Gespräch mit Jan Herrmann, Neues Forum Brandenburg

Jan Herrmann, Sie gehören zu den Erstunterzeichnern des Neuen Forum... Wie sehen Sie Ihre Entwicklung? Was sind wichtige Stationen?

Ich stamme aus einer Kleinstadt bei Dresden. Meine Eltern sind Handwerker. Ich hatte eine ganz normale DDR-Kindheit, Pioniere, FDJ . . . Als die Augen aufgingen, das war eigentlich erst in der Lehrzeit als Schriftsetzer. Plötzlich gab es neue Bekanntschaften, neue Musikrichtungen, neue Bücher; es ist sehr wichtig, die richtigen Bücher zur richtigen Zeit zu lesen, was ja in der DDR gar nicht so einfach ist. Ich habe z. B. "Gedächtnisprotokolle" von Jürgen Fuchs über seine Vernehmungen gelesen und Menschen kennen gelernt, die die Authentizität bestätigen. Von da an war mir die Stasi mehr als ein Begriff.

Während der Lehre entstanden Freundschaften in Jena, Kontakte zur unabhängigen Friedensbewegung. Ich habe zwischen 1979 und 1982 die Entwicklung vieler Leute dort mitgekriegt, viele wurden ausgewiesen oder reisten aus. Das war eine ganz neue Erfahrung, dass sich da Menschen selbst verwirklicht haben und dafür strafrechtlich belangt wurden. Inzwischen hatte ich - und das ist sehr wichtig - den Beruf gewechselt und im Krankenhaus als Hilfspfleger angefangen, eine Entscheidung, die ich nie bereut habe. Die variable Arbeitszeit ermöglichte es mir, ziemlich viel herumzufahren.

Nächste wichtige Station war die Armee. Ich erlebte das Gruppenverhalten von Leuten, wann sie hinter einem stehen und wann nicht mehr, wie sie sich unter Druck verhalten. Manche der Eingaben gingen mit meiner Hilfe raus. Sie bezogen sich auf die unmittelbaren Lebensverhältnisse der Soldaten, gegen die Drangsalierungen durch die Offiziere. 6 oder 7 Mann mussten länger bleiben. Das waren die, die immer versucht hatten, die Truppe zusammenzuhalten.

1986 ging ich mit meiner Frau ... nach Brandenburg. Nach den Januarereignissen 1988, also der Luxemburgdemonstration, begann der engere Kontakt mit Berlin. Dort fanden sich alte Freunde aus der Jenaer Zeit wieder, es entstanden auch neue Bekanntschaften, so mit Bärbel Bohley, Reinhard Schult, Carlo Jordan. Wir haben uns auch in Brandenburg umgesehen. Mit einigen Leuten versuchten wir, eine Archegruppe, Umweltarbeit also, zu installieren. Das lief nicht, denn ohne Daten geht das nicht, und Daten gab es nicht. Außerdem waren wir alle unerfahren und hatten eigentlich nur unseren guten Willen . . .

Haben Sie eine politische Hoffnung?

Auf jeden Fall, sonst brauchte man morgens nicht aufzustehen. Es ist eine alte Erfahrung, dass in Notzeiten die Menschen zusammenrücken. Die Krise, in der sich unser Land befindet, ist auch eine Chance für den Aufbau einer solidarischen Gemeinschaft. Für mich wäre wichtig, dass der einzelne ein Mindestmaß an Rechten hat, dass er geschützt ist, aber auch, dass kein einzelner so viel Macht hat, andere zu bestimmen oder zu vereinnahmen Dafür ist ein demokratischer Rahmen nötig ...

Gisela Begrich

aus: Die Andere Zeitung Potsdam 02.02.1990

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