Die SPD auf dem Wege in die Koalition und in die Einheit

BZ-Gespräch mit Markus Meckel, amtierender Parteivorsitzender

Über Positionen und Zielstellungen der SPD als Koalitionspartner der Allianz für Deutschland sprach BZ mit dem amtierenden Parteivorsitzenden Markus Meckel.

BZ: Auch die SPD will nun über Grundgesetz Artikel 23Artikel 23 des Grundgesetzes der BRD zur deutschen Einheit gelangen, unter Einbeziehung des Grundgesetz Artikel 146Artikels 146. Dieser Weg dürfte einige Anpassungsschwierigkeiten bereiten, denkt man allein an Unterschiede im Eigentums- und Familienrecht, an den Paragraphen 128 ...

M. Meckel: Eine Vereinigung kann für uns nur unter Einbeziehung des Artikels 146 des Grundgesetzes realisiert werden, also mit einer neuen Verfassung am Ende. Das heißt allerdings nicht, eine grundsätzlich neue, die man erst erfinden müsste, sondern konkrete, begrenzte Veränderung und Verbesserung des Grundgesetzes. Artikel 23 ist in der Vergangenheit sehr unterschiedlich interpretiert worden. Meist so, dass man faktisch von einer Aufgabe der Souveränität sprach. Dies natürlich könnten wir in keinem Fall akzeptieren. Ich denke eher daran, wie der Artikel 23 für das Saarland genutzt wurde. Dort gab es vor dem Eintritt in die Bundesrepublik ausführliche Verhandlungen und danach langjährige Übergangsregelungen. Dies muss in jedem Falle auch hier geschehen. In die Verhandlungen einbezogen werden die von uns gewünschten konkreten Veränderungen des Grundgesetzes. Das betrifft vor allem die Sicherung der sozialen Rechte, der Rechte der Frau und dergleichen.

BZ: Das Saarland hatte 1955 neben anderen Schutzmaßnahmen für fünf Jahre eine Zollgrenze. Auch die angeschlagene Wirtschaft der DDR braucht Schutz. Wie will die SPD das sichern?

M. Meckel: Wir wollen die Währungsunion 1:1, aber zunächst einmal nur in den die Menschen betreffenden Bereichen. Dagegen sollten im industriellen Sektor Übergangsregelungen der Industrie gestatten, wettbewerbsfähig zu werden. Ob dies durch Zollfestlegungen geschieht oder durch bestimmte Wechselkurse, wird man sehen.

BZ: Wie jetzt und in Zukunft das Wort sozial zu definieren?

M. Meckel: Sozial kann nicht anders definiert werden. Es geht um die Bedürfnisse der Menschen, das heißt um Wohnung und Arbeit, darum, dass jeder seine Bedürfnisse ausreichend befriedigen kann - dem gesellschaftlichen Wohlstand angemessen. Auch für die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft muss all dies gewährleistet sein. Sicher wird es stärkere soziale Differenzierungen geben. Die künftige Gesellschaft kann kein allgemeines Versorgungssystem sein, das die Fehler der Vergangenheit wiederholt und Effektivität verhindert. Aber wo jemand nicht kann, da ist es notwendig, ihn zu schützen, ihn zu tragen. Diese Art solidarischer Gesellschaft muss entwickelt werden.

BZ: Diese solidarische Gesellschaft zu schaffen, ist ein Hauptanliegen des Verfassungsentwurfes des Runden Tisches. Sehen Sie für diesen Entwurf überhaupt noch eine Chance?

M. Meckel: Schon auf der ersten Volkskammertagung mussten wir die alte Verfassung ändern. Sie ist also keine, mit der man leben kann. Darum hatten wir daran gedacht, sie im Bausteinprinzip zu ändern. Wenn uns jetzt dieser Entwurf gestattet zu sagen, der Staatsaufbau ist gegeben, die Länderstrukturen, die Grundrechte und einiges andere, was wir wollen, auch dann ist er einer Erwägung wert. Es sollte nicht von vornherein verworfen werden, diesen vom Grundgesetz ausgehenden Entwurf für die Übergangszeit als Verfassung anzunehmen. Über eine ernsthafte Prüfung gab es Dienstag Abend übrigens Konsens mit der CDU.

BZ: Konsens mit der CDU nicht nur hier. Beide Parteien scheinen sich unter anderem in sozialen Fragen einig zu sein. Gibt es noch Unterschiede zwischen Sozial- und Christdemokraten?

M. Meckel: Es ist in Bezug auf konkrete Inhalte schwierig, von vornherein klare Unterschiede zu sehen. Ein wichtiger Punkt liegt im Aufbau der Parteien, in den Strukturen.

BZ: Also keine inhaltlichen Unterschiede?

M. Meckel: In der Frage der Notwendigkeit sozialer Sicherungen nicht. Ein Aber ergibt sich aus der Art und Weise der Gespräche. Herr de Maizière selbst hat ein starkes Interesse an sozialen Garantien. Da noch keine verabschiedeten Programme vorliegen, ist uns jedoch nicht klar, wie stark diese persönliche Meinung in Regierungshandeln umgesetzt wird und wie fest diese Position gegenüber einer Bundesregierung ist, die möglicherweise anderes vorhat. Das Durchsetzen dieser Forderungen bleibt für uns jedoch die zentrale Frage, und hier wird man noch einiges verbindlich festschreiben müssen.

BZ: Eine SPD-Wahlaussage war: keine Koalition mit der DSU. Die Realität sieht anders aus. Nähern sich DDR-Parteien nun auch in dem Sinne ihren Westschwestern, dass sie Wahlversprechen geben, an die man sich hinterher nicht mehr hält?

M. Meckel: Wir müssen hier verschiedenes auseinanderhalten. Die DSU können wir nach ihrem Verhalten im Wahlkampf nur sehr schwer als Partner ansehen, deutlich bleiben ebenfalls die politischen Differenzen. Die Politik der DSU wird von München aus gesteuert, eine CSU-Politik wollen wir aber nicht. Ihr Programm ist zudem schwammig und sagt zu konkreten Problemen nicht genug aus. Skeptisch sind wir auch in der Frage der Ausländerpolitik. All das wird jetzt in den inhaltlichen Gesprächen zu klären sein.

Vor der Wahl haben wir jedoch gedacht, wir würden Regierungspartei. Und die Allianz hatte sehr klar gesagt, sie sei nur eine Plattform für die Wahl, nicht ein festes Bündnis. Nach der Wahl stand die Frage, wie können wir in unserer ungünstigen Position sozialdemokratische Politik machen. Entweder, indem wir eine Koalition inhaltlich so festlegen, dass zum Beispiel bestimmte Absichten der DSU nicht mehr wirksam werden. Das würde für dieses Land viel bringen. Oder, indem wir in der Opposition sagen, was wir wollen. Dann hat man zwar ein gutes Gewissen, aber weniger Chancen, die Dinge für dieses Land wirklich besser zu machen.

Viel wird also davon abhängen, ob wir unsere wesentlichen Programmpunkte festschreiben können. Wenn nicht, steigen wir aus. Das ist die Zwickmühle, in der wir sind.

BZ: Der 18. März sah die SPD als Verlierer. Haben Sie Schlussfolgerungen gezogen?

M. Meckel: Wir haben manchen Fehler gemacht im Wahlkampf, aber nicht in der konkreten Politik. Vielleicht hätten wir ohne diese Fehler drei oder fünf Prozent mehr gehabt. Die Menschen wählten die Versprechen Helmut Kohls, der nun mal die Regierung in Bonn stellt. Wie man jetzt sieht, hält er sich nicht an seine Aussagen. Wir kämpfen darum, dass seine Versprechen eingehalten werden.

BZ: Eine letzte Frage - Sie gelten als Vertreter der Mitte oder des rechten Flügels der SPD. Wie sehen Sie sich selbst?

M. Meckel: Wenn links heißt, die Interessen der Menschen konkret zu vertreten, eine gerechte und solidarische Gesellschaft zu bauen, dann bin ich links. Wenn rechts heißt. Demokratie im Sinne eines wirklich parlamentarischen Systems zu machen, dann bin ich vielleicht in den Augen mancher rechts. Es ist für mich aber eher eine Frage des Demokratieverständnisses und nicht der sozialen und politischen Inhalte in Bezug auf Europa und die Welt.

Das Gespräch führte
Bettina Urbanski

Berliner Zeitung, Nr. 82, 46. Jahrgang, Fr. 06.04.1990

Δ nach oben