. . . und jetzt heißt es: riesiges Experiment
Neues Forum - das heißt nicht rechts, nicht links, sondern unten / Gespräch mit Bärbel Bohley, nicht im Rathaus, nicht im Atelier, sondern zu Hause
Ein Gespräch mit ihr ist ganz einfach oder ganz schwer. Hätte ich sie privat auf dem Weg ins Rathaus angesprochen oder wäre zu ihr in die Fehrbelliner Straße mit einem konkreten Problem aus dem Kiez gegangen, hätte ich es leichter gehabt. Doch zu sagen, woher ich komme, und sie zu bitten, mit. Mir über ihre Kunst zu sprechen, verzögerte die Sache.
Es ist doch möglich, dass für mich jetzt nicht die Zeit ist für Ausstellungen und Ateliergespräche. Das sagte sie im Frühjahr, ein Trost war das nicht. Erst jetzt fand sich Gelegenheit zum Gespräch. Mit Bärbel Bohley sprach JW-Mitarbeiterin Thea Herold.
Als Regimekritikerin, Mitbegründerin des Neuen Forum sind Sie zu so etwas wie einer Instanz geworden, Frau Bohley. Als Malerin kennt man Sie weniger. Ende letzten Jahres, noch der Verleihung des Karl-Hofer-Preises an der Westberliner Hochschule der Künste, gab es in der Öffentlichkeit eine ganze Reihe von Fragen danach. Etwa solche: Wie malt sie eigentlich, wo kann man ihre Bilder sehen?
Natürlich hatte ich diesen Preis vor allem für meine politische Arbeit bekommen, denn die Leute im Westen kannten mich als Malerin kaum, genau sowenig wie die Leute hier. Seit 1983 musste ich doch mit einem faktischen Ausstellungsverbot leben. Andere ja auch, das sagte man nur nicht dazu, es wurde einfach praktiziert. Ich wusste zumindest, warum.
Ich fand nur eine ganz lapidare Charakteristik zu Ihren Bildern: "provozierend nüchterne Motivwahl" - "Vorliebe für halbfigürlich abstrakte oder völlig gegenstandslose Formen und kräftige Farben" (Munzinger-Archiv). Warum sollte das nicht ausgestellt werden dürfen?
Ich saß bis 1983 in der Berliner Sektionsleitung des Verbandes Bildender Künstler, flog aber nach meiner Verhaftung dort raus, weil ich nicht mehr "tragbar" war. Auch die Förderklasse, die ich in Weißensee betreute, in der sich begabte junge Leute auf ihr Kunststudium vorbereiteten, durfte ich nicht behalten. So haben sich die Proportionen in meinem Leben mehr in Richtung Politik verschoben. Zum Geldverdienen reichten die Keramikarbeiten, die ich dann mit Katja Havemann zusammen gemacht habe. Mussten reichen.
Ist Ihnen der Verzicht Künstlerin zu sein, nicht schwergefallen? Es gab ja auch Beispiele, ich denke an Hermann Glöckner, die trotz aller Ignoranz der Menge weiter an ihrem künstlerischen Werk gearbeitet haben?
Ich glaube, Sie denken zu sehr an "hehre Kunst". Aber davon rede ich doch gar nicht. Ich für meinen Fall habe Politik und Kunst nie voneinander trennen können. Wir standen doch mit beiden Beinen auf der Erde, mitten im leben. Als ich mich zunehmend mit Politik beschäftigte, verlangte mir das doch auch Kreativität ab. Überhaupt sind unsere Aufgaben, die vor den Bürgerbewegungen stehen, nur mit sehr viel Kreativität zu bewältigen. Es hat schon damit zu tun, ob du jemanden Angriffspunkte bietest oder nicht – aber die Problematik sitzt tiefer. Das Neue Forum hat sich in diesem einen Jahr als etwas herausgebildet, was ein ganz, ganz weites Spektrum von Ansichten zusammenführt. Es gibt Mitglieder, die PDS-nahe Positionen vertreten und andere, die der CDU nahestehen. Neues Forum, das heißt nicht rechts, nicht links, nicht Mitte - sondern unten, an der Basis, den Menschen so nahe wie möglich, zu arbeiten. Deshalb ist es auch totaler Unsinn, wenn es jetzt heißt, die Bürgerbewegungen bleiben auf der Strecke, nur weil wir bei gesamtdeutschen Wahlen vielleicht nicht über die Sperrklausel springen. Das ist Quatsch. Wir leben doch weiter dort, wo wir sind. Und müssen in Zukunft noch mehr für die Menschen da sein, für ihre Probleme. Denn mittlerweile sagen ja selbst die Politiker der CDU, dass das, was jetzt passiert, ein "riesengroßes Experiment" ist, bei dem keiner weiß, was herauskommt.
Sie hatten doch von einer neuen, sozialen Gesellschaft geträumt, die wir hier bei uns gestalten könnten, von einer "Plastik-DDR". Ist der Traum jetzt kaputt?
Ich musste mehrere Fehler einsehen. Zum Beispiel bin ich der Meinung, dass das Zusammengehen zu den Wahlen als "Bündnis 90" von heute aus gesehen ein Fehler war. In vielen kleinen Orten haben wir uns damit mehr geschadet als genützt, weil es dort neben dem Forum gar nichts anderes gab, keine Vereinigte linke, keine Demokratie Jetzt.
Und doch mussten sie auch dort den Namen für die Wahlliste ändern. Das haben wir nur aus Berliner Sicht gesehen und entschieden. Ich meine auch, wir sollten uns als Bürgerbewegung hauptsächlich auf die Landesstrukturen und auf regional-örtliche Ebenen konzentrieren. Rang und Stimme in den Parlamenten zu haben - das hat sich doch herausgestellt - ist wenig praktikabel.
Dort geht es bei den Entscheidungen im Moment nur nach Mehrheiten, und nicht danach, wie plausibel und kompetent eine Sache begründet und verteidigt wird. Neue Wege werden leider immer erst von Minderheiten gesehen. Wenn Sie so wollen, musste ich einsehen, dass wir derzeit auf einem sinkenden Schiff sitzen und uns jetzt noch darum kümmern können, was mit auf die Rettungsboote kommt.
Aber die Menschen haben doch mehrheitlich die Crash-Variante gewählt, sie haben bei den ersten freien Wahlen den schnellen Anschluss gewollt Waren sie denn so verblendet?
Naiv, verblendet, wild darauf, mit richtigen Autos zu fahren und richtiges Geld zu verdienen, benennen Sie doch unsere Unmündigkeit, wie Sie wollen. Übrigens haben auch Zeitungen wie Ihre einen Teil dazu beigetragen. Jetzt müssen wir nicht nur akzeptieren, WIE die Mehrheit entschieden hat, jetzt müssen wir ihnen helfen, mit den Auswirkungen fertigzuwerden. Ich glaube schon an die Prognosen unserer Sozialministerin, rechne aber mit Arbeitslosenzahlen von mehreren Millionen. Das Furchtbare ist, dass hier der ökonomische Kollaps mit dem psychologischen Einbruch zusammenfällt. Das gab es ja nicht, bisher, dass jemand Anfang 50 gesagt bekommt, dass er nicht mehr gebraucht wird. Langzeitarbeitslos. Für diese Menschen da zu sein, ihren wieder Mut zu machen, einfach Alternativen aufzuzeigen, wie aus dem Leben noch etwas zu machen ist. Das können keine Parteien, das ist eine Riesen-Aufgabe für die Bürgerbewegungen.
Wenn selbst ein bürgerlicher, eher konservativer Publizist wie Alfred Grosszer aus Frankreich schrieb, dass jetzt die Bürgerbewegungen an der Reihe sind, scheint mir das ein Zeichen dafür zu sein, dass ein Umdenken langsam beginnt.
Sie sind ja im Laufe des vergangenen Jahres für viele Menschen ein besonderer Anlaufpunkt geworden. Arme voll Post schütten sich jeden Tag aus Ihrem Briefkasten. Was erhoffen sich diese vielen Briefeschreiber, die Sie doch gar nicht persönlich kennen?
Für eine ganze Gruppe von Menschen sind die Bürgerbewegungen die einzigen Hoffnungsträger, die in diesem ganzen Wirrwarr übriggeblieben sind. Es ist nun mal so: Herr Gysi ist nicht die ganze PDS, ein Herr de Maizière ist nicht die ganze CDU, und leider ist die ganze SPD halt doch wahrscheinlich sehr wie ein Herr Meckel.
Nennen Sie mir eine Partei von den alten oder neuen, die sich wirklich um die Menschen kümmert.
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Deshalb suchen sie uns. Dass ausgerechnet ich zu einer Anlaufadresse geworden bin? Vielleicht deshalb, weil ich mich immer noch nicht habe in das Politgeschwafel hineinziehen lassen. Weil ich noch hier wohne wie früher, so rede, so bin, wie ich immer war. Das macht einen vielleicht glaubwürdig. Ich könnte mir denken, dass ich ihnen schon deshalb Mut mache, wenn sie sehen, dass ein Mensch ganz normal bleiben kann. Auch wenn er in der Verantwortung ist.
Lassen Sie mich trotzdem noch einmal darauf zurückkommen. Was macht die Malerin? In einem Interview stand ja mal: "Irgendwann will ich auch wieder zurück in mein Atelier." Bleibt jetzt wirklich alles liegen - oder gibt es nicht Angebote zu Ausstellungen?
Die kamen schon, aber sie müssen eben warten. Wenn jemand wirklich meine Bilder ausstellen will und nicht nur meinen Namen, dann wird er das verstehen. Im Augenblick sehe ich meine wichtigste Aufgabe beim Neuen Forum. Aber Bürgerbewegungen haben ihre eigene Dynamik. Es gibt engagierte Zeiten, es gibt abflauende. Solange jemand dort seine Projekte verfolgt, soll er sich damit einbringen und "seine Sache" machen. Sein Leben bewusst, selbstverantwortlich gestalten zu können, was heißt denn das anderes, als "seine Sache machen". Das ist dann auch der Weg heraus aus der Unmündigkeit. Und sollte sich das Forum irgendwann in eine Richtung entwickeln, die ich nicht mehr mittragen kann, dann trennen sich halt unsere Wege. Wir werden es ja sehen.
Nun hat sich am Wochenende ein Wahlbündnis Linke Liste/PDS konstituiert. Die "taz" war der Meinung, dass sich eine Bärbel Bohley nie auf eine solche Liste setzen lässt. Was sagen Sie dazu selbst?
Das kann ich schwer in zwei Sätzen beantworten. Einfach "links" als Alternative anzubieten ist wohl jetzt nicht sehr glaubwürdig, wenn man an die Herkunft der PDS denkt und auch an die eines Teils der westlichen Gruppen. Dagegen kann ich mir eine Personalliste vorstellen, auf der vertrauenswürdige Menschen kandidieren.
Da könnte sicher auch ein Gregor Gysi drauf stehen.
Junge Welt, Fr. 03.08.1990