Ibrahim Böhme: "Mein Rücktritt kam einigen gelegen"

Ex-SPD-Chef über seinen Abgang, die große Koalition und sein politisches Comeback

INTERVIEW

taz: Ibrahim, Dein überraschender Rücktritt von den Parteiämtern ist vielfach als Schuldeingeständnis interpretiert worden. Dein Verhalten hat den vom 'Spiegel’ erhobenen Verdacht einer Informantentätigkeit für den Staatssicherheitsdienst eher weiter erhärtet.

Ibrahim Böhme: Ich weise diesen Verdacht nach wie vor zurück. Er ist durch nichts begründet. Mein Rücktritt war deshalb auch kein Schuldeingeständnis. Ich fühlte mich allerdings verpflichtet, diese Entscheidung zu treffen um meine Partei nicht durch einen angeschlagenen Vorsitzenden in Mitleidenschaft zu ziehen. Es war meine souveräne Entscheidung, nicht salopp über diesen Verdacht hinwegzugehen, sondern mich diesen Vorwürfen zu stellen. Hätte ich anders gehandelt, hätte ich riskiert, die Partei durch einen geschwächten Vorsitzenden zu belasten.

Du hast kürzlich eine Andeutung gemacht, keiner in diesem Lande könne heute mit reinem Gewissen dastehen. Deine Schuld bestehe vielleicht darin, zu offen gewesen zu sein.

Möglicherweise war ich zu vertrauensselig. Ich habe gerade nach der Einsicht der Unterlagen in der Normannenstraße, in denen ich als Objekt der Stasi, nicht als Informant geführt wurde, konkrete Vermutungen, wer solche Mitteilungen weitergegeben haben könnte.

Herr de Maizière ist mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen sehr viel souveräner umgegangen. Heute ist er Ministerpräsident und die Vorwürfe sind vergessen. Hast Du nicht Dir selbst und der Partei durch Dein vermeintlich rücksichtsvolles Handeln eher geschadet?

Ich würde Herrn de Maizière aus seinem Verhalten keinesfalls einen Vorwurf machen. Dennoch bin ich für meine Person zu einer anderen Entscheidung gekommen. Mir ist wichtig, in der nächsten Zeit, neben meiner politischen Arbeit, aufzuhellen, wer - nach dem Motto cui bono - an der Geschichte gegen mich interessiert gewesen ist und welche Interessenfelder sich in der Schusslinie auf Böhme gebildet haben. Meine Recherchen in dieser Richtung sind durchaus erfolgreich, ohne dass ich hierzu jetzt Konkreteres anbieten kann. Im Verlauf der nächsten drei Monate wird es aber ein entsprechendes Papier dazu geben.

Deine Vermutungen zielen aber nicht auf Personen aus der eigenen Partei?

Es zielt nicht auf Leute aus meiner Partei.

Du schließt aber nicht aus, dass das Interessenfeld, das zu den Verdächtigungen führte, bis in die Partei hineinreicht?

Ich werde meiner Partei mit keiner Aussage schaden. Mir ist in dieser Richtung nichts bekannt.

Gab es für Deinen Rücktritt auch politische Gründe?

Politische Gründe haben insofern eine Rolle gespielt, als ich - nicht erst seit dem Verdacht - gespürt habe, dass ich möglicherweise nicht die Kraft haben würde, meine Vorstellungen von sozialdemokratischer Politik durchzusetzen. Das bezieht sich vor allem auf den Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch auf den jetzt notwendigen gesellschaftlichen Versöhnungsprozess im Lande.

"Ich habe mehr Widerstand gegen die Koalition erwartet"

Man hatte aber doch den Eindruck, dass Dein Rücktritt Teilen der Parteispitze sehr gelegen kam.

Es gab vor meinem Rücktritt noch einen Versuch von Markus Meckel und Richard Schröder, mit mir zu sprechen. Ich kann aber sagen, dass ich zu diesem Zeitpunkt kein Interesse mehr an einem solchen Gespräch hatte. Ich halte es - ohne hier Namen nennen zu wollen - nicht nur für möglich, sondern für gegeben, dass es einigen Personen gelegen gekommen ist, dass ich als Gegner einer DSU-Partnerschaft oder einer Nato-Mitgliedschaft selbst meinen Rücktritt angeboten habe.

Die Partei hat nicht nur Deinen Rücktritt und die zwiespältige Haltung der Parteispitze bei diesem Vorgang ohne nennenswerten Widerstand geschluckt; sie hat auch das Projekt "große Koalition" widerspruchslos hingenommen. Überrascht Dich das?

Darauf kann ich nur mit ja antworten. Ich habe sowohl mehr Widerstand gegen die Koalitionsbeteiligung erwartet als auch gegen die Art und Weise, wie die Koalition zustande gekommen ist. Aber es wird ja noch Parteitage geben, auf denen sowohl um die Struktur wie auch um inhaltliche Aussagen und Konzepte gerungen werden wird.

Wären denn die Koalitionsverhandlungen unter Ibrahim Böhme wirklich anders verlaufen?

Es wäre vermessen, wenn einer, der sich in den entscheidenden vierzehn Tagen aus der Politik herausgenommen hat, jetzt Zensuren verteilen wollte. Ich freue mich, dass es gelungen ist, eine Reihe sozialdemokratischer Positionen in die Koalitionsvereinbarung einzubringen.

Allerdings hätte ich eine DSU-Beteiligung und die in Aussicht gestellte Nato-Mitgliedschaft nicht mitgetragen. Angesichts dieser Vereinbarungen hätte ich der Fraktion die Empfehlung gegeben, in die Opposition zu gehen. Ich habe die Möglichkeit einer großen Koalition ohne DSU vor den Wahlen nicht ausgeschlossen. Meine Zielrichtung wäre es allerdings gewesen, dass neben den großen Parteien auch Personen wie Poppe, Ullmann und Templin in der Regierung gesessen hätten.

Bedeutet dieses Sich-Festbeißen an der DSU nicht schlicht eine Überschätzung dieser Partei?

Entscheidend ist: Die DSU verfügt nicht über den Ansatz einer Programmatik, dass sie sich, wie keine andere Partei ich möchte sagen bis zur Hörigkeit -, von ihrer Schwesterpartei fernlenken lässt und dass diese Partei in den Südbezirken einen Wahlkampf geführt hat, der den Menschen Angst gemacht hat.

Gut, die große Koalition steht - inklusive der DSU. Ist denn das Argument der Befürworter von der Hand zu weisen, man habe zustimmen müssen, weil sich die Konflikte der kommenden Monate nicht zwischen den Parteien in der DDR, sondern zwischen Bonn und Berlin abspielen werden, so dass es letztlich keine Alternative zu einer breiten parlamentarischen Regierungsmehrheit gibt?

Ich freue mich natürlich wenn Lothar de Maizière mit einer starken parlamentarischen Rückendeckung gegenüber Bonn Selbstbewusstsein entwickeln kann. Ich denke auch, dass die Chance der SPD noch nicht endgültig vertan ist, die künftigen Weichenstellungen mitzubeeinflussen. Dennoch glaube ich, dass das aus der Opposition heraus klarer und besser möglich gewesen wäre.

Siehst Du eine Chance, dass die neue Regierung in Bonn entgegenkommender behandelt wird als die Regierung Modrow?

Nein, das ist das Bemerkenswerte. Modrow hat man die Unterstützung, die Kohl in Dresden versprochen hat, konsequent versagt. Auch die Regierung de Maizière wird man um jedes Zugeständnis in einer Weise ringen lassen, die den Verdacht nahelegt, dass die Bonner Politik noch immer davon ausgeht, die DDR werde ihr wie eine faule Frucht in den Schoß fallen.

Wie definierst Du denn deine zukünftige Rolle in der Partei?

Ich habe diese Partei mitgegründet und ich werde weiterhin versuchen in Fraktion und Partei meine Positionen einzubringen. Ich war immer ein Vertreter des demokratischen Sozialismus und ich glaube nicht, dass es ein Parteiausschlussverfahren nach sich ziehen wird, wenn ich das dezidierter benenne, als es vielen in der Partei wünschenswert erscheint?

Da bietet sich ja die Rolle als Integrationsfigur des linken Flügels der SPD an?

Ich habe nicht die Absicht Integrationsfigur zu werden, sondern meine politischen Intentionen da, wo ich es für notwendig halte, zu akzentuieren.

In welcher Funktion?

Als Mitglied der Volkskammerfraktion der SPD.

Du hast keine Ambitionen, nochmal an die Spitze der Partei zurückzukehren?

Dafür sehe ich in diesen Tagen und Wochen keine Notwendigkeit. Außerdem gibt es viele politisch kluge Freunde in der Partei, die einen guten Vorsitzenden oder eine gute Vorsitzende abgeben könnten. Ich wünschte mir allerdings, es wäre ein möglichst linker Vorsitzender.

Also dann vielleicht die Rolle des Königsmachers?

Ich bin nicht Franz-Joseph Strauß.

Interview: Matthias Geis

die tageszeitung, Ausgabe 3086, 19.04.1990

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