Noch Moskau-Besuch und vor der ersten Zwei-plus-Vier-Runde - Außenminister Meckel im ND-Interview:
"Am ehesten in einer NATO, die anders ist"
Beim Rückflug von seiner engten Moskau-Visite als Außenminister der DDR führte ND, wenige Tage vor der ersten Ministerrunde der Zwei-plus-Vier-Beratungen in Bonn, mit Meckel folgendes Interview:
Haben Sie von Ihrem Moskau-Besuch neue Erkenntnisse für die Zwei-plus-Vier-Beratungen mitgebracht?
Ich könnte nichts Inhaltliches nennen, das jetzt neu wäre. Aber wichtig war diese Reise, damit man sich kennenlernt. Es ist die erste demokratisch gewählte Regierung der DDR, die ein klares Programm hat: Die Einigung der Deutschen in einem künftigen deutschen Bundesstaat so schnell, aber eben auch so gut wie möglich zu machen. Dies bringt Probleme, wenn man nicht das Vertrauen der Nachbarn schafft, und es bringt einfach außenpolitische und Sicherheitsprobleme, die nicht in einem Schlag zu lösen sind. Deshalb sind die Zwei-plus-Vier-Gespräche initiiert worden, um die äußeren Aspekte des Einigungsprozesses im Gespräch miteinander einvernehmlich zu zu klären. Das heißt eben auch, die Nachkriegssituation zu beenden. Das ist ja die Aufgabe, dass die Rechte der Alliierten beendet werden auf einer einvernehmlichen, klaren Grundlage.
Wichtig ist, dass die Interessen der Sowjetunion bei diesem Prozess berücksichtigt werden müssen. Hier gibt es deutliche Sorgen, denen wir bei unserem Besuch wieder begegnet sind. Wir haben deshalb klar beides zum Ausdruck gebracht: Einmal, die vertraglichen Regelungen und Bindungen der DDR, die Vertragstreue werden von uns aufrecht gehalten. Auch die sicherheitspolitischen Interessen der Sowjetunion müssen in einer künftigen Regelung berücksichtigt werden. Diese beiden klaren Prinzipien haben wir angesprochen.
Die Crux der Sache liegt darin: Wie räumt man die Besorgnisse aus dem Weg? Hat es diesbezüglich neue Denkansätze gegeben, um notfalls über ein gewisses Querdenken, dass Sie selbst manchmal als wichtig bezeichneten, zu Problemlösungen zu finden?
Wir haben mit Herrn Schewardnadse genau über diese Dinge gesprochen. Er ging noch einmal sehr deutlich davon aus, das künftige Deutschland kann nicht Teil der NATO sein. Ich habe zurück gefragt: Was heißt das? Er hat verdeutlicht: Das Beste wäre die Neutralität Deutschlands. Aber da es bei den meisten keine Gegenliebe findet, dieses Projekt, wäre Herrn Schewardnadse am liebsten die Doppelmitgliedschaft als eine Übergangslösung. Denn es geht in dieser Frage nur um die Übergangsregelung. Dass wir als Ziel ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem wollen, da gibt es Konsens.
Die Frage ist: Wie kommt man dahin, und wie wird die Übergangssituation gestaltet. Deutlich ist: Die Bindungen beider deutscher Staaten, die bestimmten Interessen im Westen und im Osten entspricht, müssen erhalten bleiben. Insofern kann ich zwar nicht einer Doppelmitgliedschaft, aber durchaus diesem Grundaspekt Wichtiges abgewinnen.
Die Frage stellt sich natürlich. Wie kann so etwas aussehen? Wir haben gesagt: Wir können uns Deutschland am ehesten in einer NATO vorstellen, die eine andere geworden ist. Das setzt notwendige Veränderungen in den NATO-Strategien voraus. Wir sagen gleichzeitig, dass wir die Interessen der Sowjetunion berücksichtigen wollen. Dies muss in Form von militärischen Strategien geschehen, also in Bezug auf die Entmilitarisierung Deutschlands, die klare Abstufung der deutschen Armeen und auch der Armeen, die auf deutschem Boden stehen. Dies sollte auch vertraglich geschehen.
Eines ist klar: Die Übergangsstruktur bringt gewisse Absurditäten mit sich. Wichtig ist, dass am Ende von Zwei plus Vier - und wir hoffen sehr, dass dies noch in diesem Herbst geschieht - eine vertragliche Regelung steht, die einmündet in den KSZE-Gipfel, der wiederum einen klaren Auftrag gibt, so dass wir wir bis 1992 zu klareren Institutionen europäischer Sicherheit kommen können.
Wie erklären Sie sich eigentlich, dass dieses Konzept der militärischen Neutralität im Verständnis vieler "einfacher", "unpolitischer" Leute solche Faszination besitzt? Einschläge Umfragen sowohl im Westen als auch im Osten zeigen das doch.
Ich kann mir das sehr gut vorstellen, wenn man sagt: Beide Blöcke sind bis an die Zähne bewaffnet. Das sind sie ja auch bis heute. Und neutral heißt - keins von beiden. Wir wollen weder da noch da bis an die Zähne bewaffnet sein, sondern wir wollen möglichst überhaupt keine Waffen. Dieser Aspekt ist es, dem viel Sympathie entgegengebracht wird. Ich denke aber, das geht nicht, da eben „keins von beiden" die Blöcke Immer voraussetzt. Wir wollen aber gerade die Blöcke überwinden, auch ihre Struktur überwinden und in eine gesamteuropäische Struktur überbringen. Herr Schewardnadse hat erneut z. B. ein Zentrum für Konfliktlösungen vorgeschlagen, ebenso wie es andere Vorschläge zur Institutionalisierung des KSZE-Prozesses gibt. Dies ist ein Thema, das sehr dringlich ist und im Herbst mit Sicherheit eine sehr große Rolle spielen wird.
Interviewpartner:
REINER OSCHMANN
Neues Deutschland, Mi. 02.05.1990