Ende der Illusionen?

Zur Krise in den Beziehungen zwischen SPD und SED

Von Dr. Wilhelm Bruns‚ Abteilungsleiter in der Friedrich-Ebert-Stiftung

I.

Mach den jüngsten Ereignissen in den deutsch-deutschen Beziehungen wie im Verhältnis der SPD und der SED und insbesondere nach der spektakulären Ausladung einer Delegation der SPD-Fraktion unter Leitung ihres stellvertretenden Vorsitzenden Professor Dr. Horst Ehmke, wird nun - teils selbstkritisch, teils schadenfroh vom Ende einer gescheiterten Politik gesprochen, Doch nicht der Dialog-Ansatz ist gescheitert. Die jüngsten Ereignisse markieren vielmehr das Ende einer Phase von Illusionen - auf beiden Seiten.

II.

Zunächst ist festzustellen, dass durch die dramatische Akzeptanzkrise, in die die SED-Führung sich durch eine Politik des Status quo gebracht hat, auch die Beziehungen zwischen der SPD und der SED in eine Krise geraten sind. Wenn dies richtig ist, muss die SED-Führung ihre hausgemachten Probleme lösen, und sich in einer öffentlichen Diskussion mit ihrer, Bürgern erklären, mit welcher Politik sie den DDR-Bürgern eine Bleibe-Perspektive anbieten will. Erst dann ist ein lohnenswerter und in die politische Landschaft passender Parteien-Dialog wieder sinnvoll.

III.

Es gilt Abschied zu nehmen von Illusionen, von denen hier einige genannt werden sollten:

- Auf Seiten der SPD konnte erwartet werden, dass die SED-Führung das praktiziert, was verabredet worden ist, etwa im wegweisenden Streitkulturpapier von 1987- "Die offene Diskussion über den Wettbewerb der Systeme, der Erfolge und Misserfolge, Vorzüge und Nachteile muss innerhalb jedes Systems möglich sein . . .".

- Die SED-Führung - so eine weitere Illusion - ist selbstbewusst genug, auch Kritik von außen zu ertragen. Auch dies war verabredet denn im SPD-SED-Streitkulturpapier heißt es: "Kritik, auch in scharfer Form, darf nicht als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen Seite zurückgewiesen werden." Wenn Abgeordnete des Deutschen Bundestages ankündigen, sie wollen mit der DDR-Führung in aller Öffentlichkeit über die Gründe und die voraussehbaren Folgen ihrer Reform-Verweigerung sprechen, so ist dies offenbar ein Ausladungsgrund - aus der Sicht der SED-Führung.

- Eine weitere Illusion, war und ist wohl, dass die SED-Führung in der Lage sein würde, einen Reformansatz zu finden, der sich aus dem eingestandenen Reformbedarf in der DDR ergibt, und Anschluss findet an die Reformentwicklung in den anderen osteuropäischen Staaten.

- Es war wohl eine - vielleicht die gravierendste - Illusion, dass diejenigen, mit denen das streckenweise konstruktive und ergiebige Gespräch geführt wurde, identisch seien mit der SED-Führung. Nun zeigt sich in aller Deutlichkeit (was lange Zeit verdeckt war), dass es in der SED-Führung zwei konkurrierende Gruppierungen gibt, die miteinander ringen: Eine Gruppierung, die auf Beharrung und Abgrenzung auch vorn "Sozialdemokratismus" dringt und eine andere, die die systemöffnende Kooperation für den einzig zeitgemäßer Ansatz hält. Gegenwärtig scheinen sich die "Abgrenzer" und "Auslader" in der SED-Führung durchzusetzen!

- Eine weitere Illusion war wohl - auf beiden Seiten - dass die erhebliche Übereinstimmung in Abrüstungsfragen, die ja auch zu gemeinsamen Empfehlungen geführt hat, für eine ausreichende Grundlage sorgt, um die absehbaren Differenzen in anderen Bereichen zu überdecken.

Auf Seiten der SED-Führung mag die Illusion geherrscht haben, dass sie die SPD instrumentalisieren könnte - gegen die Bundesregierung.

IV.

Zeigt sich nun in aller Deutlichkeit und Öffentlichkeit, dass die Basis, die man seit 1983 (seit der Internationalen Karl-Marx-Konferenz) gefunden, hat, nicht ausreichend war und ist? Die Illusionen schlagen jedenfalls um in Enttäuschung. Dabei darf es nicht bleiben! Die SED-Führung muss ihre Dialogfähigkeit nach außen und nach innen unter Beweis stellen! Beide Seiten müssen nun einen Neubeginn finden. Wenn man so will, müssen beide - SPD und SED - so etwas wie eine Politik der Schadensbegrenzung betreiben, das heißt kein Aktionismus (etwa weitere Besuchsabsagen). Bei der Strategie der Schadensbegrenzung sollte nicht der Dialog abgebrochen, sondern erweitert werden, und zwar sowohl was die Themen wie die Teilnehmer betrifft. Mit allen in der DDR reden - über alles reden und dies mit der größtmöglichen Öffentlichkeit und Offenheit. Ein solcher Dreiklang sollte von der SED-Führung nicht als Missklang verstanden werden. Allerdings sollte die SED-Führung wissen, dass sie für die nächste Phase des Parteien-Dialogs folgende Vorleistungen erbringen muss:

- Ohne inneren Dialog in der DDR bleibt der Dialog zwischen SPD und SED schwierig, wenn nicht gar unergiebig!

- Ohne innere Reformen in der DDR scheint die SED auf Dauer nicht der richtige Partner zu sein.

V.

Es wäre jammerschade,wenn unter Bedingungen konstruktiver Ost-West-Beziehungen und der konkreten Aussicht auf baldige Abrüstungsabkommen in Wien wie der Zunahme des systemöffnenden Dialogs und der Kooperation zwischen Ost und West die einstigen Wegbereiter abseits stehen und ihren für die Lage in Europa so wichtigen Beitrag nicht leisten können beziehungsweise wollen!

Sozialdemokratischer Pressedienst, Nr. 179, 44. Jahrgang, 18.09.1989

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