Thomas Krüger: Liebe Freundinnen und Freunde! Ibrahim hat gestern auf die jüdisch-christliche Tradition auch für die Wurzeln der Sozialdemokratie hingewiesen. Deshalb will ich ein Beispiel aus dem Alten Testament nehmen, um in unsere Diskussion einzuführen. Der König Salomon kam seinerzeit in die Verlegenheit einen Streitfall zwischen zwei Huren zu entscheiden. Sie lebten in einem Haus und bekamen innerhalb von drei Tagen jeder ein Kind. Einer geschah das Missgeschick, dass sie in der Nacht ihr Kind im Schlaf erdrückte. Es war tot. Sie tauschte es daraufhin in derselben Nacht gegen das lebende Kind der anderen Frau aus. Dieser Streit wurde dem König Salomon vorgelegt, da er bekanntlich die Weisheit mit Löffeln gefressen haben soll. Er ließ sich kurzerhand ein Schwert kommen und bot den beiden Streitenden an, gleich große Teile herzustellen. Die richtige Mutter verzichtete daraufhin und überließ der anderen das lebende Kind. Die Andere hingegen bestand auf der Zerteilung. Daran erkannte der Salomon den Betrug und sprach der richtigen Mutter das Kind zu. Eigentlich wollte ich Euch den Ausgang dieses Begebnisses nicht erzählen, denn wir haben ja die Auseinandersetzung noch vor uns. Aber es zeigt sich hier schon deutlich, dass der dritte Weg, nämlich die Zerteilung, in unserem Falle wäre es ja eine Spaltung, nicht in Frage kommt.

Nachher stellt sich uns ja nicht mehr die Frage, ob wir SDP oder SPD heißen sollen und irgendein - natürlich eingeschleuster Pfiffikus - kommt nachher darauf, die Buchstabenfolge zu vertauschen und dann haben wir es womöglich mit PDS oder so zu tun. Ich habe übrigens raus gefunden, dass es im medizinischen Bereich eine Bedeutung für PDS gibt. Das soll nämlich ein nach 120 Tagen sich selbst auflösender Nahtfaden sein.

(Gelächter, Beifall)

Den Ausgangspunkt der Diskussion, den kennt ja mittlerweile jeder. Das war die Notwendigkeit während des SED-Parteitags das Kürzel SPD von uns zu besetzen. Freilich gibt es einen zweiten Ausgangspunkt, und das ist der Druck der Basis und die will sich auf eine über 100jährige Tradition beziehen. Für beide Kürzel, liebe Freunde, spricht eine ganze Menge. Da bin ich mir inzwischen sehr sicher. Nach dem längsten aller Sozialistengesetze bricht die Sozialdemokratie in unserem Lande, ich betone: in unserem Lande, fundamental und kräftig und fröhlich hervor. Da ist eine ganz klare und deutliche Neuigkeit und darüber können wir uns wirklich alle freuen. Wir sind eine eigenständig gewachsene und eigenständig wieder aufblühende sozialdemokratische Partei.

(Beifall)

Nach den gestrigen bewegenden Worten unserer Rostocker Freunden, da gibt es kaum noch etwas hinzuzufügen, ist uns deutlich geworden, dass der Bezug auf die Tradition natürlich auch von uns, auch wenn wir eigenständig sind, wieder hergestellt werden muss. Und ich denke, dass es in jedem Fall notwendig ist, zu plädieren dafür, dass das gerade erst unter Mühen wiedergeborene sozialdemokratische Kind unzerteilt am Leben bleibt.

(Beifall)

Eine Entscheidung, egal wie sie ausgeht, es ist ja schon ziemlich klar, aber sie muss von allen Sozialdemokraten. mitgetragen werden. Es darf nicht dazu kommen, wie hier in Berlin, dass ein paar Leute ausgetreten sind, weil sie sich überfahren gefühlt haben von der Diskussion.

(Beifall)

Zu Recht könnte man auf Fragen der Geschäftsordnung verweisen, um den Streit zu verhindern. Ich betone könnte, denn ich bin nicht dafür, dass dieser Streit um dieses Thema verschleppt werden darf. Das Statut schreibt nämlich den Parteinamen fest und unser Eintritt erfolgte ja bekanntlich auf das Statut und nicht auf irgendein politisches Bedürfnis. Darum kann ich die Umbenennungen, die in eigener Initiative geschehen sind, zwar sehr, sehr gut verstehen, aber unter keinen Umständen gutheißen.

(Beifall)

Das waren undisziplinierte Aktionen, die empfindlich in unser noch so sensibles Parteigefüge eingegriffen haben. Hier in Berlin hat es - wie gesagt - Austritte gegeben. Es hat einigen Mitgliedern die Chance genommen in einen solchen Prozess hineinzuwachsen. Oft handelte es sich um Vertreter linker Optionen und die dürfen wir nicht verlieren. Die linken Optionen gehören zur Sozialdemokratie dazu.

(Beifall)

Der Vorstand hat mich gebeten hier das Thema etwas zu problematisieren. Denn es hat bei der Berliner Urabstimmung das vermutlich schlechte Ergebnis natürlich für SPD gegeben, aber nur 69 % sind herausgekommen, und drei Berliner Stadtbezirke haben sich gegen die Umbenennung ausgesprochen. Ich will also versuchen, die Sorgen und die Probleme, die da formuliert worden sind, hier anzusprechen. Wenn heute das D im wahrsten Sinne des Wortes nach rechts rutscht, so tragen wir damit einerseits der großen Tradition Rechnung, andererseits aber verspielen wir womöglich auf längere Sicht hin unsere Eigenständigkeit. Abgesehen davon, dass damit die Spirale der deutschen Frage schneller angezogen wird, als es vielleicht gut ist, ist doch durch das Aufwerfen der Umbenennungsfrage eine neue Qualität entstanden, und das wird wohl keiner bestreiten. Aus der sozialdemokratischen Bewegung in unserem Land ist eine Partei mit verschiedenen Fraktionen geworden. Und darauf hat sich nun jeder einzustellen, wenn er der Salomonischen Zerteilung entgehen will.

Kürzlich schrieb ein altgedienter Sozialdemokrat aus Niedersachsen an seine junge Nichte in der SDP. Ich zitiere: "Den Schwung, den Ihr entfaltet, kann man als Mitglied einer in vielen Dingen doch recht behäbig gewordenen SPD nur bewundern. Ich drücke Dir und Euch und letztlich auch uns", ich wiederhole: "und letztlich auch uns den Daumen, dass die Geschichte gutgeht." Ich denke, dass ist eine Einschätzung, die uns eine weitere Gefahr aufzeigt, die mit der Umbenennung erscheint. Der behäbige Apparat wird gewisse Lüste haben, die dynamische Kost zu verschlingen.

Ein weiteres Problem: Die Abkürzung ist durchaus auch problematisch, was den Aussagewert ihres D's betrifft. Auf keinen Fall darf man die Abkürzung lesen als Sozialdemokratische Partei Deutschlands in der DDR. Das wäre eine lächerliche Doppelung. Den Zusatz in der DDR kann man auch nicht einfach weglassen, ohne in den Verdacht zu geraten, politischen Prozessen vorzugreifen. Bleibt man bei dem Langnamen, Sozialdemokratische Partei in der DDR, dann hat man die Schwierigkeit der doppelsinnigen Rede. Denn hier hieße SPD: Sozialdemokratische Partei in der DDR und drüben: Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Also das verstehe ich dann nicht. Die Umbenennung macht gerade die Unterschiede, die faktisch noch bestehen, klein und verschwommen. Damit auch die alten und müden Strukturen und die Dynamik. Ich will es etwas überspitzt sagen: Unsere wiedererstandene Partei wird zum Herzschrittmacher, nicht nur unserer verschütteten sozialdemokratischen Traditionen, sondern auch einer ehrwürdigen und etablierten Partei in der Bundesrepublik, die um ihre Anziehungskraft natürlich ringt und sich das auch etwas kosten lässt, wie wir gemerkt haben.

(Schwacher Beifall)

Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden. Aber wir müssen selber erst mal laufen lernen, ehe wir uns zur Krücke unserer Schwester machen lassen.

(Pfeifen, Unmutsbezeugungen)

An der Abkürzung soll es ja nicht hängen. Sie forciert aber, und davor will ich wenigsten hier gewarnt haben. Lasst mich zitieren:

(Rufe: Aufhören!)

Ihr seid sehr undemokratisch, wenn Ihr mich hier nicht zuende reden lasst.

(Schwacher Beifall)

Mit Eugen Roth: Ein Mensch bekennt sich fromm und still, dass er einst das kriegt, was er will, bis er dann doch dem Wahn erliegt und nun nur das will, was er kriegt. Schließlich, und damit ein anderer Aspekt, kann man nicht auch die Abkürzung SDP als eine. Weiterentwicklung begreifen. Das haben wir ja noch gar nicht versucht. Geht nicht der alte Sozialdemokratische Traum von den Vereinigten Staaten von Europa am Horizont entlang? Ist nicht der internationalistische Rahmen der sozialistischen und sozialdemokratischen Idee in greifbare Nähe gerückt? Wir haben es eben gehört. Die Sozialistische Fraktion im Europaparlament ist schon die stärkste. Sie zeigt einen Trend an, die sozialdemokratischen Parteien sind besonders prädestiniert für eine politische Führung in Europa. Und da werden die nationalen Rudimente im Kürzel, die S und U's und natürlich auch die D's überflüssig. Es gibt da die Tendenz, die sozialdemokratischen Parteien neu abzukürzen. Beispiele: Lettland; Ungarn, ČSSR, ich wollte es nur sagen. Die Abkürzung heißt: SDP. Es wäre doch eine Ironie des Schicksals, wenn sich nach einer evtl. Umbenennung heute, eines fernen Tages eine erneute Umbenennung notwendig machen würde.

In Gesprächen mit Sozialdemokraten aus anderen Ländern, da habe ich erfahren, dass man eigentlich Mut macht für unsere Eigenständigkeit und darauf, hinweist, dass wir uns diesem sprachlichen Problem, das wir haben, auch stellen. Wir haben uns z.B. noch nicht entschlossen uns mit Genossen anzureden. Die Sozialdemokraten in der Bundesrepublik tun das.

Wäre ich Salomon, um zum Schluss zu kommen: Da hätte ich, ganz schöne Bauchschmerzen bei diesem Streit. Welches ist denn nun das richtige Kind? Oder gibt es nur eines, dem man nur zwei verschiedene Nuckel in den Mund zu stecken versucht? Wahrscheinlich wäre ich ordentlich sauer, dass mir das aufgeweckte Volk mit Belanglosigkeiten käme und ich würde als Salomon mein Kamel satteln und zur Königin von Saba reisen. Dort vernünftig dinieren und den neuesten Modeschmuck begutachten. Sollen sie doch machen was sie wollen. Hauptsache. Es ist ehrlich und fair. Ich könnte beide Namen akzeptieren. Es ist doch dasselbe Kind. Wer genau aufpasst, wird bemerken, dass da ganz andere böse Buben sozialdemokratische Kinder aus der Taufe zu heben versuchen.

(Beifall)

Und, liebe Freunde, denen müssen wir ins Handwerk fahren. Denen ist es offenbar ganz recht, wenn das sozialdemokratische Kind zerteilt im Staube liegt. Was da getrieben wird, das ist Kinderschändung. Dagegen ist unsere Diskussion nichts als ein Pausenfüller, und wenn hier etliche unter uns ganz begierig darauf sind, die deutsche Trommel zu rühren oder den bundesdeutschen Sozialdemokraten die Aktentaschen zu tragen, dann werde ich das in der Pause thematisieren und nicht auf diesem Podium, das ich jetzt räume, damit heute noch etwas zu unserem Wahlsieg gesagt werden kann.

(Beifall)

Protokoll der Delegiertenkonferenz der Sozialdemokratischen Partei in der DDR 12.1-14.1.1990 Berlin, Kongresshalle Alexanderplatz, Seite 114-118

Thomas Krüger hielt die Rede am 13.01.1990. 25 Jahre später sagte Thomas Krüger ich wurde wahrscheinlich zu Recht ausgebuht.

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