Nachtragshaushalt wird unausweichlich sein

Finanzminister Romberg sieht viele Risiken

Er hält das wichtigste Steuerinstrument der Regierung in der Hand, denn Geld, so sagt man, ist das Blut von Wirtschaft und Staat. Deshalb ist Dr. Walter Romberg (SPD) auch trotz aller Engpässe und Probleme sehr froh darüber, dass mit dem am Sonntag verabschiedeten Halbjahreshaushalt nun der Lebenssaft wieder geordnet fließen kann, die Zeit des Nur-mit-Provisonen-Wirtschaftens erst einmal vor bei ist. Nachdem das "Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplanes der DDR für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1990" in Kraft getreten ist, unterhielt sich die NEUE ZEIT mit dem DDR-Finanzminister über die "Schwindsucht" des Staatssäckels sowie über Möglich- und Wahrscheinlichkeiten, dem abzuhelfen.

Herr Minister, betrachtet man sich die beiden Beschlussempfehlungen des Haushaltsausschusses zur ersten und zur zweiten Lesung des Haushaltsplanes, so sind Differenzen unübersehbar . . .

Zunächst einmal haben sich die Gesamteinnahmen relativ geringfügig um etwa 400 Millionen DM erhöht, so dass der Haushalt nun bei 64,155 Milliarden Mark Einnahmen und Ausgaben ausbalanciert ist. Dieses Plus verdanken wir vor allem dem Ministerium für Post- und Fernmeldewesen. Zudem wurde innerhalb des Haushaltes umverteilt, das betrifft vor allem den Einzelplan 14, den Haushalt für Abrüstung und Verteidigung. Er wurde um 670 Millionen DM, das sind immerhin 15 Prozent, gekürzt.

Nach wie vor weist der Haushalt ein Defizit aus. Es hat sich zwar um eine knappe Milliarde im Vergleich zur ersten Lesung verringert, liegt aber immer noch bei 3,41 Milliarden.

Deshalb hat man mit Ausnahme der Einzelpläne 11 (Arbeit und Soziales), 32 (Schuldendienst) und 40 (Familie und Frauen) sämtliche anderen Etats in Höhe von theoretisch 6,9 praktisch aber über 8 Prozent gesperrt.

Wie erklärt sich dieser Unterschied zwischen "Theorie und Praxis"?

Ganz einfach, stellt man in Rechnung, dass das Gesetz erst Ende Juli wirksam wird, also fast ein Monat des zweiten Halbjahres schon verstrichen ist. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf verweisen, dass wir zu wirklich ungewöhnlichen Maßnahmen gegriffen haben. Denn meines Wissens hat es zwar schon Sperren über einen längeren Zeitraum von 0,6 bis 0,7 Prozent gegeben. Das ist damals schon als einschneidend empfunden worden. Unsere 8 Prozent hingegen sind in der Finanzgeschichte ein Novum. Das zeigt eigentlich, in welch starkem Maße wir in unseren finanziellen Möglichkeiten beengt sind.

Wird denn dieser doch sehr enge Finanzrahmen für die kommenden fünf Monate ausreichen?

Nach meiner persönlichen Meinung nein. Deshalb habe ich am Sonntag vor der Volkskammer doch sehr deutlich gesagt, dass ein Nachtragshaushalt unausweichlich sein wird. Zumal gewisse unabweisbare Ausgaben nicht die finanzielle Mitabstützung durch die Bundesregierung gefunden haben, wie ich und viele es erwartet hatten.

Solche unabweisbaren Ausgaben wären . . .?

Beispielsweise 440 Millionen zusätzlich für die Stationierung der sowjetischen Streitkräfte oder auch der Posten von 770 Millionen DM für die Subventionierung der festen Brennstoffe. Beides beruht auf Absprachen mit der Bundesregierung. Beispielsweise aber auch der Rechenfehler von 550 Millionen Mark bei der Krankenversicherung. Auch dies ist dem Finanzminister der Bundesregierung schon seit längerem bekannt. Das ist damals im Mai, bei der Vorbereitung des Staatsvertrages, unter Zeitdruck entstanden.

Außerdem haben wir heute eine etwas andere Situation als damals. Dies muss sich auch in einem anderen Finanzrahmen, als im Staatsvertrag festgelegt, zeigen, insbesondere, da der Vertrag finanzielle Erweiterungen bei veränderten Bedingungen vorsieht. Denn ich sehe noch nicht, wie die Ressorts auf Dauer in der Lage sein können, mit einer Sperre von praktisch acht Prozent ihre Aufgaben zu erfüllen.

Ist zudem mit anderen, im Augenblick noch gar nicht quantifizierbaren Belastungen des Staatssäckels zu rechnen?

Leider ja. Denken Sie nur an die Arbeitslosenversicherung. Es ist jetzt deutlich geworden, dass sie wesentlich größere Zahlungen zu leisten haben wird, als bisher geschätzt wurde. So rechnet das Ministerium für Arbeit und Soziales inzwischen mit einer Arbeitslosigkeit, einschließlich Kurzarbeiter, bis zu 1,5 Millionen für das zweite Halbjahr. Bisher hat man aber nur rund 450 000 kalkuliert. Das wirkt sich natürlich auf die Steuereinnahmen aus, die ohnehin sehr risikobehaftet, weil von der unkalkulierbaren wirtschaftlichen Entwicklung abhängend, sind. Und es zeichnet sich ab, dass in der Krankenversicherung die Ausgaben sicherlich beträchtlich höher liegen werden. Ich denke hier nur an die Preise von Medikamenten. Ein dritter Risikobereich umfasst die bereits eingeleiteten Lohn- und Gehaltserhöhungen, die auch nicht einkalkuliert sind.

Nun hat der Haushaltsausschuss der Volkskammer zum 30. September einen Bericht des Finanzministers über den Stand der Haushaltsrealisierung angefordert . . .

Ja, dieses wird ein wichtiger Zwischenschritt sein. Und ich bin sicher, dass man dann in Bezug auf zusätzliche Finanzmittel Konsequenzen ziehen muss. Jedoch möchte ich an dieser Stelle einen wichtigen Umstand hervorheben, der untrennbar mit dem Haushalt verbunden ist. Es geht natürlich auch darum, dass das, was an Geld da ist, verantwortlich eingesetzt und genutzt wird. Das ist sozusagen die Kehrseite der Medaille. Dabei denke ich beispielsweise an die drei Milliarden im Haushalt für die Förderung von Infrastrukturmaßnahmen. Wir müssen die wenigen Mittel so einsetzen, dass ein maximaler wirtschaftsfördernder Effekt dabei herausspringt. Es geht nicht an, dass wir mit dem Gießkannenprinzip einfach die alten Strukturen erhalten. Denn ich bin besorgt darüber, wie wenig wirtschaftliche Dynamik im Lande tatsächlich sichtbar ist. Wenn wir in den nächsten Wochen nicht größere Initiative zeigen, dann werden wir im Herbst eine Menge Frustration, Resignation und Arbeitslosigkeit haben.

Dass der zusätzliche Finanzierungsbedarf für das zweite Halbjahr sich in Milliardenhöhe bewegen wird, ist wohl jetzt schon offenkundig. Woher wollen Sie diese Milliarden nehmen? Eine Möglichkeit wären weitere Bundeszuschüsse, jedoch hat Finanzminister Waigel bisher keine Bereitschaft dafür erkennen lassen . . .

Ich denke, das wird nicht das letzte Wort von Herrn Waigel sein. Ich verstehe, wenn er sagt, dass die Anstrengungen auf unserer Seite wesentlich sind für die künftige Entwicklung. Aber das ist natürlich nur ein Aspekt. Ein anderer Aspekt wäre, dass wir unter dem großen Zeitdruck nicht allein Krisenmanagement betreiben, sondern jetzt schon sehr genaue Überlegungen über die zukünftige Wirtschaftsstruktur in unserem Lande anstellen müssen.

Wir sind im Augenblick zu sehr damit beschäftigt, uns von einer kurzfristigen Aufgabe zur nächsten zu bewegen. Das gilt auch für die Regierung. Und ich habe zudem den Eindruck, dass die Bundesregierung die zukünftige Wirtschaftsgestaltung der "DDR" im gesamtdeutschen, ja gesamteuropäischen Kontext noch nicht genügend klar analysiert und bedacht hat. Es geht hier um Schritte mit Wirkung auf die nächsten fünf, zehn, zwanzig Jahre.

Würde die voraussehbare wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik denn Ihrer Auffassung nach weitere Zuschüsse zu unserem Staatshaushalt ermöglichen?

Die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik, soweit man jetzige Prognosen zugrunde legt, wird für die nächsten Jahre mit wachsenden zusätzlichen Steuereinnahmen verbunden sein. Es gibt zudem beträchtliche Überschüsse im Bereich der Versicherungen, und man sieht ja auch, dass die Auslastung der bundesrepublikanischen Industrie heute in vielen Zweigen fast die Sättigungsgrenze erreicht hat. Hier ist also tatsächlich ein Wirtschaftswachstum im Gange, was sicher andere Möglichkeiten der Unterstützung für die jetzigen DDR-Länder zulassen dürfte. Ich will das jetzt nicht quantifizieren, aber nach unseren Berechnungen kann man davon ausgehen, dass der Finanzausgleich zwischen der Bundesrepublik und der DDR doch größere Spielräume hat, als es in den bisherigen Verhandlungen zum Einigungsvertrag deutlich geworden ist.

Das Gespräch führte
Klaus Bruske

Neue Zeit, Mi. 25.07.1990, Jahrgang 46, Ausgabe 171

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