Ibrahim Böhme, Geschäftsführer der SDP: Liebe Freundinnen! Freunde! Liebe Freunde! Liebe Genossinnen! Liebe Genossen! Ich habe nicht darum gebeten, einen Bericht abzugeben - dieser wäre dann abgefordert gewesen -‚ sondern ich habe darum gebeten, mich mit einigen Worten unter Bezugnahme auf den Runden Tisch an euch zu wenden.

Ich bedanke mich dafür, dass unsere Freunde so offenherzig von euch aufgenommen worden sind. Ich bedanke mich dafür, dass wir bei euch reden dürfen.

Ich begrüße aber insbesondere alle Freunde der oppositionellen demokratischen Kräfte aus der Deutschen Demokratischen Republik und insbesondere die Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei in der DDR.

(Beifall)

Es war für jemanden, der ein bisschen Freude und Genuss an Sprachkultur hat, heute eine Freude, die Rede von Oskar Lafontaine zu hören;

(Beifall)

nicht nur, weil sie von freier und angreifbarer – das ist ja etwas Positives – Sprachkultur zeugte, sondern auch, weil sie den moralischen Hintergrund von Politik bezeichnete, mit dem die SPD in der Bundesrepublik in den Wahlkampf gehen wird.

Es waren Achtungszeichen für die Machbarkeit eines Programms. Ich wünsche euch in diesem Wahlkampf und mit diesen Aussagen viel Erfolg.

Besonders bedanke ich mich im Namen aller oppositionellen Kräfte in der DDR für das, was Oskar Lafontaine über Europa und die internationale Solidarität gesagt hat, die in den letzten Jahren oft ein bisschen abgedrückt worden ist - natürlich nicht bei euch.

Liebe Genossinnen und Genossen, die demokratische Opposition in der DDR konnte nur überleben in der Solidarität mit den Freunden von "Charta 77" in der Tschechoslowakei, in der Solidarität mit den Freunden von "Solidarnosc", von "Frieden und Freiheit" in der Volksrepublik Polen, mit allen anderen Freunden der demokratischen Opposition in Osteuropa.

Wir haben nicht die Absicht, diese Solidarität zu verlassen, indem wir eine Wohlstandsgrenze von der Elbe einfach an die Oder-Neiße-Grenze versetzen.

(Beifall)

Aber die Situation in der DDR, vor allem in ökonomischer Beziehung, ist eine so komplizierte, dass sich unberechenbare Momente für eine Destabilisierung der Lage in Mitteleuropa ergeben könnten, die nicht nur den Demokratisierungsprozess in Osteuropa gefährden könnten.

Aus diesem Grund bedanken wir uns vor allem bei den Sozialdemokraten Westeuropas und Osteuropas dafür, dass sie immer mehr Gemeinsamkeit erkennen in der Verantwortung für Europa, für ein entmilitarisiertes europäisches Haus und für die Welt.

Die Sozialdemokraten in der DDR haben auch nicht die Absicht, das, was sie in Schwante gesagt haben - nicht vollmundig -‚ nämlich ihre Verantwortung für die ärmeren Länder, aufzugeben. Trotzdem ist es eine der vordringlichen Aufgaben, unsere ökonomische Situation und die politische Struktur uns Landes wieder zu stabilisieren.

Wir wissen, was damit zusammenhängt. Wir wissen, welche sozialen Ängste sich in der Bevölkerung der DDR bereits jetzt breitmachen. Wir verlangen deshalb auch, dass der Runde Tisch nicht nur eine Diskursebene mit shaking hands ist. Wenn er sich zur Kontroll- und Anwaltsfunktion für die Bevölkerung in der DDR erklärt, auf einem Weg in die Demokratie in die Schneise zu steigen, muss er sich dann, wenn die Krise so offenkundig wird, zum Krisenmanagement bekennen. Er darf nicht die Repräsentanten von Parteien versammelt haben, um wieder eine Transmission hin und zurück dazwischenzuschalten, ehe Entscheidungen gefällt werden.

Vielmehr muss die Regierung Modrow an den Tisch. Die regierungstragenden Parteien können sich ja einigen, wer in der Parität auf der anderen Seite sitzt.

Es ist uns gestern gelungen, eine ganze Reihe von Forderungen der Opposition, die die sozialdemokratischen Freunde mit den oppositionellen Kräften am Freitag vereinbart haben, durchzusetzen. Wir möchten aber den Hintergrund beschreiben. Wir stehen im Wahlkampf. Der Wahlkampf in der DDR wird hart werden. Er wird hoffentlich fair bleiben. Wir Sozialdemokraten stehen für einen harten und fairen Wahlkampf.

Im Vorfeld dieses Wahlkampfs führen drei Blockparteien Parteitage durch, die für die Situation in der DDR nicht weniger verantwortlich sind als die SED.

(Beifall)

Ich meine, die SED hat immer ihren Wahrheits- und Führungsanspruch aufrechterhalten, aber die Blockparteien sind für mich persönlich sogar verantwortlicher: Sie hatten in ihren Reihen das höhere Intelligenzpotential.

(Zustimmung)

Mit Vollmundigkeit erteilen diese Blockparteien nach 40 Jahren irrealen, dümmlichen, unverantwortlichen und menschenverachtenden "Sozialismus" eine Absage an den Sozialismus. Sie benennen nicht einmal, welchen Sozialismus sie gemeint haben.

Wir Sozialdemokraten in der DDR fühlen uns in Einheit mit allen europäischen sozialdemokratischen Parteien und Parteien des demokratischen Sozialismus, wenn wir sagen: Wir meinen Sozialismus, aber einen freiheitlichen demokratischen Sozialismus auf der Basis einer parlamentarischen Demokratie, der allen Menschen die größtmögliche Teilhabe an Machtausübung gibt.

(Beifall)

Da möchte ich unserem von allen in der Opposition geachteten Freund Schorlemmer folgendes sagen. Früher habe ich meinem Freund immer gesagt - einige Jahre lang hat man ja in der DDR ein bisschen in der Illegalität gearbeitet -: Pass auf dich auf. Heute sage ich: Pass auf, wo du dich festmachst.

(Zustimmung)

Es gingen von den Blockparteien ja nicht nur verschwommene Sozialismusabsagen über den Ticker, sondern auch verschwommene und unverantwortliche deutschlandpolitische Aussagen. Ich glaube, dass die Bevölkerung der DDR berechtigt Vertrauen in die Opposition haben kann. Ich bitte sie, die Geduld, die die Opposition in den letzten Tagungen am Runden Tisch gezeigt hat, so zu verstehen, dass wir nicht gern so lange Geschäftsordnungsdebatten geführt haben, ehe wir zu Sachfragen kamen. Wir mussten sie aber führen, weil, bevor wir zu Sachfragen kommen, die demokratischen Konditionen festgelegt werden müssen, unter denen Sachfragen verhandelt werden.

Es ist uns gestern gelungen, die wichtigen Arbeitsausschüsse zu installieren. Es ist uns gelungen, die Blockparteien, die Regierungsparteien – Verzeihung, meine Damen und Herren von der LDPD, der NDPD, der CDU, der DBD, die sie ja so schnell aus dem gemeinsamen Boot, in dem sie sich 40 Jahre lang von der SED haben rudern lassen, ausgestiegen sind; sie sind ja keine Blockparteien mehr -‚ die regierungstragenden Parteien dazu zu zwingen, dass sie zustimmen, dass am Freitag kompetente Vertreter des Wirtschaftsministeriums, der Regierung der DDR erscheinen und nicht nur die tatsächliche Wirtschafts-, Finanz- und Devisensituation offenlegen und die ersten Schritte benennen, sondern auch eindeutig das benennen müssen, was am heutigen Tage schon an neuem Management unserer Wirtschaft hinter verschlossenen Türen mit der Regierung Kohl ausgehandelt wird.

Ich habe - ich betone das - nichts gegen einen Arbeitsbesuch von Herrn Bundeskanzler Helmut Kohl. Wir freuen uns, wenn der Herr Bundeskanzler Helmut Kohl zu uns arbeiten kommt.

(Beifall)

Aber ich habe etwas dagegen, wenn hinter verschlossenen Türen sich jetzt plötzlich eine Verbindung anbahnt, die man erst so vollmundig in Zeiten abgelehnt hat, als die Verständigungspolitik nur von der SPD getragen wurde und sich die SPD in die Negativschlagzeilen brachte, weil sie tatsächlich hier und dort im Interesse auch unserer Bevölkerung zu Aussagen gezwungen war, die nicht jeder sofort rezipieren konnte.

Die entscheidende Stunde des Wahlkampfs ist bereits angebrochen. Das schwierige Moment für alle oppositionellen Kräfte, nicht nur für die SDP ist die Medienfrage. Wenn ich mir heute das "Neue Deutschland" vornehme, sehe ich, dass das "Neue Deutschland" nicht ein Fünfzigstel der gesamten Ausgabe für den Runden Tisch übrig hat, der gestern wichtige Entscheidungen für die Situation in Berlin und für die Situation in der gesamten DDR getroffen hat.

Am Ende sei mir ein besonderer Dank gestattet. Ich bedanke mich an diese Stelle im Namen aller oppositionellen Kräfte, auch im Namen der SDP, bei dem Regierenden Bürgermeister Walter Momper für das, was er in den letzten Wochen nicht für den Egoismus und nicht nur für die Stabilität West-Berlins geleistet hat, sondern in Blickrichtung auf die Verantwortung für ganz Europa. Er hat nämlich vieles dazu beigetragen, dass der Destabilisierungseffekt in Berlin und in den beiden deutschen Staaten sich nicht ausweiten konnte.

Ich bedanke mich fürs Zuhören.

Protokoll vom Programm-Parteitag Berlin 18.-20.12.1989. Herausgeber: Vorstand der SPD Bonn

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