Neues Forum führte Gespräche im Strafvollzug
Das Plenum des Neuen Forum Brandenburg beauftragte am 5. Dezember 1989 eine Gruppe, Kontakt mit den im Arbeitsstreik befindlichen Gefangenen im Strafvollzug Brandenburg aufzunehmen.
Wir wollten erfahren, welche genauen Vorstellungen die Strafgefangenen haben und welche Forderungen sie erheben. Zum anderen wollten wir feststellen, an welchen Punkten unsere Forderungen zur Veränderung der Gesetzgebung (Verwaltungsgerichtsbarkeit, VP-Gesetz, Strafgesetz, Strafprozessordnung, Strafvollzugsgesetz, Wiedereingliederungsgesetz) und deren Durchführung übereinstimmen und wie die berechtigten Anliegen der Gefangenen unterstützt werden.
Am 6. Dezember 1989, 10 Uhr, baten wir in der Strafvollzugseinrichtung um das Gespräch mit den Gefangenen. Der Leiter der Einrichtung, Oberleutnant G(...), war zu unserer freudigen Überraschung sofort zu einem Gespräch bereit. Hierbei äußerte er, dass die Probleme im Zusammenhang mit dem Strafvollzug bisher leider nicht in der Öffentlichkeit bekannt gemacht wurden. Er berichte uns, dass erste Veränderungen bereits realisiert werden. Er eröffnete uns die Möglichkeit, um 13 Uhr mit etwa 100 gewählten Gefangenenvertretern zu reden. Während des einstündigen Gesprächs erläuterten einige Sprecher der Gefangenen noch einmal ihre Forderung nach Verbesserung der Gesetzesvorlagen und einer allumfassenden Amnestie. Sie erklärten, dass sie die Arbeit erst wieder aufnehmen, wenn ein Termin für eine umfassende Amnestie bekannt gegeben wird. Sie fordern ein Dementi der Pressemitteilung vom 6.12., dass sie die Arbeit wieder aufgenommen hätten. Der Sprecher der FA 2 teilte mit, dass sich die 251 Gefangenen dieses Bereiches seit 12 Uhr wegen dieser Mitteilung im Hungerstreik befinden. Außerdem fordern sie ein Gespräch mit ADN ohne vorgefertigte Gesprächsbeiträge. Ein Sprecher informierte über die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen und über eine Verschwendung von Volkseigentum in Millionenhöhe. Um Überprüfung der Jagdgebiete des Inneren bei Belzig und Birkengrund, die nach seinen Worten durch Strafgefangene errichte wurden, bat ein anderer Vertreter der Gefangenen. In der Kürze der Zeit stellten wir Übereinstimmung bei Forderungen nach Veränderungen der Gesetzesvorlagen und deren Durchführung fest. Zum Problem der Amnestierung von Gefangenen, die nach den Paragraphen 112 und 113 wegen Tötungsdelikten verurteilt sind, gaben die Gefangenen eine Stellungnahme ab. Sie bitten um eine differenzierte Betrachtung dieser Problematik und eine Beurteilung jeder Person sowie eine Überprüfung der Urteile.
Wir vereinbarten nach diesem ersten Kontakt weitere Gespräche mit den Strafgefangenen unter Leitung des Strafvollzugs. Dabei sollten Möglichkeiten gesucht werden, unterschiedliche Ansichten zu diskutieren und zu veröffentlichen. Kompromisse zu finden und gemeinsame Vorstellungen verwirklichen. Einig waren wir uns bei dem Gespräch, dass eine geglückte (Wieder)-Eingliederung sowohl von Gesetzen, Wohn- und Arbeitsbedingungen und dem Verhalten der Entlassenen wie der Nachbarn, Arbeitskollegen, uns allen, abhängig ist.
Schon kurz nach diesem Gespräch kam die Meldung vom Beschluss des Ministerrates über eine Amnestie. Sie bleibt weit hinter den geäußerten Erwartungen der Sprecher zurück. Wir hoffen, dass die bisher ruhige Situation in den Strafvollzügen nicht eskaliert und dadurch die berechtigten Forderungen an Glaubwürdigkeit verlieren.
F(...), H(...),
H(...), P(...),
Neues Forum Brandenburg
aus: Märkische Volksstimme, Nr. 289, 08.12.1989, 44. Jahrgang, Sozialistische Tageszeitung im Bezirk Potsdam, Herausgeber: Bezirksleitung Potsdam der SED