DDR 1989/90 Brandenburger Tor


DIE NELKEN ein symbolträchtiger Name

Es muss das Prinzip der Toleranz herrschen

Mit Brigitte Kahnwald, Parteivorsitzende, im Gespräch

Seit dem 13. Januar 1990 existiert die marxistische Partei DIE NELKEN. Auf dem Gründungskongress wurde ein provisorischer Parteivorstand gewählt, der die Tätigkeit bis zum ersten ordentlichen Parteitag Im Frühjahr leitet. Über Grundsätze und Ziele der Partei wurde in den Medien berichtet. Parteivorsitzende wurde die Dresdnerin Brigitte Kahnwald. Die 28jährige Lehrerin für Geographie war früher SED-Mitglied.

"SZ": Hat Sie die Wahl zur Parteivorsitzenden überrascht?

Brigitte Kahnwald: Um ehrlich zu sein, ja. Die Mitglieder unserer Gründungsgruppe haben mich vorgeschlagen, weil ich eine ruhige Art hätte und auch etwas diplomatisch bin. Doch ich hatte auch meine Bedenken geäußert, ob ich das alles schaffe, denn ich möchte ja meine beruflichen Aufgaben nicht vernachlässigen.

"SZ": Wie haben Ihre Kollegen Ihre neue Funktion aufgenommen?

Brigitte Kahnwald: Unterschiedlich. Die Skala reicht vom Akzeptieren über die Unterstützung bis hin zum stillen Nichteinverständnis.

"SZ": Haben Sie eine Reaktion von den Schülern gespürt?

Brigitte Kahnwald: In der 25. Oberschule, wo mich die Schüler schon länger kennen, bin ich gefragt worden, welche Ziele usw. die Partei sich stellt.

"SZ": Sie sind mit vielen Menschen zusammen, die nicht unbedingt ihre Weltanschauung teilen. Bürgt das Probleme mit sich?

Brigitte Kahnwald: Es muss das Prinzip der Toleranz gelten. Meine Schüler werden mir z.B. bestätigen, dass ich mich daran gehalten habe, ohne meinen eigenen Standpunkt zu verleugnen.

"SZ": Ihre Funktion ist jetzt noch ehrenamtlich, bringt aber viel Arbeit mit sich. Wollen Sie einmal ihren Beruf an den Nagel hängen?

Brigitte Kahnwald: Ich bin gern Lehrerin. Natürlich ist es nicht einfach, das Arbeitspensum zu bewältigen. Auch meine sechsjährige Tochter hat sich schon beschwert, dass die Mutti so wenig Zeit hat. Nach dem Parteitag müssen wir neu überlegen, wie wir die Arbeit verteilen. Ob wir dann eine Funktion hauptamtlich besetzen können, hingt davon ab, wie viele Mitglieder wir werden.

"SZ": Das Fach Staatsbürgerkunde wird an den Schulen nicht mehr unterrichtet Wie finden Sie das?

Brigitte Kahnwald: So, wie das Fach angelegt war, ist es richtig, dass es wegfällt. Aber ich könnte mir gut eine Art Gesellschaftsunterricht dafür vorstellen. Beispielsweise, wo den Schülern erklärt wird, wie man sich an bestimmte Ämter wendet, was es für verschiedene Religionen in der Welt gibt, also viele Informationen vermittelt.

"SZ": Für Blumen, speziell auch für Nelken, muss man jetzt tiefer in die Tasche greifen. Wie teuer sind sich DIE NELKEN?

Brigitte Kahnwald: Wir hoffen so teuer, dass wir einmal viele Mitglieder haben. Zum anderen müssen meiner Meinung nach Blumen nicht unbedingt subventioniert sein. Wenn ein Mann der Frau Blumen schenken möchte, soll er auch etwas dafür ausgeben.

U. Hirmmer

aus: Sächsische Zeitung, Nr. 26, 31.01.1990, 45. Jahrgang, Tageszeitung für Politik, Wirtschaft und Kultur, Herausgeber: Verlag Sächsische Zeitung