausbau der Kernenergie ist mit untragbaren Risiken für Menschen und Umwelt verbunden.

Folgende Maßnahmen halten wir für wichtig:

- Einsparung von Energie, besonders durch Wärmedämmung und die konsequente Beachtung von Prinzipien, passiver und aktiver Solarnutzung im Bauwesen.

- Modernisierung der Energieerzeugung. Der Wirkungsgrad unserer Wärmekraftwerke liegt circa ein Drittel unter dem internationalen Standard.

- Die teilweise Umstellung auf Erdgas zur kurzfristigen Verringerung der Luftbelastung und zur Erhöhung des Wirkungsgrades.

- Ausbau von Kleinwasserkraftwerken, Laufwasserwerken und der Windenergieerzeugung.

- Biogasanlagen in größerem und mittleren landwirtschaftlichen Betrieben, in der Wasseraufbereitung und Abfallwirtschaft.

- Die Forschung braucht eins gebrauchsorientierte Perspektivplanung für den Energiebedarf, insbesondere für Solartechnik sind große Forschungsinvestitionen notwendig.

- Städte und Gemeinden müssen wichtige Entscheidungsträger in Energiefragen sein.

Umbau in der Landwirtschaft

Landwirtschaft und naturnahe Landschaftsgestaltung müssen zusammenkommen. Großflächige industrielle Landwirtschaft mit schweren Maschinen sowie die Intensivbearbeitung der Böden mit chemischem Dünger und der Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln tragen wesentlich zur Zerstörung unserer Umwelt bei und sind zudem wirtschaftlich unrentabel und wenig flexibel. Die Landwirtschaft muss umstrukturiert werden hin

- zu gemischten Eigentumsformen und kleineren Einheiten (Genossenschaften, kleinere und mittlere private Betriebe),

- zu angepassteren Kleintechnologien (energiesparend und bodengerechter),

- Abschaffung von Großprojekten der Massentierhaltung und Verringerung der Fleischproduktion,

- möglichst regionale Verflechtung von Erzeugung und Vermarktung im Land gebrauchter Lebensmittel,

- Förderung ökologischen Landbaus, staatliche Stützungen, besonders in der Zeit des Umbaus.

Konsumgewohnheiten und Lebensstil

Jede Wirtschaft wird stark von den jeweiligen Konsum- und Lebensgewohnheiten einer Gesellschaft bestimmt. Gerade durch den Umbau der Wirtschaft auf eine Marktorientierung hin kann der Einfluss der Konsumenten auf die Wirtschaft größer werden. Hier stehen wir in der Gemeinschaft vieler gesellschaftlicher Kräfte, insbesondere der Kirche, vor der Aufgabe, einen Bewusstseinswandel zu fördern, der Lebensqualität und -erfüllung nicht vorrangig an materiellem Konsum misst, sondern in geistigen, kulturellen und solidarischen Werten. Eine Veränderung von Konsumgewohnheiten und des Lebensstils wird eine soziale, demokratische und ökologische Entwicklung der Gesellschaft nicht unwesentlich fördern.

Soziale Sicherheit und Gleichberechtigung der Frau

Mit beiden Stichworten sind Sachverhalte angesprochen, in denen die DDR in ihrer bisherigen Entwicklung am meisten geleistet hat. Trotzdem bleiben auch hier viele Probleme offen. Sozialpolitik darf nicht nur auf Versorgung sozial Schwacher zielen, sondern auf die Integration in die sozialen Lebensprozesse. Hier liegt viel im Argen, genannt seien hier nur die Alten und die Behinderten. Andere Probleme, wie die der Alkoholiker, sind überhaupt noch nicht genügend im Blick - die Investitionen sind minimal, und der Mitarbeiterbedarf ist groß.

Die Gleichberechtigung der Frauen ist in der sozialen Anerkennung und auch ökonomisch im internationalen Maßstab weit vorangeschritten. Doch kommt es häufig zu Doppelbelastungen in der Arbeit, Familie und Haushalt. Auf den höheren Ebenen in Staat und Gesellschaft sind Frauen unterrepräsentiert.

Eine Neubewertung von Gestaltung und Verteilung von Arbeit ist erforderlich, um Frauen und Männern mit ihren spezifischen Fähigkeiten gleichberechtigt Geltung zu verschaffen. Hier liegen weitreichende kulturelle und gesellschaftliche Aufgaben, denen wir uns klar stellen müssen.

Zur Außenpolitik - Internationale Politik

Wir setzen uns für ein friedliches und gerechtes Miteinander der Völker ein, für Abrüstung auf allen Ebenen und wollen uns im eigenen Land für entsprechende Schritte einsetzen.

An der Seite der Entwicklungsländer treten wir für eine grundlegende Neuordnung der Wirtschaft ein, um zu gerechten Handelsbedingungen zwischen den Völkern zu kommen.

Wir treten für die Stärkung der UNO und den Eintritt der DDR in alle internationalen Organisationen ein, die diesen Zielen dienen (z. B. Rohstoff-Fonds) Die DDR selbst sollte mit den am wenigsten entwickelter Ländern einen erweiterten und gerechten Handel führen, orientiert an deren Bedürfnissen und Zielen einer eigenständigen Entwicklung.

Ein wichtiges Anliegen der Außenpolitik muss die Förderung der Menschenrechte sein. In diesen Fragen sollte sich die DDR auch diplomatisch exponieren. Um dabei glaubwürdig zu sein, bedeutet es einen Verzicht auf jede Form auswählender Menschenrechtspolitik d. h. auf jegliche interessen- oder ordnungspolitische Instrumentalisierung der Menschenrechte. Wir treten ein für die Gewährung von Asyl für politisch Verfolgte. Solidarität mit den entrechteten und unterdrückten Völkern und nationalen Minderheiten sollte Prinzip unserer Außenpolitik sein.

Europa

Wir treten für eine intensive Weiterführung des KSZE-Prozesses ein und sehen darin wichtige Schritte auf dem Weg zur gesamteuropäischen Friedensordnung, die wir anstreben. In dieser werden Warschauer Vertrag und NATO überflüssig sein. Darauf wollen wir hinarbeiten.

Wir unterstützen die Veränderungen in den anderen Staaten Ost- und Mitteleuropas und wollen mit den Kräften der Veränderung dort in einen intensiven Kontakt und Erfahrungsaustausch eintreten. Wo wir uns gegenseitig helfen können, müssen wir es tun!

Große Befürchtungen hegen wir angesichts des für 1992/93 vorbereiteten (West-)Europäischen Binnenmarktes. Wir sehen eine Entwicklung zur Konzentration wirtschaftlicher Macht und nicht die notwendigen europäischen Institutionen die sie realiter begrenzen würden. Wir befürchten, mit anderen Ländern zum bloßen Hinterhof Westeuropas degradiert zu werden. Wir hoffen, in Zukunft mit der Unterstützung verbündeter Kräfte in Westeuropa den Spielraum eigenständiger Entwicklung uns erhalten zu können, den wir dringend brauchen.

Die Deutsche Frage

Wir anerkennen die Zweistaatlichkeit Deutschlands als Folge der schuldhaften Vergangenheit unseres Volkes. Damit sind künftige Optionen im Rahmen einer europäischen Friedensordnung nicht ausgeschlossen, doch können sie jetzt nicht handlungsorientierte politische Ziele sein.

Mit der Bundesrepublik Deutschland verbinden uns eine gemeinsame Geschichte, Kultur und die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Nation. Dazu kommen millionenfache verwandtschaftliche und freundschaftliche Beziehungen zwischen den Menschen. Doch eine fast 45jährige Nachkriegsgeschichte, die die beiden deutschen Staaten in feindliche Bündnisse einbezogen hat und in ihnen zu recht unterschiedlichen Entwicklungen geführt hat: eingebettet in eine ganz bestimmte europäische Konstellation, das lässt sich nicht einfach alles wegwischen. Die Rede von Wiedervereinigung ist da äußerst unproduktiv und im Grunde rückwärtsgewandt, denn eine Wiedervereinigung wird es nun bestimmt nicht geben können. Wir wollen das freie Selbstbestimmungsrecht für die Bevölkerung der DDR. Wir wollen offene Grenzen mit visafreiem Verkehr zur Bundesrepublik und die Anerkennung der Staatsbürgerschaft der DDR durch die Bundesrepublik. Nach dem letzten Weltkrieg sind bald 50 Jahre vergangen.

Wir sollten Verhandlungen zwischen den beiden deutschen Staaten und den ehemaligen Siegermächten anstreben, um zu einem Friedensvertrag zu kommen. Dieser stellt die dringend anstehende Souveränität der beiden deutschen Staaten her und sollte auch zur Anerkennung Westberlins als Teil der Bundesrepublik führen. Dafür treten wir jedenfalls ein. Ein wichtiges Ergebnis nimmt der Rückzug der alliierten Truppen und besonders der beiden Großmächte aus beiden deutschen Staaten ein. Das erfordert eine gleichzeitig weitreichende abrüstungspolitische Rahmenbedingung und brächte den friedenspolitischen Prozess in Europa ein Stück voran.

Schlussbemerkungen

Wir wissen: Mächtige Gegenkräfte stehen gegen das, was wir vorhaben. In unserem Land ist es nicht nur die SED und der von ihr noch beherrschte Staatsapparat. Wenn ich einmal einen demokratischen Staat der DDR voraussetze, so werden es diejenigen sein, die einfach nur eine Wiedervereinigung als Angliederung an die Bundesrepublik wollen.

Jenseits unserer Grenzen werden die sich gegen uns wenden, die den Versuch einer Alternative zum kapitalistischen System mit dem Scheitern des realsozialistischen Models für grundsätzlich gescheitert ansehen wollen, als gäbe es keine andere Alternative - eben weil sie keine wollen. Und so werden sie gegen uns arbeiten. Deshalb suchen wir in West und Ost nach Verbündeten, die uns helfen, den Raum für diesen Versuch zu haben, ökonomisch und auch politisch.

Wir rufen und bitten alle, die sich mit diesem Versuch identifizieren können oder ihn jedenfalls für ein sinnvolles Experiment halten, um Unterstützung und Solidarität. Beides werden wir dringend brauchen.

Ebenso rufen wir alle ehemaligen DDR-Bürger auf, zu bedenken, ob die dann anders geartete DDR für sie nicht doch noch oder wieder zu einer Heimat werden kann, in der sie leben wollen, um an diesem, wie wir glauben, für uns - und vielleicht auch für Europa - wichtigen Experiment mit allen Kräften mitzuarbeiten.

Zuletzt - und das heißt, an gewichtigster Stelle - rufen wir alle Bürger der DDR auf, zu prüfen, ob sie sich mit unseren Zielen identifizieren können und mit uns für sie arbeiten möchten.

Wir laden alte dazu ein. Ohne eine breite Zustimmung und die engagierte Mitarbeit vieler werden wir sie nicht erreichen können. Wer sich nicht mit unseren Zielen einverstanden erklären kann, bestimme seine eigene demokratische Perspektive. Wir suchen ein Bündnis mit allen, die an einer grundlegenden Demokratisierung unseres Landes mitarbeiten wollen.

Jeder, der daran mitarbeitet, ist Teil der Hoffnung für dieses Land!

(Dieser Text wurde von Norbert Gansel MdB zur Verfügung gestellt.)

Sozialdemokratischer Pressedienst, Nr. 234-237, 44. Jahrgang, 06.-11.12.1989

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