"Wir brauchen den ruhigen Dialog"

Jens Reich, Erstunterzeichner der DDR-Initiative Neues Forum, zu den Zielen der Plattform

taz: Ihr Gründungsaufruf ist sehr moderat gehalten, ist das ein Zufall oder ein Charakteristikum für die geplante Sammlungsbewegung?

Jens Reich: Das ist kein Zufall. Es muss auch ruhige Stimmen in der jetzigen Situation geben. Wir wollen vermeiden, gleich wie ein Lehrmeister aufzutreten und Forderungen vorzugeben. Zudem ist das, was jetzt zu tun ist, in weiten Kreisen strittig. Einigkeit aber besteht, dass wir auch in der DDR einen offenen Dialog brauchen.

Sie wollen sich für ein breites Spektrum offen halten. Verbirgt sich dahinter aber nicht auch ein programmatisches Defizit?

Wir wollten uns strikt an die legale Prozedur halten, und deshalb dürfen wir, bevor die Anmeldung nicht genehmigt ist, keine Gründungshandlung oder programmatische Aussprachen vornehmen. Wenn es dazu kommt, wird es keinen Mangel an auch divergierenden Vorstellungen geben.

Ist denn der Zeitpunkt für die Initiative günstig gewählt? Ist die Stimmung denn momentan nicht eher resignativ?

Das gesellschaftliche Bedürfnis nach Öffentlichkeit besteht. Ich glaube sogar bei den Leuten, die über die jetzige Situation zu befinden haben. Auch da gibt es das Bedürfnis nach dem ruhigen Dialog, um expressionistische Ausbrüche zu vermeiden.

Ist das ein Dialogangebot an die SED?

Wir würden gerne unsere Vorschläge einbringen, etwa in Form von Anhörungen. Allein um das zu können, brauchen wir diesen legalen Rahmen. Wir wollen alle Interessierten ansprechen, die bereit sind zu einem toleranten Dialog.

Gibt es Kontakte zur Partei?

Nein, es gibt keine Kontakte. Es gibt auch keine ausgesprochene Verbindung zu anderen Gruppen. Wir wollen vor allem auch mit Leuten reden, die außerhalb dieser Szene stehen.

Wie definieren Sie sich denn im Verhältnis zu den anderen Gründungen, etwa der sozialdemokratischen Initiative?

Die Mehrheit in unserer Initiative ist der Meinung, dass die Gründung von Parteien nicht an der Zeit ist. Partei setzt ein Programm voraus, das nicht da ist, setzt eine organisatorische Struktur voraus, die nicht da ist.

Würden Sie sich denn überhaupt als Opposition begreifen wollen?

Dieser Begriff ist uns schon mehrmals aufgezwungen worden. Ich möchte ihn aber wegen der Implikationen vermeiden, wegen des Hühnerauges, auf das man da gleich tritt. Aber im Sinne von kritischem Dialog, Toleranz gegenüber auch radikal abweichenden Meinungen, würde ich den Begriff akzeptieren.

Aber sie wollen nicht direkt politisch eingreifen?

Nein. Politisch eingreifen, das würde ja heißen, man will sich um Mandate bemühen, oder andere Formen des sich politisch Bemerkbarmachens wählen. Ich glaube nicht, dass das sinnvoll ist. Mir scheint, dass bei uns das Informationsdefizit, das Aussprachedefizit am größten ist...

Also Sie wollen Öffentlichkeit herstellen, aber nicht politischen Druck ausüben?

So ist es. Man muss natürlich sehen, was dabei herauskommt.

Bislang sind alle Versuche, abweichende Meinungen auf legalem Wege einzubringen, abgeschmettert worden. Das entmutigt Sie nicht?

Nein. Wir glauben, dass unser Versuch notwendig ist - wieder einmal, wenn Sie so wollen.

Interview: Biberkopf

aus: taz Nr. 2909 vom 13.09.1989

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