DDR 1989/90 Brandenburger Tor

Die leise Stimme der Natur verlangt menschliche Lobby

Gespräch mit Pfarrer Dr. Gensichen Initiator des zentralen Grünen Tisches

Nach dem Runden Tisch hat in unserem Land nun auch ein zentraler Grüner Tisch seine Arbeit aufgenommen. In der vergangenen Woche trafen sich im Ministerium für Naturschutz, Umweltschutz und Wasserwirtschaft Vertreter von 18 Parteien, politischen Organisationen und Ministerien. Die Interessen der CDU vertrat ihr stellvertretender Vorsitzender Prof. Dr. Karl-Hermann Steinberg, stellvertretender Minister für Schwerindustrie. Da die Presse während der Beratungen ausgeladen war, suchten wir im Nachhinein das Gespräch mit dem Initiator der Zusammenkunft, Pfarrer Dr. Hans-Peter Gensichen, Leiter des Kirchlichen Forschungsheims in der Lutherstadt Wittenberg.

Warum war die Presse eigentlich nicht willkommen?

Wir wollen ein Arbeitsgremium sein, das konzentriert und sachkundig die gewaltigen Probleme der Umwelt in der DDR anpackt. Denn die Lage der Luft, des Wassers, der Böden, der Pflanzen, der Tiere, die Lage der auf sie angewiesenen Menschen ist jammervoll. Hier gilt es, schnell zu handeln und tiefgreifend zu verändern. Da nützen uns Erklärungen nichts, die nur in und für die Kamera des Fernsehens abgegeben werden. Wir werden aber in den Tagungspausen bzw. nach jeder Zusammenkunft des Grünen Tisches der Presse zur Verfügung stehen.

Sie hatten sich mit der Idee für einen Grünen Tisch an Ministerpräsident Dr. Hans Modrow gewandt. Er hat diesen Vorschlag aufgegriffen. Was bewog Sie zu diesem Schritt?

Mit unserer Umwelt kann es nur besser werden, wenn es eine möglichst breite und auch möglichst tiefgehende Koalition der ökologischen Vernunft in unserem Lande gibt. Ich habe allerdings den Eindruck, dass diese sich nicht von selbst ergibt, sondern erst hergestellt werden muss. Unsere sagenhafte Parteienvielfalt und der Wahlkampf nötigen fast dazu, sich gegenüber der jeweils anderen Gruppierung abzugrenzen, sich zu profilieren. Gemeinsamkeiten herauszustellen, könnte dem abträglich sein. Doch das ist für die Durchsetzung ökologischer Anliegen sehr ungünstig. Denn die Natur hat ja von Natur aus eine leise Stimme und braucht eine menschliche Lobby. Und diese muss einig sein. Das schließt ja nicht aus, dass umweltbesorgte Menschen für unterschiedliche Parteien votieren - aber sie sollten immer auch in diesen Parteien für die Umwelt votieren.

Ich hoffe also auf eine quer durch alle Parteien gehende und auch über zukünftige Regierungskoalition hinausgehende Koalition der ökologischen Vernunft. Wenn die nicht zustande kommt, ist das ein ganz schlechtes Zeichen nicht nur für unsere Umwelt, sondern auch für die politische Vernunft allgemein.

Unser Grüner Tisch muss ein Modell dafür werden! Wir werden uns natürlich auch streiten - aber wir müssen uns auf Sachanliegen einigen. Sonst sind wir überflüssig.

Sie sprachen davon, dass der Grüne Tisch ein Konvent sein sollte, also eine Zusammenkunft, worin einigermaßen alle "Arten" von ökologisch Betroffenen, Beteiligten, Zuständigen, Sich-einmischenden vertreten sind. Worin sehen Sie den Sinn dieses Konvents?

Er soll Impulse aus den verschiedenen Blickwinkeln, aus den unterschiedlichen Arten von Betroffenheit, die die Vertreter haben, einbringen in die Umweltpolitik der Regierung. "Einbringen in" sollte bedeuten,

- die zukünftige Umweltpolitik mitzubestimmen,

- die stattgefundene Umweltpolitik kritisch zu werten.

Das umfasst vieles; ich wüsste kein Ressort, kein Ministerium, das davon nicht berührt wäre.

Ich möchte dennoch eine Hauptrichtung der zukünftigen Arbeit des Grünen Tisches, wie sie nur vorschwebt, nennen:

Lokal-regionale Bürgerinitiativen aufgreifen und dafür sorgen, dass sie und die Gesamt- Umweltpolitik in Übereinstimmung gebracht werden können. Genauer noch: dafür sorgen, dass aus ihnen die Gesamt-Umweltpolitik gemacht wird. Ich verstehe uns also als ein Einflussorgan zwischen Volk und Regierung mit der Hauptflussrichtung von unten nach oben.

Hat die erste Zusammenkunft diesen Erwartungen entsprochen?

Nachdem wir uns über Verfahrensfragen verständigt und über das Selbstverständnis des Tisches ausgetauscht hatten, gingen wir in medias res. Das Ergebnis war ein gemeinsamer Auftrag an den Ministerrat der DDR, den schon laufenden Ausverkauf hochwertiger Landschaften umgehend zu stoppen.

Dafür hält der Grüne Tisch folgende Sofortmaßnahmen der Regierung für erforderlich:

1. Bis zur Schaffung klarer gesetzlicher Regelungen müssen laufende und geplante Landschaftsveränderungen, insbesondere die Landschaft beeinträchtigende Baumaßnahmen außerhalb geschlossener Siedlungen, in bestehenden Naturschutzgebieten und in künftigen Nationalparks und Naturparks gestoppt werden sowie jegliche die künftigen Nutzungsrechte einschränkenden Veränderungen von Rechtsträgerschaft und Nutzung des Bodens und baulicher Anlagen in diesen Gebieten unterbunden werden.

2. Freigewordene frühere Sperrgebiete (Sonder- bzw. Staatsjagdgebiete, Grenzgebiete, Militärgebiete und militärische Übungsplätze) müssen als Vorbehaltsflächen für Natur- und Landschaftsschutz einstweilig gesichert werden.

3. In diesen Gebieten vorhandene bauliche Anlagen und Gebäude sind entsprechend der vorgesehenen künftigen Nutzung für die Betreuung der Schutzgebiete (Verwaltung, Forschung, Pflege) sicherzustellen.

Wann wird der nächste "Grüne Tisch" stattfinden?

Wir haben uns geeinigt, alle vier bis acht Wochen zusammenzutreten, und das nicht nur für eine Übergangsperiode. Das zweite zentrale Treffen wird demnach Ende Februar stattfinden.

Das Gespräch führte
Bärbel Möricke

Neue Zeit, Mi. 31.01.1990, Jahrgang 46, Ausgabe 26, Tageszeitung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands

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