"Der Zustand unserer Kraftwerke ist katastrophal"
Sebastian Pflugbeil, Physiker und Energieberater des Neuen Forums, über Auswege aus der Energiekrise der DDR
taz: Wie kann die DDR aus ihrer Energiekrise herauskommen?
Sebastian Pflugbeil: Wir haben viele fast unlösbare Probleme am Hals. Zunächst, und dafür können wir nichts, geht die Braunkohle zu Ende. Der Abbau wird immer schwieriger, die Qualität der Kohle immer schlechter. Wir haben auf Autarkie gesetzt, und deshalb kommen über 70 Prozent unserer Energie aus Braunkohle. Das zweite ist, und dafür können wir was, dass wir zu lange von der Substanz gelebt haben. Es wurde nichts in die Modernisierung unseres Kraftwerkparks investiert. Und es wurde versäumt, Entschwefelungsanlagen und Staubfilter zu bauen. Der Zustand unserer Kraftwerke ist so katastrophal, dass man drei Viertel abreißen müsste.
War die Nichtmodernisierung Ignoranz, oder hat das Geld gefehlt?
Bei uns hat immer Geld gefehlt. Ich würde das nicht als ignorant bezeichnen - das ist kriminell. Hier wurden ganz bewusst Menschen um ihre Gesundheit gebracht. Und es sind ungeheure Risiken eingegangen worden, wenn man etwa an die völlig verschlissenen Kernkraftwerke in Lubmin denkt, vor denen selbst der Kraftwerksdirektor warnt.
Was ist jetzt zu tun?
Wir müssen das Grundübel angehen. Wir haben eine total überalterte Technik in unserer Wirtschaft, die viel zu viel Energie schluckt. Wir haben den dritthöchsten Pro-Kopf-Energieverbrauch der Welt. Das ist eine Schande, es ist aber auch eine Chance, weil sich daraus enorme Einsparpotentiale ergeben. Die Frage, wo wir jetzt die Energie herkriegen, ist falsch gestellt. Wer braucht wie viel Energie für welchen Zweck? Sind diese Zwecke gut? Wie kann man vermeiden, dass so viel Energie verbraucht wird? Wie können wir Energie sparen? Das sind die richtigen Fragen. Sie sind aber gegenwärtig nicht zu beantworten. Dazu liegen keine Daten vor, die Statistiken sind schlecht und gefälscht. Deshalb müssen wir Kompromisse in der Fragestellung machen. Es besteht sicher ein Konsens mit der Regierung, schnell den Erdgasimport zu erhöhen, um so die Braunkohle zu ersetzen. Es gibt sehr leistungsfähige Blockheizkraftwerke, die Strom und Wärme produzieren mit hohem Wirkungsgrad und geringer Umweltbelastung. Hier hätte ich nichts gegen Joint-ventures, um solche Kraftwerke zu bauen. Aber auch das bringt keine Soforthilfe. Was man sofort machen könnte, um die Ballungsgebiete zu entlasten, wäre der Einsatz von besserer Kohle. Wir sollten unsere gute Braunkohle nicht in die Bundesrepublik exportieren, sondern sie dort einsetzen, wo wir jetzt ökologische Katastrophengebiete haben. Man könnte auch daran denken, Steinkohlenkoks nicht zu exportieren, sondern sogar zu importieren, um ihn bei uns einzusetzen. Es gibt viele Heizkessel, auch im Hausbrand, die für Koks geeignet sind. Damit könnte man die Luft in den Städten relativ schnell verbessern.
Bei der Braunkohle geht es ja nicht nur um Emissionen und schlechte Luft. Durch den Tagebau werden ganze Landschaften umgepflügt. Muss man nicht auch deshalb den Einsatz der Braunkohle sofort reduzieren?
Völlig einverstanden. Aber wir müssen sehen, was wir können. Die Geschwindigkeit, mit der wir Braunkohle ersetzen, hängt davon ab, wie gut es uns gelingt, Energie zu sparen. Wir brauchen ein extensives Energiesparprogramm. Und wir brauchen andere Energieträger. Aber es wäre unrealistisch zu glauben, dass wir in wenigen Jahren auf Braunkohle verzichten können. Das ist nicht zu schaffen. Wir können nur runtergehen und brauchen dazu Erdgas.
Die Leute auf der Straße tendieren dazu, lieber etwas Strahlung, also Atomenergie, in Kauf zu nehmen als die katastrophal schlechte Luft.
Die Alternative Braunkohle oder Atomenergie ist falsch. Schon allein wegen der langen Bauzeiten für AKWs von zehn Jahren und mehr ist hier keine Hilfe zu erwarten.
Energiesparkonzepte werden aber auch eher mittelfristig helfen?
Wenn man die Zeit für ein Energieerzeugungsprogramm durch den Bau von Kraftwerken vergleicht mit der Zeit, in der Einsparungen wirksam werden, dann sind Sparkonzepte immer überlegen und billiger.
Die DDR-Regierung setzt auf Hilfe aus der BRD. Dort werden aber ebenfalls die falschen Fragen gestellt. Ist die BRD eigentlich der richtige Partner für gute Energiekonzepte?
Im Moment sind wir sehr beunruhigt über die gegenwärtig laufenden Gespräche zwischen unseren Kernenergie-Leuten und Ihren Atomkonzernen. Wirtschaftsministerin Luft hat bestätigt, dass diese Gespräche stattfinden. Sie laufen ohne Verbindlichkeit und anfangs auch ohne Wissen und Auftrag der Regierung. Es ist schon seltsam, dass ein Kombinatsdirektor über Käufe von Atomkraftwerken Gespräche führt. Aber es gibt auch andere Kontakte mit der BRD. Wir setzen auf eine Zusammenarbeit mit Unternehmen, die ihre fast marktreifen Produkte bei Ihnen nicht auf den Markt bringen können, weil die Energiemafia so stark ist.
Können Sie das konkreter machen?
Ich möchte noch keine Namen nennen, aber es gibt hier selbst bei den Energiekonzernen - gute Entwicklungen von gescheiten Gas-Kombi-Kraftwerken. Da wäre der gesamte Osten ein unendlicher Markt.
Interview: Manfred Kriener
aus: taz Nr. 3004 vom 11.01.1990