Kosmetik führt nur zum Kollaps

Arbeitsgruppe der Staatlichen Plankommission legte Vorschläge für eine Wirtschaftsreform in der DDR vor

Die DDR in den heutigen Tagen durchlebt die tiefste politische und ökonomische Krise ihrer Geschichte. Sie war in überlebten stalinistischen Strukturen erstarrt. Es bedurfte erst einer revolutionären Erhebung des Volkes, um diese Machtstrukturen zu erschüttern. In einer solchen Situation, da alles Bestehende in Frage gestellt ist, sollte der Ausgangspunkt jeglicher Überlegungen zur Reform des Wirtschaftssystems unseres Landes auf das Ziel gerichtet sein, die Bewältigung der entstandenen Krise zu verbinden mit dem Bewahren der staatlichen Existenz der DDR und ihres sozialistischen Charakters.

Eingebunden in die erstarrten Strukturen der ganzen Gesellschaft sind auch die bisher gültigen Inhalte und Formen der Leitung, Planung und ökonomischen Stimulierung der Volkswirtschaft der DDR in wachsendem Maße in Widerspruch geraten zu den Erfordernissen der ökonomischen Gesetze unter den Bedingungen moderner Produktivkräfte. Durch ungerechtfertigten Ausbau zentraler Entscheidungsbefugnisse wurde ein Zustand der ökonomischen Verantwortungslosigkeit herbeigeführt, der der Ausbreitung von Subjektivismus, Voluntarismus und Verschwendung, der Verletzung volkswirtschaftlicher Gleichgewichtsbedingungen und schließlich dem Missbrauch politischer Macht zur persönlichen Bereicherung breiten Raum ließ Daher haben Inhalt und Form der Leitung, Planung und ökonomischen Stimulierung der Wirtschaft in der DDR zur jetzt offen aufgebrochenen Krise erheblich beigetragen. Die bisherigen Strukturen der Gesellschaft und die Überzentralisation in der Wirtschaft bedingten und stützten sich gegenseitig. Jeder Versuch, sie - unter welcher Losung auch immer - nur kosmetisch zu verändern, führt unweigerlich in kürzester Frist zum wirtschaftlichen Kollaps und damit zum Diktat westlicher Großbanken - letztlich zur Vereinnahmung der DDR durch die BRD, wie es Bundeskanzler Kohl unverblümt als aktuelles Ziel seiner Politik auf die Tagesordnung gesetzt hat. Das dürfen wir nicht zulassen.

In dieser Situation gilt es, schnelle und mutige Entscheidungen zu treffen für eine grundlegende und konsequente Demokratisierung und Erneuerung der Leitung, Planung und ökonomischen Stimulierung, die den erforderlichen Bewegungsspielraum schafft, um die Wirtschaft der DDR effektiver zu strukturieren und stärker in die Weltwirtschaft einzubinden.

Dabei geht es darum, das erreichte Lebensniveau der Bevölkerung zu stabilisieren und in Abhängigkeit vom Leistungszuwachs schrittweise auszubauen; dabei gehen wir davon aus, dass der notwendige Abbau von Subventionen für Erzeugnisse und Dienstleistungen verbunden werden muss mit einer leistungsabhängigen Erhöhung der Einkommen sowie personengebundenen Zuwendungen.

Es ist die breite Entfaltung der verschiedenen Eigentumsformen erforderlich:

1. das gesellschaftliche Eigentum in den Formen

- als staatliches Eigentum; dabei sollten zur Ausprägung eines Eigentümer-Bewusstseins geeignete Formen der Gewinnbeteiligung der Belegschaften (einschließlich des Verkaufs von Obligationen oder Aktien) gefunden werden: im Rahmen des staatlichen Eigentums sind Formen des kommunalen Eigentums an Betrieben und Einrichtungen, die den örtlichen Räten unterstehen, zu entwickeln

- als genossenschaftliches Eigentum in seinen bisherigen sowie in neuen geeigneten Formen

2. das private Eigentum in den Formen

- als individuelles Eigentum,

- als nationales kapitalistisches Eigentum,

- als Beteiligungen von ausländischem Kapital im Rahmen von Aktiengesellschaften, GmbH oder anderen Formen

3. gemischtes Eigentum sowohl im nationalen als auch im internationalen Rahmen.

Das private wie das gemischte Eigentum wird sich sowohl aus bisherigen Formen des gesellschaftlichen Eigentums als auch über die Neubildung von Firmen entwickeln. Dabei gehen wir davon aus, dass die Bewahrung der Dominanz des gesellschaftlichen Eigentums ein wesentlicher Grundsatz unserer sozialistischen Wirtschaftspolitik bleiben und die freie Entwicklung des sozialistischen wie privaten Unternehmertums verbunden werden muss mit der demokratischen Kontrolle des Volkes hinsichtlich der sozialen Orientierung der Produktion, der Mitsprache der Belegschaften in den Wirtschaftseinheiten sowie zur Verhinderung des Missbrauchs ökonomischer Macht.

Wir haben also bei der Konzipierung der Wirtschaftsreform davon auszugehen, dass die Wirtschaftseinheiten

- volle juristische und wirtschaftliche Selbständigkeit besitzen,

- die Mittel ihrer Reproduktion in Mark und Valuta selbst erwirtschaften,

- den nach Steuern und Abgaben verbleibenden Gewinn eigenverantwortlich einsetzen,

- den Lohn und die Gehälter ihrer Belegschaften festgelegen im Rahmen von zwischen den Ministerien, den Gewerkschaften und den Leitungen der Wirtschaftseinheiten auszuhandelnden zeitlich befristeten Tarifverträgen und

- ihre Beziehungen mit den Territorien, in denen sie wirksam und mit denen sie über Steuern bzw. Abgaben ökonomisch verflochten sind, eigenverantwortlich mit den örtlichen Räten abstimmen und vertraglich vereinbaren. Die staatliche Wirtschaftspolitik muss unter diesen Bedingungen konsequent ihrer administrativen Form entkleidet und umgestellt werden auf ökonomische und rechtliche Methoden. Diese Methoden bestehen im Kern

1. in der Festlegung finanzieller Rahmenbedingungen für die ökonomische Tätigkeit der Wirtschaftseinheiten und Territorien

2. In der Festlegung der juristischen Rahmenbedingungen für die eigenverantwortliche Tätigkeit der Wirtschaftseinheiten und Territorien und

3. in von der Regierung beschlossenen sozialökonomischen Orientierungen, Programmen und vertraglich zu vereinbarenden Aufträgen des Staates.

In diesem Rahmen können die Wirtschaftseinheiten eigenverantwortlich über die Gestaltung ihres Produktionssortimentes ausgehend von den Marktbedingungen entscheiden.

Wir sind uns bewusst, dass die Wirtschaftsreform nur schrittweise erfolgen kann. Das darf aber nicht dazu führen, dass wir sie unter dem Druck der aktuellen Aufgaben vor uns herschieben. Im Gegenteil - wir müssen unverzüglich mit ihr beginnen.

Dazu arbeitet die Staatliche Plankommission u. a. in folgende Richtungen vertiefende Materialien aus, die sie der Öffentlichkeit zur Diskussion unterbreiten wird:

• Kritische Analyse des bisherigen Wirtschaftssystems und Einschätzung der Ursachen, die zur ökonomischen Krise in der DDR geführt haben.

• Präzisierung der Grundzüge des Wirtschaftsmechanismus einer planmäßig regulierten sozialistischen Warenproduktion.

• Erarbeitung eines mit den materiellen Bedingungen abgestimmten Konzepts der staatlichen Preis-, Subventions-, Einkommens- und Steuerpolitik und Bestimmung der Rahmenrichtlinien für die Tarifverhandlungen.

• Konzipierung der Schritte und Voraussetzungen zur Konvertibilität der Währung der DDR

• Ausgestaltung der Verantwortung der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Räte für die ökonomische und soziale Entwicklung in den Territorien.

Dabei sind die Maßnahmen vorrangig zu bearbeiten, die bereits 1990 eingeleitet und wirksam gemacht werden müssen.

Wir sind daran interessiert, diese Ansatzpunkte für eine Wirtschaftsreform in der DDR mit allen daran interessierten Parteien, Organisationen und gesellschaftlichen Kräften zu diskutieren. Denn die Wirtschaftsreform braucht den gesellschaftlichen Konsens, wenn sie Erfolg haben soll.

Dr. Walter Schmidt,
Harald Rost
Leitung der Arbeitsgruppe
Wirtschaftsreform der Staatlichen
Plankommission der DDR

Tribüne, Mi. 06.12.1989

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