DOKUMENTATION

Den Dialog fortsetzen und verstärken

Der Berliner SPD-Landesvorstand hat einstimmig eine Erklärung zur Deutschlandpolitik beschlossen, die wir im Wortlaut dokumentieren.

1. Die Berliner Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten unterstützen alle Bestrebungen, die darauf abzielen, den Menschen in der DDR demokratische Beteiligungschancen und Selbstbestimmung zu gewährleisten. Wir können und wollen den Bürgerinnen und Bürgern der DDR nicht vorschreiben, in welchen politischen Formen und mit welchen gesellschaftlichen Zielen sie ihr Recht auf Selbstbestimmung ausüben.

Im Einklang mit den Prinzipien und bisherigen Ergebnissen des Helsinki-Prozeses, die es auch auf anderen Gebieten zu verwirklichen gilt, haben für uns die Reisefreiheit, also die völlig Durchlässigkeit der Grenze, die Meinungs- und Informationsfreiheit und die selbstverantwortliche Mitwirkung aller Bürgerinnen und Bürger der DDR an der Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse Priorität.

2. Die Demonstrationen anlässlich des 40. Jahrestages der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik haben gezeigt, dass die gegenwärtige Partei- und Staatsführung in einer tiefen Krise ist. Die SED muss endlich erkennen, dass tiefgreifende Reformen zur Demokratisierung des Staats-und Wirtschaftslebens unausweichlich sind. Die Berliner SPD fordert die SED auf, sich dem kritischen Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen in der DDR zu stellen.

3. Die Zurückweisung von Besuchern an den Übergängen widerspricht in eklatanter Weise den Vereinbarungen über den ungehinderten Reise- und Besucherverkehr sowie dem Viermächte-Abkommen über Berlin.

Der Landesvorstand kritisiert die Zurückweisungen und fordert die SED-Führung auf, die getroffenen Vereinbarungen zu erfüllen. Diese Vereinbarungen stehen nicht im Belieben der DDR und sind auch nicht interpretationsfähig. Die DDR muss sich die Frage gefallen lassen, ob sie im deutsch-deutschen Verhältnis und bei internationalen Beziehungen ein verlässlicher Partner ist.

4. Der SPD-Landesvorstand verurteilt die Gewaltanwendung von Staatsorganen der DDR bei den friedlichen und gewaltfreien Demonstrationen im anderen Teil der Stadt und in vielen Städten der DDR und die massive Behinderung von Journalisten, Kameraleuten und Fotoreportern.

Wir fordern die Freilassung der inhaftierten friedlichen Demonstranten. Wir fordern die SED auf, das Recht auf Demonstrations- und Meinungsfreiheit zu gewährleisten. Durch Gewalt lassen sich kritische Äußerungen und oppositionelle Entwicklungen in der DDR weder verheimlichen nach unterdrücken.

5. Die Berliner SPD tritt gerade in der jetzigen Konfliktsituation dafür ein, den Dialog mit der SED und den offiziellen staatlichen Stellen sowie mit kritischen Gruppen und demokratischen Initiativen fortzusetzen und zu verstärken. Zur Fortsetzung des Dialogs zwischen den Menschen und den Institutionen beider deutscher Staaten gibt es keine verantwortbare politische Alternative.

6. Die Berliner SPD begrüßt die Zusammenschlüsse von kritischen Bürgerinnen und Bürgern in der DDR zu demokratischen Organisationen mit dem Ziel der Verbesserung der Lebensverhältnisse in der DDR, der Schaffung von Pluralität des gesellschaftlichen Lebens und der freien Meinungsäußerung.

Auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Menschen in der DDR muss es ihren Bürgerinnen und Bürgern überlassen bleiben, selbst den Aufbau eigenständiger politischer Parteien ohne Provokation von außen und gewaltsamer Behinderung im Innern voranzubringen. In diesem Sinne begrüßt die Berliner SPD die Gründung einer sozialdemokratische Partei in der DDR. Eine Wiederbelebung der SPD-Kreisverbände in Ostberlin kommt nicht in Betracht.

Sozialdemokratischer Pressedienst, 46. Jahrgang, 196, 11.10.1989

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