Wolfgang Schnur

(auch "Bruder Schnur") genannt, war in der DDR Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Mecklenburg. Vizepräses der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR.

Wolfgang Schnur lernte Maurer. An einer Abendschule legte er sein Abitur ab. Danach absolvierte er ein Fernstudium als Diplom-Jurist an der Humboldt Universität Berlin. Er war als Rechtsanwalt in Binz und Rostock tätig wo er 1978 die Zulassung als Einzelanwalt erhielt. Er gehörte zu den wenigen Anwälten, die in der DDR als Einzelanwalt tätig seinen durften.

Seinen Wohnsitz- und Arbeitsplatzwechsel nach Berlin unterstützte die Bundesregierung mit einem hohen D-Mark Betrag.

Mitglied in der Arbeitsgruppe Frieden der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburg.

Er war Rechtsbeistand vieler Oppositioneller. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Wolfgang Schnur zum ersten Mal als Verteidiger von Verhafteten nach der "Luxemburg-Liebknecht-Demo" 1988 in Berlin bekannt. Er trat auch auf Solidaritätsveranstaltungen in Kirchen auf. Vera Lengsfeld bezeichnete ihn 1988 als hervorragenden Verteidiger, der sich auch als Freund erwiesen habe. (1)

Auf dem Treffen "Konkret für den Frieden VII" vom 24.-26.02.1989 in Greifswald wird er als juristischer Berater in den Fortsetzungsausschuss wiedergewählt.

Nachdem die DDR-Führung DDR-Bürger, die sich in die BRD-Botschaften begeben hatten die Ausreise in die BRD gestattet wurde, forderte er wegen Gleichbehandlung die Freilassung für seine ehemaligen Mandaten, die wegen versuchter Republikflucht verurteilt wurden. Außerdem sollten alle in U-Haft Sitzende freigelassen werden.

Juristischer Berater im Gründungskreis des Demokratischen Aufbruchs (DA). Im Oktober 1989 wird er zum DA-Vorsitzenden gewählt. Seine Wahl nannte er später einen Schlag ins Gesicht der Stasi. Zeitweise Vertreter des DA am Zentralen Runden Tisch.

Im November 1989 vertrat er die Ansicht, eine Grüne Partei brauche es in der DDR nicht geben, da der DA schon eine grüne politische Kraft sei. Auf einer Dialogveranstaltung am 01.11.1989 in Rostock schlug er die Bildung eines Gerechtigkeitsausschusses vor.

Auf einer Podiumsdiskussion im Dezember 1989 in Berlin vertrat er die Ansicht, die Mehrzahl der LPG-Bauern in der DDR wolle wieder privat wirtschaften.

Im Dezember 1989 unterzeichnete er den "Appell der 89".

Am 17.12.1989 veröffentlichte er in der Zeitung "Bild am Sonntag" einen deutschlandpolitischen "Sechs-Punkte-Plan". Auf dem Leipziger Parteitag überstand er ein Misstrauensantrag. Er beteiligte sich an der Besetzung der MfS-Bezirksbehörde in Leipzig.

Im Februar 1990 sprach er sich in einer Gesprächsrunde in Dresden dafür aus, eine einheitliche Oppositionspartei in der DDR zu gründen.

Gegen den DA-Vorsitzenden Wolfgang Schnur, dessen Traum es war Ministerpräsident der DDR zu werden, und auf einer Wahlveranstaltung in Halle am 03.02.1990 schon mal sagte, hier steht der künftige Ministerpräsident, wurden im Dezember 1989 erste IM-Vorwürfe laut. Ein Unabhängiger Untersuchungsausschuss (UUA) brachte seine IM-Tätigkeit ans Licht. Der UUA lehnte den Zugang der Bürger zu ihren Akten als ungesetzlich ab. 1963 hatte Schnur eine "Bereitschaftserklänung" zur Arbeit für das MfS unterschrieben.

Am 28.12.89 wurde im DA-Vorstand ihm das Vertrauen ausgesprochen. Rainer Eppelmann verlas am 08.03.1990 eine "Ehrenerklärung" Wolfgang Schnurs, indem er eine Stasimitarbeit bestritt. Der westdeutsche CDU-Generalsekretär Volker Rühe sprach von einer "gezielten Verleumdungskampagne" und von "schäbige alte Stasi-Methode des Ehreabschneidens".

Der damalige Parlamentarische Staatssekretär im Innerdeutschen Ministerium, Offried Henning, gab bekannt, Wolfgang Schnur habe jahrelang der BRD Informationen zukommen lassen. Schnur hätte damit lebenslange Freiheitsstrafe riskiert. Wolfgang Schnur hielt seit den achtziger Jahren Kontakte zur Ständigen Vertretung der BRD in Berlin und lieferte auch Informationen.

Trotz aller Bemühungen von Wolfgang Schnur und der Unterstützung durch die CDU, der DA sollte der Blockpartei CDU ein demokratisches Mäntelchen geben, ist er kurz vor den Volkskammerwahlen wegen seiner IM Vergangenheit (IM Torsten, IM Dr. Ralf Schirmer) nicht mehr zu halten. Rücktritt am 14.03. und Ausschluss aus dem DA am 15.03.1990.

Gegen Wolfgang Schnur gibt es Morddrohungen.

Gegenüber der Zeitschrift "Stern" äußerte er die Erwartung, wieder als Rechtsanwalt tätig zu werden. Nach einer Gesetzesänderung, wird ihm im Juli 1993 die Zulassung als Rechtsanwalt entzogen. Danach ist er als Berater tätig.

Wegen politischer Verdächtigung seiner ehemaligen Mandanten Stephan Krawczyk und Freya Klier in der DDR, verurteilte ihn das Landgericht Berlin im März 1996 in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

"Für die Bürgerbewegungen waren und blieben wir 'Blockflöten', wurden bestenfalls (oder in deren Augen - schlimmer noch) 'Wendehälse', die den Anschluss nicht verpassen wollten. Wir wiederum empfanden die penetrante Selbstgerechtigkeit eines Schnur und eines Eppelmann und auch die Wohlgefälligkeit, mit der sich Bärbel Bohley und Wolfgang Templin als die Mütter und Väter der Revolution feiern ließen, als unerträglich." (2)

Es zog ihn wohnungsmäßig in der Nähe von Groß Köris (Brandenburg).

Als Menschen, die im imponieren nannte er 1990 Michail Gorbatschow, Helmut Kohl und Richard von Weizsäcker.

Erhielt 1986 den satirischen Orden "Goldenes Ventil".

Beim Besuch von inhaftierten Mandaten las er aus dem Neuen Testament vor.

Der am 8. Juni 1944 in Stettin geborene Wolfgang Schnur verstarb am 16. Januar 2016 in Wien.

Wolfgang Schnur über sich selbst

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(1) die tageszeitung, 10.02.1988
(2) Manfred Gerlach: Mitverantwortlich. Als Liberaler im SED-Staat. Morgenbuch Verlag Berlin, 1. Auflage 1991, S. 332

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