Brief der "lila offensive" an die "Vereinigten Linken"
Berlin, den 30.11.1989
Diese blutleere Überschrift zeigt meine Ratlosigkeit bezüglich der Anrede: "Gesinnungsfreunde" seid Ihr nur zum Teil, "Genossen" assoziiert Parteibürokratie und trifft nicht das, was ich ansprechen will. (Also auch dafür müssen wir eine neue Sprache finden.)
Aus dem Kontext das Erlebens Eures Arbeitstreffens am 25/26.11. möchte ich mein Verhalten und damit im Zusammenhang die Haltung der Gruppe "lila offensive" erklären.
Prinzipiell sind wir an allen Arbeitsergebnissen, Diskursen, Gesellschaftsentwürfen interessiert. Ihre Kenntnis ist unabdingbarer Bestandteil unserer Arbeit, die sich nur aus dem Zusammenhang mit der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung verstehen lässt und unbedingt in diese zurückfließen muss.
Dies hatte mich motiviert, an Eurem Arbeitstreffen teilzunehmen. Aber: Patriarchatskritik und mit ihr die Frauenproblematik kann nicht als Aufgabe an unsere Gruppe delegiert worden. Sie muss immanenter Bestandteil jeder sich als progressiv verstehenden Gesellschaftskonzeption sein. Wenn die Linken sie nicht bei jeder politischen Diskussion, bei jeder Organisation einer Veranstaltung (Anfangszeiten, Kinderbetreuung) und bei jeglichem eigenen Verhalten (Gebietsfetechismus, Redeverhalten, autoritäres Auftreten) mitbedenken, werden sie unversehens alte, wenn auch im weiteren Sinne patriarchalische Strukturen konservieren.
Wenn die "linken" Männer nicht begreifen, dass die Diskriminierung der Frau Ausdruck der Klassengesellschaft ist, die Unterdrückung des einen Geschlechts durch das andere die erste und tiefgreifendste Form der Unterdrückung, dann ist ihr Anspruch, eine wirklich alternative Gesellschaft entwerfen zu wollen von vornherein unglaubwürdig.
Diese Fakten und Eindrücke hatten mich veranlasst, unsere Sicht öffentlich zu machen, ungeachtet eines Programmplanes. Die Defizite erschienen mir so prinzipieller Art, dass ich sie vor den anderen Überlegungen bevorzugt behandelt wissen wollte.
Und die Anwesenden mit diesen grundsätzlichen Fragen (die vor Wirtschafts-, Staats- und Gewerkschaftsstrukturen stehen) konfrontieren wollte.
Ich weiß nicht, ob mein Beitrag diese Anliegen kenntlich gemacht hat. Ich hatte Angst und war verwirrt, vor so vielen Menschen zu sprechen, konnte deshalb nicht gut formulieren und die Grundabsicht in den Mittelpunkt stellen.
Deshalb in Kurzform: Wenn es um die Überwindung eines bürgerlichen Demokratieverständnisses gehen soll, (das nur diejenigen einbezieht, die sich von ihren sozial psycho-physischen Bedingungen bar auch selbst vertreten können) wenn der Abbau von Machtstrukturen konsequent angestrebt wird, dann muss es auch um die Beseitigung der Macht von Männern über Frauen bis in die subtilsten Formen hinein gehen.
Wenn dies prinzipiell Eingang in Eure Arbeit und Euer Verhalten gefunden hat, worden wir eine Basis haben, produktiv zusammen zuarbeiten.
Bis jetzt aber sehen wir kaum Berührungspunkte mit Euren Anliegen, was ich bedaure.
Deshalb kann unsere Gruppe auch keine Veranstaltung zur Frauenproblematik innerhalb Eurer Initiativen ausrichten, weil es die Illusion erzeugen würde, wir hätten in den Grundsätzen gleiche Auffassungen.
Falls sich jedoch bei Euch eine Gruppe zu einem patriarchatskritischen Ansatz emanzipieren sollte, können wir sofort das Gespräch aufnahmen.
Zum Schluss möchte Ich zwei Anregungen aus der Diskussion zu meinem Redebeitrag noch einmal aufnehmen: Das Nachdenken darüber, wo tagtäglich bis in die privaten Verhältnisse Macht und Gewalt gegenüber Frauen ausgeübt wird und wie dieses verhalten durch eine gezielte Gesellschaftskonzeption abgebaut worden kann.
Katrin Rohnstock
"lila offensive"
aus: Konferenz Reader, 1. DDR - weites Arbeitstreffen der Initiative Vereinigte Linke 25./26. November 1989, Herausgeber: Initiative Vereinigte Linke Berlin