Rainer Land

absolvierte 1969-72 eine Ausbildung zum Rinderzüchter. 1975-81 studierte er Philosophie und Wirtschaftswissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin. 1982-87 Assistent an der Sektion Wirtschaftswissenschaften. Promovierte und habilitierte 1985. 1986-91 Oberassistent an der Sektion Philosophie der Humboldt-Universität. Gastdozent in Kabul 1988. Er arbeite 1989 an einem Entstaatlichungskonzept der DDR-Fluglinie Interflug mit.

SED-Mitglied von 1971-Januar 1990. 1972-75 NVA.

Seit 1987 arbeite er zusammen mit Michael Brie und Dieter Segert in einem Forschungsprojekt zu Konzeption eines modernen Sozialismus.

Mitautor des Programmentwurfs für die SED im November 1989. Im Dezember 1989 forderte er die Selbstauflösung der SED.

Er versuchte u.a. mit Ina Merkel eine Unabhängige Sozialistische Partei (USP) zu gründen.

Er suchte verschiedene Gespräche mit den sich 1989 neu gebildeten Gruppen. So z.B. mit dem Demokratischen Aufbruch am 10.11.1989.

1992-96 Redakteur der Zeitschrift Berliner Debatte Initial. Mitarbeit im soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI).

1999 Gründungsmitglied der Grünen Akademie der Heinrich-Böll-Stiftung.

Er wirkte 2005 an einer Initiative zur Gründung eines Netzwerkes zur Ostdeutschlandforschung mit.

Im März 2010 schrieb er: "Über die Frage, warum es zwischen Dezember 1989 und März 1990 zu einem dramatischen Stimmungswandel kam und eine Bevölkerungsmehrheit immer klarer für eine schnelle, möglichst sofortige Vereinigung votierte, ist viel debattiert und geschrieben worden. Aus meiner Sicht lag dies vor allem daran, dass im Dezember immer offensichtlicher wurde, dass es keine legitimen, handlungsfähigen und auch handlungsmächtigen politischen Akteure in der DDR gab – und sich im Herbst 1989 auch nicht gebildet hatten.

Die konservativ und kopflos agierende Modrow-Regierung, die nicht legitimierte Volkskammer, der Runde Tisch, der nicht regieren, sondern nur kontrollieren wollte, die westdeutschen Berater – alle verwalteten die Krise und warfen mit Visionen um sich, aber niemand vermittelte der Bevölkerung den Eindruck, die dramatische Lage dieses ansonsten wunderschönen Herbstes positiv wenden zu können. Die aus meiner Sicht einzig legitime Möglichkeit wäre gewesen, die Modrow-Regierung zu stürzen, die Volkskammer aufzulösen, den Runden Tisch zur geschäftsführenden Regierung zu erklären und baldmöglichst eine verfassunggebende Versammlung zu wählen und einzuberufen.

Darauf hätten sich SED-Reformer und Bürgerbewegung einigen, dabei hätten sie kooperieren müssen. In beiden Kreisen wurde dieser Weg aber von der Mehrheit verworfen." (1)

2002 Mitbegründer des Thünen-Instituts für Regionalentwicklung in Röbel an der Müritz. Während einer Podiumsdiskussion am 05.11.2004 sagte er: "Seit mehreren Jahren beobachten wir in Mecklenburg in der Region rund um die Müritz soziale Entwicklungen, die als Folgen einer beschleunigten Modernisierung zu beschreiben sind und nicht einfach als Rückstandsprobleme. Wenn das so ist, dann können diese Fragen mit der Beschleunigung des Nachholens oder Aufholens im Grunde genommen gar nicht gelöst werden."

Und: "In der ganzen Entwicklungsfrage brauchen wir auch eine Investition in mehr Forschung. Dabei darf Ostdeutschland nicht als Randregion gesehen werden, die noch ein bisschen beforscht werden muss, weil die Probleme hier besonders schlimm sind. Vielmehr müssen wir an der Entwicklung in Ostdeutschland neue Phänomene studieren, die meiner Ansicht nach für das ganze Deutschland, aber auch für Europa insgesamt und für die Globalisierungsthematik von großer Bedeutung sind." (2)

1997 schrieb er: "Eigensinniges Interessenhandeln nutzt bestehende Strukturen, um individuelle Lebensinteressen zu verfolgen, und stellt die Frage nach Affirmation oder Negation des Bestehenden nicht. Es setzt subjektiv gerade die vorgefundenen Systemstrukturen als die dem eigenen Handeln gegebenen voraus, ist also weder auf ihre Stabilisierung noch auf ihre Eliminierung gerichtet, sondern auf ihre Funktionalisierung.

Weil eigensinniges Interessenhandeln ein praktisches und als solches unreflektiertes Verhältnis zu den Systemstrukturen darstellt, ist es ausgesprochen unintellektuell. Ich halte die Vorstellung, aus dem immer vorhandenen eigensinnigen Interessenhandeln der Bevölkerungsmehrheiten könnte aus sich heraus ein reflektiertes, auf die Veränderung der Systemstrukturen gerichtetes Verhalten werden, für einen Irrtum.

Diesen Irrtum teilen aber auch diejenigen, die das praktische Interessenhandeln der vermeintlich 'angepassten' DDR-Bürger vor 1989 oder der Neubundesbürger nach 1990 moralisch abwerten. Eigensinniges Interessenhandeln ist in jeder Gesellschaft lebenswichtig, und es ist immer das Normalverhalten der Bevölkerungsmehrheit."

Und: "Im Unterschied dazu sind Widerstand und Reformbewegungen originär politisch, weil sie auf die Reproduktion bzw. Veränderung politischer Verhältnisse gerichtet sind. Widerstand oder Reformbewegungen sind daher auch immer mit Diskursen politischer Identitätsbildung verbunden. Eigensinniges Interessenhandeln schafft dagegen kein kollektives politisches Bewusstsein. Ich betone diesen typologischen Unterschied deshalb, weil es üblich geworden ist, Angepasstheit, Dissens, Dissident, Widerstand und Opposition auf einer 'Skala der Widerständigkeit' zu ordnen. Ein solches Vorgehen behauptet die qualitative Identität und will die Unterschiede als unterschiedliche Quanten ein und derselben Qualität denken. Ich lehne das ab, weil es nicht die differenten Typen sozialen Verhaltens, sondern die subjektive Norm zum Maßstab sozialwissenschaftlicher Begriffe macht. Die eigentlich sozialwissenschaftlich zu erklärenden Konstellationen, soziale Lagen, kollektive Verhaltensmuster verschwinden bei dieser Vorgehensweise." (3)

(1) Aus Politik und Zeitgeschichte, 11/2010, 15.03.2010
(2) Auf eigenen Füßen stehen! Ressourcen der ostdeutschen Transformation, Veranstaltung der Friedrich Ebert Stiftung, 05.11.2004
(3) Rainer Land: Reformbewegungen in der SED in den 80er Jahren, Seite 129ff, in Detlef Pollack, Dieter Rink (Hg.): Zwischen Verweigerung und Opposition, 1977

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