Friedrich Schorlemmer

besuchte die erweiterte Oberschule. Sein Abitur machte er an der Volkshochschule in Wittenberge. Er wollte in Ostberlin wohnen und in Westberlin Germanistik, Politologie und Theologie studieren. Der Mauerbau 1961 machte dem einen Strich durch die Rechnung. Er verweigerte 1962 den Wehrdienst. Studium der Theologie 1962-67 in Halle (Saale) an der Franckeschen Stiftung. Danach bis 1971 Studieninspektor in den Franckeschen Stiftungen. Jugend- und Studentenpfarrer in Merseburg 1971-78. Dozent am Evangelischen Predigerseminar in Wittenberg 1978-1992. Studienleiter an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in Wittenberg ab 1992. Friedrich Schorlemmer war weder in der FDJ noch in einer anderen Organisation.

Mitglied in der Friedensinitiative FRIEDEN `83. 1983 ließ er in Wittenberg ein Schwert zur Pflugschar umschmieden. Im März 1986 Mitunterzeichner eines Briefes an das ZK der SED mit Vorschlägen und Anregungen für den XI. Parteitag der SED. Im April 1986 Mitunterzeichner eines Offen Briefes an die Christen in der DDR beim Treffen "Frieden `83". Mitverfasser der "20 Thesen zur Erneuerung der Gesellschaft" auf dem Kirchentag 1988 in Halle. Im Januar 1989 verfasste er eine "Öffentliche Stellungnahme". Anlässlich des IX. Pädagogenkongresses schrieb er im März 1989 einen Brief an das Ministerium für Volksbildung.

In einer Diskussionsrunde am 19.04.1989 zu der Rainer Eppelmann eingeladen hatte, es ging um den SED-SPD-Dialog, forderte er von der SPD u. a. der Verbonzung der Städtepartnerschaften DDR-BRD entgegenzuwirken. Die Städtepartnerschaften sollten ein Instrument der Volksdiplomatie werden. Außerdem solle die SPD die nationale Frage aufgreifen, ehe sie eruptiv aufkommt. Teilnehmer am "Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" Ende April in Dresden. Der Anstoß zum Konziliaren Prozess kam vom Ökumenischen Rat der Kirchen 1983 in Vancouver. Er predigte auf dem Kirchentag in Westberlin im Juni 1989.

In einem Interview forderte er im August 1989 eine innersozialistische Opposition. Er sprach sich für eine pluralistische sozialistische Demokratie aus. Und, "die Zeit der Eingabenschreiberei ist vorbei". (1) Anfang Oktober bereitete er eine Fachtagung in Würzburg vor.

Im Juni 1989 Mitglied des Initiativkreises zur Gründung des Demokratischen Aufbruchs (DA). Mitbegründer des DA. Am 18./19. Dezember 1989 war er Gast beim SPD-Parteitag in Berlin. Übertritt zur SDP im Januar 1990. Fraktionsvorsitzender der SPD im Stadtparlament von Wittenberg 1990-1994.

Erstunterzeichner des Aufrufs "Für unser Land". Zu dem Aufruf meinte er später "spuken gegen den Wind". Er verfasste kurze Zeit später eine Stellungnahme zu dem Aufruf.

Im Dezember 1989 unterzeichnete er den "Appell der 89".

In einem Interview im Januar 1990 sagte er: "Leider haben wir in der DDR, glaube ich, wirklich keine Symbolfigur, die ausreichend Autorität haben könnte. Die neuen Parteien stabilisieren sich erst. Das ist eins. Zweitens, die letzte Rache der SED war die Öffnung der Grenze, die plötzliche, unvorbereitete Öffnung. Sie hat uns nämlich damit um unsere Revolution betrogen. Die Leute in der DDR haben sich seit diesem Tag nicht wie freigelassen, sondern wie losgelassen benommen. Aber das soll und kann man ihnen nicht übelnehmen. Ist es nicht verständlich, wenn sie auf einmal nach vierzig Jahren anstatt des hiesigen Glaspapiers richtiges Toilettenpapier kaufen können? Ist es nicht verständlich, wenn sie drüben in ein Restaurant gehen und dort normal, wie ein Gast, begrüßt werden? Ist es nicht verständlich, wenn sie in eine bisher nicht bekannte Stadt kommen, die nicht eine Ruine ist, und alles funktioniert ganz normal?"

"Ich finde auch, dass der 10-Punkte-Plan von Kanzler Kohl die größte Katastrophe seit November ist, weil er damit nicht unser Selbstvertrauen, sondern unsere Hilfsbedürftigkeit gestärkt hat. Wir wissen jetzt, dass wir nichts mehr allein können, nur mit der Bundesrepublik. Und Helmut Kohl sagt auch: 'Ich werde euch helfen.' Man kann doch jemandem sagen: 'Das packst du.'" (2)

Aufruf für ein "Tribunal" zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte 1992. Die Archive zu schließen und die Stasi-Akten zu verbrennen forderte er Ende 1993. Worauf er von Bürgerrechtlern kritisiert wurde. "Ich hätte sagen müssen, ja, befreien wir uns davon, was uns beherrscht hatte. Das war und ist noch heute mein Impuls. Ich bin doch nicht dafür zu vertuschen und zu verdecken, wie mir frühere Kommunisten wie Loest und der maßlose Biermann anheften wollten", sagte er in einem Interview im August 2012.

Im November 1993 unterschrieb er einen Appell in dem Entschädigungszahlungen an Ghetto- und KZ-Häftlinge aus Estland, Lettland und Litauen gefordert wird.

Er begleitet Bundespräsident Roman Herzog im Oktober 1996 bei seinem Staatsbesuch nach Paris.

Unterzeichnete im Januar 1997 die "Erfurter Erklärung", in dem eine neue soziale Politik gefordert wird.

Gründungsmitglied des "Willy-Brandt-Kreises" im Dezember 1997. Vorsitzender dieses Kreises seit Dezember 2003. Im Februar 2005 unterschrieb er eine Erklärung des Willy-Brandt-Kreises zum künftigen Umgang mit den Stasiakten.

Mitglied im Stiftungsrat gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz des Industrie-Erben Friedrich Christian Flick im September 2001.

Einen Offenen Brief an den Landtagspräsidenten Brandenburgs unterschrieb er im November 1998, in dem gefordert wird, "die Ablehnung Daniela Dahns als Verfassungsrichterin rückgängig zu machen".

Mit "Nicht in unserem Namen!" unterstützte er im Oktober 2002 eine Forderung, sich der Kriegs-Politik der Bush-Administration widersetzen, im Zusammenhang mit dem Krieg in Afghanistan. Er unterschrieb einen Offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 19.02.2007, in dem sie aufgefordert wird alles zu tun, um einen Krieg der USA gegen den Iran zu verhindern.

Im Oktober 2012 kritisierte er die Absicht den Lutherpreis an Pussy Riot zu verleihen. Erstunterzeichner des Aufrufs "Wider die Große Koalition" 2013. Im Dezember 2014 unterzeichnete er den Aufruf "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!" Unterzeichnete im Januar 2015 den Aufruf "Gegen Ressentiment und Abschottung: Für die Werte von 1989!".

In der MDR-Sendung Riverboat sagte er am 11.10.2019, die Ideen 1968 in der Tschechoslowakei seien nicht erledigt, sie sind von Panzern weggewaltzt worden. Der globale Kapitalismus ist nicht die Lösung. Wir brauchen eine Gesellschaft, in denen die Worte Freiheit und Gerechtigkeit weltweit gleichrangig behandelt werden. Deswegen brauchen wir wieder eine Friedensbewegung.

Er unterzeichnete die Erklärung "Christen brauchen keine Garnisonkirche!". Im März 2016 unterschrieb er den Aufruf "Aufstehen gegen Rassismus".

Vizedirektor der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt. Mitglied der Deutschen UNESCO-Kommission. Redner auf der Anti-Kriegsdemo im Februar 2003 in Berlin. Mitherausgeber der Wochenzeitung Freitag Juni 2006 bis Dezember 2011. Im Jahr 2009 trat er attac bei. Seit 2009 Kuratoriumsmitglied bei der Stiftung Friedliche Revolution. Beiratsmitglied des Vereins "Gegen Vergessen - Für Demokratie". Mitglied im Kuratorium der Deutschen Gesellschaft e. V.

Rückblickend meinte er 1992: "Die Linke in der Bundesrepublik schien an uns insgesamt ein geringes Interesse zu haben, weil sie in uns eher Reaktionäre vermutete. Wie viele Belehrungen haben wir in den von mir überschaubaren fünfundzwanzig Jahren von Linken in der Bundesrepublik erfahren, insbesondere aus den Studentengemeinden! Viele Bundis wussten damals auch schon alles besser. Sogar darüber, wie es in der DDR ist." (3) Die Stasi sei 1972 fuchsteufelswild geworden, als die merkte, dass er mit seinen Studenten Marx las, berichtete er 2009 in einem Interview. (4)

Sollte er in einer Krisensituation weggesperrt werden, war für ihn das Isolierobjekt Genesungsheim "Freundschaft" Reinharz vorgesehen.

Carl-von-Ossietzky-Medaille 10.12.1989. Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 10.10.1993. 2002 Ehrendoktor der Concordia-Universität in Austin (Texas). Am 04.11.2014 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) verliehen. Ehrenbürger der Lutherstadt Wittenberg.

Der in Wittenberge/Prignitz am 16.05.1944 geborene Friedrich Schorlemmer starb am 09.09.2024 in Berlin.

Links

Rede von Friedrich Schorlemmer am 04.11.1989 auf dem Alexanderplatz

Friedrich Schorlemmer zur beabsichtigten Verleihung des Lutherpreises an pussy riot

(1) Schorlemmer, Friedrich: Worte öffnen Fäuste, S. 198
(2) Neumann, Peter (Hg.): Träumen verboten: Aktuelle Stellungnahmen aus der DDR, S. 54
(3) Schorlemmer, Friedrich: Worte öffnen Fäuste S. 231
(4) Schorlemmer, Friedrich in: Das Wunder der Friedlichen Revolution, Prominente Stimmen zum Herbst 1989, S. 73

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