Wolfgang Ullmann

wurde vor Kriegsende als Jugendlicher noch in eine Uniform gesteckt.

Als Schüler schrieb er das "Gastmahl" von Platon ab, weil er selbst haben wollte. Auch las er Nietzsche.

Er liebäugelte damit Chemie zu studieren. Für ihn traten dann, auch durch die Kriegsereignisse, aber ethische Fragen in den Vordergrund. Er belegte Vorlesungen in Philosophie in West-Berlin. In West-Berlin hatte er Möglichkeiten im studium universale. In Göttingen wollte er dann Philosophie bei Nicolai Hartmann studieren. Als er nach Göttingen kam, war dieser aber bereits verstorben. Er studierte Theologie. Er wurde mit einer Arbeit über "De Trinitate" von Augustinus promoviert.

In Leipzig war er zum Studium nicht angenommen worden, weil er damals zu jung war.

In Göttingen war er in einer singenden und trinkenden Korporation. Als er zu einem Damenfest keine Schauspielerin mitbringen durfte, war Zeit in der Korporation für ihn vorbei.

1952 folgte er nicht dem Ruf der Landeskirche in die DDR zurückzukehren. Er wollte seine Dissertation zu Ende bringen.

Er engagierte sich in der Gesamtdeutschen Volkspartei.

Da Westberliner nicht in die DDR einreisen durften, konnte er eineinhalb Jahre nicht in die DDR einreisen.

Ab 1954 wieder wohnhaft in der DDR. Pfarrer in Colmnitz der Nähe von Freiberg (Sachsen). Dort versuchte die Staatsmacht ihm und seiner Familie das Leben schwer zu machen.

1963 wurde er als Dozent für Kirchengeschichte an das Katechetische Oberseminar Naumburg berufen. 1978 wechselte er an das Sprachenkonvikt in Berlin.

Teilnehmer an den Tagungen des Weltrats der Kirchen für die evangelische Kirche in der DDR. Er hielt Vorträge im nicht sozialistische Ausland. Eine Reise zu seiner todkranken Mutter in der BRD wurde ihm untersagt.

Ab Mitte der achtziger Jahre Unterstützung der "Initiative Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" (IAPPA). Er forderte im September 1989 zu einem Bündnis von Christen und kritischen Marxisten auf. Im Februar 1989 formuliert er "Leitlinien für eine Deutschlanddiskussion". Teilnehmer auf der 1. Kreisau Konferenz am 3./4. Juni 1989 in Wroclaw.

Gründungsmitglied von Demokratie Jetzt. Er wurde als Vertreterin des DJ für eine Zusammenarbeit mit dem Demokratischen Aufbruch benannt.

Mitglied einer Abordnung von Bürgern am 06.12.1989 in der Stasizentrale in Berlin-Lichtenberg, die eine vollständige Auflösung der nach innen gerichteten Strukturen der Staatssicherheit fordern.

Bereits am 27.10.1989 auf einer Veranstaltung in der Gethsemanekirche in Berlin brachte er einen Runden Tisch zur Arbeit an einer neuen Verfassung ins Spiel. Den Artikel, die den Führungsanspruch der SED festschreibt sollte geändert werden. Das Blockparteiensystem sollte abgeschafft werden.

Mitinitiator des Zentralen Runden Tisches. Nach seiner Ansicht sollte der Zentrale Runde Tisch kein Repräsentationsgremium sein. Durch die Zulassung weiterer Gruppierungen sei der Eindruck entstanden es handele sich um ein Repräsentationsgremium.

Vertreter am Zentralen Runden Tisch. Dort leitete er die Arbeitsgruppe Wahlrecht. Er hielt in der Volkskammer die Einbringungsrede zu dem neuen Wahlrecht. Das ursprünglich im Gesetz vorgesehene Verbot der Wahlhilfe wurde mit auf sein drängen gestrichen. Sein Argument, es ist nicht durchsetzbar.

Zusammen mit Tatjana Böhm und Konrad Weiß sprach er am 29.01.1990 zum ersten Mal vor der Volkskammer. In einem Interview 1990 sagte er: "In der AG Wahlgesetz war es so, dass ein sehr sachkundiger junger Mann aus dem Ausschuss der Volkskammer die Vorlage geliefert hat". (1)

Minister ohne Geschäftsbereich in der Regierung Modrow.

Er beteiligte sich an dem Freies Forschungskollegium "Selbstorganisation" für Wissenskatalyse an Knotenpunkten. Es legte eine Vorschlag der umgehenden Bildung einer "Treuhandgesellschaft (Holding) zur Wahrung der Anteilsrechte der Bürger mit DDR-Staatsbürgerschaft am "Volkseigentum" der DDR" vor, der am 11.02.1990 an den Ministerpräsidenten und die Vertreter am zentralen Runden Tisch geschickt wurde.

Auf der Sitzung am 12.02.1990 forderte er die Bildung einer "Treuhänderischen Behörde zur Betreuung des Volksvermögens". Er erarbeitete nach dem Vorbild des Doomsday Book das Konzept der Treuhand. Das Konzept kannte er aus der Kirchengeschichte, Ullmanns Arbeitsgebiet. Es lehnte sich an, an Wilhelm der Eroberer nach dessen Eroberung Britanniens. Danach sollten die Vermögenswerte der DDR festgeschrieben und den Bürgern in Form von Anteilscheinen übergeben werden.

Er unterschrieb einen Aufruf zur Gründung einer "ÖTV in der DDR" vom 14.03.1990.

Er nahm an den Gesprächen, die die Regierung Modrow im Februar 1990 in Prag führte, teil. Delegationsteilnehmer beim Besuch der Regierung Modrow in Bonn. Dort fragte er Bundeskanzler Kohl: "Herr Bundeskanzler, was ist denn nun gemeint mit Einheit?". Wobei für ihn klar war, Einheit könne nicht Anschluss heißen. Der Ton bei den Besprechungen sei alles andere als brüderlich und schwesterlich gewesen, tat er danach kund.

Mitglied der DDR-Regierungsdelegation am 06.03.1990 in Moskau.

Wolfgang Ullmann war Abgeordneter in der Volkskammer nach der Wahl am 18.03.1990 und dessen Vizepräsident. Mitglied im Volkskammerausschuss Deutsche Einheit. Lehnte den Beitritt der DDR zur BRD nach Grundgesetz Artikel 23Artikel 23 des Grundgesetzes ab.

Er sprach sich dafür aus, die Medien in der DDR in die Hände Körperschaften öffentlichen Rechts zu legen, damit sie Instrumente freier und öffentlicher Meinungsäußerungen werden können.

Erstunterzeichner beim "Kuratorium für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder", Juni 1990.

Von der Volkskammer wurde er am 28.09.1990 bis zur gesamtdeutschen Wahl am 02.12.1990 in den Bundestag gewählt. Mitglied des Deutschen Bundestages für Bündnis 90 von 1990-1994 und deren rechtspolitischer Sprecher. Verzichtete auf eine erneute Kandidatur 1994. Bei der Wahl zur Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages am 20.12.1990 erhielt er nicht die erforderlichen Stimmen. Die Parteien, CDU/CSU, FDP und SPD hatten sich auf vier geeinigt, die sie unter sich aufteilten. Hätten sie Bündnis 90/Grüne einen Posten zugestanden, wäre auch einen Posten für die PDS abgefallen.

Nach einer Erinnerung von Hans-Jochen Tschiche belehrten Westgrüne Ullmann stundenlang was er denn in seiner ersten Rede sagen sollte. (2)

Stellvertretendes Mitglied der Enquete-Kommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" für Bündnis 90/Die Grünen. Aufruf zu einem "Tribunal" zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte 1992. Initiator eines "Forum zur Aufklärung und Erneuerung" (Tribunalersatz). Die "Komitees für Gerechtigkeit" hielt er nicht für nötig, da es bereits genügend Institutionen gibt.

Legte enttäuscht im Mai 1993 sein Mandat in der Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat nieder.

Stimmte 1993 gegen die Änderung des Asylrechtsparagrafen. Mitglied des Europäischen Parlaments 1994-1999. Er warf Bündnis90/Die Grünen eine Politik des Lavierens vor.

Er wandte sich 1994 gegen die Forderung, Bilder von Kommunisten aus der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin zu entfernen. 1994 Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung "Haus der Demokratie" Berlin. Mitunterzeichner eines Offenen Briefes am 18.12.1996 an Vera Lengsfeld nach dessen Übertritt zur CDU, worin diese gefragt wird, "Hast Du alles vergessen, Vera?". Unterstützte 1999 das Volksbegehren "Mehr Demokratie".

Er war Mitherausgeber der Wochenzeitung Freitag. Mitbegründer der "SOLIDAR-Stiftung e. V." am 18.06.1990.

Im Streit um die Veröffentlichung der Stasi-Akten von Helmut Kohl wandte er sich dagegen Teile der Akten zu sperren. Im Jahr 2000 unterschrieb er einen Brief, in den den Grünen ein mangelndes Engagement im Osten vorgeworfen wurde. Im Dezember 2001 Mitverfasser des Aufrufs, "Wir haben es satt", von DDR-Bürgerrechtlern, in der die Politik der rot-grünen Bundesregierung kritisiert wird.

Über Wolfgang Ullmann schrieb Hans Modrow: "An Ullmann immer wieder beeindruckend: Sein Talent zu Versöhnung und Bescheidenheit brachte er ebenso ruhelos ein wie seine Empörungskraft. Die aber niemals und niemanden verletzte. Und die ihn nie aus der Verankerung fast väterlicher Besonnenheit riss. Einmal verließ er zornig die Volkskammer; so still war es selten im Saal."

Seine Frau, die ebenfalls studiert hatte, bekam nach der Hochzeit von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen einen Brief, in der ihr mitgeteilt wurde, dass sie mit der Heirat alle kirchlichen Rechte verloren habe.

07.12.1990 "Demokratiepreis" der Blätter für deutsche und internationale Politik, Theodor-Heuss-Medaille 1994, Arnold-Freymuth-Preis 1996. Anfang Juli 2004 wurde er Stadtältester in Berlin.

Jens Reich schrieb am 09.12.1994 in der Wochenzeitung "Die Zeit": "Unter den ungefähr vierzig Aktivisten des Runden Tisches gibt es einige politische Figuren von großer Überzeugungskraft und Talent, Ingrid Köppe etwa oder Wolfgang Ullmann."

Der am 18.08.1929 in Bad Gottleuba (Sachsen) geborene Wolfgang Ullmann verstarb am 30.07.2004 in Berlin. Wolfgang Ullmann war einer der brilliantensten Köpfe der DDR-Bürgerbewegung.

Am 09.12.2019 wurde an seinem ehemaligen Wohnhaus in der Tieckstraße 17 in Berlin-Mitte eine Gedenktafel angebracht.

Gedenktafel für Wolfgang Ullmann enthüllt am 09.12.2019

(1) Wolfgang Ullmann in Semtner, Klemens: Der Runde Tisch in der DDR, S. 101
(2) Hans-Jochen Tschiche: "Nun machen Sie man, Pastorche!", S. 174

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