DDR 1989/90 Brandenburger Tor

Unser Land braucht keine neuen Spitzelstrukturen

Nach ihrer Meinung zu den jüngsten Plänen über die Schaffung neuer Geheimdienststrukturen in einem vereinigten Deutschland befragten unsere Bezirkskorrespondenten Mitglieder von Bürgerkomitees zur Auflösung des ehemaligen MfS/AfNS und einen Vertreter des Neuen Forum.

Dietmar W(...), Mitglied des autorisierten Bürgerkomitees im Bezirk Halle: Wir haben unseren Geheimdienst unter großen Mühen aufgelöst. Die Sichtung der Bestände wird unter Umständen noch lange Zeit in Anspruch nehmen. Bevor uns der Handlungsbedarf für die Installation des Verfassungsschutzes nachgewiesen wurde, berät man über uns. Wir lassen uns nicht fremd bestimmen, sondern bestimmen über unsere Zukunft selber. Das ist das Ergebnis der Veränderung in diesem Teil Deutschlands. Eine, die politische Gesinnung überprüfende nach innen gerichtete Tätigkeit des Verfassungsschutzes lehne ich ab. Ehemalige MfS-Mitarbeiter nicht einstellen zu wollen, ist technisch nicht möglich. Die Kaderakten beinhalten nur noch die letzte Arbeitsstelle. Es ist daraus nicht ersichtlich, ob der Bewerber für das MfS tätig war. Oder: Will man die sichergestellten Akten und Karteien gleich mit übernehmen? Dann können die alten Strukturen wieder neu geschaffen werden.

Matthias B(...), Mitglied des Untersuchungsausschusses des Erfurter Bürgerkomitees zur Auflösung der Stasi: Was da im "Spiegel" angekündigt wird, fürchten wir auch, obwohl es noch keine Beweise gibt. Aber wir sind eindeutig dagegen, denn wir wünschen überhaupt keinen Sicherheitsdienst zur Bespitzelung der Bürger. Wenn das passiert, wäre ich erst einmal geneigt, die Namen der ehemaligen Sicherheitsoffiziere der Stasi zu veröffentlichen, die bereits vom BND übernommen wurden. Dafür gibt es Zeugenaussagen. Wir treten dafür ein, dass Rechtsstaatlichkeit in diesem Lande eintritt. Wenn wir eine neue Verfassung haben, wäre es folgerichtig, dass ein Verfassungsgerichtshof installiert wird zum Schütze der Bürger.

Rainer W(...), Mitglied des Geraer Bürgerkomitees: Für mich steht außer Zweifel, dass Sicherheit ein Großanliegen jedes Staates ist. Darüber sollte man sich auch Gedanken machen - wenn es diesen Staat gibt. Es empört mich jedoch, dass hier von BRD-Seite schon Strukturen feststehen, obwohl es noch zahlreiche Modalitäten über ein einheitliches Deutschland zu klären gibt. Zuerst sollte man sich darüber einigen, wie wir in die Vereinigung gehen. Diese Fragen sollten im Vordergrund stehen. Ganz persönlich muss ich sagen, dass ich mich nicht dafür engagiert habe, die Bespitzelung der Bürger aufdecken zu helfen, damit sie anschließend von westdeutscher Seite weitergeführt wird. Allerdings befürchte ich, dass die ganze Sache schon im Gange, dass die Praxis schon viel weiter ist als der Aufbau von Strukturen.

Bartmut T(...), Geschäftsführer des Neuen Forum Cottbus: Ein Land ohne ein Schutzorgan, welches allerdings parteienunabhängig arbeiten müsse, könne nicht funktionieren. Als politisches Unding bezeichnete er, dass diesbezügliche Ämter schon vor der Einheit Deutschlands tätig werden sollen, wie es in Form von "Landesbehörden für Verfassungsschutz", installiert von BRD-Verfassungsschutzämtern, wirkend in den zukünftigen Ländern der DDR, geplant ist. Diese vorübergehend arbeitenden Ämter, die mit DDR-Bürgern (keine Mitarbeiter der ehemaligen Staatssicherheit) und mit West" Verfassungsschützern besetzt würden, seien ein Zeichen dafür, dass die BRD unserer politischen Entwicklung nicht traut und wieder einmal versucht, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Eine Mitarbeit des Neuen Forums in Ämtern des Sicherheitsdienstes jeglicher Art lehnte der Geschäftsführer entschieden ab.

Neues Deutschland, Di. 10.04.1990, Jahrgang 45, Ausgabe 85

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