Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam Leiter |
Potsdam, 6.11.1989 BdL-Dok.-Nr.: 264/89 |
Diensteinheiten
Leiter
Beiliegend übergebe ich Ihnen eine Parteiinformation an den 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung vom 6.11.1989 über aktuelle Erkenntnisse zu weiteren Aktivitäten des "Neuen Forum" und anderer antisozialistischer Sammlungsbewegungen im Bezirk Potsdam zur persönlichen Kenntnisnahme.
Das Material ist lage- und aufgabenbezogen in differenzierter Form auszuwerten und bei der weiteren Einleitung und Durchsetzung politisch-operativer Maßnahmen mit zur Grundlage zu nehmen.
Das Fertigen von Abzügen bzw. Auszügen aus dem anliegenden Material ist untersagt.
Schickart
Generalmajor
Rücksendung an
BdL-Dok. bis 18.11.89
Bezirksverwaltung Potsdam | Potsdam 6. 11. 1989 |
Erkenntnisse zu weiteren Aktivitäten, Zielen und Absichten oppositioneller Sammlungsbewegungen
Vorliegende Einschätzungen bestätigen, dass die Aktivitäten antisozialistischer Kräfte zur Formierung oppositioneller Sammlungsbewegungen weiterhin zunehmen und sich immer deutlicher und offener gegen die führende Rolle der SED richten. Als wesentliche Tendenzen wurden herausgearbeitet:
- weitere intensive Popularisierung der antisozialistischen Inhalte oppositioneller Sammlungsbewegungen durch Informationsveranstaltungen unter aktiver Mitwirkung kirchlicher Amtsträger, durch Nutzung kirchlicher Räume und Strukturen sowie die massenhafte Verbreitung schriftlicher Aufrufe, Plattformen und dergleichen (vom 27.10.1989 - 4.11.1989 wurden 26 weitere Großveranstaltungen in Kirchen oder ausgehend von Kirchen mit ca. 30 000 Teilnehmern durchgeführt).
- Organisierung öffentlicher Proteste und Demonstrationen, Schweigemärsche und dergleichen in weiteren Städten des Bezirkes Potsdam (Wittstock, Zossen, Pritzwalk, Neuruppin, Oranienburg) und deren "Institutionalisierung" als regelmäßige (wöchentliche) Aktionen.
Höhepunkt bildete die am 4.11.1989 in Potsdam durchgeführte Demonstration. Mit einem in den letzten Tagen in der Bezirksstadt verbreiteten Flugblatt Potsdamer Basisgruppen wird dazu aufgerufen, derartige Demonstrationen zukünftig jeden Sonnabend, 14.00 Uhr, (Treffpunkt Platz der Nationen) durchzuführen.
- Missbrauch öffentlicher Dialogveranstaltungen sowie Teilnahme an Aussprachen in Betrieben und Einrichtungen und in zunehmendem Maße Organisierung eigener "Dialogveranstaltungen" in Betrieben und Einrichtungen.
- Gezieltes Eindringen in gesellschaftliche Strukturen, einschließlich befreundete Parteien und Massenorganisationen.
Vorliegende Informationen aus Äußerungen der hinreichend bekannten Führungskräfte im internen Kreis und zunehmend auch während öffentlichkeitswirksamer Veranstaltungen im kirchlichen Räumen und auch in Dialogveranstaltungen belegen, dass die von diesen Kräften offiziell geäußerte Treue zur Verfassung der DDR, einschließlich der Anerkennung der führenden Rolle der Partei, und ihrer Bereitschaft, den "Dialog im Interesse des Sozialismus in der DDR zu führen", ausschließlich taktischen Zwecken untergeordnet ist.
Dabei wird deutlich, dass sich die Beweggründe für dieses taktische Verhalten gewandelt haben.
Die anfangs angestrebte Schutzfunktion des Dialogs ist nach Einschätzung der führenden Kräfte heute nicht mehr erforderlich.
Unabhängig davon, ob, wann und in welcher Form eine staatliche Zulassung des "Neuen Forum" und anderer Sammlungsbewegungen erfolge, gebe es an ihrer Existenz keine Zweifel, seien sie durch den Dialog und die hohe Anzahl der Anhänger nicht nur schlechthin anerkannt, sondern eine reale Macht.
Die offiziell bekundete Treue zur Verfassung und zum Sozialismus dient vorliegenden Erkenntnissen unter den aktuellen Bedingungen vor allem dem Ziel, eine Massenbasis unter den Arbeitern und solchen Bürgern zu erreichen, die auf keinen Fall auf die Errungenschaften der sozialistischen Entwicklung verzichten wollen.
Darin eingeordnet ist auch das zunehmende Wirken solcher Personen wie KAMINSKI, MEINEL, TSCHÄPE und anderen an Veranstaltungen in Betrieben und Einrichtungen (Gewerkschafts-, Belegschafts- und andere Versammlungen/Aussprachen) teilzunehmen und diese mit demagogischen Bekenntnissen für einen besseren Sozialismus im Sinne der eingeleiteten Wende für ihre Ziele zu missbrauchen. Die tatsächlichen Ziele der Führungskräfte oppositioneller Sammlungsbewegungen bestehen den vorliegenden Informationen zufolge eindeutig darin, die Machtverhältnisse zu verändern, die SED als führende gesellschaftliche Kraft abzulösen und von der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung weitestgehend auszuschließen.
Zur öffentlichen Propagierung und Unterlegung dieser Ziele richten sich die Angriffe vor allem gegen die Partei als Apparat sowie ihre Funktionäre.
Es zeigt sich immer deutlicher, dass die führende Rolle der Partei nicht schlechthin ignoriert wird, sondern direkt darauf hingearbeitet wird, die führende Rolle der Partei aktiv zu bekämpfen.
In diesen Prozess werden zunehmend auch Mitglieder der Partei aktiv einbezogen. Auf der Grundlage des oben dargelegten taktischen Vorgehens und mit demagogischer Raffinesse wird der Partei als Organisation vorgeworfen, unfähig zu sein, grundlegende Reformen tatsächlich zu wollen.
Die Funktionäre werden beschuldigt, sich letztlich nur ihrer Privilegien wegen dem Dialog zu stellen, tatsächlich aber weder bereit noch in der Lage zu sein, den Prozess der gesellschaftlichen Erneuerung führen zu können.
Die einzig wahre Kraft zur Herbeiführung einer Wende sei die "Masse" unter Führung der oppositionellen Sammlungsbewegungen, vor allem des "Neuen Forum". Diese Sammlungsbewegungen vertreten letztlich auch die Interessen der "einfachen Genossen". Entsprechende Aussagen werden belegt durch die Ergebnisse verschiedener Foren/Belegschaftsversammlungen, wie zum Beispiel am 31.10.1989 im Klub der Eisenbahner in Brandenburg, bei dem ein Stadtverordneter (Mitglied der SED) die Ablösung des 1. Kreissekretärs forderte oder am 1.11.1989 anlässlich der Belegschaftsversammlung des Feuerlöschgerätewerkes Luckenwalde, in der ultimativ die Forderung aufgestellt wurde, bis zum 15.11.1989 den Betriebsleiter und alle Funktionäre abzulösen.
Ähnliche Aussagen/Forderungen waren feststellbar bei der Belegschaftsversammlung des BMK-Ost in Potsdam, des VEB Gebäudewirtschaft Falkensee, des Kreiskrankenhauses Oranienburg, dem Plastwerk Staaken sowie in Brieselang, Pessin u. a., bis hin zur Forderung nach Auflösung der Kampfgruppen (VEB Kaltwalzwerk Oranienburg, Veranstaltung in Fürstenberg, Krs. Gransee.)
Feststellbar ist, dass den vorgebrachten Forderungen gegen Funktionäre, gegen die Kampfgruppen und die Arbeit der Partei insgesamt nicht widersprochen wird und von den Parteiorganisationen, einschließlich anwesenden Funktionären diesen Angriffen keine Gegenwirkung entgegengesetzt wird.
Vorliegende Informationen besagen, dass Mitglieder der Partei sowie der Partei und ihren Idealen verbundene Werktätige eine klare und einheitliche Linie in der Politik der Partei, insbesondere im und für das Handeln vor Ort vermissen.
Durch das Fehlen einer klaren Handhabe und eines offensiven Vorgehens entstehe der Eindruck, dass sich die Partei selbst aufgegeben habe.
Damit werde es den Vertretern des "Neuen Forum" und anderer Sammlungsbewegungen leicht gemacht, ihre Positionen auszubauen und sich als "Interessenvertreter" des Volkes darzustellen.
Diese Sprachlosigkeit der Funktionäre führe zu dem Gefühl, alleingelassen zu sein. Es sei unter diesen Bedingungen nahezu unmöglich, einen eigenen klaren Klassenstandpunkt darzustellen und zu vertreten. Das führe letztlich dazu, dass sich Kräfte als "Sprecher" des Volkes darstellen können, deren einziges Ziel darin besteht, mit demagogischen Mitteln eine "Volksmeinung" zu provozieren, die die Gesellschaft, alles bisher Geschaffene und damit auch das zukünftig zu Schaffende in Frage stellen.
Wie bereits dargestellt, werden in zunehmendem Maße von der Partei und/oder staatlichen Leitungen angeregte Veranstaltungen zum Dialog von oppositionellen Kräften in ihrem Sinne ausgenutzt.
Der von diesen Kräften mit Vehemenz bekundete und vorgetragene "Wahrheitsanspruch" führt infolge der fehlenden Gegenreaktion dazu, dass der Dialog eindeutig gegen die Partei geführt wird.
Vorliegende Informationen bestätigen, dass Personen wie KAMINSKI, TSCHÄPE, MEINEL, MECHTEL und andere die Ergebnisse ihrer Auftritte in Betrieben und Einrichtungen als Bestätigung für ihr Wirken werten.
Sie fühlen sich damit in ihrer Einschätzung bestätigt, dass die Partei unfähig sei, von sich aus eine Wende herbeizuführen, und ihren Führungsanspruch gegenüber dem Volk zu behaupten. Diese Tatsache müsse durch ihre endgültige Entmachtung manifestiert und durch eine Änderung der Verfassung (Artikel 1) gesetzlich fixiert werden.
Wie bereits dargelegt, wurden und werden die Aktivitäten zur Schaffung fester Strukturen oppositioneller Sammlungsbewegungen weiter intensiviert.
Vorliegenden Informationen zufolge fanden in mehreren Orten des Bezirkes - Zeuthen/KWH, Glienicke/Oranienburg, Klein Mutz/Gransee, Neuruppin, Luckenwalde - Zusammenkünfte zur Gründung von Ortsgruppen des "Neuen Forum" statt. Die bisher umfassendste Veranstaltung dieser Art war die am 3.11.1989 in der Erlöserkirche in Potsdam durchgeführte "1. Vollversammlung" des "Neuen Forum" für den Stadtkreis Potsdam.
Alle genannten Veranstaltungen fanden in kirchlichen Räumen unter Mitwirkung bzw. Leitung von hauptamtlichen Kirchenkräften statt.
Hinweise auf die bevorstehende Institutionalisierung des "Neuen Forum" liegen praktisch aus allen Kreisen des Bezirkes vor.
Die in Potsdam durchgeführte "Vollversammlung" mit ca. 2 000 Teilnehmern wurde von den Veranstaltern (TSCHÄPE, MEINEL, KAMINSKI, FLADE, BAASKE, KWASCHIK, MECHTEL u.a.) langfristig und sorgfältig, unter Beachtung konspirativer Bedingungen vorbereitet.
Die Teilnehmer wurden schriftlich, zum Teil über Postweg, aber auch durch eigene Verteilung von Einladungen informiert. Grundlage für die Einladungen bildeten bei den führenden Kräften vorliegende Unterschriftslisten unter den Aufruf "Aufbruch 89" sowie schriftliche Bekundungen zur Unterstützung des "Neuen Forum". Diese "Bekundungen" selbst sind so abgefasst, dass Ziele und Hintergründe nicht sichtbar werden.
Wortlaut: "Ich habe den Text des Neuen Forum gelesen und halte Veränderungen dieser und ähnlicher Art in der DDR für notwendig. Die Zielstellung entspricht den heutigen Erfordernissen, und enthält keinerlei verfassungswidrige Formulierungen, deshalb bin ich für die Zulassung dieser Initiative.
Name, Adresse, Beruf, Unterschrift.
Diese Unterschrift bedeutet keine Mitgliedschaft, sondern dient nur zum Nachweis des Bedarfs einer solchen Vereinigung."
Durch KAMINSKI werden die eingegangenen Unterschriften/Bekundungen mit Hilfe weiterer Personen auf Disketten gespeichert. Um zu gewährleisten, dass nur eingeladene Teilnehmer zur Veranstaltung Zutritt erhalten, wurden Computerlisten angefertigt und an Hand der Einladung und des Personalausweises die Identität der Besucher kontrolliert.
Die Veranstaltung wurde durch KAMINSKI geleitet, der sich selbst als Sprecher und Wortführer der Versammlung vorstellte.
Der Verlauf war durch sogenannte Basisdemokratie bestimmt.
Entsprechend einem Antrag des KAMINSKI wurden 5 Tagesordnungspunkte festgelegt:
1. Diskussion der Standpunkte
2. Vorstellen der thematischen Arbeitsgruppen
3. Diskussion
4. Vorstellen des provisorischen Sprecherrates
5. Informationen.
Wesentliche Aussage der "Standpunktdiskussion" war die Begründung des "Neuen Forum" als Alternative für die notwendige politische Erneuerung und die daraus abgeleitete Forderung, die führende Rolle der SED zukünftig nicht mehr in der Verfassung festzuschreiben.
Führen dürfe nur, wer durch freie Wahlen vom Volk dazu bestimmt werde. Die "Wahlmanipulation" vom 7. Mai 1989 müsse restlos aufgeklärt werden.
Es wurden 8 "Ortsgruppen" (Potsdam-Nord, West, Mitte, Vorstadt, Potsdam-Babelsberg Nord und Süd, Waldstadt und Stern) und 11 thematische Arbeitsgruppen (Wirtschaft, Kultur, Umwelt, Recht, Gesellschaft/Sozialismus, Arbeit/Soziales, Erziehung/Bildung, Friedensarbeit/Antifaschismus, Öffentlichkeitsarbeit, Geschichte der DDR, Grundsatzfragen/Statut) mit den entsprechenden Kontaktpersonen vorgestellt.
Die Diskussion war lebhaft und durch kritisch-provokative, jedoch inhaltlich belanglose Beiträge (insgesamt 26) gekennzeichnet. Aus vorliegenden Einschätzungen wird Enttäuschung darüber deutlich, dass keine konkreten Ziele und Aufgaben für das weitere Wirken genannt wurden.
Die Stimmung war aggressiv gegen die Partei- und Staatsführung, was sich vor allem darin äußerte, dass der Beifall um so größer war, je offener die Angriffe vorgetragenen wurden. Mit frenetischem Jubel wurde die Forderung begleitet, die Straße noch mehr als Ort der Auseinandersetzung zu nutzen und den Versprechungen der Partei nicht zu trauen.
Diese Worte und die Beifallsbekundungen wurden durch KAMINSKI mit sichtlichem Wohlgefallen aufgenommen.
In diesem Zusammenhang führte er aus, dass das Neue Forum noch stärkeren Druck ausüben werde, wenn die SED ihre Versprechungen nicht halte.
Er zitierte den 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, Gen. Günter Jahn, der ihm gesagt habe, dass die SED unter dem Druck der Massen zu einem neuen Forum werde. Das zeige, wie groß die Angst der Partei vor den Massen sei.
Dem Sprecherrat des "Neuen Forum" in Potsdam gehören 10 Personen, darunter TSCHÄPE, MEINEL, KAMINSKI, FLADE, ANETTE, MECHTEL und PLATZECK, UTE, an.
Unter dem letzten Tagesordnungspunkt "Informationen" wurden durch Pfarrer KWASCHIK Hinweise für die Demonstration am 4.11.1989 in Potsdam gegeben.
Von den anwesenden Teilnehmern haben sich ca. 70 % für eine aktive Mitarbeit in einer der genannten Arbeitsgruppen schriftlich bereit erklärt.
Genutzt wurde die Veranstaltung des weiteren dazu, erneut die SDP und deren Ziele darzustellen.
Es wurde nochmals darauf verwiesen (wie am 1.11.1989), dass Informationsmaterial zur SDP im Kontaktbüro in der Lutherstraße 1 ausliegt.
Vorliegenden Erkenntnissen zufolge hat die SDP ihre Aktivitäten verstärkt, sich öffentlich darzustellen und aktiv Mitglieder zu werben.
Die Vorstellung und Werbung für die SDP erfolgte während kirchlicher Veranstaltungen - 31.10.1989 "konziliares Gespräch" in Glienicke, Krs. Oranienburg mit 300 Teilnehmern, während des "Mittwoch-Abend-Gebetes" am 1.11.1989 in Oranienburg, ca. 500 Teilnehmer sowie am 2.11.1989 in der Kirche in Lütte, Krs. Belzig, mit ca. 500 Teilnehmern.
Besondere Aktivitäten entfalten dabei Pfarrer GUTZEIT (Marwitz, Krs. Oranienburg u.a. Auftritt in Lütte) und Pfarrer REICHE (Christinendorf, Krs. Zossen).
Streng internen Erkenntnissen zufolge sei vorgesehen, am 8.11.1989 in der Erlöserkirche eine Ortsgruppe Potsdam der SDP zu gründen.
Ziel der SDP sei die friedliche Entmachtung der SED nach dem Vorbild Ungarns. Für die nächsten Wahlen seien eigene Kandidaten vorgesehen. Falls die SDP bis dahin nicht zugelassen sei ist vorgesehen, mit Hilfe der befreundeten Parteien (LDPD, CDU) in die Volkskammer einzudringen. Wenn die SED ihren Führungsanspruch nicht freiwillig aufgeben werde, müsse man auch Gewalt, einschließlich Blutvergießen, einkalkulieren.
Weitere Veranstaltungen in Kirchen sind geplant. Darüber hinaus fanden im Bezirk zwei Veranstaltungen zur Vorstellung der Initiative "Demokratischer Aufbruch" und eine zur Bewegung "Demokratie jetzt" statt. (insgesamt ca. 1 000 Besucher) Außer dem "Kontaktbüro" in Babelsberg wurde mit Wirkung vom 31. 10. 1989 ein solches in Werder/Havel, Damaschkestr. 9 (Gemeindehaus der evangelischen Kirche) gebildet. Es wird entsprechend den vorliegenden Erfahrungen aus Babelsberg genutzt, um die Aktivitäten für das "Neue Forum" und weitere Sammlungsbewegungen in diesem Raum anzuleiten und zu koordinieren. Gleichgeartete Aktivitäten sind für Brandenburg/Havel vorgesehen, ebenfalls vorgesehen (angemeldet) ist eine Großdemonstration für den 12.11.1989.
Die vorliegenden Informationen verdeutlichen, dass die führenden Kräfte der oppositionellen Sammlungsbewegungen, insbesondere des "Neuen Forum" davon ausgehen, dass das tatsächliche Handeln durch sie bestimmt werde und von ihnen eine durch die SED und andere Parteien sowie Massenorganisationen nicht mehr aufzuhaltende Macht ausgehe.
Bestärkt werden sie in dieser Haltung durch die Ergebnisse ihrer Auftritte bei Dialogveranstaltungen, durch die Unfähigkeit der FDJ, mit eigenen Beiträgen unter Jugendlichen wirksam zu werden und durch feststellbare Identitätskrisen in den anderen Parteien des demokratischen Blocks sowie durch die Berichterstattungen besonders der bezirklichen Medien "Märkische Union", "Der Morgen" und "Brandenburgische Neueste Nachrichten". Insbesondere Funktionäre der CDU und der LDPD haben den vorliegenden Erkenntnissen zufolge Schwierigkeiten, sich in der gegenwärtigen Situation zu positionieren. Es verstärken sich sichtbar Tendenzen unter dem Motto der Eigenständigkeit und des Selbstverständnisses ihrer Parteien, das Bündnis mit der SED nicht auf eine neue Stufe zu stellen, sondern es aufzugeben. Verbunden damit ist das Bemühen sich sowohl den Kräften des "Neuen Forum" als organisierte Basis anzubieten, als auch sich selbst im "Neuen Forum" aktiv zu engagieren.
Ähnliche Tendenzen nehmen auch in der NDPD zu, während durch die DBD ein nach wie vor relativ klares Bekenntnis zum Sozialismus und zur SED als führende Kraft erfolgt.
Insbesondere von den Funktionären der Blockparteien, die langjährig die Bündnispolitik mitgetragen haben, wird eingeschätzt, dass durch die propagandistische und agitatorische Zurückhaltung der SED die eigene Identitätskrise und die Hinwendung nachstrebender Funktionäre zu oppositionellen Bewegungen begünstigt wird.
Die dargelegten Aktivitäten der oppositionellen Kräfte im Bezirk bestätigen, dass nach der zum jetzigen Zeitpunkt durchgehend eingeleiteten und in mehreren Kreisen abgeschlossenen organisatorischen Formierung des "Neuen Forum" nunmehr auch im Bezirk Potsdam die Aktivitäten gegen die Partei und ihre führende Rolle aus der begrenzten Öffentlichkeit der Kirche in die breite Öffentlichkeit auf der Straße übertragen werden.
Als Auftakt für diese neue Etappe des antisozialistischen Vorgehens ist die am 4.11.1989 in Potsdam durchgeführte Demonstration anzusehen.
Obwohl die Teilnahme von ca. 20 000 Personen und der im genehmigten Rahmen weitestgehend störungsfreie Verlauf weit unter den Erwartungen der Organisatoren blieb, zeigen erste Informationen über die Reaktion dieser Personen, dass sie diese Demonstration als einen ersten Sieg ansehen, bei dem man nicht stehen bleiben dürfe.
Die bereits in der Vorbereitung auf diese Demonstration erarbeiteten Informationen, dass es den Organisatoren darauf ankomme, der SED mit aller Deutlichkeit zu zeigen, wer das Volk vertritt und wie die wahre Meinung des Volkes zur SED sei sowie das Ziel, so lange und mit so vielen Bürgern zu demonstrieren, bis man sie (SED) in die Knie gezwungen habe, wurde von diesen mit Nachdruck als die aktuelle Aufgabenstellung bestätigt.
Insbesondere sei es nach Einschätzung der Organisatoren notwendig, in weitaus stärkerem Maße Personen aus den angrenzenden Kreisen zur Teilnahme an Demonstrationen zu gewinnen. Schwerpunkte seien das Industriegebiet Teltow/Stahnsdorf, Ludwigsfelde, aber auch Werder, Nauen und andere Orte.
Die bereits in der Vorbereitungsphase geäußerte Absicht, diese Demonstration zu institutionalisieren und zu einem regelmäßig wiederkehrendem Bekenntnis gegen die SED und die ihr unterstehende Staatsmacht zu entwickeln, sei dringender denn je.
Es komme des weiteren darauf an, den Protest deutlicher und nachhaltiger zu artikulieren.
In dieser Richtung äußerten sich insbesondere der MECHTEL und die GRAFENHORST, die bereits während der Demonstration versuchten, die Stimmung anzuheizen und maßgeblich verantwortlich waren für die nach dem offiziellem Abschluss der Demonstration von ca. 500 Teilnehmern weitergeführten offen provokatorischen antisozialistischen Bekundungen in der Potsdamer Innenstadt.
Im Zusammenhang mit den durchgeführten Demonstrationen wurden Informationen bekannt, dass insbesondere Schüler oberer Klassen Anträge auf Freistellungen vom Unterricht stellten, um an diesen Demonstrationen teilzunehmen.
Unter Verweis darauf, dass die Demonstrationen genehmigt seien, wurden diese Ansinnen auch von Lehrern unterstützt und befürwortet.