Schweigen ist auch ein Signal!

Aber das NEUE FORUM wird zum Subventionsproblem nicht schweigen

DOKUMENTATION

Warum wohl haben westdeutsche Regierungsvertreter und Wirtschaftsexperten auffallend geschwiegen, als das NEUE FORUM am 19. 2. am Runden Tisch die Umverteilung der leidigen Lebensmittelsubventionen auf die Einkommen der DDR-Bürger forderte? Das wäre ja der erste substantielle Schritt einer Preisreform in Richtung der allseits akzeptierten sozialen Marktwirtschaft. Für das NEUE FORUM ist selbstverständlich das eine nicht ohne das andere möglich. Streichung von Lebensmittelsubventionen ja, dann aber höhere Geldeinkommen für jeden DDR-Bürger, denn jeder hat die Lebensmittelsubventionen bisher verbraucht. Sie gehörten - und gehören - zum Grundlebensstandard.

Einige wenige Zahlen sollen dazu Klarheit schaffen: Das Sondergutachten des bundesdeutschen Sachverständigenrates "Zur Unterstützung der Wirtschaftsreform in der DDR: Voraussetzungen und Möglichkeiten" vom 20. Januar 1990 bringt auf Seite 52 einen Einkommensvergleich. Danach lag 1988 das verfügbare Nettoeinkommen pro Kopf und Monat in der DDR bei 813 Mark, in der BRD bei 1 814 DM. Nun sind aber in der DDR die Subventionen bekanntlich so etwas wie eine zweite Lohntüte. 1988 gab es pro Kopf noch zusätzlich 328 Mark pro Monat in Form von Subventionen für Lebensmittel, Energie, Wasser, Mieten und Verkehrstarife vor allem. Diese möchte die Bundesrepublik jetzt abgeschafft wissen;

das NEUE FORUM meint dazu:

- Subventionen bewirken künstliche, willkürliche Preise, sie stehen einer effektiven Marktwirtschaft entgegen.

- Subventionen bewirken Verschwendung, weil sie den wahren Wert der Produkte und Leistungen verschleiern, sie täuschen niedrige Preise nur vor.

- Subventionen gehören in die 1. Lohntüte, dann kann jeder Einkommensbezieher (von Lohn, Rente, Stipendium usw.) selbst entscheiden, wofür das Geld ausgegeben werden soll; das ist auch eine Befreiung von administrativer Bevormundung!

- Subventionen sind von DDR-Bürgern erarbeitet worden, es ist einfach ungerecht, wenn sie jetzt den weitaus wohlhabenderen Bundesbürgern zugutekommen, zum Beispiel in Form von Gaststättenessen.

- Subventionen sollen auch deshalb in die 1. Lohntüte einfließen, weil nur sie als Bemessungsgrundlage für soziale Leistungen dient, wie Rente, Krankengeld und Arbeitslosenunterstützung. Dieser Gesichtspunkt wird in einer künftigen gesamtdeutschen Wirtschaftsverfassung von großer Bedeutung sein.

So sieht das NEUE FORUM die Interessenlage der DDR-Bevölkerung. Warum aber schweigt hier die sonst so reaktionsschnelle westdeutsche Seite? Will sie eine Lösung des Subventionsproblems nach den weltweit praktizierten Rezepten des Internationalen Währungsfonds? Dann werden nämlich Subventionen für den Grundbedarf der Bevölkerung kurzerhand gestrichen, und es gibt nur ein paar lächerliche Trostpflästerchen.

Damit sind wir auf keinen Fall einverstanden. Wir, die wir noch in der DDR sind, haben den östlichen Teil Deutschlands in 45 Jahren nicht aufgegeben. Uns ist es zu danken, dass dieser DDR-Teil nach einer friedlichen Revolution jetzt eingebracht werden kann in einen deutschen Bund. Wir haben für 45 Jahre Stalinismus teuer bezahlt, und unser Lebensstandard liegt weit unter dem westdeutschen. Ist jetzt wiederum unser Verzicht auf der Tagesordnung, während der Reichtum der Bundesbürger tabu bleibt? Das wäre kein guter Anfang!

Noch ein Wort zum Verhalten der Modrow/Luft-Regierung in dieser Frage: Es passt gut in die westdeutsche Interessenlage, dass das bereits vorliegende Konzept für eine Subventionsbeseitigung mit sozial gerechtem Einkommensausgleich von einem Termin zum andern verschoben wird. Das gibt zu denken!

Aber wenn Frau Luft nun verkündet: Keine Preissteigerungen bis zum 18. März, so ist das deutliche Demagogie; denn sie verschweigt, dass das NEUE FORUM das Schwergewicht eben auf den Einkommensausgleich legt.

Es soll offenbar der Eindruck entstehen, das NEUE FORUM für Preissteigerungen eingetreten, und die Regierung müsse nun die Interessen der Bevölkerung schützen. Indessen entsteht durch die Reformverweigerung tagtäglich ein enormer Verlust an DDR-Nationaleinkommen, so dass nach dem 18. März womöglich ein gerechter und angemessener Einkommensausgleich, der für Lebensmittel rund 150 Mark betragen muss, nicht mehr möglich ist. Oder sollte Frau Luft glauben, die Bevölkerung ließe sich mit der Verbilligung von Schokolade und Radiorekordern abspeisen, bekanntgegeben gleichzeitig mit der Ablehnung der unumgänglichen Preisreform für Lebensmittel?

Barbara Hähnchen
(Sprecherin im Fachforum Wirtschaft des NEUEN FORUM)

die tageszeitung Ost, Sa. 03.03.1990

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