Wer soll denn hier wen schützen?

JuliA Gera: Aus einem Positionspapier zur aktuellen Politik


1. Verfassungsschutz


Die Gleichschaltung aller gesellschaftlichen Kräfte in einer Einheitsfront gegen rechts widerspricht demokratischen Grundsätzen, sie zeugt vom alten Denken der Vereinnahmung der gesamten Gesellschaft durch eine Ideologie. Zum jetzigen Zeitpunkt würde die Wiederbelebung eines Sicherheitsorganes unter der Federführung der SED-PDS die Entfaltung der breiten Demokratiebewegung bremsen und dem Demokratisierungsprozess nicht korrigierbaren Schaden zufügen.

Ist unsere derzeitige Verfassung denn überhaupt noch schützenswert? Hieße nicht der Schutz einer stalinistischen Verfassung zuallererst der Schutz einer Partei, die ihre stalinistische Vergangenheit bei weitem noch nicht bewältigt hat? Ein neues demokratisch legitimiertes Parlament muss eine neue Verfassung erarbeiten sowie geeignete Mittel zu deren Schutz vor Rechts- und Linksextremen finden. Sind ehemalige MfS-Mitglieder in der Lage, diesen Schutz zu übernehmen?


2. Kabinett Modrow


Das Kabinett Modrow hat durch seine Haltung zum Thema "Schaffung eines Verfassungsschutzes" unser Vertrauen weitestgehend verloren. Durch das entschlossene Handeln der Bürger (Warnstreiks, Protestdemonstrationen) sowie den Willen der Koalitionsparteien CDU, LDPD und zum Teil NDPD, ihre weitere Mitarbeit in der Regierung Modrow von dem Verzicht auf einen Verfassungsschutz bis zur Wahl abhängig zu machen, sah sich Modrow gezwungen, von seinem Plan Abstand zu nehmen.

Wir sehen das als ein deutliches Zeichen an, dass die Regierung auf die Mitarbeit der obengenannten Parteien nicht verzichten kann und als einen Erfolg der demokratischen Kräfte in der Volkskammer.

Jetzt muss es die Aufgabe der LDPD in der Regierung sein, verstärkt ihre Programmatik einzubringen und allen demokratiefeindlichen Versuchen entgegenzutreten. Der Widerspruch zwischen dieser Programmatik und der jetzigen Regierungspolitik muss öffentlich deutlich gemacht werden.

Sollte die SED-PDS erneut versuchen, den Demokratisierungsprozess zu stören, fordern wir die LDPD-Fraktion auf, die Regierung sofort zu verlassen.

Wichtig für die Entwicklung der Demokratie in unserem Land sind unserer Meinung nach:

- Offenlegung der Finanzen der SED-PDS, verbunden mit der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Erwerbs;

- Eingliederung ehemaliger Mitarbeiter der Staatssicherheit in die Produktion ohne Lohnausgleich;


3. Deutschlandpolitik


Wir bekennen uns zu einem zukünftigen deutschen Staat in den Grenzen von 1989. Wenn durch diesen deutschen Staat ein geeintes Europa möglich wird, haben die beiden Militärblöcke ihre Existenzberechtigung verloren. Der Weg dahin führt über die Konföderation, verbunden mit einer Verwaltungsreform zur Wiederherstellung der alten Ländergrenzen. Das Ziel der staatlichen Einheit ist verfassungsmäßig zu garantieren. Ein separatstaatlicher Kurs, wie von der SED-PDS befürwortet, schützt nicht vor Ausverkauf, sondern begünstigt ihn.


4. Wirtschaft


Eine radikale Wirtschaftsreform ist eine wichtige Voraussetzung, um die Einheit beider deutscher Staaten zu erreichen. Soziale Marktwirtschaft führt keineswegs zum Ausverkauf, sondern zum Wachstum des Volkswohlstandes und ist so der einzige wirksame Schutz gegen Ausverkauf. Sie soll soziale Sicherheit bieten, aber nicht zur sozialen Hängematte werden. Leistung soll sich wieder lohnen, die Initiative jedes einzelnen ist gefordert. Grundlage der neuen Wirtschaftsordnung müssen die Selbsregulationsmechanismen des Marktes, nicht administrative Planung, sein. Nur eine solche, wirklich effizient arbeitende Wirtschaft ist stark genug, unsere Umwelt wieder zu säubern. Erste, dringend erforderliche Schritte auf diesem Weg müssen sein:

- Schaffung eines gesetzlichen Rahmens für die wirkliche Gleichberechtigung aller Eigentumsformen;

- schrittweiser, aber konsequenter Abbau von Subventionen und produktgebundenen Abgaben;

- wirkungsvolle, denen der BRD angeglichene, nach dem Verursacherprinzip ausgebaute Gesetze zum Schutz der natürlichen Umwelt;

- Möglichkeit der Gründung von Joint Ventures für alle Eigentumsformen vom Handwerksbetrieb bis zum Kombinat ohne Begrenzung ausländischer Kapitalbeteiligung.

Der Morgen, Nr. 15, Do. 18.01.1990

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