Thomas Krüger, Geschäftsführer der SDP, Berlin (DDR):

(mit Beifall begrüßt):

Sozusagen als Einstimmung auf den heutigen Abend : Liebe Genossinnen Genossen von der SPD! Liebe Gäste! Walter Momper hat gestern Wert darauf gelegt, dass es hier in Berlin einen zweiten Parteivorstand gibt. Auch in Berlin (Hauptstadt) gibt es einen zweiten Vorstand, und in dessen Namen grüße ich euch jetzt schon und danke euch im Namen all derer, die aus Berlin nach Berlin zu euch gekommen sind.

Ihre Eindrücke sind sicherlich sehr vielfältig. Da sind nämlich die großartigen Reden von Willy Brandt und Oskar Lafontaine, in denen wir auf ehrliche verantwortungsvolle Weise vorkommen. Aber da ist auch Erstaunen darüber, dass bei einer so wichtigen Diskussion über das Programm der Saal halb leer oder noch leerer ist.

(Beifall)

Wir wollen diese richtigen Formen der Disziplinlosigkeit - ich kann auch "Demokratie" dazu sagen - erst noch lernen, aber nicht sofort.

(Beifall)

Aber ich kann euch sagen: Wir sind gerne bei euch, und nicht nur wir. Auch aus Dresden ist eine zehnköpfige Gruppe gekommen, um Kontakte mit den Freunden aus Baden-Württemberg und Hamburg auszubauen. Ihr seht, dass uns das, was wir uns mit dem Füßen selber erlaufen haben, auch auf Trab gebracht hat.

Mit Freude habe ich hier sehr viele Vertreter des DGB gesehen. Eine Sozialdemokratie ohne Gewerkschaften, das ist sicherlich wie ein Kamel ohne Nadelöhr. Auch wir haben in unserer oft so toten Gewerkschaft autonome Kräfte gefunden, und die müssen unterstützt werden. Deshalb warten unsere Freunde in der Gewerkschaft in der DDR auch auf euch. Viele haben hier von Vereinnahmung unserer jungen SDP gesprochen. Ich denke, wir sind viel zu mobil, viel zu viel unterwegs, um uns derzeit vereinnahmen lassen.

(Beifall)

Wir haben in diesen Tagen den S-Bahnhof Westkreuz passiert, um ins ICC zu kommen. Schon in vier Wochen könnt ihr am S-Bahnhof Ostkreuz umsteigen, um in der Berliner Kongresshalle unsere Delegiertenkonferenz zu besuchen, auf der wir u. a. darüber diskutieren wollen, ob wir in Zukunft SDP oder SPD heißen wollen.

(Beifall)

Aber an dieser Stelle möchte ich wirklich um Vorsicht bitten. Ich habe vorhin Bilder aus Dresden gesehen, und Herr Kohl spielt dort mit Emotionen. Er führt sich auf wie ein Reichsverweser, und das ist gefährlich.

(Beifall)

In diesem Zusammenhang, liebe Freunde, möchte ich auch euch davor warnen, zu trunken den SPD-Namen zu diskutieren, denn auch er ist ein Weiterdrehen der Spirale in der irrationalen Situation. Wir müssen das alles behutsam und vorsichtig angehen und vor allen Dingen nicht so mit den Emotionen spielen, wie es derzeit in Dresden geschieht.

(Beifall)

Wichtig ist, was Willy Brandt uns gestern entfaltet hat: Es soll zusammenwachsen können, was zusammen gehört, und Oskar Lafontaine hat das heute mit allem Nachdruck in einen internationalen Rahmen gestellt. Das war uns in diesen Tagen wichtig, in denen Jahre vergehen, Tage, in denen sich alles, was mit der Diskussion um die deutsche Einheit befasst ist, überschlägt. Willy Brandt war es, der es uns zu Ohren gebracht hat, dass nicht Egon Krenz oder auch der Stasi es waren, sondern der Gewandhausdirektor Kurt Masur und die Sowjetunion eine chinesische Lösung in Leipzig verhindert haben.

Dass der Stalinismus an seinem Ende chinesische Lösungen praktiziert, sehen wir derzeit in Rumänien. Ich fordere uns alle auf, Solidarität mit unseren Freunden dort zu üben, so wie wir Solidarität auch mit allen anderen in Osteuropa üben.

(Beifall)

Zum Glück ist es uns anders ergangen: Die Demokratie in der DDR ist geboren worden; ihre Hebammen werden wir nicht vergessen - wir brauchen sie noch -‚ Willy Brandt, Michail Gorbatschow, in Europa und ganz besonders auch hier in Berlin. Es muss nämlich weitergehen mit dem Berlin, dessen unüberwindbare Mauer sich als spanische Wand erweist, mit der es keine statischen Probleme mehr geben soll. Berlin braucht die Dynamik der SPD Walter Mompers, Berlin braucht aber auch die Dynamik der SDP, deren erste Sprecherin übrigens Anne-Kathrin Pauck heißt. Merkt euch auch diesen Namen!

Vielen Dank.

(Beifall)

Protokoll vom Programm-Parteitag Berlin 18.-20.12.1989. Herausgeber: Vorstand der SPD Bonn

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