DDR 1989/90 Brandenburger Tor

Runder Tisch fordert Frauenvotum

Für ein gesamtdeutsches Frauenvotum zum Paragraphen 218 hat sich der Frauenpolitische Runde Tisch gestern in Berlin ausgesprochen. In einer Presseerklärung lehnt das Gremium die vom Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit vorgelegten Richtlinien für die Förderung von Schwangerschaftsberatungsstellen ab. Mit diesen hinter verschlossenen Türen ausgehandelten Richtlinien solle offensichtlich versucht werden, die im Einigungsvertrag vorgesehene Übergangslösung von zwei Jahren für die DDR-Fristenregelung heimlich auszuhöhlen und die Einführung des Paragraphen 218 in den fünf neuen Ländern vorzubereiten. Die Richtlinien orientierten sich eindeutig auf den Schutz des ungeborenen Lebens und die Austragung der Schwangerschaft als Ziel der Beratung. Beratung werde durch diese Festlegung missbraucht. Wie es in der Erklärung weiter heißt, werde mit dieser „Zwangsberatung” den Frauen das Recht auf Eigengestaltung ihres Lebens genommen. Der Runde Tisch fordert ein Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch, das Ergebnis eines öffentlichen Diskussionsprozesses ist, das vom Selbstbestimmungsrecht der Frauen ausgeht und von ihnen auch ausgearbeitet wird. Eva Rohmann vom Demokratischen Frauenbund machte vor der Presse darauf aufmerksam, dass die Richtlinien offensichtlich der Einstieg für weitere Entscheidungen gegen die Frauen sein sollen, ohne sie zu befragen. Sie erinnerte daran, dass Frauen bereits jetzt zu den sozial Benachteiligten gehörten. Im August seien beispielsweise 56 Prozent, jetzt schon 63 Prozent der Entlassenen Frauen. Am im August diesen Jahres gegründeten Frauenpolitischen Runden Tisch arbeiten unter anderen der UFV, Vertreter von Bündnis 90/Grüne, der SPD, PDS, des Demokratischen Frauenbundes sowie Experten mit. Seit rund zwei Monaten beschäftigt sich eine spezielle Arbeitsgruppe mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch. Der Runde Tisch will sich jetzt auch bundesweit ausdehnen.

die tageszeitung ost, 27.11.1990